Zulässigkeit eines erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags nach § 109 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe
I.
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Bei der 1974 geborenen Klägerin wurde zuletzt mit Bescheid vom 13.10.2009 ein GdB von 30 festgestellt. Dabei wurden die Behinderungen
wie folgt bezeichnet und bewertet:
1. Knorpelschaden rechtes Kniegelenk 20
2. Degeneratives Wirbelsäulen-Syndrom, Adipositas 20
3. Psychische Störung 10
In einem Änderungsantrag vom April 2012 machte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB geltend. Sie habe im Dezember
2010 eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes am linken Kniegelenk erlitten. Sie legte ein Gutachten des Orthopäden B vom 13.3.2012
vor, welches für eine private Unfallversicherung erstellt worden war. Als Unfallfolgen wurde eine muskuläre nicht kompensierbare
anterior-mediale Instabilität des linken Kniegelenks mit schmerzhafter Belastungseinschränkung festgestellt.
Nach Auswertung der Befunde durch den Ärztlichen Dienst wurde der Antrag mit Bescheid vom 15.5.2012 abgelehnt. Der Gesamt-GdB
sei mit 30 weiterhin ausreichend bewertet. Allerdings wurde die Behinderung Nr. 1 bei Beibehaltung des Einzel-GdB neu bezeichnet
als "Funktionsstörung der Kniegelenke, Knorpelschaden".
Der Beklagte wies den dagegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.2012 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.7.2012 Klage zum Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben.
Das SG hat von Amts wegen ein chirurgisches Gutachten von Dr. B vom 18.6.2013 und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von
Dr. W vom 2.10.2013 eingeholt.
Dr. B hat den Gesamt-GdB unverändert mit 30 bewertet, den Eintritt einer wesentlichen Änderung verneint und folgende Behinderungen
festgestellt:
1. Degenerative Veränderungen beider Schultergelenke 20
2. Degenerative Veränderungen beider Hüft- und Kniegelenke, Senk- Spreizfuß beidseits 20
4. Degenerative Veränderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule 20
5. Psychische Störung 10
Dr. W hat den Gesamt-GdB mit 40 bewertet und den Eintritt einer wesentlichen Verschlechterung bejaht. Die Behinderungen seien
als psychische Störungen in Form von Anpassungsstörungen, generalisierte Angststörung, Dysthymia und undifferenzierte Somatisierungsstörung
zu bezeichnen. Auf seinem Fachgebiet bestünden stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der
Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem Einzel-GdB von 30.
Der Beklagte hat sich daraufhin mit einem Teilanerkenntnis vom 11.11.2013 bereiterklärt, einen Gesamt- GdB von 40 ab Antragstellung
anzuerkennen. Dieser Feststellung lagen folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde:
1. Psychische Störung 30
2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule 20
3. Degenerative Veränderungen beider Schultergelenke 20
4. Degenerative Veränderungen der Hüft- und Kniegelenke,
Fußfehlbildung beidseits 20
Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 10.12.2013 angenommen, im Übrigen jedoch an der Klage festgehalten.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9.1.2014 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Antrag nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf Einholung eines Gutachtens beim Orthopäden B gestellt.
Mit Urteil vom 9.1.2014 hat das SG die weitergehende Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines höheren GdB. Den hilfsweise
gestellten Antrag nach §
109 SGG hat das SG als verspätet zurückgewiesen. Die Zulassung des erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines
Gutachtens nach §
109 SGG hätte zu einer Verzögerung des Rechtstreits geführt, da der Rechtstreit zur Einholung dieses Gutachtens hätte vertagt werden
müssen. Der Antrag sei aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden. Denn der Beteiligte müsse den Antrag nach
§
109 SGG spätestens dann innerhalb angemessener Frist stellen, wenn er erkennen müsse, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen
von Amts wegen durchführe. Spätestens mit Erhalt des Ladungsschreibens vom 12.12.2013 habe der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin erkennen müssen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen vom Gericht nicht beabsichtigt gewesen seien. Bei seiner
Entscheidung in der Sache stütze sich die Kammer auf die eingeholten Gutachten von Dr. B und Dr. W , die jeweils auf eingehenden
Untersuchungen der Klägerin beruhten und eine nachvollziehbare GdB-Bewertung enthielten. Einwendungen gegen diese Gutachten
seien nicht vorgebracht worden, Begutachtungsfehler seien nicht ersichtlich. Nach §
