Rentenversicherung
Anerkennung von Zeiten der Inhaftierung in der DDR als Pflichtbeitragszeiten
Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten
Beschränkung von Rentenanwartschaften
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Kläger in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 9. Februar 1980 bis
16. September 1983, vom 17. April bis 6. Mai 1984 und vom 16. Mai 1988 bis 14. Januar 1989 verbüßte Haftzeiten im angegriffenen
Vormerkungsbescheid als Pflichtbeitragszeiten nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) festzustellen sind.
Mit Vormerkungsbescheid vom 24. September 2013 stellte die Beklagte die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten,
die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, hier bis zum 31. Dezember 2006, verbindlich fest. Darin stellte sie die Zeiträume
17. September 1983 bis 16. April 1984 und 15. Januar bis 21. Dezember 1989, die nach dem
Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (
BerRehaG) als politische Haft anerkannt worden sind, als Pflichtbeitragszeiten fest. Weitere Zeiten des Klägers im Strafvollzug der
DDR berücksichtigte sie nicht. Hiergegen erhob der Kläger am 30. September 2013 Widerspruch. Im Strafvollzug der DDR habe
es eine Arbeitspflicht gegeben. Er habe während seiner Haftzeiten vom 9. Februar 1980 bis 16. September 1983, 17. April bis
6. Mai 1984 und 16. Mai 1988 bis 14. Januar 1989 versicherungspflichtig gearbeitet. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember
2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach dem Recht der DDR seien für Zeiten des Arbeitseinsatzes während des Strafvollzuges
grundsätzlich keine Beiträge zu zahlen gewesen. Daran habe auch das
Strafvollzugsgesetz der DDR (
StVG-DDR), wonach diese Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt waren, nichts geändert. Denn im Rahmen
des §
248 Abs.
3 SGB VI könnten nur Zeiten angerechnet werden, für die tatsächlich Beiträge gezahlt wurden. Die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen
sei jedoch lediglich im Zeitraum 8. April 1952 bis 30. Juni 1954 in Betracht gekommen. Mit seiner hiergegen am 14. Februar
2014 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat die
Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2014 abgewiesen. Bei den Haftzeiten handele es sich nicht um gleichgestellte Beitragszeiten
im Sinne von §
55 Abs.
1 in Verbindung mit §
248 Abs.
3 Satz 1
SGB VI. Versicherungspflicht für beschäftigte Strafgefangene habe nur bis zum 30. Juni 1954 bestanden. Nach dem im April 1977 in
Kraft getretenen
StVG-DDR sei die Dauer eines Arbeitseinsatzes im Strafvollzug der Zeit einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt.
Beiträge seien jedoch nicht gezahlt worden. Die monatlich zu entrichtenden Rentenanwartschaftsgebühren von 1 Deutsche Mark
(der DDR) seien keine Beiträge im Sinne von §
249 Abs.
3 Satz 1
SGB VI. Hierfür mangele es an einem (versicherungspflichtigen) Arbeitsverhältnis, das einen freiwillig geschlossenen Arbeitsvertrag
voraussetze. Nach dem Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz vom 12. Januar 1968 sei der Arbeitseinsatz auf Grundlage
von Vereinbarungen zwischen der Strafvollzugseinrichtung und den Betrieb erfolgt.
Gegen den am 15. August 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15. September 2015 Berufung eingelegt. Durch
den erfolgten Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik sei er in seinem Besitzstand enteignet und die Beurteilung der
rentenrechtlichen Anerkennung seiner Haftzeiten am Maßstab von §
248 Abs.
3 Satz 1
SGB VI sei ein Verstoß gegen Art. 9 Einigungsvertrag, wonach das DDR-Recht weiter zu gelten habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. August 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides
vom 24. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2013 zu verurteilen, die Zeiträume 9. Februar
1980 bis 16. September 1983, 17. April bis 6. Mai 1984 und 16. Mai 1988 bis 14. Januar 1989 als Pflichtbeitragszeiten festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Das Gericht hat den Beteiligten die Verordnung über die Beschäftigung von Strafgefangenen vom 3. April 1952, die Verordnung
über den Arbeitseinsatz von Strafgefangenen vom 10. Juni 1954, das Gesetz über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug
und über die Weidereingliederung Strafentlassener in das gesellschaftliche Leben (Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz
- SVWG) vom 12. Januar 1968 sowie das Gesetz über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug (
Strafvollzugsgesetz -
StVG) vom 7. April 1977 übersandt.
