Saisonkurzarbeitergeld
Zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit und der Arbeitsverhinderung
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, Saisonkurzarbeitergeld im Zeitraum vom 12. Februar 2008 bis 29. Februar
2008 für den in Kur befindlichen Arbeitnehmer J D zu bewilligen.
Der Kläger beantragte am 13. März 2008 die Bewilligung von Saisonkurzarbeitergeld sowie ergänzender Leistungen für seine Arbeitnehmer.
Mit Bescheid vom 13. März 2008 bewilligte die Beklagte Saisonkurzarbeitergeld, nahm dabei aber den Arbeitnehmer D für den
streitgegenständlichen Zeitraum aus, da dieser sich in einer nicht aus der Arbeitsunfähigkeit heraus angetretenen Kur befunden
habe.
Den dagegen geführten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2008 zurück. Gemäß §
169 des
Sozialgerichtsgesetzes Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) hätten Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliege, die
betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt seien und der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden
sei. Arbeitnehmer in Betrieben nach §
175 Abs.
1 Nr.
1 SGB III hätten in der Schlechtwetterzeit Anspruch auf Kurzarbeitergeld in Form des Saisonkurzarbeitergeldes. Nach §
172 Abs. la
SGB III seien die persönlichen Voraussetzungen auch erfüllt, wenn der Arbeitnehmer während des Bezugs von Kurzarbeitergeld arbeitsunfähig
werde, solange Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle bestehe oder ohne den Arbeitsausfall bestehen
würde. Der Arbeitnehmer D sei ab 12. Februar 2008 zur Kur gewesen. Die Teilnahme an medizinischen Vorsorge- und Reha-Maßnahmen
begründe zwar unabhängig davon, ob eine arbeitsunfähige Erkrankung vorliege, einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Sinne
des
Entgeltfortzahlungsgesetzes. Jedoch sei unabdingbare Voraussetzung für die Leistungsfortzahlung des Kurzarbeitergeldes, dass Arbeitsunfähigkeit tatsächlich
festgestellt worden sei. Werde das Kurzarbeitergeld für die Dauer einer Kur im Rahmen der Leistungsfortzahlung beantragt,
so sei die Arbeitsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachzuweisen. Die Kur des Arbeitnehmers D sei jedoch nicht aus einer
ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit heraus angetreten worden. Daher sei der Anspruch für die Dauer der Kur nicht gegeben.
Auf die Klage vom 22. August 2008 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 23. Oktober 2008 sinngemäß die Beklagte verpflichtet,
dem Kläger auch die für den Arbeitnehmer D beantragten Leistungen im Streitzeitraum zu bewilligen. Die dem Arbeitnehmer vom
Rentenversicherungsträger bewilligte Kur stehe einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gleich. Sinn und Zweck des
Saisonkurzarbeitergeldes sei es, den Arbeitgeber auch im Rahmen einer Krankheit von Leistungen freizustellen. Nach Sinn und
Zweck der gesetzlichen Regelungen des Saisonkurzarbeitergeldes sei dies bei einer genehmigten Kur nicht anders zu beurteilen.
Insbesondere werde eine Kurmaßnahme dann genehmigt, wenn die gesundheitlichen Voraussetzungen dafür vorlägen. Das bedeute,
dass eine Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit vorliegen müsse, die - wenn eine Kurmaßnahme nicht erfolge - in eine mögliche
Arbeitsunfähigkeit münden könne. Um dem vorzubeugen, werde die Kurmaßnahme bewilligt. Dies spreche dafür, die Kur einer bescheinigten
Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gleichzustellen. Wesentliches Argument sei jedoch, dass selbst das
Entgeltfortzahlungsgesetz den Arbeitgeber nicht nur im Falle ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit verpflichte, Arbeitsentgelt weiter zuzahlen,
sondern auch, wenn der Arbeitnehmer sich in Kur befinde. Daraus sei eine Gleichstellung der Arbeitsunfähigkeit mit der Kur
herzuleiten. Da somit die Kur nach Sinn und Zweck der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen sei, sei Saisonkurzarbeitergeld,
dessen Voraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben seien, für den Arbeitnehmer D zu zahlen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten vom 9. Dezember 2008 hat der Senat mit Beschluss vom 4. Dezember 2009 die
Berufung zugelassen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Arbeitsverhinderung wegen Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation
