Statthaftigkeit der Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Äußerungsrecht im Verfahren der Prozesskostenhilfebeschwerde;
Stillschweigende Ablehnung des Zinsanspruchs bei unterbliebener Zinsentscheidung
Gründe:
I. Über die Beschwerden vom 30. Mai 2013, mit denen sich die Kläger gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, in dem höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Monate August und September 2011 streitig waren, wenden, kann nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden
Senates auch noch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hier des Klageverfahrens, entschieden werden (vgl. z. B. Sächs.
LSG, Beschluss vom 15. Mai 2013 - L 3 AS 391/13 B PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 9, m. w. N.).
II. Die Beschwerden vom 30. Mai 2013 sind zulässig, insbesondere statthaft.
Maßgebend ist §
172 Abs.
3 Nr.
1 und
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in der vom 11. August 2010 bis zum 24. Oktober 2013 geltenden Fassung (vgl. Artikel 6 des Gesetzes vom 5. August 2008 [BGBl.
I S. 1127]). Die seit 25. Oktober 2013 geltende Fassung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB II (vgl. Artikel 7 Nr. 11 Buchst. c des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 [BGBl. I S. 3836]) findet nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechtes keine
Anwendung. Dieses gebietet, dass bei einem gesetzlich festgelegten Rechtsmittelausschluss ein bereits eingelegtes Rechtsmittel
zulässig bleibt, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimmt (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90 = BVerfG 87, 48 = NJW 1993, 1123; Sächs. LSG, Beschluss vom 20. November 2009 - L 3 B 261/08 AS-PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 15).
Die Beschwerde ist nicht gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG a. F. ausgeschlossen, weil das Sozialgericht bei der Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht ausschließlich die persön-lichen
oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneinte. Sie ist auch nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 Halbsatz 2
SGG a. F. ausgeschlossen. Gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
1 Halbsatz 1
SGG a. F. war die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung
nicht zulässig wäre. Dies galt gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
1 Halbsatz 1
SGG a. F. auch für Entscheidungen über einen Prozesskostenhilfeantrag im Rahmen dieser Verfahren. Der Wortlaut dieses zweiten
Halbsatzes war eindeutig. Die Regelung konnte deshalb nicht erweiternd ausgelegt und auf Klageverfahren, in denen in der Hauptsache
die Berufung nicht zulässig wäre, ausgedehnt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates ist auch ein
Rückgriff auf die Beschwerdeausschlussregelung in §
127 Abs.
2 Satz 2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO), sei es in Verbindung mit §
73a Abs.
1 SGG oder in Verbindung mit §
202 SGG oder in analoger Anwendung, nicht möglich (vgl. z. B. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Juni 2012 - L 3 Sächs. LSG, Beschluss
vom 20. November 2009 - L 3 AS 158/12 B PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 11). Aus diesem Grund ist vorliegend der Wert des Beschwerdegegenstandes in einem etwaigen Berufungsverfahren
nicht entscheidungserheblich.
III. Das Beschwerdeverfahren leidet an keinem Verfahrensmangel. Insbesondere wurde entgegen den Rügen des Klägerbevollmächtigten
im Schriftsatz vom 9. April 2014 weder das Sozialgeheimnis noch der Sozialdatenschutz dadurch verletzt, dass dem Beklagten
des Klageverfahrens Gelegenheit gegeben wurde, im Verfahren der Prozesskostenhilfe-beschwerde eine Stellungnahme abzugeben.
Zwar ist Beschwerdegegner in einem Beschwerdeverfahren, das die Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrages zum Gegenstand
hat, die Staatskasse (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 4. Januar 2011 - L 3 AS 260/09 B PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 17). Jedoch war gemäß §
118 Abs.
1 Satz 1 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 [BGBl. I S. 3202]) vor der
Bewilligung der Prozesskostenhilfe dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn dies nicht aus besonderen Gründen
unzweckmäßig erscheint. Nach der seit 1. Januar 2014 geltenden Fassung von §
118 Abs.
1 Satz 1
ZPO (vgl. Artikel 1 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes vom 31. August 2013 [BGBl. I S. 3533]) ist dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob er
die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für gegeben hält, soweit dies aus besonderen Gründen nicht
unzweckmäßig erscheint. Wenn also vorliegend dem Beklagten diese Äußerungsmöglichkeit durch das Gericht eingeräumt wurde und
der Beklagte von seinem Äußerungsrecht Gebrauch machte, hielten sich sowohl das Gericht als auch der Beklagte im Rahmen der
gesetzlichen Vorgaben. Die behauptete Verletzung von Rechten der Kläger kann mithin nicht vorliegen.