69 Abs.
1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) stellten die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Bei der Bemessung
des Grades der Behinderung seien nach §
69 Abs.
1 S 5
SGB IX i.V.m. mit der Versorgungsmedizin-Verordnung die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) zu beachten. Lägen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
vor, sei ein Gesamt-GdB zu bilden, der nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung
ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sei (§
69 Abs.
3 S. 1
SGB IX). Eine Addition der einzelnen GdB-Werte finde nicht statt. Vielmehr sei zu prüfen, in welchem Umfang die Beeinträchtigungen
sich gegenseitig beeinflussten, insbesondere verstärkten. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen
in einem Wirbelsäulenabschnitt (häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades,
häufig rezidivierende und Tage andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) seien mit einem GdB von 20, schwere funktionelle
Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit einem GdB von 30 zu bewerten (VGB, B 18.8., Seite 107). Eine Bewegungseinschränkung
der Hüftgelenke geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0/10/90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit)
sei einseitig mit einem GdB von 10-20 und beidseitig mit einem GdB von 20-30 zu bewerten. Eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk
geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0/0/90°) sei einseitig mit einem GdB von 0-10 und beidseitig mit einem GdB von
10-20 zu bewerten. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizerscheinungen könnten auch ohne Bewegungseinschränkung
des Kniegelenkes einseitig mit einem GdB von 10-30 bewertet werden und bei zusätzlich bestehender Bewegungseinschränkung mit
einem GdB von 20-40. Fußdeformitäten bedingten nur bei wesentlicher statischer Auswirkung je nach Funktionsstörung einen GdB
von 10-20 (VG, B 18.14, Seite 115-118). Nach den VG (B 18.13, Seite 110) sei eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks
(einschließlich des Schultergürtels) mit einem GdB von 10 zu bewerten, wenn der Arm nur um 120 Grad zu erheben sei, bei entsprechender
Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit dagegen mit einem GdB von 20, wenn der Arm nur um 90 Grad zu erheben sei. Eine
Instabilität des Schultergelenkes geringen Grades sei mit einem GdB von 10 und eine Instabilität mittleren Grades, auch bei
häufigeren Ausrenkungen, mit einem GdB von 20-30 zu bewerten. Nach dem Bewertungsvorgaben der VG (B 13.7, Seite 42) seien
Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychiatrischer Traumen mit einem GdB von 0-20 zu bewerten, wenn es sich um
leichtere psychovegetative oder psychische Störungen handele. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung
der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit seien mit einem GdB von 30-40 zu bewerten. Ein höherer GdB komme in Betracht, wenn
es sich um schwere Störungen, zum Beispiel eine schwere Zwangskrankheit, handele. Unter Berücksichtigung dieser Bewertungsvorgaben
in den VG erwiesen sich die in den Gutachten von Dr. B und Dr. W angegebenen Einzel-GdB-Werte als angemessen und ausreichend
hoch. Hinsichtlich der Bewertung der degenerativen Veränderungen beider Schultergelenke und der Behinderung im Bereich der
Wirbelsäule mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 20 sei die Bewertung sogar bereits als eher großzügig und nicht voll ausgefüllt
anzusehen. Auch der von Dr. W bei der Begutachtung erhobene psychische Befund lasse trotz des erheblichen Beschwerdevorbringens
der Klägerin eine ausgewogene Grundstimmung und eine normal adäquate Affektivität erkennen. Einschränkungen der Konzentrationsleistungen
seien während der Begutachtung ebenfalls nicht feststellbar gewesen. Es hätten sich bei der Begutachtung trotz entsprechender
Beschwerdeangaben auch keine Hinweise für eine relevante Zwangserkrankung oder für eine posttraumatische Belastungsstörung
ergeben. Zwar sei nach dem Gutachten von Dr. W davon auszugehen, dass bei der Klägerin eine stärker behindernde psychische
Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehe, so dass für diese Behinderung bereits
ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen sei. Ein GdB von 40 allein für diese Behinderung entsprechend dem oberen Bewertungsrahmen
für eine stärker behindernde Störung komme bei dieser Sachlage aber keinesfalls in Betracht. Insgesamt sei daher eine Anhebung
des Gesamt-GdB auf 40, jedoch nicht auf 50, d.h. die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt. Denn insgesamt
seien die Gesamtauswirkungen der Behinderung nicht so gravierend wie etwa beim Verlust einer Hand, eines Beines im Unterschenkel
oder einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, die jeweils für sich einen GdB von 50 bedingten (VG
A 3b). Mithin sei die über das Teilanerkenntnis zur Feststellung eines GdB von 40 hinausgehende Klage abzuweisen gewesen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 17.4.2014 zugestellte Urteil am Montag, dem 19.5.2014, Berufung eingelegt.