der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von §
172 Abs.
1a SGB III nicht gleichstehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber solle bei Arbeitsausfall grundsätzlich den Lohn fortzahlen. Damit entspreche es dem arbeitsrechtlichen Sicherungszweck
wie auch dem sozialrechtlichen Zweck des Kurzarbeitergeldes, das Arbeitsverhältnis zu stabilisieren und den Arbeitgeber bei
wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entlasten, wenn das Kurzarbeitergeld auch während eines Kuraufenthaltes die arbeitsrechtliche
Lohnzahlungspflicht ablöse. Der Gesetzgeber habe es wohl nur auf Grund eines Versehens unterlassen, den Anspruch auf Kurzarbeitergeld
ausdrücklich auch auf diese Fälle zu erstrecken.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die vom Senat zugelassene Berufung ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22. Juli 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das zu einem anderen Ergebnis gelangende
Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben.
Der vom Kläger als Prozessstandschafter des Arbeitnehmers geltend gemachte Anspruch auf Kurzarbeitergeld für den Zeitraum
des Kuraufenthalts vom 12. Februar 2008 bis 29. Februar 2008 besteht nicht. Bei dem Arbeitnehmer liegen in diesem Zeitabschnitt
die persönlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kurzarbeitergeld nicht vor.
Nach §
169 Satz 1
SGB III (in der hier maßgebenden, vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung) hatten Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld,
wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, 2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind,
3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und 4. der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist. Nach
§
172 Abs.
1 a SGB III (in der hier maßgebenden, vom 1. April 2006 bis 31. März 2012 geltenden Fassung) waren die persönlichen Voraussetzungen auch
erfüllt, wenn der Arbeitnehmer während des Bezuges von Kurzarbeitergeld arbeitsunfähig wurde, solange Anspruch auf Fortzahlung
des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle bestand oder ohne den Arbeitsausfall bestehen hätte. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall besteht nach §
3 Abs.
1 Satz 1 des
Gesetzes über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (
Entgeltfortzahlungsgesetz - EntgFG) für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit
infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
Der Arbeitnehmer D wurde nicht während des Bezuges von Kurzarbeitergeld arbeitsunfähig. Es fehlt bei ihm an der von einem
Arzt getroffenen tatsächlichen Feststellung, dass er aufgrund einer Krankheit seiner Arbeitsverpflichtung nicht Folge leisten
konnte. Soweit das Sozialgericht diesem Mangel deshalb keine Bedeutung zumisst, weil es von einer "Gleichstellung" der Arbeitsunfähigkeit
und der Kur ausgeht, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar sieht das
Entgeltfortzahlungsgesetz einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch während der Durchführung von Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation
vor. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EntgFG gilt unter anderem § 3 EntgFG entsprechend für die Arbeitsverhinderung infolge einer Maßnahme
der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation, die ein Träger der gesetzlichen Renten-, Kranken- oder Unfallversicherung,
eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger bewilligt hat und die in einer
Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. Diese Erweiterung des Anwendungsbereiches von
§
3 EntgFG schlug aber nicht auf die Regelung des §
172 Abs. la
SGB III durch.
