Zulässigkeit der Rücknahme eines rechtswidrig zu hohen Rentenbescheids in der gesetzlichen Rentenversicherung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Rente nach dem Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI).
Der im Jahr 1946 geborene Kläger arbeitete bis zum 30.11.2006 versicherungspflichtig bei den US-Streitkräften in Rheinland-Pfalz.
Anschließend war der Kläger arbeitslos.
Mit Schreiben vom 24.05.2006 teilte die Beklagte dem Kläger als Auskunft zum Ausgleich einer Rentenminderung mit, bei einem
beabsichtigten Rentenbeginn am 01.07.2006 würde der Kläger monatlich 1.191,76 EUR als Rente erhalten, wobei die monatliche
Rentenhöhe bei vorzeitiger Inanspruchnahme gemindert sei. Die Minderung könne durch Zahlung von Beiträgen in Höhe von zurzeit
34.163,09 EUR ausgeglichen werden. Entsprechend dem Hinweis der Beklagten leistete der Kläger eine Ausgleichszahlung von 34.160
Euro durch seinen Arbeitgeber.
Mit Hinweisschreiben vom 26.02.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, nunmehr würde die Altersrente monatlich 1.332,53 EUR
betragen. Zugleich wurde auf die beabsichtigte Änderung eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes hingewiesen, wonach, falls
das Gesetz wie geplant in Kraft trete, die in der Rentenauskunft gemachten Angaben zu den Altersrenten nicht mehr vollständig
zutreffen würden.
Mit Schreiben vom 18.09.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, unter Berücksichtigung der gespeicherten Daten und Entgeltpunkte
würden die zu erwartende Rente wegen voller Erwerbsminderung 2.579,15 EUR und eine Regelaltersrente 2.689,98 EUR betragen.
Der Kläger ließ daraufhin am 29.10.2007 in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten eine unverbindliche Probeberechnung
durchführen, die bei einem vorgesehenen Rentenbeginn am 01.12.2007 eine Netto-Rente von 2.314,43 EUR ergab.
Auf den daraufhin vom Kläger am 29.10.2007 gestellten Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 31.10.2007
Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.12.2007 in Höhe von monatlich 2.297,19 EUR.
Nach Zustellung dieses Bescheides stellte die Beklagte fest, dass bei ihrer Berechnung der Rente des Klägers fehlerhaft ein
Zuschlag von 50,9598 Entgeltpunkten berücksichtigt worden sei. Mit Schreiben vom 27.11.2007 teilte die Beklagte dem Kläger
daraufhin mit, sie beabsichtige den Bescheid vom 31.10.2007 gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen, da er von Anfang an unrichtig gewesen sei, und einen neuen Bescheid zu erteilen.
Mit Bescheid vom 18.12.2007 nahm die Beklagte den Bescheid vom 31.10.2007 für die Zeit ab 01.12.2007 zurück und setzte eine
Rentenzahlung in Höhe von monatlich 1.299,71 EUR fest. Der zurückgenommene Bescheid sei rechtswidrig, da die Altersrente auf
Grund einer fehlerhaften Speicherung in falscher Höhe festgestellt worden sei. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich
nicht berufen, weil er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt
habe. Denn in der Rentenauskunft vom 26.02.2007 sei dargelegt, dass voraussichtlich eine Rente in Höhe von 1.332,53 EUR zu
zahlen sei. Die Abweichung von zirka 1.000,00 EUR gegenüber dem Bescheid vom 31.10.2007 hätte ihm auffallen müssen. Mit Widerspruchsbescheid
vom 08.04.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Im hiergegen vor dem Sozialgericht Speyer durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht eine Auskunft der Aufsichts-
und Dienstleistungsdirektion K eingeholt und die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen. Die Zeugin hat ausgeführt, sie
habe bei ihrem Arbeitgeber im November 2007 die Verringerung der Arbeitszeit um 50 v.H. beantragt, weil dem Kläger die hohe
Rente mitgeteilt worden sei. Ihr Mann wäre nicht in Rente gegangen, wenn er nicht eine so hohe Rente bekommen hätte, er habe
gesagt, er hätte sonst noch Arbeitslosengeld bekommen.
Mit Teil-Urteil vom 27.04.2011 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid insoweit abgeändert, als der Bescheid vom
31.10.2007 nicht rückwirkend zum 01.12.2007, sondern erst zum 01.01.2008 aufgehoben wurde, den Beklagten verurteilt, an den
Kläger für den Monat Dezember 2007 weitere 997,48 EUR zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich des Hauptantrages teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide
seien rechtswidrig, soweit der Bescheid vom 31.10.2007 für die Vergangenheit aufgehoben worden sei, im Übrigen seien sie allerdings
rechtmäßig.
