Anspruch auf Gewährung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen
Verfahren; Beobachtung eines Versicherten durch eine medizinische Fachkraft; Kein Anordnungsanspruch bei Leistungen für die
Vergangenheit; Keine umfangreiche Beweisaufnahme im Eilverfahren
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Gewährung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungssicherungspflege)
im Umfang von 10 Stunden täglich (während der Nachtstunden) an sieben Tagen bzw. Nächten pro Woche.
Die am 2013 geborene Antragstellerin und Beschwerdeführerin leidet unter einer chronischen Niereninsuffizienz bei schwerer
körperlicher und geistiger Retardierung bei multizystischer Enzephalopathie. Seit Juni 2013 ist sie schwerpflegebedürftig;
im Dezember 2013 erlitt sie eine Aspiration mit nachfolgender Aspirationspneumonie. Sie leidet unter rezidivierendem Erbrechen
unklarer Genese und es besteht eine Trinkschwäche. Nachts erhält die Beschwerdeführerin zusätzlich zur oralen Nahrungsaufnahme
Sondenkost.
Mit Verordnungen vom 27. Januar 2014 und 15. Februar 2014 wurde ihr von Dr. P, Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation
e.V., häusliche Krankenpflege in einem Umfang von 10 Stunden täglich/7 x wöchentlich für die Zeit vom 27. Januar 2014 bis
10. Februar 2015 verordnet. Mit Bescheid vom 10. März 2014 bewilligte die Antrags- und Beschwerdegegnerin befristet für den
Zeitraum vom 27. Januar 2014 bis 31. Juli 2014 die notwendige behandlungspflegerische Versorgung im Umfang von 9 Stunden 34
Minuten täglich. Am 22. Juli 2014 wurde die Kostenübernahme für Leistungen häuslicher Krankenpflege für die Zeit ab 1. August
2014 bis zum 10. Februar 2015 beantragt.
Die Beschwerdegegnerin forderte umfangreiche medizinische Unterlagen an. In einem Arztbrief vom 12. August 2014 wird u.a.
ausgeführt, die Beschwerdeführerin werde zum größeren Teil über eine Sonde ernährt, teilweise trinke sie die Nahrung auch
oder esse Brei. In einer sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Freistaat
Sachsen (MDK) vom 27. August 2014, die auf Veranlassung der Beschwerdegegnerin erstellt wurde, wird ausgeführt, in der Pflegedokumentation,
die den Zeitraum 30. Juni 2014 bis 22. Juli 2014 umfasse, seien keine Vitalwerte, sondern lediglich reine grundpflegerische
Leistungen inklusive allgemeiner Krankenbeobachtung und Medikamentengabe einmal nachts dokumentiert. Unter der medikamentösen
Therapie mit Antra Mups trete das Erbrechen offensichtlich kaum mehr auf. Spezielle Krankenbeobachtung sei nur verordnungsfähig,
wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Interventionen bei lebensbedrohlichen Situationen täglich
erforderlich seien. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Mit Bescheid vom 2. September 2014 lehnte die Beschwerdegegnerin
daraufhin die Bewilligung spezieller Krankenbeobachtung für die Beschwerdeführerin ab, bewilligte jedoch die behandlungspflegerische
Versorgung für 9 Stunden und 34 Minuten täglich bis 3. September 2014. Hiergegen wurde am 3. September 2014 Widerspruch eingelegt.
