Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Rechtmäßigkeit des Leistungsausschlusses für EU-Bürger bei Aufenthalt in Deutschland
allein zur Arbeitsuche
Gründe
I.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer wendet sich gegen eine einstweilige Anordnung, mit der das Sozialgericht (SG) Trier ihn zur vorläufigen Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an den Antragsteller verpflichtet hat.
Der 1955 geborene Antragsteller ist luxemburgischer Staatsangehöriger. Er wohnt seit dem 01.03.2011 zusammen mit seinem 1989
geborenen Sohn in einer 75 m2 großen Wohnung in Roth an der Our. Die Kaltmiete beträgt 500,00 €, für die Betriebskosten sind monatlich 50,00 € zu zahlen.
Die Heizung wird mit Strom betrieben. Am 16.08.2011 stellte der Antragsteller erstmals einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen.
Er gab dabei an, er habe von 2006 bis 2009 in Luxemburg an einer Reha-Maßnahme teilgenommen, später gab er in einer schriftlichen
Erklärung vom 28.08.2011 an, er sei 15 Monate in einer Klinik gewesen. Er sei noch immer gesundheitlich beeinträchtigt durch
eine Borreliose. Er habe "Probleme mit der Luft." In den Monaten vor der Antragstellung habe er von "Sozialhilfe von Luxemburg
und Selbstverdienen" gelebt. Auf die Nachfrage des Senats, ob er in Deutschland gearbeitet habe, hat der Antragsteller keine
Angaben gemacht. Der Antragsteller verfügt nicht über eine Bescheinigung der Ausländerbehörde gem § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - FreizügG/EU -. Sein Sohn hat dem Antragsgegner in einem Gespräch vom 05.04.2012 ohne Nennung von Gründen mitgeteilt, sein Vater erhalte
keine Freizügigkeitsbescheinigung. Auf Nachfrage des Senats hat der Antragsteller zunächst angegeben, ihm sei zunächst eine
bis zum 31.01.2012 befristete Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt worden. Mehrere Mitarbeiter der Ausländerbehörde hätten
ihm mitgeteilt, er könne keine neue Freizügigkeitsbescheinigung erhalten, weil er noch nicht in Deutschland gearbeitet habe.
Die Ausländerbehörde habe seiner Bevollmächtigten mitgeteilt, die Ausstellung einer befristeten Freizügigkeitsbescheinigung
sei aus den Eintragungen im EDV-System nicht ersichtlich. Eine Freizügigkeitsbescheinigung sei nicht ausgestellt worden, weil
der Antragsteller keinen gültigen Pass habe vorlegen können. Der Antragsteller werde eine unbefristete Freizügigkeitsbescheinigung
erhalten, wenn er einen gültigen Pass und eine Bestätigung der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters vorlege, dass er arbeitsuchend
gemeldet sei.
Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller mit Bescheid vom 27.10.2011, geändert durch Bescheid vom 19.04.2012, Leistungen
für die Zeit vom 01.08.2011 bis zum 31.01.2012. Dabei wurden 550,00 € Unterkunftskosten (KdU) berücksichtigt. Mit Schreiben
vom 27.10.2011 wurde der Antragsteller zur Senkung der KdU aufgefordert.
Den am 10.01.2012 gestellten Fortzahlungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 20.04.2012 ab. Zur Begründung wurde
ausgeführt, die Bundesrepublik Deutschland habe mit Wirkung vom 19.12.2011 einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen
(EFA) erklärt. Da der Antragsteller keine Freizügigkeitsbescheinigung besitze, sei er nicht leistungsberechtigt iSd § 7 SGB II.
Hiergegen hat der Antragsteller am 04.05.2012 Widerspruch erhoben und am 03.05.2012 beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Das SG hat durch Beschluss vom 14.05.2012 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller
vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Monate Mai bis Juli 2012, längstens bis zur Bestandskraft
des Bescheids vom 20.04.2012, in Höhe von jeweils 534,30 € monatlich zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, es könne
im hier durchzuführenden summarischen Verfahren nicht abschließend geklärt werden, ob der Antragsteller nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Selbst wenn der vom Antragsgegner
angeführte Vorbehalt der Bundesregierung gegen das EFA wirksam sei, bleibe weiterhin zweifelhaft, ob der Leistungsausschluss
für Unionsbürger europarechtskonform sei. Nach Art 4 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates
zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom 29.04.2004 (Abl L 166,1) - VO 883/2004 - hätten Unionsbürger, für
die diese Verordnung gelte, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie die Staatsangehörigen des Wohnortstaates.
Die Verordnung gelte auch für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Es
entspreche der ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, im Wege einer Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes vorläufige Leistungen zuzusprechen. Das rein fiskalische Interesse des Antragsgegners müsse zurückstehen.
Zur Begründung seiner am 21.05.2012 erhobenen Beschwerde trägt der Antragsgegner vor, der Antragsteller sei nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sein Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche iSd § 2 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) ergebe. Hierfür bezieht er sich auf die auszugweise wiedergegebenen Gründe des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg
vom 03.04.2012 (L 5 AS 2157/11 B ER). Darin wird ausgeführt, der Ausschluss von Unionsbürgern, die zum Zweck der Arbeitsuche eingereist seien, von den Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entspreche dem Europarecht. Ein Verstoß gegen Art 1 EFA liege nicht vor, da die Bundesregierung mit Wirkung vom 19.12.2011 einen Vorbehalt gegen die Anwendung des Abkommens
auf die hier streitigen Leistungen notifiziert habe. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße auch nicht gegen das Recht der Europäischen Union. Vielmehr diene die Vorschrift der Umsetzung des Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlament und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich
im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl L 158, 77) - Richtlinie 2004/38/EG -. Danach sei der Aufnahmemitgliedsstaat nicht verpflichtet, einem Unionsbürger Sozialhilfe zu gewähren, wenn er zum Zweck
der Arbeitsuche eingereist sei. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II i.V.m. Art 24 Abs 2 der Richtlinie sei gegenüber Art 4 VO die speziellere Regelung.
