Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung - Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens
- ergänzende Angaben von Angehörigen - Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes für leichte Tätigkeiten
Gründe
I.
Die 1963 geborene Klägerin durchlief erfolgreich eine Berufsausbildung zum Koch (Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1981) und
war in der Folgezeit - mit einer Unterbrechung von November 1995 bis Februar 1996 wegen Arbeitslosigkeit und von März 1996
bis Januar 1998 durch eine Tätigkeit als Reinigungskraft - im erlernten Beruf versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 24.
Juni 2013 war sie aufgrund einer Brustkrebserkrankung arbeitsunfähig erkrankt und hat seitdem keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt.
Die Klägerin bezog bis zum 22. Dezember 2014 Krankengeld und in der Folgezeit bis zum 1. Februar 2015 Arbeitslosengeld. Nachdem
die Bundesagentur für Arbeit - nach Angaben der Klägerin - zunächst die Weiterzahlung von Arbeitslosengeld verweigert habe,
habe sie - die Klägerin - ein Klageverfahren beim Sozialgericht Magdeburg (S 41 AL136/15) geführt. Ausweislich des Versicherungsverlaufs
vom 9. November 2020 sind sodann Pflichtbeitragszeiten vom 29. Oktober 2018 bis zum 17. Dezember 2019 eingestellt worden.
Die Klägerin bezieht nach ihren Angaben seit Juli 2013 eine private Berufsunfähigkeitsrente.
Bei der Klägerin wurde seit dem 8. Juli 2013 - befristet - ein Grad der Behinderung von 50 - ohne Merkzeichen - anerkannt.
Am 14. August 2014 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Aufgrund der Brustkrebserkrankung
mit Chemotherapie und Bestrahlung bestünden Funktionseinschränkungen am ganzen Körper, Bewegungseinschränkungen durch Schmerzen
in den Beinen, ein Taubheitsgefühl und Kribbeln auch in den Händen, Schmerzen im Brustbereich, zeitweilige Gebrauchsunfähigkeit
des rechten Armes und Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes. Deshalb könne sie keinerlei Arbeiten mehr verrichten. Die
Beklagte zog zunächst den Rehabilitationsentlassungsbericht der Klinik K. vom 19. Mai 2014 über die vom 22. April bis zum
13. Mai 2014 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei. Danach sei ein operativ, aktinisch und zytostatisch behandeltes
Mammakarzinom rechts zu berücksichtigen. Die Klägerin sei arbeitsunfähig entlassen worden. Aus gynäkologisch-onkologischer
Sicht sei sie perspektivisch für eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit - auch als Köchin - unter der Voraussetzung
einer normal verlaufenden Rekonvaleszenz sowie Rezidivfreiheit und unter Vermeidung von schwerem Heben und Tragen, Überkopfarbeiten,
Hitze, starken Temperaturschwankungen und besonderen Belastungen des rechten Armes vollschichtig einsetzbar.
Die Beklagte holte sodann das Gutachten des A. vom 19. März 2015 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin
an diesem Tag ein. Er kam zu dem Ergebnis, dass das qualitative und quantitative Leistungsvermögen der Klägerin aktuell durch
die Folgen der Primärtherapie des Mammakarzinoms eingeschränkt sei. Im Vordergrund stünden eine leichte depressive Episode
mit eingeschränkter Krankheitsverarbeitung, Angst und Panikattacken, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen sowie eine
sensible Polyneuropathie der Hände und Füße nach Polychemotherapie mit Störung der Feinmotorik der Hände und mittelgradiger
Schultergelenksarthropathie rechts nach operativem Eingriff an der Axilla und nachfolgender adjuvanter Strahlentherapie. Durch
die genannten Störungen werde das Leistungsvermögen insgesamt mittel- bis hochgradig eingeschränkt. Auf absehbare Zeit werde
eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit von mehr als drei Stunden pro Tag weder im bisherigen Beruf als Köchin noch auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sein. Die Klägerin könne auch eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten
viermal täglich nicht zurücklegen. Die Leistungsminderung bestehe voraussichtlich bis zum 19. März 2018.
Daraufhin veranlasste die Beklagte die Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie T., der die Klägerin am 27. Mai 2015
ambulant untersuchte. Dieser stellte eine leichte beinbetonte axonale Polyneuropathie toxischer Genese, Angst und depressive
Störung gemischt, eine Pseudoneurasthenie, eine Somatisierungsstörung, Knieschmerzen links, den Zustand nach invasiv duktalem
Mammakarzinom rechts - in Remission - und Übergewicht (Größe 159 cm/101 kg) fest. Die Handfunktion sei funktionell nicht beeinträchtigt.
Einschränkungen der Stand- und Gangsicherheit seien nicht feststellbar gewesen. Es bestehe eine demonstrative Gangstörung.