Ebenfalls am 3. September 2014 ist für die Beschwerdeführerin Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht
Chemnitz (SG), gerichtet auf Übernahme der Kosten häuslicher Krankenpflege in Form spezieller Krankenbeobachtung ab 3. September 2014,
gestellt worden. Aufgrund des chronischen Krankheitsbildes, insbesondere der chronisch präterminalen Niereninsuffizienz, der
schweren Entwicklungsretardierung sowie der multizystischen Enzephalomalazie sei die ständige Anwesenheit und Einsatzbereitschaft
einer qualifizierten Pflegeperson, insbesondere in der Nachtzeit erforderlich. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass sich die
Beschwerdeführerin nachts weiterhin übergebe, so dass ein nicht steuerbarer Zustand gegeben sei. Im Falle des Erbrechens sei
eine Umlagerung in die Bauchlage notwendig, da regelmäßig die Gefahr bestehe, dass sie an dem Erbrochenen ersticke. Die Situation
habe sich seit Februar 2014 nicht verändert. Antra Mups könne nicht auf Dauer verabreicht werden; das Medikament werde zur
Behandlung von Kindern erst ab einem Alter von vier Jahren und selbst bei Erwachsenen nur für einen Zeitraum von vier bis
maximal acht Wochen empfohlen. Die Beschwerdeführerin sei jedoch erst 1 ½ Jahre alt. Sie sei auch darauf angewiesen, die erforderlichen
Flüssigkeitsmengen in den Nachstunden verabreicht zu bekommen, um einer erneuten Dehydratation entgegen zu wirken. Auch die
erforderlichen Medikamente würden über die Magensonde verabreicht. Beim nächtlichen Erbrechen gebe es regelmäßig Probleme
mit der Magensonde, die mit herausgewürgt werde. Lediglich durch die Inanspruchnahme eines Pflegedienstes in den Nachstunden
sei es weiterhin möglich, insbesondere den Flüssigkeitshaushalt der Beschwerdeführerin in Balance zu halten und bei Erbrechen
die erforderlichen Maßnahmen einleiten zu können. Die Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hat Pflegedokumentationen
zur Akte gereicht, auf deren Inhalt verwiesen wird. Ferner ist eine Bescheinigung des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin
Dipl.-Med. P vom 19. September 2014 vorgelegt worden, wonach die Problematik der Nahrungsaufnahme mit Schluckstörung noch
vorhanden sei und damit verbunden auch ein regelmäßiges Würgen und Erbrechen bestehe. Nachts könne es zu lebensbedrohlichen
Ereignissen (Aspiration) kommen.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 abgelehnt und unter Würdigung der übersandten Pflegedokumentationen ausgeführt,
es sei bereits kein Anordnungsanspruch gegeben. Die Hauptsache biete nach derzeitigem Kenntnisstand keine Aussicht auf Erfolg.
Die Erforderlichkeit der ständigen Anwesenheit und Einsatzbereitschaft einer qualifizierten Pflegeperson sei nur dann erforderlich,
wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Umständen täglich erforderlich
sei und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könnten. In der vorgelegten Pflegedokumentation
sei jedoch für den Zeitraum 1. August 2014 bis 15. September 2013 kein einziger lebensbedrohlicher Zustand dokumentiert. Vereinzeltes
Husten und Würgen oder noch seltener Erbrechen habe ausweislich der Dokumentation kein einziges Mal einer lebensrettenden
Maßnahme bedurft. Von einem täglichen lebensbedrohlichen Zustand könne nicht ansatzweise die Rede sein. Auch erfordere die
Reaktion der zu pflegenden Person auf ein Erbrechen der Beschwerdeführerin kein besonderes Fachwissen. Vielmehr seien in diesem
Fall Maßnahmen zu ergreifen, zu denen praktisch jeder mit gesundem Menschenverstand ausgestattete Erwachsene ohne nähere Fachkenntnis
in der Lage sei. Die Reflexe der Beschwerdeführerin seien darüber hinaus intakt: Sie sei offensichtlich in der Lage, Aspiriertes
auszuhusten oder auszuwürgen, wie in der Pflegedokumentation mehrfach festgehalten.
Gegen den ihr am 16. Oktober 2014 zugestellten Beschluss ist für die Beschwerdeführerin am 20. Oktober 2014 Beschwerde eingelegt
und hierbei Bezug auf den Antrag auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege ab 3. September 2014 genommen worden. Das SG habe lediglich die Pflegedokumentation ausgewertet und die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte nicht berücksichtigt. Diese
hätten durchweg die spezielle Krankenbeobachtung befürwortet und bestätigt, dass sich an dem Krankheitsbild nichts geändert
habe. Nach wie vor bestehe täglich die Gefahr der Aspiration. Ein deutlich erhöhtes Risiko, in eine lebensbedrohliche Situation
zu geraten, bestehe zudem wegen der Ernährung über die nasogastrale Sonde bei zerebralen Schädigungen. Hinzu komme, dass die
Kindsmutter unter psychischen Problemen leide und ihr die Dauerbeobachtung rund um die Uhr ohnehin nicht zumutbar sei.