§
172 Abs. la
SGB III verlangte nach ihrem Wortlaut, dass der Arbeitsausfall darauf beruhte, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig wurde. § 9 EntgFG
regelt hingegen die Entgeltfortzahlung bei Bestehen einer Arbeitsverhinderung. Die Begriffe Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsverhinderung
bezeichnen unterschiedliche Lebenssachverhalte und sind nicht austauschbar. Zwar führt die infolge Krankheit eingetretene
Arbeitsunfähigkeit zu einer Arbeitsverhinderung. Eine Arbeitsverhinderung kann aber auch ohne das Vorliegen einer akuten Krankheit
eintreten. Dem Rechnung tragend hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 9 EntgFG für bestimmte Fälle, in denen die Arbeitsverhinderung
nicht auf Arbeitsunfähigkeit beruht, die entsprechende Anwendung der Vorschriften angeordnet, die die Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfalle regeln. Eine vergleichbare Ausweitung des Anwendungsbereiches hat der Gesetzgeber hingegen bei der Regelung
der persönlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld in §
172 SGB III nicht vorgenommen. Absatz la wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in §
172 SGB III eingefügt (vgl. Artikel 1 Nr. 53 des Gesetzes vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3443). Die Regelung des § 9 EntgFG existierte zu diesem Zeitpunkt bereits. Hätte es bei Einfügung von Absatz. 1a in §
172 SGB III der Intention des Gesetzgebers entsprochen, das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen auch für den Fall anzuordnen,
dass der Arbeitnehmer aufgrund der Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation an der Arbeitsleistung
verhindert ist, so hätte er dies, da er ohnehin den "Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle" als
Voraussetzung konstituierte und damit auf die Regelungen des
Entgeltfortzahlungsgesetzes Bezug nahm, durch eine andere Wortwahl zum Ausdruck gebracht.
Dass der Gesetzgeber, wie der Kläger meint, es lediglich aufgrund eines Versehens unterlassen habe, den Anspruch auf Kurzarbeitergeld
auch auf die Fälle der Teilnahme an Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation zu erstrecken, kann vor dem aufgezeigten
Hintergrund ausgeschlossen werden. Das
Entgeltfortzahlungsgesetz regelt mit gerade einmal 13 Paragraphen einige wenige Entgeltfortzahlungstatbestände. Hat sich der Gesetzgeber mit einem
dieser Tatbestände bei der Schaffung der Regelung des §
172 Abs.
1a SGB III auseinandergesetzt, spricht eine lediglich marginale Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihm dieses Vorschrift, die diesen Tatbestand
durch Anordnung einer analogen Anwendung auf andere Lebenssachverhalte erweiterte, verborgen geblieben sein könnte.
Auch sprechen die Gesetzesmaterialien gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen. Die Regelung in §
172 Abs.
1a SGB III wurde mit Artikel 1 Nr. 53 des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I. 3443)
eingeführt. Mit der neuen Reglung beabsichtigte der Gesetzgeber, entsprechend der bisherigen Praxis die Risikoverteilung zwischen
der Bundesanstalt und den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung zu regeln und damit Rechtssicherheit zu schaffen (vgl.
BT-Drs. 14/6944 S. 37). Der Gesetzgeber hatte somit das Verhältnis zwischen zwei Sozialleistungsträgern im Blick und nicht
das Verhältnis von Kurzarbeitergeld einerseits und Entgeltfortzahlungsrecht andererseits.
Der Senat würde allerdings selbst für den Fall, dass ein versehentliches gesetzgeberisches Unterlassen nicht auszuschließen
wäre, nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis gelangen. Hätte der Gesetzgeber bei der Abfassung des Gesetzes Sachverhalte
wie den vorliegend zu beurteilenden "übersehen" und deshalb dazu keine Regelung getroffen, so bliebe es beim Fehlen einer
Einbeziehung der Fälle einer Arbeitsverhinderung im Sinne von § 9 EntgFG. Die persönlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf
Kurzarbeitergeld wären weiterhin nicht erfüllt. Verfassungsrechtliche Gründe, die eine erweiternde Auslegung der Regelung
in §
172 Abs.
1a SGB III gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
III. Der Senat hat die Revision zugelassen (vgl. §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG), weil die hier streitentscheidende Frage, ob entgegen des Wortlautes von §
172 Abs.
1a SGB III auch bei Eintritt einer Arbeitsverhinderung die persönlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld vorliegen,
soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung ist. Die bis zum 31. März 2012 geltenden
Regelungen in §
172 Abs.
1 und
1a SGB III finden sich ab 1. April 2012 in einer nur sprachlich erweiterten Fassung in §
98 Abs.
1 und
2 SGB III.