Tatbestand
Streitig ist (nur noch) die Feststellung, dass die bei der Klägerin beschäftigte L die Qualifikation als stellvertretende
Pflegedienstleitung nach den zum 1.1.2014 in Kraft getretenen Rahmenempfehlungen nach §
132a Abs.
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) zur Versorgung mit häuslicher Krankenpflege erfüllt.
Die Klägerin betreibt einen Pflegedienst zur ambulanten Versorgung im Rahmen häuslicher Krankenpflege. Sie stellte die 1967
geborene L zum 1.5.2009 als stellvertretende Pflegedienstleitung in Vollzeit ein. Dort nimmt Frau L überwiegend (d.h. zu ca.
60 % ihrer Arbeitszeit) die Aufgaben der Pflegedienstleitung wahr, erbringt aber auch z.B. in Urlaubs- oder Krankheitsfällen
(zu ca. 40%) Leistungen im Bereich der ambulanten Pflege (im Kranken- und Pflegeversicherungsbereich).
Frau L hatte vom 1.10.1988 bis 30.9.1990 die Fachschule für Altenpflege F. e. V. (Niedersachsen) besucht und unter dem 1.10.1990
die staatliche Anerkennung als Altenpflegerin nach § 2 Abs. 1 der vorläufigen Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 17.12.1973
erhalten. Von Oktober 1990 bis Januar 2008 war Frau L als Altenpflegerin für vier verschiedene Einrichtungen tätig. Vom 17.2.2004
bis 23.4.2005 absolvierte sie eine (480 Unterrichtsstunden umfassende) Fachweiterbildung als "Verantwortliche Pflegekraft
nach
SGB V und
SGB XI" (Bereichsleitung/ Leitung einer ambulanten Pflegestation). Nach Auskunft der Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN Niedersachsen
auf deren homepage (www.arbeitundleben-nds.de, Stand 9/2009) orientiert sich dieser Weiterbildungslehrgang an den von den
Pflegereferenten der Bundesländer mit den Pflegekassen vereinbarten Inhalten und erfüllt die Anerkennungskriterien der Weiterbildung
zur "Verantwortlichen Pflegefachkraft gem.
SGB V und XI". Nach einer (720 Stunden umfassenden) Weiterbildung an der staatlich anerkannten Weiterbildungsstätte Deutscher Berufsverband
für Pflegeberufe, Landesverband Nordwest e. V., Institut für Fort- und Weiterbildung erwarb sie unter dem 13.5.2008 vom Niedersächsischen
Landesamt für Soziales, Jugend und Familie die Weiterbildungsbezeichnung "Fachkraft für Leistungsaufgaben der Pflege". Von
Februar 2008 bis April 2009 arbeitete sie als stellvertretende PDL für zwei andere Unternehmen, davon vom 1.2.2008 bis 31.7.2008
als examinierte Altenpflegerin und stellvertretende Pflegedienstleiterin im Caritas Altenpflegeheim St. N. in I1 ... 2009
nahm sie an der "Nachqualifizierungsmaßnahme für Altenpfleger in Leitungspositionen" (54 Unterrichtsstunden) teil.
Die Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem Beklagten waren bis zum 30.12.2007 durch den Vertrag zwischen dem Interessenverband
privater häuslicher Krankenpflege (IPHK) und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) sowie dem ehemaligen Arbeiter-Ersatzkassen-Verband
e.V. (AEV) vom 1.10.2001 geregelt. Der IPHK kündigte die Vergütungsvereinbarung des Vertrags zum 30.06.2005. Durch Schiedsentscheidung
wurde die Vergütung bis zum 31.12.2007 geregelt. Der Versorgungsvertrag wurde von den Kassenverbänden zum 31.12.2007 gekündigt.
Ab dem 1.7.2009 galt zwischen den Vertragspartnern ein Mustervertrag in der Fassung der Schiedssprüche vom 17.7.2009 und 30.7.2009.