Der Senat hat ärztliche Stellungnahmen angefordert. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dipl.-Med P hat mit ärztlichem
Attest vom 28. Oktober 2014 ausgeführt, zur Zeit sei die spezielle Krankenbeobachtung und Krankenbetreuung im Rahmen der häuslichen
Krankenpflege über den Pflegedienst weiter zu empfehlen. Die Problematik der Nahrungsaufnahme mit Schluckstörung sei noch
vorhanden. Damit verbunden bestehe ein regelmäßiges Würgen und Erbrechen. Das Erbrechen könne ohne Vorboten oder gleich nach
dem Würgen auftreten. Wenn die Beschwerdeführerin nachts unbeobachtet gelassen werde, bestehe die Gefahr der Aspiration. Dabei
sei die Gefahr der Erstickung und damit einer lebensbedrohlichen Situation immer gegeben. Schnelle Handgriffe wie Bauchlage,
Kopf schräg nach unten halten, seien notwendig. Eine 24-Stunden-Dauerbeobachtung durch eine einzelne Person (Kindesmutter)
sei nicht realistisch. Eine nächtliche Krankenbetreuung sei aus medizinischer Sicht wichtig. In der gutachtlichen Stellungnahme
der Ärzte des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation e.V. Dres. J, R und P vom 30. Oktober 2014 wird ausgeführt,
die Gefahr des Erbrechens bestehe bei der Beschwerdeführerin jederzeit. Hierfür seien im Normalfall Interventionen durch die
Mutter wie Umlagern und Freimachen der Atemwege durchaus möglich. Das Kind habe ein deutlich erhöhtes Risiko, in eine lebensbedrohliche
Situation zu geraten. Hierfür seien die nasogastrale Sonde und die zerebrale Schädigung beim Kind ursächlich. Eine lebensbedrohliche
Situation stelle beispielsweise eine Aspiration dar. Hier bestehe das Risiko der Verlegung der Atemwege mit einer nachfolgenden
Hypoxie mit Intubations- und Beatmungspflicht und im Weiteren dann einer weiteren zerebralen Schädigung. Dieses Risiko bestehe
für 24 Stunden am Tag. Insgesamt bleibe fraglich, inwiefern die Mutter bzw. die Großmutter auf diese komplizierte Situation
vorbereitet werden könnten.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 15. Oktober 2014 aufzuheben und
die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, der Beschwerdeführerin ab 3. September 2014 bis zum 10. Februar 2015 häusliche Krankenpflege
durch eine medizinische Fachkraft in einem Umfang von zehn Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche zu bewilligen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach sind die im Beschwerdeverfahren beigebrachten Unterlagen nicht geeignet, den Anspruch auf die beantragte
und in Streit stehende Leistung spezielle Krankenbeobachtung zu begründen. Sie hat noch ein Gutachten des MDK vom 15. Oktober
2014, das im noch laufenden Widerspruchsverfahren eingeholt worden ist, und ein weiteres Gutachten vom 11. November 2014 übersandt.
