[Tatbestand]
Umstritten sind ein Anspruch auf Erstattung von Kosten einer Behandlung mit Serumaugentropfen aus Eigenblut in Höhe von 3.500,33
EUR sowie ein Anspruch auf Übernahme zukünftiger Kosten solcher Behandlungen.Die 1956 geborene Klägerin, bei der Beklagten
krankenversichert, war wegen eines im Dezember 2000 festgestellten Brustkrebsleidens mit einer Strahlentherapie behandelt
worden. Hierdurch bedingt leidet sie am rechten Auge an einer teilweise zerstörten Hornhaut mit starker Blendungsempfindlichkeit.
Im Februar 2010 war am rechten Auge eine Metastase in der Orbita (knöcherne Augenhöhle) festgestellt worden.Im Mai 2012 hatte
die Klägerin erstmals bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer Therapie mit Serumaugentropfen aus Eigenblut ("autologe
Serum Augentropfen") beantragt. Dieser Antrag hatte keinen Erfolg gehabt (Bescheid vom 4.6.2012; Widerspruchsbescheid vom
5.9.2012; Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 7.1.2014 - S 13 KR 536/12; Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.10.2014 - L 5 KR 25/14). Der Senat hatte in dieser Entscheidung einen Anspruch ua auf der Grundlage des §
2 Abs
1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) verneint, weil bei der Klägerin mit Serumaugentropfen aus Eigenblut keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung
oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne dieser Vorschrift therapiert werde. Das Bundessozialgericht
(BSG) hatte die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin als unzulässig verworfen.
Am 1.12.2015 beantragte die Universitäts-Augenklinik M für die Klägerin erneut die Kostenübernahme für die Behandlung mit
autologen Serumaugentropfen. Mit Bescheid vom 4.12.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Gemeinsame Bundesausschuss
(GBA) die Methode nicht befürwortet habe.
Zur Begründung ihres Widerspruchs legte die Klägerin einen Bericht der Ärztin Prof Dr P (Augenklinik der Universität M ) vom
Dezember 2015 vor. Darin hieß es, da die bisherige Therapie mit Serumaugentropfen eine deutliche Besserung des Befundes und
einen Visusanstieg bewirkt habe, sei die Fortführung der Behandlung dringlich indiziert. Der Arzt für Augenheilkunde S führte
in seinem Attest vom Dezember 2015 aus, die konsequente Therapie mit Serumaugentropfen sorge für den derzeitigen Erfolg; dieser
sei bisher mit keinem anderen Präparat zu erzielen; daher sei die Weiterführung der Therapie unumgänglich. Die Ärztin im Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) Dr S hielt in ihrem Gutachten vom März 2016 fest, eine Krankheit, die einer lebensbedrohlichen
oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gleichzustellen sei, liege bei der Klägerin nicht vor; der Visus des linken, nicht bestrahlten
Auges liege seit Jahren stabil bei ca 0,8. Vertraglich möglich wäre anstelle der Behandlung mit Serumaugentropfen die Versorgung
mit anderen Tränenersatztropfen. Wichtig erscheine nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der dauerhaft erforderlichen
Gabe die vertragliche Versorgung mit unkonservierten Produkten; konservierte Tropfen würden bei dauerhafter Anwendung die
Symptomatik noch verstärken, da sie ihrerseits zu entzündlichen Reaktionen führten. Darauf gestützt wies die Beklagte den
Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 3.5.2016 zurück.
Am 30.5.2016 hat die Klägerin Klage erhoben und mehrere Rechnungen über einen Gesamtbetrag von 3.500,33 EUR vorgelegt. Das
Sozialgericht (SG) hat einen Befundbericht von Assistenzärztin J (Universitäts-Augenklinik M ) vom April 2017 eingeholt. Darin heißt es, bei
Nichtanwendung der Serumaugentropfen verbliebe ein hohes Risiko für eine Hornhautinfektion und -perforation sowie einer Erblindung.