Sie hat ihr Begehren auf Feststellung eines GdB von 50 weiterverfolgt und vorgetragen, dass das SG den gestellten Antrag auf §
109 SGG zu Unrecht zurückgewiesen habe. Erst im Termin habe das SG dargelegt, dass es die Gutachten für nachvollziehbar halte und dass ein höherer GdB als 40 nicht in Betracht komme. Zuvor
sei der Rechtsstreit noch offen gewesen und es sei nicht absehbar gewesen, wie das SG entscheide, weshalb der Antrag erst in der Sitzung gestellt worden sei. Der Antrag werde daher im Berufungsverfahren wiederholt.
Mit Ausführungsbescheid vom 8.5.2014 hat der Beklagte das angenommene Teilanerkenntnis ausgeführt.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß §
109 SGG ein Gutachten beim Orthopäden B vom 23.10.2014 eingeholt. Wegen des Inhalts des Gutachtens wird auf Blatt 221ff Gerichtsakte
verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 9.1.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20.6.2012 sowie den Ausführungsbescheid vom 8.5.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen Grad der
Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Schwerbehindertenakte des Amtes
für soziale Angelegenheiten in Koblenz Bezug genommen, der Gegenstand des Berufungsverfahrens und der Entscheidungsfindung
des Senats gewesen ist.
II.
Der Senat entscheidet nach §
153 Abs.
4 SGG durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Koblenz vom 9.1.2014 für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher hierzu gehört worden und haben dieser
Vorgehensweise zugestimmt.
Die nach §§
143 ff
SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Ein höherer GdB als 40 ist nicht festzustellen, wie das SG zu Recht entschieden hat.
Dem SG ist auch kein Verfahrensfehler vorzuwerfen. Der erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten
der Klägerin hilfsweise gestellte Antrag, ein Gutachten nach §
109 SGG einzuholen, wurde verspätet gestellt und ist daher zu Recht nach §
109 Abs.
2 SGG abgelehnt worden.
Nach §
109 Abs.
1 S. 1
SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift kann das Gericht
den Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der
freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher
vorgebracht worden ist.
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Ablehnung des Antrags nach §
109 Abs.
2 SGG erfüllt gewesen.
Die Zulassung des hilfsweise gestellten Antrags auf Einholung eines Gutachtens nach §
109 SGG hätte zu einer Verzögerung des Rechtstreits geführt, da dieser zur Einholung jenes Gutachtens hätte vertagt werden müssen.
Eine Verzögerung im Sinne des Abs. 2 der Vorschrift tritt ein, wenn sich -wie hier- durch die Beweisaufnahme der Zeitpunkt
der Beendigung der Streitsache durch eine bereits erfolgte Terminierung verschiebt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, Rn 11).
Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn die zur Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist bzw. wenn nicht
getan wurde, was jedem einleuchten muss (BSG, Urteil vom 24.3.1961 - 10 RV 303/57; Keller, a.a.O., m.w.N).
Ob die späte Stellung des Antrags wegen Verschleppungsabsicht oder grober Nachlässigkeit vorwerfbar ist, richtet sich nach
den Umständen des Einzelfalles. Ein vorwerfbares Verhalten des Prozessbevollmächtigten geht zu Lasten des Beteiligten. Der
Antragsteller soll zwar den Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellen dürfen, besondere Umstände können und
müssen ihn aber zu einer früheren Antragstellung veranlassen (BSG, Urteil vom 10.6.1958 - 9 RV 836/55).