Die Klägerin und der Beklagte vereinbarten ab dem 1.1.2010 bzw. 1.1.2011 einen neuen Vertrag gem. §§
132,
132a Abs.
2 SGB V. Der Vertrag in der Fassung vom 1.1.2011 enthält u.a. folgende Regelungen:
§ 1 Gegenstand und Bestandteile des Vertrages [ ] ( 2) Bestandteile des Vertrags sind [ ...] c) die Gemeinsamen Grundsätze
und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von Qualitätsprüfungen nach
§ 80
SGB XI in der ambulanten Pflege in der jeweils gültigen Fassung, [ ]
§ 5 Personelle Voraussetzungen [ ] (3) Die pflegerische Leitung des ambulanten Pflegedienstes muss von einer verantwortlichen
Pflegefachkraft in Vollzeitbeschäftigung/Tätigkeit wahrgenommen werden. Sie muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
a) Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Krankenschwester, Krankenpfleger, Kinderkrankenschwester, Kinderkrankenpfleger,
Gesundheits- und Krankenpfleger/innen bzw. Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/innen oder Altenpfleger/in b) Mindestens
zweijährige hauptberufliche Beschäftigung/Tätigkeit in einem Krankenhaus, einer stationären Rehabilitationseinrichtung oder
einer zugelassenen Pflegeeinrichtung innerhalb der letzten fünf Jahre. Hiervon muss mindestens ein Jahr auf eine hauptberufliche
Beschäftigung/Tätigkeit in der ambulanten häuslichen Krankenpflege bei einem zugelassenen Pflegedienst entfallen. Für Teilzeitbeschäftigte
(mindestens in einer Halbtagsbeschäftigung) verlängert sich die qualifizierende Beschäftigungszeit entsprechend. c) Abschluss
einer Weiterbildungsmaßnahme für leitende Funktionen mit einer Mindeststundenzahl von 460 Stunden. Ein abgeschlossenes Studium
im Fachbereich Pflege/Pflegemanagement an einer Fachhochschule oder Universität ersetzt die Weiterbildung
(4) Die Rahmenfrist nach Abs. 3b) beginnt 5 Jahre vor dem Tag, zudem die verantwortliche Pflegefachkraft im Sinne des Absatzes
3 bestellt werden soll. [ ]
(5) Die Wahrnehmung der Aufgaben einer verantwortlichen Pflegefachkraft durch eine(n) Altenpfleger/in setzt ferner voraus:
a) die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpflegerin nach dem Gesetz über die Berufe in der Altenpflege vom
25.8.2003 oder
b) die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpflegerin nach einer dreijährigen Ausbildung, die nicht unter Buchstabe
a fällt, sowie der Nachweis einer in der Fortbildungseinrichtung durchgeführten Nachqualifizierung-Maßnahme entsprechend Anlage
5.
(6) neben der verantwortlichen Pflegefachkraft ist eine mindestens halbtagsbeschäftigte stellvertretende verantwortliche Pflegefachkraft
zu beschäftigen, die gleichfalls alle Qualifikationsmerkmale des Absatzes 3 Buchstaben a und b erfüllen muss. Die Absätze
4 und 5 a) und b) gelten entsprechend.
Zum 1.1.2014 sind Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes und der maßgeblichen Spitzenorganisationen der Pflegedienste
auf Bundesebene nach §
132a Abs.
1 SGB V zur Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege in Kraft getreten. Darin heißt es:
Präambel
Nach §
132 a Absatz
1 Satz 1
SGB V haben der GKV-Spitzenverband und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen
auf Bundesebene gemeinsame Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abzugeben. [ ]
Aufgrund der zeitlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber haben sich die Empfehlungspartner zunächst auf eine Priorisierung der
drei Themen
- Anerkennung verantwortliche Pflegefachkraft [ ] verständigt.
