Unzulässigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren aufgrund Nichterreichens des Mindestwertes des Beschwerdegegenstandes
Anforderungen an die Ermittlung des Wertes des Beschwerdegegenstandes bei der Klage gegen eine Meldeaufforderung nach dem
SGB III
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Meldeaufforderung nach §
309 SGB III.
Die im Jahre 1965 geborene Klägerin bezog im Zeitraum September 2017 bis Dezember 2018 Arbeitslosengeld von der Beklagten
i.H.v. 14,03 € täglich.
Die Beklagte lud die Klägerin mit Meldeaufforderung vom 29.10.2018 zu einem Termin am 12.11.2018 um 8.30 Uhr in der Agentur
für Arbeit Dinslaken ein. Inhalt des Gespräches sollte die aktuelle berufliche Situation der Klägerin sein.
Die Klägerin legte gegen die Meldeaufforderung am 07.11.2018 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass durch das
ärztliche Attest vom 21.09.2017 belegt sei, dass sie aus medizinischer Sicht nicht in der Lage sei, mit öffentlichen Verkehrsmitteln
zu fahren. Zu dem Termin am 12.11.2018 erschien die Klägerin nicht.
Die Beklage wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2018 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Meldeaufforderung
rechtmäßig sei, da die Einladung zur Berufsberatung erfolgt sei und somit ein gesetzlicher Meldezweck gegeben sei. Die Klägerin
habe auch kein aktuelles Attest vorgelegt, aus dem sich ihre Anreiseunfähigkeit ergebe.
Die Klägerin hat am 27.12.2018 Klage erhoben. Diese hat sie damit begründet, dass für ihr Nichterscheinen am 12.11.2018 ein
wichtiger Grund vorliege, den sie in Form des der Agentur vorliegenden Attests bewiesen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.10.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2018 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt, die sie für rechtmäßig gehalten hat.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.11.2019 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, denn es
bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis zur gesonderten gerichtlichen Überprüfung einer bereits durch Zeitablauf erledigten Meldeaufforderung
der Beklagten. Die Klägerin könne die Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung überprüfen lassen, wenn die Beklagte aufgrund des
Nichterscheinens eine Sperrzeit feststelle und gegebenenfalls nach mehreren Sperrzeiten die Bewilligung des Arbeitslosengeldes
aufhebe. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch, die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes festzustellen, um von
weiteren Meldeaufforderungen verschont zu bleiben, denn es fehle an einem besonderen Feststellungsinteresse in Form der Wiederholungsgefahr.
Die bloße Möglichkeit, von der Beklagten erneut zu einem Meldetermin eingeladen zu werden, reiche als Wiederholungsgefahr
nicht aus, da es gerade der gesetzliche Auftrag der Beklagten sei, die Klägerin zu beraten, zu vermitteln und in den Arbeitsmarkt
zu integrieren. Dieser Beratung könne sich die Klägerin nicht von vornherein entziehen.
Die Klägerin hat gegen den Gerichtsbescheid am 25.11.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist sie erneut auf das ärztliche
Attest vom 21.09.2017 und weitere Atteste vom 30.07.2015 und vom 10.07.2018. Daraus ergäben sich ihre chronischen Erkrankungen
und die weiterhin bestehende Anreiseunfähigkeit.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 19.11.2019 abzuändern und den Bescheid vom 29.10.2018 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.12.2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Berufung für unzulässig, hilfsweise verweist sie auf ihre Bescheide und die Ausführungen im erstinstanzlichen
Gerichtsbescheid.
Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 26.03.2020 gemäß §
153 Abs.
5 SGG dem Berichterstatter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte
der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat konnte gemäß §§
153 Abs.1, 110 Abs.1, 126
SGG in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil in der Terminsbestimmung, die ihr am 18.03.2021 zugestellt wurde,
auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Der Berichterstatter entscheidet gemäß §
153 Abs.
5 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern, denn die Berufung ist ihm mit Beschluss des Senates vom 26.03.2020 übertragen worden.
II. Die Berufung ist bereits unzulässig.
Nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Die Meldeaufforderung der Beklagten war auf eine Geldleistung gerichtet.