So hat der Beteiligte den Antrag nach §
109 SGG spätestens dann innerhalb angemessener Frist zu stellen, wenn er erkennen muss, dass das Gericht keine (weiteren) Erhebungen
von Amts wegen durchführt (BSG, Urteile vom 10.12.1958 - 4 RJ 143/58, vom 22.6.1966 - 8 RV 227/65, vom 24.3.1961 - 10 RV 303/57 und vom 22.6.1966 - 8 RV 227/65). Dies ist anzunehmen, wenn ihn das Gericht ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Antrags nach §
109 SGG hinweist, aber auch bei sachkundigen oder sachkundig vertretenen Klägern, wenn es mitteilt, es seien keine weiteren Ermittlungen
vorgesehen bzw. der Rechtstreit werde als entscheidungsreif angesehen oder wenn es den Rechtsstreit ohne weitere Mitteilung
terminiert (BSG, Urteile vom 10.12.1958, a.a.O.; vom 24.3.1961, a.a.O.; vom 22.6.1966, a.a.O.; Keller, a.a.O., Peters/Sautter/Wolff, Kommentar
zum
SGG, 4. Aufl. 1986, Lfg. 1/2009, Seite 77 mit Hinweisen auf weitere Rechtsprechung; Roller in Lüdtke,
SGG, 4. Aufl. Rn 17, a.A. Hauck in Hennig,
SGG, 18. Aufl. 2010, Rn 64, anders noch die Vorauflage).
Im vorliegenden Fall hatte das Gericht dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach Abschluss der Beweisaufnahme zwar keinen
Hinweis auf die Möglichkeit der Beantragung eines Gutachtens nach §
109 SGG erteilt, dazu ist aber das Gericht bei der durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägerin auch nicht verpflichtet
gewesen (Keller, a.a.O.; Peters/Sautter/Wolff, a.a.O.; Roller, a.a.O.). Die generelle Möglichkeit, einen Antrag nach §
109 SGG stellen zu können, musste dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch ohne einen solchen Hinweis bekannt sein. Nach seinem
Vortrag war ihm diese Möglichkeit auch durchaus bekannt, es gab allerdings andere Überlegungen, die für seine Vorgehensweise,
dem Abwarten von Hinweisen zur Erfolgsaussicht der Klage, ausschlaggebend waren. Unabhängig vom fehlenden Hinweis hätte er
bereits mit Übersendung der von Amts wegen eingeholten Gutachten von Dr. B und Dr. W erkennen können, dass die in Betracht
kommenden medizinischen Fachgebiete durch diese beiden Gutachten abgedeckt waren und dass keines der Gutachten die von ihm
vertretene Position unterstützt. Zwischen der Zusendung des letzten Gutachtens von Dr. W mit Verfügung vom 30.10.2013 und
dem Zugang der Ladung beim Prozessbevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 13.12.2013 lagen mehr als 6 Wochen, bis zum
Termin am 9.1.2014 vergingen außerdem weitere 4 Wochen. Auch wenn sich die Klägerin zunächst darüber schlüssig werden musste,
ob sie von dem Recht nach §
109 SGG Gebrauch macht, hätte sie angesichts des geschilderten zeitlichen Ablaufs mehr als ausreichend Zeit gehabt (zur angemessenen
Frist auch BSG, Urteil vom 24.3.1961 - 10 RV 303/57), den Antrag nach §
109 SGG zu stellen. Weshalb eine Antragstellung nach §
109 SGG nicht bereits in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 10.12.2013 erfolgte, mit dem er das Teilanerkenntnis
der Beklagten annahm, ist nicht nachvollziehbar, zumal das Teilanerkenntnis mit der richterlichen Anfrage übersandt worden
war, ob der Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt wird. Ein entsprechender Hilfsantrag hätte ohne weiteres vorsorglich
bereits früher neben dem Sachantrag gestellt werden können. Es wäre dann nicht erst zur Terminierung gekommen. Spätestens
mit dem Erhalt des Ladungsschreibens vom 12.12.2013 hätte er aber erkennen müssen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen
vom Gericht in diesem Verfahren nicht beabsichtigt waren. Es war mithin, nachdem der Rechtsstreit terminiert worden war, auch
ohne einen ausdrücklichen Hinweis für den Prozessbevollmächtigten erkennbar, dass das Gericht keine (weiteren) Erhebungen
mehr durchführt. Daher hätte er die Absicht einer Antragstellung nach §
109 SGG unverzüglich anzeigen und die Aufhebung des Termins beantragen müssen (Roller, a.a.O.). Von einer unverzüglichen Antragstellung
ist jedenfalls nicht mehr auszugehen, wenn danach fast ein weiterer Monat vergeht.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin argumentiert, dass er den Antrag erst in der Sitzung gestellt habe, weil erst