§ 1 Verantwortliche Pflegefachkraft
[ ]
3) Die fachlichen Voraussetzungen als verantwortliche Pflegefachkraft erfüllen Personen, die eine Ausbildung als [ ] c) Altenpflegerin
oder Altenpfleger nach dem Altenpflegegesetz vom 25.8.2003 oder d) Altenpflegerin oder Altenpfleger nach einer dreijährigen Ausbildung nach Landesrecht
abgeschlossen haben.
4) Zweijährig ausgebildete Altenpflegefachkräfte, die aufgrund besonderer Regelungen in einzelnen Bundesländern als verantwortliche
Pflegefachkraft anerkannt sind und diese Funktionen ausgeübt haben bzw. ausüben, werden auch von den Vertragspartnern nach
§
132a Abs.
2 SGB V in anderen Bundesländern als verantwortliche Pflegefachkraft anerkannt. [ ]
6) die Eignung zur Übernahme der ständigen Verantwortung ist ferner davon abhängig, dass innerhalb der letzten acht Jahre
mindestens zwei Jahre ein unter Abs. 3 oder 5 genannter Beruf hauptberuflich ausgeübt wurde, davon mindestens neun Monate
im ambulanten Bereich. [ ]
9) die stellvertretende verantwortliche Pflegefachkraft erfüllt bezogen auf Berufsabschluss und Berufserfahrung die gleichen
Voraussetzungen wie die verantwortliche Pflegefachkraft (s. Abs. 3-6). Im Vertretungsfall muss die Vertretung der verantwortlichen
Pflegefachkraft im Umfang einer Vollzeitstelle gewährleistet sein.
Der Beklagte teilte der Klägerin im Jahr 2009 mit, Frau L nicht als stellvertretende PDL anerkennen zu können, da diese mit
ihrer (nur) zweijährigen Ausbildung zur Altenpflegerin bei der Behandlungspflege deutlich weniger qualifiziert sei als Altenpflegefachkräfte
mit dreijähriger Berufsausbildung. Zudem fehle der Nachweis von mindestens zwei Jahren (Vollzeit-) Berufserfahrung in der
ambulanten Pflege innerhalb der letzten fünf Jahre bzw. sei nicht nachgewiesen, dass Frau L mindestens 1 Jahr Berufserfahrung
in der ambulanten Pflege innerhalb der letzen 5 Jahre habe.
Die Klägerin stellte ab dem 1.10.2010 eine weitere stellvertretende PDL ein, die unstreitig über die erforderliche Qualifikation
verfügte.
Mit ihrer am 21.9.2009 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Bestimmung des Rahmenvertrags, zweijährig examinierte
Altenpflegerinnen von der Position der Pflegedienstleitung auszuschließen, sei willkürlich. Da bis zum Jahr 2003 nur eine
zweijährige Ausbildung gesetzlich vorgesehen gewesen sei, werde der Personenkreis, der zum damaligen Zeitpunkt die Ausbildung
absolviert habe, faktisch von der Position ausgeschlossen. Frau L werde durch die zahlreichen Fort- und Weiterbildungen und
ihre Berufserfahrung als stellvertretende Pflegedienstleiterin dem Interesse des Beklagten, im Falle einer Vakanz der Pflegedienstleitung
eine Stellvertretung mit ausreichender Qualifikation und Berufserfahrung sicherzustellen, mehr als gerecht. Im Übrigen sei
die Qualifikation der Frau L in den ab dem 1.6.2011 in Kraft getretenen Maßstäben und Grundsätzen über die Qualität und Qualitätssicherung
sowie die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 XI in der ambulanten Pflege anerkannt, die
nach § 1 Abs. 2c des ab dem 1.1.2011 zwischen den Beteiligten geltenden Rahmenvertrags auch Vertragsinhalt nach §§
132,
132a SGB V sei.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass L die Voraussetzungen des §