Zudem ergäben sich Anhaltspunkte einer gestörten Krankheitsverarbeitung mit einem pseudoneurasthenischen Syndrom und einer
Somatisierungsstörung sowie sekundärem Krankheitsgewinn. Inwieweit die zusätzliche Belastung durch die pflegebedürftige Mutter
eine Rolle spiele, bleibe unklar. In der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit als Köchin im Schichtsystem sei die Klägerin
vorrangig aufgrund der psychischen Störungen aktuell nicht in ausreichendem zeitlichem Umfang einsetzbar. Aktuell kämen leichte
körperliche Tätigkeiten in überwiegend sitzender Arbeitshaltung und vorrangig im Rahmen der Tagesschicht mit einem zeitlichen
Umfang von ca. sechs Stunden in Betracht. Qualitative Leistungseinschränkungen seien zu berücksichtigen. Es werde eine weiterführende
begleitende Psychotherapie und antidepressive Behandlung empfohlen. Eine weitere Besserung des Leistungsvermögens sei möglich.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen
sei festgestellt worden, dass hinsichtlich der reaktiven Depression Behandlungsbedarf zu Lasten der Krankenversicherung bestehe.
Im Übrigen liege ein Leistungsvermögen für mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren
Funktionseinschränkungen vor. Damit sei der Arbeitsmarkt nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht verschlossen. Die
Vermittlung eines dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechenden Arbeitsplatzes falle in den Aufgabenbereich der Arbeitsverwaltung
(Bescheid vom 15. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015).
Mit der am 6. August 2015 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat die Klägerin die Bewilligung von Rente wegen voller,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung weiterverfolgt und sich zur Begründung insbesondere auf das
Gutachten von A. gestützt. Zudem hat sie auf die Entlassungsbriefe des Fachkrankenhauses J. vom 8. Februar und 4. April 2016
über die von ihr vom 7. Dezember 2015 bis zum 26. Januar 2016 durchgeführte stationäre und die vom 26. Januar bis zum 10.
März 2016 stattgefundene tagesklinische Behandlung verwiesen. Dort ist u.a. ausgeführt, dass die Klägerin, nachdem sie im
Juni 2013 an Brustkrebs erkrankt sei und insbesondere die Bestrahlung zunächst gut überstanden habe, seit Dezember 2014 depressiv
sei. Im November letzten Jahres sei ihre Schwester an Unterleibskrebs erkrankt, woraufhin ihre Angstzustände wieder extrem
zugenommen hätten und eine tiefe Traurigkeit eingetreten sei. Die Klägerin habe kleine Schritte der Besserung erleben können.
Die Entlassung sei jeweils arbeitsunfähig erfolgt. Die ambulante psychologische Behandlung solle fortgeführt werden. Wegen
der Einzelheiten wird auf Blatt 26 bis 29 und 43 bis 44 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von der Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie P. vom 20. April
2017, von dem Facharzt für Innere Medizin/Chirotherapie S1 - Eingang beim Sozialgericht am 26. April 2017 -, von der Fachärztin
für Neurologie und Psychiatrie F. vom 11. Mai 2017, von dem E. vom 23. Juli 2017 und von dem Facharzt für Frauenheilkunde
und Geburtshilfe R. vom 19. Februar 2018 eingeholt. Zudem sind die Epikrise der Klinik J. vom 28. November 2016 über die stationäre
Behandlung der Klägerin vom 16. bis zum 21. November 2016 anlässlich der abdominalen Hysterektomie mit Adnexektomie beidseits
und die Unterlagen der Agentur für Arbeit, insbesondere das Gutachten nach Aktenlage von der W. vom 7. Januar 2015, beigezogen
worden. P. hat als Diagnosen Anpassungsstörungen sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
mitgeteilt und in ihrem Arztbrief vom 24. August 2015 an S1 eine stationäre Schmerztherapie im Krankenhaus J. oder eine stationäre
Psychotherapie empfohlen. F. hat die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Erkrankung gestellt und in ihrem Arztbrief
an S1 vom 14. September 2016 angegeben, weitere Behandlungen und Maßnahmen seien, bevor die Rentenangelegenheit vor dem Sozialgericht
nicht entschieden sei, nicht sinnvoll. S1, R. und E. haben das Leistungsvermögen der Klägerin mit unter drei Stunden täglich
beurteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 53, 69, 70, 71 bis 79, 82, 83, 84 bis 96, 103, 108 bis 158 der Gerichtsakte
Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat sodann ein Gutachten von dem Facharzt für Neurologie/Psychiatrie, Chefarzt der neurologischen Klinik
A. vom 1. Oktober 2018 nach einer ambulanten Untersuchung an diesem Tag mit testpsychologischer Beurteilung eingeholt. Die
Klägerin habe angegeben, unter Schmerzen in der rechten operierten Brust, Druckschmerzen mit Ausstrahlung über die rechte
Schulter in den Ober- und Unterarm mit Kraftlosigkeit in der rechten Hand, Kribbeln in den Füßen und im Bereich einzelner
Zehen, ziehenden Schmerzen in Unter- und Oberschenkeln sowie nächtlichen unruhigen Beinen und Schlafstörungen zu leiden. Ihre
Stimmung sei manchmal gereizt, gedrückt und traurig. Sie fühle sich insgesamt verspannt und auch wertlos, weil sie nicht mehr
das leisten könne, was sie früher geleistet habe. Es bestünden Konzentrationsstörungen sowie Ängste vor einer neuen Krebserkrankung.