Mit Bescheid vom 06.07.2012 hat der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 01.05. bis zum 31.07.2012 vorläufig Leistungen
in Höhe von monatlich 565,94 € gewährt und ausgezahlt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Trier vom 14.05.2012 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf die Gründe des Beschlusses des SG Berlin vom 25.04.2012 (S 55 AS 9238/12). Danach sei der Vorbehalt der Bundesregierung gegen die Anwendung des EFA unwirksam, da § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kein neues Gesetz im Sinne des Art 16 b EFA sei. Art 4 VO 883/2004 sei gegenüber Art 24 Abs 2 Richtlinie 2004/38/EG die höherrangige und speziellere Norm. Zudem sei sie später in Kraft getreten, so dass in jeder Hinsicht die VO den Anwendungsvorrang
vor der Richtlinie genieße.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf dem Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten, die Gegenstand der
Beratung des Senats waren, verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat zu Recht den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zur vorläufigen Erbringung von Arbeitslosengeld II (ALG II) an den Antragsteller verpflichtet.
Nach §
86 b Absatz
2 S 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Satz 2). Für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung bedarf es eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes,
also eines materiellrechtlichen Anspruches auf die Leistungen, zu denen der Antragsgegner einstweilen verpflichtet werden
soll, sowie eines die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründenden Anordnungsgrundes. Die Voraussetzungen des einstweiligen
Rechtsschutzes sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 S 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung ZPO). An die Glaubhaftmachung sind umso niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit einer Versagung des einstweiligen
Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, wobei grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung
einzustellen sind, insbesondere wenn es - wie hier - um Leistungen geht, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens
dienen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - zit nach [...]). Kann im einstweiligen Anordnungsverfahren die Sach- und Rechtslage nicht abschließend geklärt werden,
ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, wobei den grundrechtlichen Belangen besondere Bedeutung
zukommt.
Die angefochtene einstweilige Anordnung ist nicht wegen Ablaufs der Vollstreckungsfrist nach §
86b Abs
2 S 4
SGG i.V.m. 929
ZPO aufzuheben (vgl dazu LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.01.2011 - L 6 AS 616/10 B ER - zit nach [...]). Die Vollziehungsfrist soll verhindern, dass die gerichtliche Entscheidung unter wesentlich veränderten
Umständen vollzogen wird als unter denen, die der Anordnung zugrunde gelegen haben (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig ua,
SGG, 10. Aufl §
86b Rn 46). Der Antragsgegner und Vollstreckungsschuldner hat nach Ablauf der Vollstreckungsfrist die mit der einstweiligen Anordnung
vom 14.05.2012 auferlegte Zahlungspflicht erfüllt und den Ausführungsbescheid vom 06.07.2012 erlassen. Er hat damit zum Ausdruck
gebracht, dass eine wesentlich Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten ist und auf die Einhaltung der seinem Schutz dienenden
Vollstreckungsfrist verzichtet. Aus dem Fristablauf können sich daher keine Konsequenzen mehr ergeben.
Ein Anordnungsgrund ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf das Erfordernis der Existenzsicherung glaubhaft gemacht. Dies
gilt auch für den Anordnungsanspruch, obwohl das Ergebnis des noch laufenden Widerspruchsverfahrens offen ist. Aufgrund der
gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist derzeit nicht feststellbar, ob der Antragsteller nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von der Leistungsberechtigung ausgeschlossen ist. Da der Antragsteller die streitigen Leistungen zu Sicherung seines menschenwürdigen
Existenzminimums benötigt, hat es bei der vom SG im Ergebnis zutreffend vorgenommenen Folgenabwägung zu bleiben.
Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 i.V.m. § 7a SGB II. Er befindet sich innerhalb der Altersgrenzen und ist hilfebedürftig, da er nicht über andere Mittel zur Sicherung seines
Lebensunterhalts verfügt (§ 9 Abs 1 SGB II). Nach dem Regelungskonzept des § 44a SGB II ist bis zur Feststellung des Gegenteils von der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers iSd § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 i.V.m. § 8 Abs 1 SGB II auszugehen. Diesbezügliche Zweifel im Hinblick auf die chronische Erkrankung und dauernde Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers
wirken sich daher nicht zu dessen Nachteil aus. Weiterhin ist davon auszugehen, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland hat (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt (gA) hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an
diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I). Der Antragsteller hat an seinem derzeitigen Wohnort im Landkreis Bitburg-Prüm zweifellos faktisch einen gA begründet. Ob
bei einem Ausländer zusätzlich die Rechtmäßigkeit bzw rechtliche Beständigkeit des Aufenthalts Voraussetzung des gA ist (vgl
dazu BSG, Urteil vom 27.01.1994 - 5 RJ 16/93 -, offen gelassen von BSG, Urteile vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - und 25.01.2012 - B 14 AS 138/11 R -, zit nach [...]), kann offen bleiben, da vorerst kein Anlass zu Zweifeln daran besteht, dass der Antragsteller sich erlaubt
zum Zweck der Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU rechtmäßig in Deutschland aufhält. Auffällig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Antragsteller nach mehr als
einjährigem Aufenthalt in Deutschland noch nicht über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügt. Der Senat sieht aber keinen Anlass, im vorliegenden Eilverfahren in dieser Richtung weiter zu ermitteln, da zum
einen die Freizügigkeitsbescheinigung keine Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers ist und zum anderen
auch der Antragsgegner den Aufenthaltszweck der Arbeitsuche bisher nicht in Zweifel gezogen hat.
Gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von der Leistungsberechtigung ausgenommen.