Dem Gericht lagen die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte beider Rechtszüge vor, worauf zur Ergänzung des
Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2014 zu Recht abgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 24. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2013 ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Gerichtsbescheides vom 8. August 2014
verwiesen, §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
Nach §
248 Abs.
3 Satz 1
SGB VI stehen den Pflichtbeitragszeiten im Sinne von §
55 Abs.
1 SGB VI die nach dem 8. Mai 1945 zurückgelegten Zeiten gleich, für die Beiträge nach einem System der gesetzlichen Rentenversicherung
nach vor dem Inkrafttreten von Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften gezahlt worden sind. Als Beitragszeiten können aber
bereits nach dem klaren Wortlaut der Norm nur Zeiten berücksichtigt werden, für die Beiträge nach DDR-Recht tatsächlich gezahlt
wurden (Gürtner in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht §
248 SGB VI Rn. 19 Stand August 2012).
Während des Strafvollzugs in DDR hat der Kläger, auch bei Heranziehung zu Arbeitseinsätzen, entgegen seiner Behauptung jedoch
keine (Pflicht-)Beiträge zur Sozialversicherung der DDR entrichtet. Zwar galten nach der Verordnung über die Beschäftigung
von Strafgefangenen vom 3. April 1952 (GBl. DDR I S. 275) für die Entrichtung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge
die allgemeinen Bestimmungen (§ 4 Abs. 2 der Verordnung), sodass davon auszugehen ist, dass für Arbeitseinsätze während des
Strafvollzuges unter dem Geltungsbereich dieser Verordnung Pflichtversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Diese Verordnung
trat jedoch am 1. Juli 1954 nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über den Arbeitseinsatz von Strafgefangenen vom 10. Juni 1954 (GBl.
DDR I S. 567) außer Kraft und wurde auch nicht durch eine andere Regelung vergleichbaren Inhalts ersetzt. Vielmehr galten
ab dem 5. Mai 1977 und damit vor den vom Kläger geltend gemachten Haftzeiten die Regelungen des Gesetzes über den Vollzug
der Strafen mit Freiheitsentzug (
Strafvollzugsgesetz -
StVG) vom 7. April 1977 (GBl. DDR I S. 109). Nach §
6 Abs.
3 StVG-DDR wurde die Dauer des Arbeitseinsatzes nach der Entlassung aus dem Strafvollzug der Zeit einer versicherungspflichtigen
Tätigkeit (lediglich) gleichgestellt. Eine Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten nach dem Recht der DDR ist jedoch nicht
ausreichend für eine Gleichstellung gemäß §
248 Abs.
3 Satz 1
SGB VI, der die tatsächliche Zahlung von Beiträgen voraussetzt (vgl. auch Gürtner a.a.O. Rn. 34 Stand August 2012).
Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, bestand nach den Vorschriften der DDR kein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis
zwischen dem Strafgefangenen und seiner Beschäftigungsstelle im Sinne von § 14 der Verordnung zur Sozialversicherungspflicht der Arbeiter und Angestellten (SVO) vom 17. November 1977 (GBl. DDR I S 373), weshalb die von ihm ggf. entrichteten Anwartschaftsgebühren keine Beiträge im
Sinne des §
248 Abs.
3 Satz 1
SGB VI sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. September 2009 - L 4 R 1577/06 -, juris Rn. 23; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. Februar 2002 - L 3 RJ 104/01; LSG Thüringen, Urteil vom 15. März 2000, L 6 RJ 126/98). Dies ergibt sich für den Kläger jedoch nicht mehr aus dem vom Sozialgericht in Bezug genommenen Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz
vom 12. Januar 1968, nach dessen § 28 Abs. 2 der Arbeitseinsatz der Strafgefangenen auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen
den Strafvollzugseinrichtungen und den Betrieben erfolgte. Denn dieses Gesetz trat am 5. Mai 1977 mit Inkrafttreten des
StVG-DDR außer Kraft, § 68 Abs. 2 Nr. 1
StVG-DDR. §
21 Abs.
2 Satz 3
StVG-DDR bestimmte hierzu jedoch ab Mai 1977 ausdrücklich, dass der Arbeitseinsatz für Strafgefangene kein Arbeitsrechtsverhältnis
begründet.
Zudem waren während der Haftzeit in der DDR entrichtete anwartschaftserhaltende Zahlungen auch nach der Rechtsprechung des
BSG weder Beiträge noch Beitragszeiten begründende Zahlungen. Das BSG führt hierzu aus, solche Anwartschaftsgebühren dienten lediglich der Erhaltung der Anwartschaft und begründeten keine weiteren
darüber hinausgehenden Rechte an die Versicherung (BSG, Urteil vom 24. Juli 1980 - 5 RJ 50/79 -, juris Rn. 26).
Auch Art. 2 § 19 Abs. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung
(Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) vermittelt dem Kläger keinen Anspruch. Danach gelten als Zeiten einer versicherungspflichtigen
Tätigkeit auch Zeiten, in denen Versicherte weder pflichtversichert noch beitragspflichtig waren und während des Strafvollzugs
zur Arbeit eingesetzt worden sind. Damit wird die Regelung des §
6 Abs.
3 StVG-DDR für einen Übergangszeitraum in das Recht der Bundesrepublik übernommen. Jedoch fällt der Kläger nicht unter deren Geltungsbereich.