nach Hinweisen im Termin absehbar gewesen sei, wie das Gericht entscheide, überzeugt diese Argumentation nicht. Diese Vorgehensweise
würde voraussetzen, dass der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung zu dem voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits
in jedem Fall Stellung bezieht. Dass weder vorab Hinweise auf eine mögliche Beweiswürdigung zum Nachteil eines Beteiligten
gegeben werden müssen noch Hinweise auf mögliche Beweisanträge entspricht ständiger Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 12.2.2002 - B 11 AL 249/01 B, vgl. auch Leitherer, a.a.O. §
106 SGG, Rn 5d, m.w.N.). Zu einem derartigen sog. offenen Judizieren, mag dies auch häufig praktiziert werden, kann der Vorsitzende
aber schon deshalb weder im Vorfeld einer mündlichen Verhandlung noch in der mündlichen Verhandlung selbst verpflichtet werden,
weil es der Spruchkörper als Ganzes ist, der zu einer Entscheidung nach Beratung berufen ist, so dass es sich ohnehin nur
um eine unverbindliche persönliche Einschätzung des Vorsitzenden handeln kann. In der Beratung kann ein Vorsitzender durch
die anderen Mitglieder des Spruchkörpers überstimmt werden. Würde man eine erst in der Sitzung erfolgende Antragstellung nach
§
109 SGG erlauben, so würde dies auch der in §
106 Abs.
2 SGG geregelten Konzentrationsmaxime widersprechen, die es im Interesse der Beschleunigung gebietet, die Verhandlung so vorzubereiten,
dass der Rechtstreit möglichst in einem Termin erledigt werden kann. Würde die Antragstellung nach §
109 SGG von der Erteilung von Hinweisen, zu denen überhaupt keine Verpflichtung besteht, abhängig gemacht werden können und würde
man grobe Nachlässigkeit im Sinne des §
109 Abs.
2 SGG in dem vom Prozessbevollmächtigten gewünschten Sinne interpretieren, so würde das Recht zur Ablehnung des Antrags als verspätet
leerlaufen. Damit würde zum einen eine konzentrierte und effiziente Prozessführung erschwert, indem man durchaus vermeidbare,
mithin unnötige Prozessverzögerungen erleichtern würde und zum anderen eine systemwidrige Hinweispflicht einführen würde.
Die vom SG getroffene Entscheidung ist folglich verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, aber auch in der Sache nicht zu beanstanden.
Nach § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei der Bemessung des Grades
der Behinderung und der Feststellung von gesundheitlichen Voraussetzungen zur Erlangung von Merkzeichen sind nach §
69 Abs.
1 S 5
SGB IX i.V.m. mit der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008, die Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten. Hiervon ausgehend ist der Gesamt-GdB der Klägerin nicht
zu niedrig bewertet worden.
Die Berufungsbegründung der Klägerin führt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit die Klägerin vorträgt, der Gesamt-GdB sei
mit 50 zu bewerten, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Das Vorbringen enthält keine neuen entscheidungserheblichen
Gesichtspunkte, die Anlass zu einer der Klägerin günstigeren Entscheidung geben könnten.
Das SG hat unter Beachtung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen niedergelegten Bewertungsmaßstäbe, insbesondere auf der
Grundlage der von den Sachverständigen Dr. B und Dr. W getroffenen Feststellungen ausführlich und überzeugend begründet, dass
und weshalb der GdB der Klägerin nicht mit einem höheren Wert als bisher festgestellt werden kann. Dabei hat das SG den von den Sachverständigen beschriebenen und aus den gestellten Diagnosen resultierenden funktionellen Beeinträchtigungen
der Klägerin unter Berücksichtigung und Einhaltung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen niedergelegten Bewertungsmaßstäben
angemessen Rechnung getragen.
Da die Berufung der Klägerin im Wesentlichen aus den zutreffenden Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils als unbegründet
zurückzuweisen ist, macht sich der Senat diese zu Eigen und sieht gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer eigenen vollständigen Begründung seiner Entscheidung ab.