Durch Urteil vom 31.8.2017 hat das SG Koblenz die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die der
Klägerin entstandenen Kosten für die Beschaffung autologer Serumaugentropfen in Höhe von 3.500,33 EUR zu erstatten und die
zukünftig entstehenden Kosten zu übernehmen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin habe einen Kostenerstattungsanspruch
nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V sowie einen Anspruch auf zukünftige Gewährung von Behandlungen mit Serumaugentropfen. Die Beklagte habe diese Leistung zu
Unrecht abgelehnt. Zwar handele es insoweit um eine neue Behandlungsmethode iSd §
135 Abs
1 Satz 1
SGB V. Vorliegend seien aber die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a SGB V erfüllt. Entgegen der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 16.10.2014 aaO) sei der Verlust der Sehfähigkeit eines Auges
eine wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit vergleichbare Erkrankung. Mit
dem sich aus Art
2 Abs
2 GG ergebenden Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sei es unvereinbar, die Klägerin auf die verbliebene Sehfähigkeit
eines Auges zu verweisen, sofern noch eine Aussicht auf eine Heilung bzw Erhaltung des derzeitigen Standes des erkrankten
Auges bestehe. Der Sehsinn des Menschen sei nicht in dem Sinn relativierbar, dass einzelne Aspekte dieser Fähigkeiten des
Menschen, seine Umwelt wahrzunehmen, verzichtbar seien. Dabei könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass bei einem Verlust
der Sehfähigkeit des erkrankten Auges die Klägerin bei einer späteren Erkrankung des gesunden Auges ihre Sehfähigkeit gänzlich
verlieren könnte (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg 3.6.2016 - L 1 KR 460/14). Für die Behandlung des Sicca-Syndroms der Klägerin stehe auch keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung zur Verfügung. Industriell gefertigte Augentropfen könnten bei der Klägerin nicht zur Anwendung kommen, wie sich
aus den Angaben der Universitätsklinik M ergebe. Es bestehe auch eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Wie die Ärztin Prof Dr P angegeben habe, seien mehrere randomisiert kontrollierte Studien
zur Applikation von Serumaugentropfen publiziert worden, die alle einen positiven Effekt gezeigt hätten. Bei diesen Studien
handele es sich jedenfalls um solche der Evidenzstufe V.Gegen dieses Urteil richtet sich die am 20.9.2017 eingelegte Berufung
der Beklagten, die vorträgt: Sie stütze sich auf das Urteil des Senats vom 16.10.2014 (aaO). Ein lediglich einseitiger Verlust
der Sehfähigkeit könne einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit nicht gleichgestellt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 31.8.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die abgeschlossene Prozessakte S 13 KR 536/12 (SG Koblenz) sowie die Prozessakte des vorliegenden Rechtsstreits verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die nach §§
143 f,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung bzw Gewährung einer
zukünftigen Behandlung mit Serumaugentropfen aus Eigenblut. Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.Vorliegend handelt es sich nicht um eine Behandlung mit einem Fertigarzneimittel,
sondern um eine Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, für die, da eine neue Behandlungsmethode iSd §
135 SGB V betroffen ist, grundsätzlich eine Empfehlung des GBA erforderlich ist (BSG 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R, juris Rn 13). An einer solchen fehlt es vorliegend. Anhaltspunkte für einen sog Seltenheitsfall (vgl zur Problematik des
Off-label-Use BSG 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R, juris Rn 27) oder ein Systemversagen (BSG 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R, juris Rn 18) sind weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Klägerin kann die Behandlung auch nicht nach §
2 Abs
1a SGB V beanspruchen. Denn von der Therapie mit Serumaugentropfen aus Eigenblut ist keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche
Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne dieser Vorschrift betroffen. Die umstrittene Therapie
mit Augentropfen dient nicht der Behandlung des Krebsleidens, sondern dem Erhalt der Sehfähigkeit des rechten Auges. Ein lediglich
einseitiger Verlust der Sehfähigkeit kann jedoch einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung
wertungsmäßig nicht gleichgestellt werden.
Für die dogmatische Erfassung der wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung orientieren sich der Gesetzgeber und die Rechtsprechung
am Erfordernis einer extremen bzw notstandsähnlichen Situation (vgl Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, K § 2 Rn 76e). Eine solche kann bei drohender Erblindung vorliegen (BSG 20.4.2010 - B 1/3 KR 22/08 R, juris Rn 31). Hochgradige Sehbehinderungen reichen dagegen nicht aus (BSG 20.4.2010 aaO). Erst recht genügt ein nur einseitiger drohender Sehverlust nicht. In Anbetracht des konstanten Visus von
0,8 am linken Auge der Klägerin werden bei ihr Funktionsstörungen in Bezug auf die Sehfähigkeit durch dieses Auge in wesentlichem
Umfang ausgeglichen. Würde man auch in solchen Fällen die Anwendung des §
2 Abs
1a SGB V ermöglichen, müssten in weitgehendem Umfang auch andere Krankheiten in den Anwendungsbereich der Norm einbezogen werden,
was deren Ausnahmecharakter nicht gerecht würde. Dies ist nicht mit einem Verstoß gegen Art
2 Abs
2 GG verbunden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebietet das
Grundgesetz die Einbeziehung wertungsmäßig vergleichbarer Erkrankungen in den Schutzbereich des §
2 Abs
1a SGB V nicht (BVerfG 11.4.2017 - 1 BvR 452/17, juris Rn 22).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).