Der Antragsteller hat eine andere Grundlage seines Aufenthaltsrechts als die Arbeitsuche nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat
er in einer schriftlichen Erklärung vom 28.08.2011 angegeben, er habe in den vergangenen Monaten seinen Lebensunterhalt "durch
Sozialhilfe von Luxemburg und Selbstverdienen" sichergestellt. Allein dadurch wird jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass der
Antragsteller vor Stellung des ersten Antrags auf Arbeitslosengeld II (ALG II) gegen Entgelt beschäftigt war, so dass neben dem Status als Arbeitsuchender ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht aus dem
früheren Status als Arbeitnehmer in Betracht kommen könnte (§ 2 Abs 2 Nr 1 i.V.m. Abs 3 Nr 1 FreizügG/EU). Dabei verkennt der Senat nicht, dass der gemeinschaftsrechtliche Begriff "Arbeitnehmer" im Sinne von Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen begrenzt und auch im Übrigen nicht eng auszulegen ist (EuGH, Urteil
vom 04.06.2009 - C-22/08 und C-23/08 - Vatsouras und Koupatantze; vgl die Beschlüsse des Senats vom 09.05.2012 - L 3 AS 149/12 B ER - und vom 05.07.2010 - L 3 AS 126/10 B ER). Zur Glaubhaftmachung einer Beschäftigung wären jedoch wenigstens nachprüfbare Angaben zu Arbeitgeber und Beschäftigungsdauer
erforderlich. Der Antragsteller hat auf die konkrete Nachfrage des Senats keine weiteren Angaben zu einer Beschäftigung in
Deutschland gemacht, weshalb die in diese Richtung weisenden Hinweise zur Glaubhaftmachung nicht ausreichen.
Weiterhin ergeben sich nicht schon aus dem Status des Antragstellers als Unionsbürger Bedenken gegen die Anwendbarkeit des
Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Zum einen erfasst das in Art 4 der VO 883/2004 enthaltene Gleichbehandlungsgebot das hier streitige ALG II nicht. Zum anderen hat der Kläger eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland, die zu einer Ausnahme
vom Leistungsausschluss führen kann, nicht glaubhaft gemacht.
Nach Art 4 VO 883/2004, geändert durch Verordnung (EG) Nr 988/2009 vom 16.09.2009 (ABl L 284, 43), die seit dem Inkrafttreten
der (Durchführungs-)Verordnung (EG) Nr 987/2009 vom 16.09.2009 (ABl L 284,1) am 01.05.2010 anzuwenden ist, haben Personen,
für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie
die Staatsangehörigen dieses Staates, sofern in der VO nichts anderes bestimmt ist. Der persönliche Anwendungsbereich der
VO 883/2004 erstreckt sich auf Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedsstaat,
für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten gelten oder galten, sowie auf ihre Familienangehörigen und
Hinterbliebenen (Art 2 Abs 1 VO 883/2004). Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates sind nach der Legaldefinition in Art
1 Buchst l VO 883/2004 die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in
Art 3 Abs 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit. In Art 3 Abs 1 VO 883/2004 sind als Zweige der sozialen Sicherheit aufgeführt:
Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft, Invalidität, Alter, Leistungen an Hinterbliebene,
bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Sterbegeld, Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Vorruhestandsleistungen, Familienleistungen.
Die hier begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind keinem
der damit abschließend aufgezählten Zweige der sozialen Sicherheit zuzuordnen. Es handelt sich dabei um besondere beitragsunabhängigen
Geldleistungen nach Art 3 Abs 3 i.V.m. Art 70 VO 883/2004. Art 70 Abs 1 VO 883/2004 betrifft Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften
gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl
Merkmale der in Art 3 Abs 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.
Weiterhin müssen die Leistungen die weiteren Voraussetzungen des Art 70 Abs 2 VO 883/2004 erfüllen und in Anhang X verzeichnet sein. Das ist beim SGB II der Fall, da es einerseits Teil eines einkommensabhängigen Grundversorgungssystems ist, andererseits aber an ein in Art 3
Abs 1 VO 883/2004 genanntes spezifisches Risiko, nämlich die Arbeitslosigkeit, anknüpft (Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht,
K Art 3, Rn 52) und im hierfür vorgesehenen Verfahren nach Art 9 VO 883/2004 mit konstitutiver Wirkung in den Anhang X aufgenommen
und damit in deren sachlichen Geltungsbereich einbezogen worden sind.
Der Antragsteller kann somit nach dem Wortlaut des Art 4 VO keine Gleichbehandlung bei der Anwendung des SGB II beanspruchen, da es sich dabei nicht um Rechtsvorschriften in Bezug auf die in Art 3 Abs 1 VO 883/2004 genannten Zweige der
sozialen Sicherheit handelt. Der Senat sieht keinen Anlass, den Begriff "Rechtsvorschriften" in Art 4 VO über die Legaldefinition
des Art 1 Buchst l VO hinaus auf Rechtsvorschriften über besondere beitragsunabhängige Geldleistungen nach Art 3 Abs 3 i.V.m.
Art 70 VO anzuwenden.
