Verfassungsmäßigkeit der Unzulässigkeit der Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs im sozialgerichtlichen
Verfahren
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Februar 2012, welches seinen
Antrag auf Ablehnung der Richterin am Sozialgericht I. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat.
Im Hauptsacheverfahren ist zwischen den Beteiligten ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung
streitig.
Der Kläger hatte bereits in der mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2011 vor dem Sozialgericht einen Antrag auf Ablehnung der
Richterin am Sozialgericht I. wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund verweigerter Akteneinsicht gestellt, den der erkennende
Senat mit Beschluss vom 1. August 2011 (L 3 SF 56/11 AB) abgelehnt hatte.
In der weiteren mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 8. Februar 2012 hat der Kläger einen erneuten Antrag auf Ablehnung
der Richterin am Sozialgericht I. wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt. Zur Begründung hat er angegeben, die Vorsitzende
hätte ein weiteres Gutachten einholen müssen, was sie jedoch verweigert habe. Der Richter am Sozialgericht F. als Vorsitzender
der 8. Kammer des Sozialgerichts hat den Antrag mit Beschluss vom 20. Februar 2012 abgelehnt. Darin wird u.a. ausgeführt,
dass nach §
60 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung das Sozialgericht in eigener Zuständigkeit über Ablehnungsgesuche entscheide.
Ein Befangenheitsgrund sei nicht ersichtlich. In der Rechtsmittelbelehrung wird ferner mitgeteilt, dass der Beschluss mit
der Beschwerde nicht angefochten werden könne.
Der Kläger hat gegen den ihm am 22. Februar 2012 zugestellten Beschluss am 2. März 2012 sofortige Beschwerde beim Sozialgericht
eingelegt, welches die Sache am 28. März 2012 dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Februar 2012 ist unzulässig.
Sie ist nach §
172 Abs.
2 SGG nicht statthaft. Nach dieser Vorschrift in der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung (eingefügt durch Art. 1 Nr. 29 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des
Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26. März 2008, BGBl. I 2008, S. 444) können u.a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Unter den Begriff
der "Gerichtspersonen" fallen, da der Gesetzgeber die Vorschrift an §
146 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) zur Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen angelehnt wissen wollte (vgl. BT-Drs 16/7716, S. 22), Richter, ehrenamtliche
Richter und Urkundsbeamte (§
54 VwGO).
Dem steht nicht entgegen, dass in §
60 Abs.
1 SGG in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung (eingefügt durch Art. 8 Nr. 4 des Vierten Gesetzes zur Änderung des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011, BGBl. I 2011, S. 3057) eine entsprechende Anwendung der §§
41 bis
49 Zivilprozessordnung (
ZPO) geregelt ist. Nach §
46 Abs.
2 ZPO findet gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird, kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch
den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, die sofortige Beschwerde statt. Insoweit enthält die Sozialgerichtsordnung jedoch
eine gegenüber der allgemeinen Verweisung des §
60 SGG speziellere und damit durchgreifende Norm. §
172 SGG ist in dem klar zum Ausdruck kommenden Regel-Ausnahme-Verhältnis eindeutig (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss
vom 12. Juli 2004 - 3 C 04.1754 -, zu den gleichlautenden Regelungen der §§
54 Abs.
1,
146 VwGO; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Januar 2011 - L 4 KR 324/10 B -, Rn. 11, jeweils juris).
Der Umstand, dass in §
60 Abs.
1 SGG in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung eine entsprechende Anwendung des §
46 ZPO aufgenommen wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs
17/6764, S. 27) durch Bezugnahme auf §
46 ZPO den bisherigen Satz 2 des §
60 Abs.
1 SGG ("Über die Ablehnung entscheidet außer im Falle des §
171 das Landessozialgericht durch Beschluss") ersetzen. In der Gesetzesbegründung heißt es wörtlich weiter: "§
172 Absatz
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) geht als speziellere Norm dem §
46 Absatz
2 ZPO vor, so dass weiterhin Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können."
Das Gesetz vom 22. Dezember 2011 sollte zur Verfahrensbeschleunigung beitragen; der Gesetzgeber wollte keinesfalls eine zusätzliche
Entscheidung eines weiteren Gerichts vorsehen, die mit einer Verfahrensverzögerung verbunden wäre (vgl. Beschluss des LSG
Baden-Württemberg vom 2. Juli 2012 - L 13 AS 2584/12 B -; a.A. LSG Nordrhein Westfalen - Beschluss vom 29. Mai 2012 - L 11 KR 206/12 B und L 11 KR 299/12 B - jeweils juris).
Der Beschwerdeausschluss begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Weder Art.
19 Abs.
4 Satz 1 des
Grundgesetzes (
GG) noch Art.
20 Abs.
3 GG oder Art.
101 Abs.
1 Satz 2
GG fordern zwingend für jede gerichtliche Entscheidung einen Instanzenzug (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss
vom 28. September 2009 - 1 BvR 1943/09 -, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).