Das im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin gemäß §
109 SGG eingeholte Gutachten des Orthopäden B hat die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung bestätigt, ohne tatsächlich neue Erkenntnisse
auf orthopädischem Fachgebiet zu vermitteln. Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB unter Einbeziehung der Folgen auf psychischem
Fachgebiet (nur) mit 40 bewertet. Damit weicht er nicht von dem Teilanerkenntnis der Beklagten ab, das von der Klägerin während
des Klageverfahrens angenommen worden war. Der Sachverständige hat folgende Behinderungen festgestellt:
1. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen in allen drei Wirbelsäulenabschnitten und häufig auftretenden
LWS-Syndromen 20
2. Muskulär nicht vollständig kompensierbare Instabilität des linken Kniegelenks, Knorpelschäden beider Kniegelenke mit gelegentlichen
rezidivierenden Reizerscheinungen ohne Einschränkung 20
3. Stärker behindernde psychovegetative oder psychische Störung mit Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit 30
Neue Erkenntnisse hinsichtlich des orthopädischen Fachgebietes hat das Gutachten nicht hervorgebracht, erst recht stützt das
Gutachten die Argumentation der Klägerin nicht, sondern bleibt sogar hinter den Feststellungen von Dr. B zurück, was jedenfalls
die unterbliebene Anerkennung der degenerativen Schulterproblematik angeht. Dass der Sachverständige keinen GdB von 20 mehr
für die degenerativen Veränderungen beider Schultergelenke vorsieht, weil er keine dauerhaften Einschränkungen bejaht, überzeugt
allerdings vor dem Hintergrund, dass Dr. B jedenfalls für das rechte Schultergelenk das vorgeführte Bewegungsausmaß anhand
der Röntgenbefunde (Schultereckgelenkarthrose, mäßige Schulterenge beidseits, rechts mehr als links, Seite 13 und rechtsseitig
schmälerer subacromialer Gelenkspalt, Seite 10 des Gutachtens) nicht in Zweifel zieht, nicht. Nach den VG (B 18.13, Seite
110) ist eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks einschließlich des Schultergürtels mit einem GdB von 10 zu bewerten,
wenn der Arm nur um 120 Grad erhoben werden kann, bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit dagegen mit
einem GdB von 20, wenn der Arm nur um 90 Grad erhoben werden kann. Eine Instabilität des Schultergelenkes geringen Grades
ist mit einem GdB von 10 und eine Instabilität mittleren Grades, auch bei häufigeren Ausrenkungen, mit einem GdB von 20-30
zu bewerten. Daher verbleibt es bei dem angesetzten GdB von 20 für die zeitweilig bewegungsabhängigen Schulterschmerzen und
die endgradigen Bewegungseinschränkungen (Seite 13 des Gutachtens von Dr. B ), wie auch vom Beklagten im Teilanerkenntnis
anerkannt.
Der Sachverständige hat im Übrigen zur Bewertung des Gesamt-GdB ausgeführt, dass zunächst der am höchsten bewertete Einzel-GdB
zu Grunde zulegen sei, welcher vorliegend der Einzel-GdB von 30 für den Funktionsbereich Nerven und Psyche sei. Diesbezüglich
sei die GdB-Höhe auch korrekt bewertet. Anschließend seien alle weiteren GdB mit einem Mindestwert von 20 bezüglich verstärkender
oder abschwächender Wirkung zu bewerten. Bei der Klägerin bestehe im Funktionsbereich Wirbelsäule ein Einzel-GdB von 20. Dieser
Wert sei bereits wohlwollend am oberen Bereich des Ermessensspielraums angesiedelt und wirke sich somit nicht verstärkend
auf den Gesamt-GdB aus. Im Bereich der unteren Extremitäten bestehe ebenfalls ein GdB von 20 für die Veränderungen der Kniegelenke.
Es sei davon auszugehen, dass die hierdurch bedingten Einschränkungen der Mobilität und des Bewegungsspielraums sich negativ
auf die durch die psychische Funktionsstörung eingeschränkte Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auswirkten, weshalb der Gesamt-GdB
zu erhöhen sei. Der Gesamt-GdB betrage somit 40. Dies ist auch zur Überzeugung des Senats zutreffend.
Da von der Klägerin keine medizinisch begründeten Zweifel an der Richtigkeit des eingeholten Gutachtens des Orthopäden Benedikt
vorgebracht wurden, welches -wie bereits ausgeführt- hinsichtlich der aufgeführten Behinderungen hinter den Feststellungen
von Dr. B sogar zurückbleibt, bestand auch für den Senat keine Veranlassung, noch ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten
von Amts wegen einzuholen.
Nach alledem führt die Berufung nicht zum Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Revisionszulassungsgründe des §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.