Dies ist nicht deswegen geboten, weil diese Leistungen durch Art 3 Abs 3 VO 883/2004 in den sachlichen Geltungsbereich der
VO einbezogen werden. Gem Art 3 Abs 3 VO 883/2004 gilt die VO auch für die besonderen beitragunabhängigen Geldleistungen gem
Art 70. Dadurch werden die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen jedoch nicht den allgemeinen Koordinierungsregelungen,
sondern allein den Sonderregelungen des Art 70 VO unterstellt (Otting aaO, K Art 3, Rn 47). Die "Sonderkoordinierung" dieser
Leistungen besteht im Wesentlichen darin, dass sie von der "Exportverpflichtung" nach Art 7 VO 883/2004 ausgenommen werden
und die speziellen Regelungen nach Titel III VO 883/2004 nicht gelten, wobei hier insbesondere an die Leistungen bei Arbeitslosigkeit
nach Kapitel 6 des Titels III zu denken ist. Gem Art 70 Abs 4 VO 883/2004 werden die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen
ausschließlich im Wohnortstaat vom dort zuständigen Träger gewährt. Obwohl damit eine Koordinierung dieser Leistungen weitgehend
nicht stattfindet, da sie definitionsgemäß keine Leistungen der sozialen Sicherheit sind, ist die Aufnahme von Regelungen
zu dieser Art von Leistungen in das Koordinierungsrecht nicht sinnlos. Denn es bedarf einer Abgrenzung dieser beiden Leistungsbereiche
gegeneinander, die den Anforderungen des EuGH an die einer "Sonderkoordinierung" fähigen Leistungen entspricht (vgl dazu Otting,
aaO, K § 70, Rn 3 mit Nachweisen). Darauf weisen auch die der VO 883/2004 vorangestellten Erwägungsgründe 16 und 37 hin. Darin
wird zunächst ausgeführt, dass es innerhalb der EU grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist, Ansprüche der sozialen Sicherheit
vom Wohnort der leistungsberechtigten Person abhängig zu machen. Nur in besonderen Fällen, vor allem bei besonderen Leistungen,
die an das wirtschaftliche und soziale Umfeld der betreffenden Person gebunden sind, könne der Wohnort berücksichtigt werden.
In Erwägungsgrund 37 wird in Übereinstimmung mit der EuGH-Rechtsprechung festgestellt, dass Vorschriften, mit denen vom Grundsatz
der "Exportierbarkeit" der Leistungen der sozialen Sicherheit abgewichen wird, eng ausgelegt werden müssen. Die Sonderregelung
des Art 70 VO 883/2004 könne daher nur auf Leistungen angewandt werden, die sowohl "besonders" als auch "beitragsunabhängig"
und im Anhang X aufgeführt seien. Dadurch wird hinreichend deutlich, dass Art 70 VO 883/2004 "Sonderregelungen" enthält, die
die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen von der EU-internen Koordinierung weitgehend ausnehmen.
Dass der Begriff "Rechtsvorschriften" in Art 70 Abs 4 VO 883/2004 in Bezug auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen
verwendet wird, lässt nicht auf eine uneinheitliche Verwendung des Begriffs innerhalb der VO 883/2004 schließen. Denn der
Ausdruck "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" wird nach Art 70 Abs 2 VO 883/2004 nur "für die Zwecke dieses Kapitels",
das nur aus Art 70 besteht, definiert. Demnach kann aus den in diesem Artikel verwendeten Begriffen kein Hinweis auf ihre
Bedeutung in anderen Artikeln der VO 883/2004 entnommen werden.
Dafür, dass der Begriff "Rechtsvorschriften" nach Art 1 Abs l VO 883/2004 nicht erweiternd ausgelegt werden kann, spricht
auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach der entsprechenden Vorgängervorschrift des Art 1 Abs a Buchst j der Verordnung
(EWG) Nr 1408/71, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr 592/2008 (ABl L 177 vom 04.07.2008, S 1) bezog sich der Begriff "Rechtsvorschriften"
ausdrücklich auf die "beitragsunabhängigen Sonderleistungen", die den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen entsprechen.
Dieser weitere Begriff korrespondierte mit einem engeren Adressatenkreis der VO (EWG) Nr 1408/71. Diese galt nach ihrem Art
2 Abs 1 für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten
gelten oder galten, soweit sie weitere darin aufgeführte Anforderungen erfüllten. EU-Bürger, die sich allein zum Zweck der
Arbeitsuche in Deutschland aufhielten, konnten demnach aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 keinen Anspruch auf Gewährung von ALG II ableiten. Dass der Begriff "Rechtsvorschriften" in Art 1 Abs l VO 883/2004 enger gefasst wird und die Vorschriften zu den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nicht mehr
erfasst, geht einher mit einem erweiterten persönlichen Geltungsbereich, der sich gem ihrem Art 2 Abs 1 auf Staatsangehörige
eines Mitgliedsstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedsstaat erstreckt, für die die Rechtsvorschriften
eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten gelten oder galten, sowie auf ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Im Ergebnis
hat sich durch das Inkrafttreten der VO 883/2004 gegenüber der VO (EWG) Nr 1408/71 nichts daran geändert, dass das Koordinierungsrecht
die Mitgliedsstaaten nicht verpflichtet, EU-Bürgern, die sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten,
zu gleichen Bedingungen wie ihren Staatsangehörigen besondere beitragsunabhängige Geldleistungen zu gewähren.
Demnach steht Art 4 VO 883/2004 einer Anwendung von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auf den Antragsteller nicht entgegen. Zwar fällt der Antragsteller in den persönlichen Anwendungsbereich nach Art 2 Abs 1 VO 883/2004, da er während des - auch vorläufigen - Bezugs von ALG II aufgrund des Bescheids vom 27.10.2011 bzw der einstweiligen Anordnung vom 14.05.2011 gem §
5 Abs
1 Nr
2a SGB V der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung unterlag bzw unterliegt und Anspruch auf (beitragsabhängige)
Leistungen bei Krankheit hatte bzw hat und seinen Wohnort (Art 1 Buchst j VO 883/2004) in Deutschland hat. Jedoch schließt
das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO 883/2004 das von ihm begehrte ALG II nicht ein. Der Antragsteller ist nach dieser Vorschrift deutschen Staatsangehörigen nur gleichgestellt, soweit es um die
Anwendung von Rechtsvorschriften zu den Zweigen der sozialen Sicherheit nach Art 3 Abs 1 VO 883/2004 geht (im Ergebnis ebenso
SG Berlin, Beschluss vom 11.06.2012 - S 205 AS 11266/12 ER - zit nach [...], sich zu Unrecht berufend auf Utz in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, VO [EG] 883/2004, Art 4
Rn 1 und 7; SG Berlin, Beschluss vom 14.05.2012 - S 124 AS 7164/12 ER; mit anderer Begründung im Hinblick auf einen vermeintlichen Widerspruch zwischen Art 4 VO 883/2004 und Art 24 Abs 2 Richtlinie 2004/38/EG LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.02.2012 - L 20 AS 2347/11 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 - L 3 AS 1477/11 - Rn 71 alle zit nach [...]; aA ohne nähere Begründung Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn 145; ebenso im Hinblick auf den weiten persönlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 30.09.2011 - L 14 AS 1148/11 B ER -; offen gelassen von LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.05.2012 - L 25 AS 837/12 B ER -, LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.10.2011 - L 12 AS 3938/11 ER-B -).