In diesen Gutachten hat die Gutachterin Dipl.-Med. N die Frage, ob die beantragte spezielle Krankenbeobachtung medizinisch
notwendig sei, dahin beantwortet, dass sich aus den übersandten Unterlagen ergebe, dass das Kind täglich zwei- bis dreimal
erbreche, vermehrt spucke. Es müsse dann zur Seite gelegt oder hochgenommen werden Die Nasensonde sei nach Erbrechen immer
neu zu legen. Es bestehe eine ausgeprägte Trinkschwäche. Die Flaschennahrung werde zunächst oral verabreicht, bei Trinkschwierigkeiten
sei die Nahrungsabgabe weiter über Sonde notwendig. Das Kind würge öfters, die Nahrungsaufnahme müsse deshalb unterbrochen
werden. Erbrechen trete nur selten auf. Es sei nicht dokumentiert, dass das Kind zu unregelmäßigen Zeiten im Tagesverlauf
abgesaugt werden müsse. Außerdem erfolge keine maschinelle Beatmung und es bestünden keine epileptischen Anfälle. Insgesamt
bestehe beim Kind ein erhöhter allgemeiner Krankenbeobachtungsbedarf und ein erhöhter Pflegebedarf in der Grundpflege. Die
Voraussetzungen der speziellen Krankenbeobachtung seien nicht erfüllt. Eine tägliche vitale Bedrohung gehe aus den Unterlagen
nicht hervor. Es träten nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit lebensbedrohliche Situationen täglich auf, die einer sofortigen
pflegerischen/ärztlichen Intervention bedürften. Das Hochnehmen des Kindes, das Beobachten bei der Nahrungsaufnahme, der Kleidungswechsel,
die Nahrungsgaben, Windelwechsel, der angegebene Hilfebedarf während der Nacht seien Maßnahmen der allgemeinen Grundpflege
und allgemeinen Krankenbeobachtung. Hierfür seien nicht speziell ausgebildete Fachkräfte erforderlich, sondern die Maßnahmen
könnten von den Eltern oder Laienhelfern durchgeführt werden. Unstrittig sei, dass das Kind einen hohen pflegerischen Bedarf
habe. Die Notwendigkeit der allgemeinen Krankenbeobachtung bestehe über 24 Stunden am Tag. Dies könnten die Eltern nicht leisten.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beschwerdegegnerin sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist bezüglich der Zeit vom 13. November 2014 bis 10. Februar 2015 begründet. Sie ist unbegründet,
soweit sie die Zeit vom 3. September 2014 bis 12. November 2015 betrifft.
Nach §
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache - sofern es sich, wie hier, bei dieser nicht um eine Anfechtungssache im Sinne des §
86b Abs.
1 SGG handelt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass
durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint (sog. Regelungsanordnung). In beiden Fällen ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung das Vorliegen
eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Dabei bezieht sich der Anordnungsanspruch auf den im Hauptsacheverfahren
streitigen Anspruch und damit auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Dringlichkeit
oder Eilbedürftigkeit und stellt damit den Grund für den einstweiligen Rechtsschutz dar. Als Anordnungsgrund verlangt das
Gesetz für die Sicherungsanordnung eine Gefahr für die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers (§
86b Abs.
2 Satz 1
SGG) und für die Regelungsanordnung die Abwendung wesentlicher Nachteile (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG). Es muss ein gewichtiges Interesse des Antragstellers vorliegen, aufgrund dessen es ihm nicht zumutbar ist, die Entscheidung
in der Hauptsache abzuwarten. Die Tatsachen, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründen sollen, sind darzulegen
und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen
für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren dabei mit dem Gewicht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile.
Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen,
die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage im Rahmen der Prüfung des
Anordnungsanspruches nicht nur summarisch geprüft werden, sondern muss vollumfänglich erfolgen. Ist dem Gericht eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei
sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend
und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris Rn. 26 und vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - juris Rn. 16, jeweils m.w.N.; Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 KR 473/12 B ER - juris Rn. 10). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht
vorwegnehmen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
86b Rn. 31).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist der Beschluss des SG nur im Hinblick auf die Zeit vom 3. September 2014 bis 12. November 2014 im Ergebnis zu Recht ergangen. Für diese Zeit bedarf
es schon wegen Zeitablaufs keiner vorläufigen Regelung mehr, so dass es an dem für einen Anordnungsgrund erforderlichen eiligen
Regelungsbedürfnis, das regelmäßig nur für die Zukunft besteht, fehlt. Denn in einem Verfahren, welches auf den Erlass einer
einstweiligen Anordnung gerichtet ist, beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nach demjenigen Zeitpunkt, in
dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet. Dies bedeutet aber, dass die Bejahung eines Anordnungsgrundes grundsätzlich
ausscheidet, soweit Leistungen für die Vergangenheit begehrt werden (z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. November
2011 - L 9 KR 284/11 B ER - juris Rn. 2). Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art.