Denn nach Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG haben Anspruch auf Rente nach den Vorschriften dieses Artikels (nur) Personen, deren
Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 beginnt. Dies trifft auf den Kläger nicht zu.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Regelungen des
StVG-DDR kein geltendes (Bundes-)Recht. Gemäß Art. 8 EV trat mit dem Wirksamwerden des Beitritts im sog. Beitrittsgebiet Bundesrecht in Kraft, soweit es nicht in seinem Geltungsbereich
auf bestimmte Länder oder Landesteile der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist und soweit durch diesen Vertrag, insbesondere
dessen Anlage 1, nichts anderes bestimmt wird. Die entsprechenden Regelungen gelten auch nicht als Recht der DDR nach Maßgabe
von Art. 9 Abs. 2 und 4 in Verbindung mit Anlage 2 EV fort. Zwar bestimmt Anlage 2 Kapitel VIII Sachgebiet F (Sozialversicherung)
Abschnitt III Nr. 6 Buchstabe a) EV, dass die Rentenverordnung vom 23. November 1979, zuletzt geändert durch Verordnung über
die Änderung oder Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 28. Juni 1990 (GBl. DDR Teil I Nr. 38 S. 509), einschließlich der dazu
abgeschlossenen Vereinbarungen zur Rentenversorgung zwischen dem Ministerium für Arbeit und Soziales und der Kirchen sowie
der Ersten Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung vom 23. November 1979 (GBl. DDR Teil I Nr. 43 S. 413; Ber. GBl. DDR
Teil I 1980 Nr. 10 S. 88), zuletzt geändert durch die Verordnung über die Änderung oder Aufhebung von Rechtsvorschriften vom
28. Juni 1990 (GBl. DDR Teil I Nr. 38 S. 509), bis zum 31. Dezember 1991 nach Maßgabe der in Anlage 2 Kapitel VIII Sachgebiet
F (Sozialversicherung) Abschnitt III Nr. 6 Buchstabe b) EV enthaltenen Einschränkungen in Kraft bleibt. Anspruch auf Altersrente
steht dem Kläger jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt zu, weshalb die Übergangsvorschrift nicht auf ihn Anwendung findet.
Mit Wirkung zum 1. Januar 1992 wurden die bisherigen Rechte auf eine Altersrente und eine Zusatzaltersrente nach dem Rentenrecht
des Beitrittsgebiets vielmehr kraft Gesetzes durch ein Recht auf eine Regelaltersrente nach dem
SGB VI ersetzt. Denn mit Ablauf des 31. Dezember 1991 sind die bis dahin nur nach Maßgabe des Einigungsvertrages als sekundäres Bundesrecht noch weiter anzuwendenden rentenrechtlichen Vorschriften der DDR (Art 9 Abs. 2 und 4 EV in Verbindung mit Anlage 2 Kap VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 6 bis 8) außer Kraft getreten und gemäß
Art 8 EV durch die Überleitung der Vorschriften des
SGB VI auf das Beitrittsgebiet ersetzt worden. Die Fortschreibung des "Rentenrechts der DDR" in Art. 2 RÜG bis zum 31. Dezember
1996 betrifft nur rentennahe Zugangsrentner (vgl. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG), nicht aber solche, deren Rente, wie die des
Klägers, erst nach dem 31. Dezember 1996 beginnt.
Entgegen der Auffassung des Klägers steht diese Art der Rentenüberleitung mit der Verfassung in Einklang. Dies ergibt sich
insbesondere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung
(BVerfG, Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 -, BVerfGE 100, 1-59, Rn. 117 ff.) ausgeführt, dass der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz den Rentenansprüchen und -anwartschaften nur
in der Form zukommt, die sie aufgrund der Regelungen des Einigungsvertrages erhalten haben. Denn auch für rentenversicherungsrechtliche Rechtspositionen gilt, dass sich die konkrete Reichweite der
Eigentumsgarantie erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ergibt, die nach Art.
14 Abs.
1 Satz 2
GG Sache des Gesetzgebers ist. Ihm kommt bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen
grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Rentenansprüche und -anwartschaften weisen zwar einen hohen personalen Bezug
auf, stehen jedoch in einem ausgeprägt sozialen Bezug. Deshalb verleiht Art.
14 Abs.
1 Satz 2
GG dem Gesetzgeber die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen sowie Ansprüche
und Anwartschaften umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.
Dies hat der Gesetzgeber u.a. mit den Regelungen des
SGB VI getan, deren Vereinbarkeit mit der Verfassung das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen festgestellt hat (vgl.
u.a. Beschluss vom 11. Mai 2005 - 1 BvR 368/97 u.a. - juris sowie Nichtannahmebeschlüsse vom 21. Juli 2005 - 1 BvR 1490/99 - und vom 15. September 2006 - 1 BvR 799/98 - juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.