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II stellt im Fall des Antragstellers auch keine Verletzung des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots nach Art 18 Abs 1 AEUV oder der durch Art 45 Abs 1 AEUV gewährleisteten Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar. Nach Art 18 Abs 1 AEUV ist unbeschadet der Regelungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit
verboten. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Diskriminierungsverbot
treffen. Gem Art 21 Abs 1 AEUV haben Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und den Durchführungsbestimmungen
vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Nach Art 45 Abs 1 AEUV ist innerhalb der Union die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit
beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige
Arbeitsbedingungen (Abs 2) sowie ua das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem Zweck
im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen (Abs 3 Buchst a und b).
Die Vereinbarkeit des Ausschlusses des Antragstellers von den Leistungen nach dem SGB II mit dem Diskriminierungsverbot und dem Recht auf Freizügigkeit ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Antragsgegners
nicht schon aus Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Die zur Durchführung sowohl der generellen als auch der Arbeitnehmerfreizügigkeit erlassene Richtlinie 2004/38/EG nimmt das Diskriminierungsverbot in Art 24 Abs 1 auf. Gem Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie ist ein Mitgliedsstaat aufgrund dessen aber nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern
oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten 3 Monate
ihres (rechtmäßigen) Aufenthalts oder ggfs während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren.
Um solche Leistungen handelt es sich bei den hier streitigen Leistungen jedoch nicht. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss
vom 29.06.2010 (L 3 AS 169/10 B ER) entschieden, dass die Leistungen nach dem SGB II keine reinen Sozialhilfeleistungen iSd Art 24 Abs 2 Richtlinie 2004/38/EG sind, weil sie auch den Zweck verfolgen, den Zugang zu einer Beschäftigung zu erleichtern. Daran ist jedenfalls im Hinblick
auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für erwerbsfähige Hilfebedürftige festzuhalten. Dies stimmt auch mit der
Einstufung des ALG II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen nach Art 3 Abs 3 und 70 VO 883/2004 überein. Die dem entgegen stehende Ansicht des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.05.2012, aaO) und des LSG
Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 03.04.2012 - L 5 AS 2157/11 B ER) überzeugt nicht.
Sozialhilfeleistungen iSd Art 24 Abs 2 der Richtlinie sind nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 04.06.2009, aaO) von
solchen Leistungen zu unterscheiden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Von solchen Leistungen können EU-Bürger
auf Arbeitsuche wegen des Gleichbehandlungsgebots des Art 45 Abs 2 AEUV grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Der Zweck der Leistung ist nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand ihrer
formalen Struktur zu untersuchen (EuGH aaO). Dass jedenfalls die an erwerbsfähige Hilfebedürftige erbrachten Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts keine reinen Sozialhilfeleistungen sind, ergibt sich aus dem Regelungsgefüge des SGB II, wonach das gesetzgeberische Konzept nicht allein auf die Sicherung des Lebensunterhaltes gerichtet ist, sondern gerade auch
das Ziel hat, die Betroffenen wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Zwar dienen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
unmittelbar der Sicherung des Existenzminimums. Diese Leistungen dürfen aber nicht isoliert betrachtet werden. Aus den gesetzlichen
Regelungen ergibt sich, dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums verzahnt ist mit anderen Leistungen,
die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Dies ergibt sich bereits aus § 1 Abs 2 S 1 SGB II, in dem dargelegt wird, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
stärken und dazu beitragen soll, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und
Kräften bestreiten können. Sie soll erwerbsfähige Hilfebedürftige bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit
unterstützen und den Lebensunterhalt sichern, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können. Gem § 1 Abs 2 S 4 sind
die Leistungen der Grundsicherung ua insbesondere darauf auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit
vermieden oder beseitigt bzw zeitlich verkürzt oder ihr Umfang verringert wird (Nr 1), die Erwerbsfähigkeit einer leistungsberechtigten
Person erhalten, verbessert oder wiederhergestellt wird (Nr 2) und Anreize zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit
geschaffen und aufrecht erhalten werden (Nr 6).
In § 2 SGB II wird der "Grundsatz des Forderns" explizit festgelegt, indem u.a. bestimmt wird, dass die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerungen ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen, insbesondere aktiv an allen
Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere eine Eingliederungsvereinbarung abschließen. Wenn eine Erwerbstätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich ist, hat die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person eine
ihr angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit wahrzunehmen (§ 2 Abs 1 S 3 SGB II). Gerade in Bezug auf die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II zeigt sich die enge Verbindung zwischen den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Förderung durch die Eingliederungsvereinbarung.