Der Wortlaut der Berufungsbeschränkung des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG enthält zwei Alternativen. Die Vorschrift betrifft einerseits Klagen, die unmittelbar eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung
betreffen (z.B. die Anfechtung von Ablehnungsbescheiden über Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder Klagen auf höhere Leistungen)
und andererseits Klagen, die einen auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichteten Verwaltungsakt betreffen. Mit der
zweiten Alternative sind Bescheide gemeint, deren Regelungswirkung die Geld-, Sach- oder Dienstleistung nicht unmittelbar
betrifft, sondern die eine Vorfrage regeln, die ausschließlich für die Bewilligung einer Geld-, Sach- oder Dienstleistung
relevant ist (für die Untätigkeitsklage BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 45/11 B; für die Feststellung der Notwendigkeit einer Hinzuziehung eines Bevollmächtigten gemäß § 63 Abs. 2 SGB X LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.10.2013 - L 19 AS 1101/13 NZB). Diese sich aus dem Wortlaut ergebende Auslegung wird vom Sinn und Zweck der durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege
vom 11.11.1993 (BGBl. I, 50) eingeführten Regelung gestützt. Danach sollen die Berufungsgerichte von vermögensrechtlichen
Streitsachen von geringem wirtschaftlichem Wert entlastet werden (BT-Drucks. 12/1217 S. 52, 715; BT-Drucks. 16/7716, S. 21).
Entscheidend ist, dass die Berufung einen Rechtsstreit von geringem wirtschaftlichem Wert betrifft (BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 45 11 B). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Meldeaufforderung ist auf eine Geldleistung gerichtet, weil die einzige Rechtsfolge bei Nichtbefolgung der Aufforderung
eine Sperrzeit gem. §
159 Abs.
6 SGB III sein kann (Harks in: jurisPK-
SGB III, 2. Aufl., §
309 SGB III (Stand: 05.03.2021), Rn. 47; zu den Meldeaufforderungen nach dem SGB II: BSG, Beschluss vom 24.08.2017 - B 4 AS 223/17 B; BSG, Beschluss vom 26.06.2018 - B 14 AS 431/17 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2016 - L 7 AS 1605/16 B). Eine weitergehende Regelung, d.h. eine nicht nur auf eine Geldleistung gerichtete Rechtsfolge, enthält der Bescheid nicht.
Insbesondere wird durch den Bescheid keine selbständige, von der Geldleistung unabhängige Erscheinenspflicht begründet. Denn
bei dem von der Klägerin verlangten Erscheinen handelt es sich nicht um eine Rechtspflicht, sondern lediglich um eine (Mitwirkungs-)Obliegenheit.
Zwar spricht der Wortlaut des §
309 SGB III von einer Pflicht zur Meldung. Die Verletzung dieser Pflicht zieht jedoch für sich genommen keine unmittelbaren Sanktionen
nach sich. Eine Durchsetzung der Pflicht mit Zwangsmitteln ist nicht möglich. Eine Verletzung der Meldepflicht führt lediglich
unter den Voraussetzungen des §
159 Abs.
6 SGB III zu einer einwöchigen Sperrzeit. Anders als bei Rechtspflichten besteht kein unmittelbarer, primärer Erfüllungszwang und die
Verletzung der Obliegenheit zieht auch keine sekundäre Schadensersatzpflicht nach sich. Es treten vielmehr nur Rechtsnachteile
für den Leistungsberechtigten ein, wenn er die Obliegenheit verletzt.
Allein diese Auslegung führt im Übrigen zu dem stimmigen Ergebnis, den Rechtsschutz gegen eine Meldeaufforderung nicht intensiver
auszugestalten, als den Rechtsschutz gegen eine Sanktion bei Verletzung der Meldeaufforderung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 12.09.2016 - L 7 AS 1605/16 B). Hätte die Beklagte eine Sperrzeit festgestellt, hätte eine Klage gegen diesen Bescheid als Klage, die eine Geldleistung
i.S. der ersten Alternative des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG betrifft, unzweifelhaft der Berufungsbeschränkung unterlegen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 € nicht. Die Klägerin ist durch den Gerichtsbescheid i.H.v. 98,21 € beschwert,
denn gem. §
159 Abs.
6 SGB III beträgt die Dauer einer Sperrzeit bei einem Meldeversäumnis eine Woche und das Arbeitslosengeld der Klägerin belief sich
auf 14,03 € täglich.
Die Berufung ist nicht durch das Sozialgericht in dem Gerichtsbescheid zugelassen worden. Das Sozialgericht hat die Berufung
zwar für zulässig gehalten, aber die Bindungswirkung des §
144 Abs.
3 SGG tritt nicht durch eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung ein, sondern nur durch Berufungszulassung in der Urteilsformel (BSG, Beschluss vom 02.06.2004 - B 7 AL 10/04 B). Eine solche Zulassung ist nicht erfolgt. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung hat die Klägerin nicht eingelegt.
III. Die Kostenentscheidung richtet sich nach den §§
183,
193 SGG.
IV. Gründe, gem. §
160 Abs.
2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.