Der Bescheid vom 31.10.2007 sei bei Erlass bereits rechtswidrig gewesen, da seiner Rentenberechnung zu Unrecht zu viele Entgeltpunkte
zugrunde gelegt worden seien. Nach § 45 Abs. 2 SGB X sei die Rücknahme des rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes unzulässig, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes
vertraut habe und sein Vertrauen in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Der Kläger
habe bis zur Rücknahme des Bescheides vom 31.10.2007 am 18.12.2007 noch keine Leistungen auf Grund des Bescheides vom 31.10.2007
erhalten. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Aufhebung schon Vermögensdispositionen getroffen habe,
die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen konnte. Es sei insbesondere auch nicht erkennbar,
dass die Entscheidung der Ehefrau des Klägers, ab dem 01.07.2008 ihre berufliche Tätigkeit auf 50 v.H. zu reduzieren, am 18.12.2007
nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden konnte. Einen entsprechenden Versuch habe die Ehefrau des Klägers
nach ihren Angaben nicht unternommen. Daher könne offen bleiben, ob die Entscheidung der Ehefrau des Klägers, die berufliche
Tätigkeit zu reduzieren, als Vermögensdisposition des Klägers qualifiziert werden könne.
Das Vertrauen des Klägers in die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 31.10.2007 stehe einer Aufhebung des Bescheides nicht entgegen.
Die teilweise Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides ergebe sich jedoch aus § 45 Abs. 4 S 1 SGB X. Die engeren Voraussetzungen für die Rücknahme für die Vergangenheit lägen nicht vor. Insbesondere habe der Kläger die Rechtswidrigkeit
des Bescheides vom 31.10.2007 nicht gekannt oder auch nicht infolge grober Fahrlässigkeit verkannt. Zwar hätte sich dem Kläger
die Diskrepanz zwischen den Rentenauskünften und dem Rentenbescheid aufdrängen müssen. Der Kläger habe jedoch dadurch die
erforderliche Sorgfalt nicht in besonderes schwerem Maße verletzt, da die zuletzt erteilte Renteninformation der Beklagten
ebenfalls einen fehlerhaft zu hohen Rentenanspruch ergeben habe. Der Kläger habe sich zudem unbestritten zur Auskunfts- und
Beratungsstelle der Beklagten begeben, wo ihm gleichfalls eine falsche Rentenhöhe bestätigt worden sei. Auf Grund dieser gehäuften
Fehlauskünfte aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten könne dem Kläger ein außerordentliches Außerachtlassen der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt nicht vorgeworfen werden. Die Beklagte habe daher den Bescheid vom 31.10.2007 nur für die Zukunft
zurücknehmen können, also erst ab 01.01.2008. Im Übrigen seien die angefochtenen Bescheide rechtmäßig.
Die Darlegung von Ermessenserwägungen sei von der Beklagten zulässigerweise im Widerspruchsbescheid vom 08.04.2008 nachgeholt
worden.
Hinsichtlich des Hilfsantrages auf Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz eines Schadens könne der Kläger
sich nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen, da der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Geld
keine Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs darstelle. Dieser Schadensersatz aus §
839 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) / Art.
43 Grundgesetz (
GG) sei in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verfolgen.
Mit Beschluss vom 29.04.2011 hat das Sozialgericht hinsichtlich des Hilfsantrages, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet
sei, den dem Kläger durch eine unrichtige Auskunft über die Rentenhöhe vom 18.09.2007 entstandenen Schaden zu ersetzen, den
Rechtsweg zum Sozialgericht für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht L verwiesen.
Am Montag, dem 06.06.2011 hat der Kläger gegen das ihm am 05.05.2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
Der Kläger trägt vor,
er hätte die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 31.10.2007 nicht erkennen müssen, da er auf die ihm erteilten Auskünfte sowohl
durch die zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten als auch durch den Versicherungsältesten bei der Stadtverwaltung L vertraut
habe. Zwar seien zuvor Rentenauskünfte mit einem um zirka 1.000,00 EUR geringeren Rentenbetrag erteilt worden. Damals sei
er allerdings erst 61 Jahre und arbeitslos gewesen und habe danach einen Betrag in Höhe von ca. 34.000,00 EUR an die Beklagte
gezahlt. Die daraufhin erteilten Auskünfte der Beklagten und des Versicherungsältesten hätten in etwa immer die Rentenhöhe
ergeben, wie sie dann auch im Bescheid vom 31.10.2007 festgestellt worden sei. Im Hinblick darauf habe seine Ehefrau sich
entschlossen, die Tätigkeit bei ihrem Arbeitgeber um zirka 50 v.H. zu verringern. Hätte er selbst nicht auf die Auskünfte
der Beklagten vertraut, hätte er einen dahingehenden Rentenantrag nicht gestellt und wäre weiterhin arbeitslos geblieben,
bzw. hätte weiterhin versucht sich eine Tätigkeit zu verschaffen, um seine Rente dann weiterhin aufzubessern.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27.04.2011 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2008 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und nimmt zur Begründung Bezug auf das angefochtene Urteil.
Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der
Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, da die angefochtenen Bescheide, soweit das Sozialgericht der Klage
nicht bereits stattgegeben hat, zu Recht ergangen sind.
Die Beklagte durfte in ihrem Bescheid vom 18.12.2007 gemäß § 45 SGB X ihren Bescheid vom 31.10.2007 zurücknehmen, denn dieser war insoweit unrichtig und damit rechtswidrig, als der dort vorgenommenen
Berechnung der dem Kläger gewährten Rente ein Zuschlag von 50,9508 Entgeltpunkten (EP) anstellte der aufgrund der Zahlung
von zusätzlichen Beiträgen zur Vermeidung eines Rentenabschlags von 5,8213 EP vorgenommen worden war. Aufgrund der Rentenformel
des §
64 SGB VI ergab sich dadurch rechnerisch ein zu hoher Zahlbetrag an Rente.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat
(begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4
ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Aufgrund des insoweit nicht
von der Beklagten angefochtenen Urteils des Sozialgerichts, das den Bescheid vom 31.10.2007 teilweise aufgehoben hat, ist
aufgrund der Berufung des Klägers nur noch die teilweise Aufhebung des Bescheids vom 18.12.2007 für die Zukunft, d.h. ab 01.01.2008
streitig, so dass die strengeren Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4 Satz 1; Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 SGB X) nicht vorliegen müssen. Die Rücknahme für die Zukunft erweist sich indes als rechtmäßig, wie das Sozialgericht zu Recht
entschieden hat, da dem kein schützenswertes Vertrauen des Klägers entgegensteht.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen
unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig,
wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder
nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
In vorliegenden Fall geht der Senat zunächst davon aus, dass der Kläger auf den Bestand des Bescheids vom 31.10.2007 vertraut
hat. Dafür spricht, dass er sich zuvor bei der Beklagten über die zu erwartende Rentenhöhe informiert hatte und dass seine
Ehefrau nach ihren Angaben aufgrund der Höhe der zu erwartenden Rente ihre vertragliche Arbeitszeit reduziert hatte, dass
also Dispositionen über das "Familieneinkommen" getroffen worden waren. Auch hatte der Kläger den Rentenantrag nach seinen
unwidersprochenen Angaben erst gestellt, als ihm eine Auskunft über die zu erwartende Rente erteilt worden und hatte sich
also nicht weiter arbeitsuchend gemeldet.
Dieses Vertrauen des Klägers ist hier aber unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schützenswert.
Denn die Durchsetzung des Vertrauensschutzes würde dazu führen, dass der Kläger zu Unrecht auf Dauer eine Rente beziehen würde,
die um fast 87% über der ihm gesetzlich zustehenden Rente liegen würde. Dem steht ein öffentliches Interesse an der Rücknahme
hinsichtlich der Rentenhöhe gegenüber sowie das Erfordernis der Gesetzmäßigkeit jeden Verwaltungshandelns, das die Beseitigung
eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes erfordert. Auch ist -worauf das Sozialgericht bereits hingewiesen hat- fraglich, ob
die Reduzierung der Arbeitszeit der Ehefrau des Klägers ab dem 01.08.2008 wegen des dadurch eintretenden Einkommensverlustes
als "Vermögensdisposition" dem Kläger zuzurechnen ist. Hinzukommt, dass die Ehefrau noch nicht einmal den Versuch unternommen
hat, ihren Antrag in Abstimmung mit dem Arbeitgeber zurückzunehmen oder abzuwandeln.
Die Beklagte hat auch im Widerspruchsbescheid vom 08.04.2008 das ihr eingeräumt Ermessen ausgeübt und die Ausübung eingehend
begründet, wie das Sozialgericht im angefochtenen Urteil überzeugend dargelegt hat. Der Senat nimmt hierauf Bezug (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf §
193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Über die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens ist nicht zu entscheiden, da das angefochtene Urteil zu Recht keine
Kostenentscheidung getroffen hat. Da der Feststellungsantrag des Klägers in der Klageschrift ausdrücklich als Hilfsantrag
gestellt worden war, und da das Sozialgericht den Rechtsstreit insoweit nicht durch Beschluss abgetrennt hatte, hatte die
Entscheidung des Sozialgerichts über den Hauptantrag (Anfechtungsklage gegen den Rücknahmebescheid) den Rechtsstreit nicht
erledigt, so dass das Sozialgericht konsequenterweise den noch nicht erledigten Teil an das Landgericht verwiesen hat. Eine
Kostenentscheidung war daher vom Sozialgericht für das erstinstanzliche Verfahren nicht zu treffen, und ist auch vom Senat
nur für das Berufungsverfahren auszusprechen.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG) nicht vorliegen.