So ist in der Regelung bestimmt, dass die Agentur für Arbeit mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung
erforderlichen Leistungen vereinbaren soll, wobei nicht nur Bemühungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, sondern auch Leistungen
der Agentur für Arbeit aufzunehmen sind. Weigert sich der Hilfebedürftige, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung
abzuschließen oder die festgelegten Pflichten zu erfüllen, kommt eine Absenkung bis zum Wegfall des Arbeitslosengeldes II
nach § 31a SGB II in Betracht. Nach der Gesetzesbegründung der zuvor in § 30 SGB II enthaltenen Vorschriften (BT-Drucksache 15/1516, S. 47) soll mit dieser Bestimmung klargestellt werden, dass die Aufnahme
von Arbeit bzw. das Absolvieren von Eingliederungsmaßnahmen, die auf Erwerbsarbeit vorbereiten sollen, auch mit Hilfe von
Sanktionen gefordert werden dürfen. Die Bereitschaft zur Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit wird auch durch
die allein für erwerbstätige Leistungsempfänger geltende Freibetragsregelung des § 11b Abs 3 SGB II gefördert (vgl die Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift in BT-Drucksache 15/1516, S. 47). Daran zeigt sich gerade,
dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes auch als Instrumentarium gesehen wird, das der Eingliederung
des Betroffenen in den Arbeitsmarkt dienen soll. Insgesamt ergibt sich daraus, dass hier keine Sozialhilfe im Sinne des Art.
24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 EG vorliegt.
Daran ändert die in § 1 Abs 3 SGB II getroffene Unterscheidung zwischen Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit, insbesondere durch
Eingliederung in Arbeit (Nr. 1) und solchen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Nr. 2) nichts (so aber LSG Baden-Württemberg
und LSG Berlin-Brandenburg jeweils aaO). Daraus kann nicht gefolgert werden, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
hätten "rechtlich keinen Bezug zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt" (LSG Berlin-Brandenburg aaO, Rn 7). Zwar mag richtig
sein, dass Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich faktisch nichts zur Eingliederung der Leistungsempfänger
in den Arbeitsmarkt beitragen können (aaO). Jedoch stellt der Gesetzgeber auch diese Leistungen durch die Sanktions- und Freibetragsregelungen
in den Dienst der Wiedereingliederung bzw dem Verbleiben ihrer Empfänger in den bzw im Arbeitsmarkt. Von ihrem Ziel her sind
sie daher jedenfalls teilweise als Leistungen der Eingliederung anzusehen. Dabei ist zu beachten, dass nach der oben zitierten
Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf den hohen Stellenwert des primärrechtlichen Gleichbehandlungsgebots für Arbeit suchende
Unionsbürger eine Leistung schon dann nicht mehr als Sozialhilfe iSd Art 24 Abs 2 der Richtlinie anzusehen sind, wenn sie
den Zugang zum Arbeitsmarkt "erleichtern" soll. Hierfür genügt eine mittelbar in diese Richtung wirkende Leistung, eine unmittelbar
der Eingliederung dienende Maßnahme ist dafür nicht erforderlich. Zudem weist schon der Umstand, dass die Erwerbsfähigkeit
Voraussetzung des Leistungsanspruchs nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II ist, darauf hin, dass das ALG II auch dem Zugang des Leistungsberechtigten zum Arbeitsmarkt dient (EuGH aaO).
Dieser Ansicht steht nicht entgegen, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur "Fürsorge" nach Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens - EFA - (BGBl II 1956 S 564, in Kraft getreten mit Wirkung vom 01.09.1956 - BGBl II 1958,
18) zählen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - zit nach [...]). Ausweislich der Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA meint "Fürsorge" im Sinne des Abkommens jede
Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften
gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre
Lage erfordert. Ausgenommen sind beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten.
Unter diesen weit gefassten Begriff der Fürsorge ist das ALG II zwanglos zu subsumieren, da es Teil eines steuerfinanzierten bedarfsabhängigen Leistungssystems ist, das neben den Leistungen
nach dem SGB XII an die Stelle der früheren Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz getreten ist (BSG aaO mit weiteren Nachweisen). Dies bedeutet jedoch nicht, dass es auch zur Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG zu zählen ist. Die Begriffe "Fürsorge" im Sinne des EFA und "Sozialhilfe" nach der Richtlinie sind nicht inhaltsgleich. Insbesondere
ist es für die Zuordnung zur Fürsorge iSd EFA unerheblich, ob die Leistung neben der Existenzsicherung noch andere Zwecke
verfolgt. Der Zweck der Leistung ist aber gerade das Unterscheidungsmerkmal zwischen Sozialhilfe im Sinne von Art 24 Abs 2
der Richtlinie und Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (EuGH aaO). Der Begriff "Sozialhilfe" nach
Art 24 Abs 2 der Richtlinie ist demnach erheblich enger gefasst als der der sozialen Fürsorge nach Art 1 EFA.
Da es sich beim ALG II somit nicht um Sozialhilfe iSd des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG, sondern um eine Leistung handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll, kann der Antragsteller als EU-Bürger
auf Arbeitsuche wegen des Gleichbehandlungsgebots des Art 45 Abs 2 AEUV davon grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es jedoch legitim, dass ein Mitgliedstaat
eine solche Beihilfe erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt
dieses Staates festgestellt wurde (Urteil vom 04.06.2009, aaO). Das Bestehen einer solchen Verbindung kann sich u. a. aus
der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden
Mitgliedstaat gesucht hat. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der innerstaatlichen Gerichte,
das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen (EuGH aaO).
Der Antragsteller hat das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung mit dem deutschen Arbeitsmarkt nicht glaubhaft gemacht.