5 Abs.
6 des ab 1.1.2011 geltenden Vertrags gemäß §§
132,
132a Abs.2
SGB V als qualifizierte stellvertretende verantwortliche Pflegefachkraft erfüllt.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, Frau L erfülle Anerkennungsvoraussetzungen nicht, da sie weder über eine dreijährige Ausbildung
zur examinierten Altenpflegerin noch innerhalb der letzten fünf Jahre über eine einjährige Vollzeitberufserfahrung in der
ambulanten Pflege verfüge. Das Bundessozialgericht (BSG - Urteil vom 7.12.2006 -B 3 KR 5/06 R-) habe bestätigt, dass die Krankenkassen auf formalen Ausbildung- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen dürften, weil
sonst eine praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle nicht möglich sei. Darüber hinaus habe es klargestellt,
dass die im Bereich der Pflegeversicherung erfolgte Gleichstellung der ausgebildeten Kranken- und Altenpfleger nicht im Bereich
der Krankenversicherung gelte.
Gegen das klageabweisende Urteil (ohne mündliche Verhandlung) des Sozialgerichts vom 2.11.2012 hat die Klägerin am 22.11.2012
Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen vertieft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 2.12.2012 zu ändern und festzustellen, dass bei L die Voraussetzungen zur Anerkennung
als verantwortliche Pflegefachkraft ab 1.1.2014 bestehen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen, das erstinstanzliche Urteil und die Entscheidung des BSG vom 7.12.2006 (a.a.O.) Bezug.
Die Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN, Niedersachsen hat auf Nachfrage des Senats angegeben, dass Altenpfleger, die über
das Zertifikat der Fachweiterbildung "Verantwortliche Pflegefachkraft nach
SGB V und
SGB XI" verfügen, in Niedersachsen keines formalen Anerkennungsverfahrens bedürfen, um als verantwortliche Pflegefachkraft anerkannt
zu werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Weitere Voraussetzungen für die Gleichstellung, wie beispielsweise die von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Verpflichtung,
die Funktion im ambulanten Bereich wahrgenommen zu haben, sind dem Wortlaut des § 1 4), der lediglich die Voraussetzungen
für die Gleichstellung zweijährig ausgebildeter Altenpfleger mit den dreijährig nach Landesrecht oder nach dem Altenpflegegesetz ausgebildeten Altenpflegern regelt, nicht zu entnehmen. Vielmehr haben die Empfehlungsgeber die Berufserfahrung im ambulanten
Bereich als Voraussetzung für die Eignung zur Übernahme der ständigen Verantwortung gewertet, die nach § 1 Abs. 6 dann gegeben
ist, wenn innerhalb der letzten acht Jahre mindestens zwei Jahre ein unter Absatz 3 oder 5 genannter Beruf hauptberuflich
ausgeübt wurde, davon mindestens neun Monate im ambulanten Bereich. Diese Voraussetzung erfüllt Frau L, da sie (im maßgeblichen
Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.12.2013) seit dem 1.5.2009 bei der Klägerin als Altenpflegerin gearbeitet hat. Dem steht nicht
entgegen, dass § 1 Abs. 6 nur auf § 1 Abs. 3 und 5, nicht aber auch auf § 1 Abs. 4 Bezug nimmt, da Abs. 4 gerade die Gleichstellung
mit den in Abs. 3 genannten Ausbildungen regelt und bezweckt. Zudem bezieht sich Abs. 6 ausdrücklich auf den "Beruf" (z.B.
des Altenpflegers) und nicht auf die in Abs. 4 benannte "Position". Aber auch diese (Position) hätte Frau L in den letzten
Jahren im ambulanten Bereich mindestens zwei Jahre lang ausgeübt, da sie während ihrer Vollzeitbeschäftigung zu 60 % (d.h.
in den 55 Monaten vom 1.5.2009 bis 31.12.2013 33 Monate lang) die Aufgaben einer stellvertretenden verantwortlichen Pflegefachkraft
ausgeübt hat.