IV. Die Beschwerden sind nicht begründet.
1. Soweit die Kläger eine Verzinsung der mit Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 bewilligten Nachzahlung begehrten, neigt der
erkennende Senat zwar entgegen dem Sozialgericht der Auffassung zu, dass eine Verzinsung durch den Beklagten im Änderungsbescheid
vom 30. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2012 konkludent abgelehnt wurde.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes kann in einer unterbliebenen Zinsentscheidung eine sinngemäße oder stillschweigende
Ablehnung des Zinsanspruchs durch Verwaltungsakt zu sehen sein (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1980 - 5 RJ 108/79 -JURIS-Dokument Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 25. Januar 2011 - B 5 R 14/10 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 15 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 15 ff.). Erforderlich sind besondere Einzelfallumstände, die
dem Schweigen zum Zinsanspruch klar und unmissverständlich einen ablehnenden Inhalt geben könnten (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2011, aaO., jeweils Rdnr. 16). Vorliegend ist im Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 die Frage einer
etwaigen Verzinsung der Nachzahlung nicht angesprochen. Allerdings wird im Widerspruchsbescheid vom 15. August 2012 am Ende
der Bescheidbegründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Verzinsung nicht gegeben seien. Da nach §
95 SGG Gegenstand der Klage, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch
den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist, lässt sich vertreten, dass vorliegend der Beklagte eine ablehnende Entscheidung
über die Verzinsung der Nachzahlung getroffen hat.
Die Frage nach einer konkludenten Ablehnungsentscheidung kann aber dahingestellt bleiben, weil die Voraussetzungen für eine
Verzinsung nicht vorliegen. Gemäß §
44 Abs.
2 Satz 1 Halbsatz 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags
beim zuständigen Leistungsträger. Nach den - von den Klägern nicht bestrittenen - Feststellungen im Widerspruchsbescheid vom
15. August 2012 wandte sich die Klägerin zu 1 erst am 24. April 2012 an den Beklagten wegen der ihrer Meinung nach zu geringerer
Zahlungen für Unterkunft und Heizung. Erst zu diesem Zeitpunkt teilte sie auch die Veränderungen in ihren Wohnverhältnissen
mit. Mithin lagen auch erst ab dem 24. April 2012 die vollständigen Angaben für eine Änderung der Leistungsbewilligung vor,
sodass der Änderungsbescheid vom 30. Mai 2012 noch innerhalb der 6-Mpnatsfrist des §
44 Abs.
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB I erlassen wurde.
2. Nachdem der Klägerbevollmächtigte seine weitere Rüge, die Kosten für Unterkunft und Heizung seien untersetzt, mit Schriftsatz
vom 13. Dezember 2012 nicht mehr aufrecht erhalten hatte, verblieb nur noch die Rüge, die seit 1. Januar 2011 geltenden Regelbedarfsregelungen
seien nicht verfassungsgemäß. Diesbezüglich hat der erkennende Senat im Beschluss vom 15. Mai 2013 entschieden, dass für eine
Klage, in der unter anderem geltend die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfsregelungen für Kinder und Jugendliche bis zur
Vollendung des 18. Lebensjahres geltend gemacht wurrde, eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen
Sinne bestehe (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Mai 2013 - L 3 AS 391/13 B PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 15). Ob vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zur Verfassungsmäßigkeit
der Regelbedarfsermittlung bei Alleinstehenden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 ff. = SozR 4-4200 § 20 Nr. 17; BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 189/11 R - JURIS-Dokument; BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 47/12 R - JURIS-Dokument) sowie bei Alleinstehenden und erwachsenen Ehepartner (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 12/12 R -SozR 4-4200 § 20 Nr. 18) einerseits und den diesbezüglichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13) andererseits etwas anderes zu geltend hatte, wenn ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für einen erwachsenen
Leistungsberechtigten im Streit stand, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls fehlte das Rechtsschutzbedürfnis
für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren, weil die Kläger darauf verwiesen werden konnten, den Ausgang
eines bereits anhängigen, sogenannten unechten Musterverfahrens (hier der genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht)
abzuwarten (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Mai 2013, aaO., Rdnr. 16).
Der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht inzwischen mit Beschluss vom 23. Juli 2014 die streitbefangenen Regelbedarfsregelungen
nur "nach Maßgabe der Gründe mit Artikel
1 Absatz
1 des
Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz
1 des
Grundgesetzes vereinbar" angesehen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - BGBl I 2014, 1581 = JURIS-Dokument), führt für das vorliegende Beschwerdeverfahren zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Klageverfahren Az.
S 22 AS 4039/12, auf das sich das Prozesskostenhilfebegehren bezieht, wurde bereits durch Urteil vom 19. April 2013 beendet. Prozess-kostenhilferechtliche
Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. Juli 2014 können für das zu diesem Zeitpunkt bereits
abgeschlossene Klageverfahren nicht mehr gezogen werden.
V. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (vgl. §
183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. §
202 SGG i. V. m. §
127 Abs.
4 ZPO).
VI. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. §
177 SGG).