Es wurde bereits ausgeführt, dass keine ausreichenden Hinweise darauf vorliegen, dass der Antragsteller bereits einer Beschäftigung
in Deutschland nachgegangen ist. Ebenso wenig ist glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller vor oder nach Stellung seines
Erstantrags tatsächlich eine Beschäftigung in Deutschland gesucht hat. Der Antragsteller hat auf die Fragen des Senats keinerlei
Angaben im Zusammenhang mit einer möglichen Beschäftigung gemacht. Auch aus den vorliegenden Akten ergibt sich nicht, dass
dem Antragsteller offene Arbeitsstellen nachgewiesen worden sind und er sich darauf beworben hat. Zudem gibt der Antragsteller
selbst an, wegen einer chronischen Atemwegserkrankung, die er auf eine Borreliose zurückführt, eingeschränkt leistungsfähig
zu sein. Wegen dieser Erkrankung ist er dauernd arbeitsunfähig. Der Grund dafür, dass dem Antragsteller bisher noch keine
Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt wurde, ist nach der letzten Auskunft der Ausländerbehörde an die Bevollmächtigte des
Antragstellers darin zu suchen, dass er dort zwar erschienen ist, aber seinen seinerzeit noch gültigen luxemburgischen Pass
- aus welchen Gründen auch immer - nicht vorgelegt hat. Dieses Verhalten spricht dagegen, dass er sich tatsächlich um Arbeit
bemüht.
Diese Erwägungen stehen nicht im Widerspruch dazu, dass der Zweck der Arbeitsuche die Grundlage des Aufenthaltsrechts des
Antragstellers ist. Von der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts zu einem der in § 2 Abs 2 FreizügG/EU genannten Zwecke ist nach dem Regelungskonzept der §§ 2, 6 und 7 FreizügG/EU so lange auszugehen, bis die Ausländerbehörde den Wegfall des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt hat (§ 6 Abs 1 S 1 FreizügG/EU). Eine solche Feststellung ist bisher nicht erfolgt. Ob das Fehlen tatsächlicher Bemühungen um die Aufnahme einer Beschäftigung
die Feststellung des Wegfalls des Aufenthaltsrecht rechtfertigt, muss hier nicht geprüft werden. Allein das Bestehen eines
Aufenthaltsrechts zum Zweck der Arbeitsuche begründet jedenfalls noch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Gewährung
von ALG II. Hierfür sind, wie bereits dargelegt wurde, mindestens Bemühungen um eine Beschäftigung zu fordern, die über einen angemessenen
Zeitraum tatsächlich angestrengt werden.
Aus den genannten Vorschriften des EU-Recht kann der Antragsteller demnach keinen Anordnungsanspruch für sich ableiten. Nach
der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren angezeigten summarischen Prüfung spricht jedoch vieles dafür, dass der Leistungsausschluss
nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auf den Antragsteller nicht anwendbar ist, da er als luxemburgischer Staatsangehöriger vom Schutzbereich des Europäischen
Fürsorgeabkommens erfasst wird. Die Bundesrepublik Deutschland und Luxemburg sind Signatarstaaten des EFA. Nach Art 1 EFA
ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem
Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen,
in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und
Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Der Gleichbehandlungsgrundsatz
nach Art 1 EFA, der aufgrund des Transformationsgesetzes vom 15.05.1956 (BGBl II S 563) unmittelbar als einfaches Bundesrecht
anzuwenden ist, ist weder durch das Inkrafttreten von Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG und ihre Umsetzung durch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II im Hinblick auf Unionsbürger "überholt" noch stehen die Vorschriften der Europäischen Union über die Koordinierung der Sozialsysteme
seiner Anwendung entgegen (vgl nur BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R -). Durch das Inkrafttreten der VO 883/2004, die die "Wanderarbeitnehmer"-Verordnung (EWG) Nr 1408/71 ersetzt hat, ist
insoweit keine Rechtsänderung eingetreten. In Art 3 Abs 5 Buchst a VO 883/2004 wird vielmehr klargestellt, dass die VO für
die soziale und medizinische Fürsorge, also im sachlichen Geltungsbereich des EFA, nicht gilt. Die Kollisionsregel des Art
8 Abs 1 VO gilt nur für Abkommen über soziale Sicherheit, zu denen das EFA nicht zählt. Auch ist, wie bereits ausgeführt wurde,
vorläufig davon auszugehen, dass der Antragsteller erlaubt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Art 6 Abs 1 EFA). Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II fallen auch in den sachlichen Geltungsbereich des EFA, insbesondere ist hierfür nicht erforderlich, dass die ihnen zugrunde
liegenden Vorschriften des SGB II in dem nach Art 2 Abs b EFA zu führenden Anhang I zum Abkommen verzeichnet sind (BSG aaO).
Die Anwendbarkeit des EFA wird allerdings dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung mit Wirkung vom 19.12.2011 beim
Europarat einen Vorbehalt bezüglich der Anwendung des Abkommens auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erklärt
hat. Vorbehalte sind den Vertragschließenden nach Art 2 Abs b und Art 16 Abs b S 2 EFA gestattet. Gem Art 2 Abs b EFA sind
die Rechtsvorschriften, die in den Gebieten der Vertragschließenden, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, in Kraft sind,
sowie die von den Vertragschließenden formulierten Vorbehalte in Anhang I und II aufgeführt. Gem Art 16 Abs a EFA haben die
Vertragschließenden den Generalsekretär des Europarats über jede Änderung ihrer Gesetzgebung zu unterrichten, die den Inhalt
von Anhang I und III berührt (in Anhang III sind nach Art 12 EFA die Urkunden aufgeführt, die nach den Rechtsvorschriften
des Staates als Nachweis des gewöhnlichen Aufenthalts anerkannt werden). Gleichzeitig mit der Mitteilung kann der Vertragschließende
Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedsstaaten
machen.