19 Abs.
4 GG kann zwar in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume gebieten,
wenn andernfalls bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen
würden, die sich durch eine stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen
ließen. Derartige Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere würden gegenüber dritten Personen eingegangene
Verbindlichkeiten nicht ausreichen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Januar 2008 - L 9 B 600/07 KR ER - juris Rn. 25). Nichts anderes kann für die etwaige Inanspruchnahme durch einen Leistungserbringer gelten. Stattgebende
Entscheidungen im vorläufigen sozialgerichtlichen Rechtsschutzverfahren sind demnach grundsätzlich erst vom Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung an möglich, weil nur solche Gefahren für Rechte und Ansprüche des Betroffenen noch gegenwärtig
und damit durch den gerichtlichen Eilrechtsschutz abwendbar sind, die zu diesem und nach diesem Zeitpunkt noch bestehen. Für
den Sachleistungsanspruch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich dies auch daraus, dass der Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung die materiell-rechtliche Grenze zwischen Sachleistungsanspruch (nur für Zeiträume ab der gerichtlichen
Entscheidung möglich) und Kostenerstattungsanspruch (vergangene Zeiträume) bildet (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.
Januar 2011 - L 9 KR 283/10 B ER - juris Rn. 6).
Bezüglich der Zeit vom 13. November 2014 bis 10. Februar 2015 ist der Beschluss des SG zu Unrecht ergangen. Denn insoweit sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt. Die vorzunehmende
Folgenabwägung fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen.
Nach §
37 Abs.
2 Satz 1 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege,
wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche
Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei
häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 13 Abs. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI]). Zur Behandlungssicherungspflege
gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des
Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden
zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer
Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Die Hilfeleistungen umfassen Maßnahmen verschiedenster Art, insbesondere
Kriseninterventionen. Auch die Beobachtung eines Versicherten durch eine medizinische Fachkraft wird grundsätzlich von dem
Anspruch auf Behandlungssicherungspflege erfasst, wenn die medizinische Fachkraft wegen der Gefahr von ggf. lebensgefährdenden
Komplikationen jederzeit einsatzbereit sein muss (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 10. November 2005 - B 3 KR 38/04 R - juris Rn. 14 ff.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. September 2012 - L 11 KR 179/12 B ER - juris Rn. 16). Ob die Voraussetzungen der Nr. 24 der Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie in der Fassung
vom 21.10.2010 (Bundesanzeiger 2011 S. 140 - HKP-Richtlinie) vorliegen, kann jedenfalls dann dahinstehen, wenn medizinisch
notwendige Maßnahmen im Streit stehen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach §
92 Abs.
1 SGB V um untergesetzliche Normen, die grundsätzlich auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind, sie verstoßen aber gegen
höherrangiges Recht, soweit sie einen Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen
Leistungen enthalten. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in §
27 Abs.
1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen
Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht (BSG, Urteil vom 10. November 2005, aaO., Rn. 19).
Nach den eingeholten medizinischen Stellungnahmen kann vorliegend jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin
einen Anspruch auf (mindestens) 10 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche Behandlungssicherungspflege durch eine medizinische
Fachkraft hat. Hierfür sprechen insbesondere die Einschätzungen von Dipl.-Med. P vom 28. Oktober 2014 und der Dres. J, R und
P vom 30. Oktober 2014, nach deren Stellungnahmen die Gefahr einer lebensbedrohlichen Situation, insbesondere einer Aspiration
und damit des Erstickens ständig gegeben und fraglich ist, ob die Pflegepersonen der Beschwerdeführerin (Mutter bzw. Großmutter)
zum Ergreifen der im Falle einer Aspiration erforderlichen Maßnahmen in der Lage sind. Die Stellungnahmen bzw. Gutachten des
MDK vom 27. August 2014 und 15. Oktober 2014 können demgegenüber nicht überzeugen, da sie die - insoweit nicht verbindliche,
s.o. - HKP-Richtlinie ihrer Prüfung zugrunde legen und ihre Argumentation an die Voraussetzungen von Nr. 24 des Leistungsverzeichnisses
(spezielle Krankenbeobachtung) geknüpft haben und weil die HKP-Richtlinie keinen abschließenden Leistungskatalog über die
zu erbringenden Leistungen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege darstellt (s.o.; ferner hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 17. März 2005 - B 3 KR 35/04 R - juris Rn. 23). Dies folgt aus §
92 Abs.
7 Satz 1
SGB V, wonach in den Richtlinien nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
6 SGB V u.a. "insbesondere" die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzungen zu regeln sind. Der Auftrag
an den Gemeinsamen Bundesausschuss beschränkt sich damit auf die Konkretisierung und Interpretation des Wirtschaftlichkeitsgebots
für die Regelfälle der häuslichen Krankenpflege, schließt aber ein Abweichen davon im Einzelfall nicht aus.