Die Bundesrepublik Deutschland hatte nach dem Stand vom 01.03.2000 (vgl die Neubekanntmachung der Anhänge zum EFA, BGBl II
2001, 1087) im Anhang I das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sowie mehrere im Einzelnen bezeichnete Bestimmungen des Achten Buchs Sozialgesetzbuch und des Gesetzes zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten aufgeführt. Ein bis dahin abgegebener Vorbehalt bezog sich auf die im BSHG "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (§ 30 BSHG) und die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 72 BSHG). Diese Hilfen waren von der Verpflichtung, sie an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter
den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren, ausgenommen, ohne gleichwohl auszuschließen, dass
diese Hilfen in geeigneten Fällen gewährt werden konnten. Mit Wirkung vom 19.12.2011 hat der ständige Vertreter Deutschlands
beim Europarat als neue Gesetze, die noch nicht im Anhang I enthalten waren, das SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 und das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom 27.12.2003, zuletzt geändert durch Art 3b des Gesetzes vom 20.06.2011 (BGBl I 2090) notifiziert. Gleichzeitig wurde ein Vorbehalt erklärt, wonach die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung übernimmt, den Staatsangehörigen der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise
und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen die im SGB II in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Ein gleichzeitig erklärter weiterer Vorbehalt betrifft
die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem SGB XII in der jeweils geltenden Fassung, ohne dass ausgeschlossen wird, diese Hilfe in geeigneten Fällen zu gewähren (Mitteilung
und Vorbehalt sind abrufbar über die Internetseite des Europarats unter www.conventions.coe.int/).
Ob der Vorbehalt hinsichtlich des ALG II die Voraussetzungen des Art 16 Abs b S 2 EFA erfüllt, ist umstritten. Insbesondere wird die Frage, ob es sich bei den Regelungen des SGB II deswegen um "neue" Vorschriften in diesem Sinne handelt, weil sie zu einem Zeitpunkt in Kraft getreten sind, als das EFA
bereits galt (so SG Berlin, Beschlüsse vom 11.06.2012 - S 205 AS 11266/12 ER - und vom 14.05.2012 - S 124 AS 7164/12 ER - zit nach [...]), kontrovers diskutiert. Bedenken dagegen, dass das SGB II zum Zeitpunkt der Anbringung des Vorbehalts "neue Rechtsvorschriften" iSd Art 16 Abs b EFA enthielt, bestehen im Hinblick auf den Umstand, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II mit dessen erstem Inkrafttreten am 01.01.2005 bereits in den sachlichen Geltungsbereich des EFA eingegangen sind. Die Aufnahme
des SGB II in den Anhang I des EFA war dafür nicht erforderlich, da die Aufzählung der Fürsorgegesetze im Anhang I keine konstitutive
Wirkung hat (vgl nur BSG, Urteil vom 19.10.2010, aaO). Durch den erst mit mehreren Jahren Verspätung mit Bezug auf die Neubekanntmachung des SGB II vom 13.05.2011 erklärten Vorbehalt vom 19.12.2011 würde es daraus wieder herausgelöst. Art 16 Abs b S 2 EFA soll den Vertragsstaaten
jedoch nur Vorbehalte offen halten, die sie bei Vertragsschluss noch nicht machen konnten, weil es ein entsprechendes Fürsorgegesetz
noch nicht gab, nicht aber den Vertragsstaaten erlauben, sich bereits aus vorbehaltlos eingegangenen Verpflichtungen nachträglich
zu lösen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.05.2012 - L 25 AS 837/12 B ER -, in diesem Sinne auch SG Düsseldorf, Beschluss vom 26.04.2012 - S 10 AS 1258/12 ER -, jeweils zit nach [...]).
Zudem stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob mit dem Vorbehalt vom 19.12.2011 nicht der zuvor im Hinblick auf einzelne
Leistungen nach dem BSHG bestehende Vorbehalt in unzulässiger Weise erweitert wurde. Versteht man den früheren Vorbehalt zum BSHG "dynamisch" im Sinne einer Anwendung auf die Nachfolgegesetzgebung, so wäre davon das ALG II als Nachfolgeleistung der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 2. Abschnitt des BSHG für den Kreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unterhalb der zum Bezug einer Altersrente berechtigenden Altersgrenze nicht
erfasst. Denn die Bundesrepublik hatte sich im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gerade nicht die Möglichkeit der Ungleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten vorbehalten (vgl dazu BSG, Urteil vom 19.10.2010, aaO). Es erschiene dann zumindest fraglich, ob dieser - fortgeltende - Vorbehalt nachträglich erweitert
werden könnte auf eine Leistung, die für einen Teil der Leistungsberechtigten an die Stelle der früheren Hilfe zum Lebensunterhalt
getreten ist. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem dritten bzw vierten Kapitel des SGB XII nach wie vor kein Vorbehalt erklärt worden ist, ohne dass hinsichtlich der Anwendung des EFA ein sachliches Unterscheidungskriterium
zum ALG II ersichtlich wäre. Für die Auffassung, dass das SGB II ein Nachfolgegesetz des BSHG darstellt, das im Hinblick auf die Anwendung des EFA nicht zu einer erheblichen Änderung geführt hat, spricht auch das Verhalten
der Bundesrepublik Deutschland nach Erlass des SGB II. Denn sie hat den Generalsekretär des Europarates von dieser Änderung ihrer Gesetzgebung zunächst nicht unterrichtet. Hierzu
wäre sie aber nach Art. 16 Abs. a EFA verpflichtet gewesen, wenn sie der Auffassung gewesen wäre, dass diese Änderung den
Inhalt des Anhangs I berührt hat (BVerwG, Urteil vom 18.05.2000 - 5 C 29.98 - zit nach [...]).
Die dadurch begründeten rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit des mit Wirkung vom 19.12.2011 erklärten Vorbehalts der
Bundesregierung hinsichtlich der Anwendung des EFA auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entziehen sich einer endgültigen Klärung im gerichtlichen Eilverfahren. Die angefochtene einstweilige Anordnung war daher
aufgrund einer Folgenabwägung aufrecht zu erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 S 1
SGG.