Obwohl zur Versorgung der Beschwerdeführerin allein wegen des (täglich mehrfach) auftretenden Würgens und Erbrechens auch
nach Ansicht des Senates keine medizinische Fachkraft erforderlich sein dürfte, ist angesichts der Stellungnahmen der die
Beschwerdeführerin behandelnden Ärzte offen, ob eine medizinisch versierte ständige Überwachung der Beschwerdeführerin erforderlich
ist. Nach den Angaben der Ärzte kann eine Aspiration jederzeit eintreten und es ist fraglich, ob die die Beschwerdeführerin
derzeit betreuenden Personen bzw. sonstige medizinische Laien in einer solchen Situation zur Ergreifung der erforderlichen
lebenserhaltenden Maßnahmen in der Lage sind.
Auch dass seit 27. Januar 2014 keine (tägliche) Intervention in einer lebensbedrohlichen Situation erforderlich war, kann
in Anbetracht des Umstandes, dass es um das Leben der Beschwerdeführerin geht, jedenfalls im Verfahren auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Es kann insbesondere nicht darauf ankommen, wie oft tatsächlich eine
Intervention erforderlich wird, wenn die Gefahr einer lebensbedrohlichen Situation ständig gegeben ist. Da hiernach ein Abweichen
(im Einzelfall) von dem genannten Leistungsverzeichnis in Betracht kommt, können auch dem Hauptsacheverfahren nicht jegliche
Erfolgsaussichten abgesprochen werden.
Weitere Ermittlungen waren im vorliegenden Eilverfahren nicht geboten. Der Senat hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber
zu entscheiden, ob im konkreten Eilverfahren der Eilbedürftigkeit oder der Amtsermittlung Vorrang einzuräumen ist (vgl. Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, §
86b Rn. 16a). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Eilverfahren von seiner Konzeption her nicht der geeignete Ort
sein kann, umfangreichere Beweisaufnahmen durchzuführen. Denn andernfalls wäre keine schnelle Entscheidung möglich. Unter
Anlegung dieses Maßstabs fällt die Abwägung vorliegend - gerade in Anbetracht des bedrohten Rechtsguts Leben - zu Gunsten
der Eilbedürftigkeit aus.
Da dem Hauptsacheverfahren nicht jegliche Erfolgsaussichten abgesprochen werden können, ist anhand einer Folgenabwägung zu
entscheiden (s.o.). Bei dieser Abwägung sind vor allem die Folgen zu berücksichtigen, die die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes
für die Beschwerdeführerin hätte. Je schwerer die Belastungen hieraus wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass
sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig ge-macht werden können, umso weniger kann das Interesse an einer vorläufigen
Regelung zurückgestellt werden.
Angesichts der überragend hohen Bedeutung, die dem Leben als Rechtsgut in der grundgesetzlichen Ordnung zukommt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - juris Rn. 64 ff.) sind in Verfahren wie dem vorliegenden an die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hohe Anforderungen
zu stellen. Denn sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass - was auf Grundlage der vorliegenden Unterlagen nicht
ausgeschlossen werden kann - die Beschwerdeführerin tatsächlich auf eine jederzeitige Interventionsmöglichkeit einer medizinisch
versierten Person angewiesen ist, käme der Rechtsschutz durch die Hauptsache für sie, sofern zwischenzeitlich eine lebensbedrohliche
Situation insbesondere während der Nachtzeiten auftreten sollte, möglicherweise zu spät. Dagegen führt das Unterliegen der
Beschwerdegegnerin allenfalls zu wirtschaftlichen Auswirkungen.
Die Folgenabwägung führt daher zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdegegnerin verpflichtet ist, der Beschwerdeführerin wie beantragt
vorläufig Leistungen der Behandlungspflege durch eine medizinische Fachkraft in Form der Krankenbeobachtung im Umfang von
10 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche bis zum 10. Februar 2015 zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde zum BSG anfechtbar (§
177 SGG).