Ihre an Eierstockkrebs erkrankte Schwester sei 2017 verstorben. Auch ihre Mutter, die der Rückhalt in der Familie gewesen
sei, sei Anfang des Jahres (d.h. Anfang 2018) gestorben. Zum Tagesablauf habe sie angegeben, morgens zwischen 5:00 und 6:00
Uhr aufzustehen und „nichts“ zu machen. Sie trinke Kaffee, lese Zeitung, erledige Kleinigkeiten im Haushalt, koche zu Mittag.
Danach halte sie für ein bis zwei Stunden Mittagsschlaf. Der Ehemann kümmere sich meistens um den Garten, wasche auch die
Wäsche und müsse ihr im Haushalt hinterher räumen. Das Fahrrad benutze sie zu Fahrten zum Friedhof oder zum Arzt, sonst nicht.
Sie fahre auch selbst Auto und erledige damit auch ´mal Einkäufe. Nach der Krebserkrankung sei sie kaum aus dem Haus gegangen.
Sie gehe nur ganz selten mal spazieren. Abends schaue sie Fernsehen und gehe zwischen 1:00 und 2:00 Uhr zu Bett. Zu den Angaben
des Ehemannes ist ausgeführt, dieser habe mitgeteilt, der Klägerin gehe es manchmal im Allgemeinbefinden und der Psyche relativ
gut, manchmal habe sie Antriebsstörungen. Nach einer Zeit von Antriebsstörungen werde sie plötzlich aktiv und wolle unerledigte
Dinge nachholen. Dabei sei sie aber schnell erschöpft. Er glaube, dass sie - die Klägerin - noch mal in der Psychiatrie behandelt
werden solle, da ihr das damals sehr gutgetan habe.
Der allgemein körperliche Befund der Klägerin habe eine ausgeprägte Adipositas aufgewiesen. Hinreichende objektivierbare neurologische
Befunde beträfen eine Sensibilitätsminderung für Berührungsempfindung im Bereich von Händen und Füßen. Die übrigen Befunde
seien vorwiegend von demonstrativer oder ängstlich schmerzbegleitender Vermeidung und subjektiver Beeinträchtigung gekennzeichnet
gewesen. Im psychischen Befund ließen sich eine allgemeine Anspannung, Affektlabilität, gedrückte Stimmungslage mit Depressivität
und Ängstlichkeit, aber auch Aggravationstendenzen feststellen. Testpsychologische gebe es Hinweise auf eine Neigung zu Depressivität
und Angst, aber auch zu Erregbarkeit, allgemeiner Hemmung, emotionaler Labilität, Introversion und psychosomatischen Störungen.
Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei unter Berücksichtigung objektivierbarer Befunde und der Würdigung von Befundberichten
und Gutachten nach Aktenlage zwar in qualitativer Hinsicht eingeschränkt, aber nicht quantitativ. Folgende Gesundheitsstörungen
seien zu berücksichtigen:
Somatisierungsstörung.
Angst und depressive Störung, gemischt.
Leichte beinbetonte sensible Polyneuropathie nach Chemotherapie.
Zustand nach Mamma-Karzinom rechts 2013.
Hieraus ergäben sich Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie eine Beeinträchtigung der psychisch emotionalen
Leistungsfähigkeit. Dabei bestünden Anhaltspunkte für Aggravation. Ferner leide die Klägerin an einer seelischen Störung,
die die Fähigkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, beeinträchtige. Die bestehenden Störungen könne die Klägerin bei zumutbarer
Willensanspannung mit ärztlicher Hilfe innerhalb von sechs Monaten soweit überwinden, das leidensgerechte Leistungsfähigkeit
gegeben sei. Die Klägerin könne noch überwiegend leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen,
Stehen und Sitzen oder überwiegend im Sitzen mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- oder Hörvermögen, geistig überwiegend
einfachen bis gelegentlich mittelschweren Anforderungen und durchschnittlichen Anforderungen an mnestische Fähigkeiten sechs
Stunden und mehr täglich verrichten. Zumutbar seien Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände erforderten, allerdings
unter Verzicht auf häufige Anforderungen an feinmotorische Tätigkeiten mit den Fingern. Ausgeschlossen seien Arbeiten in Nachtschicht
und unter besonderem Zeitdruck, mit starken Temperaturschwankungen, Zugluft oder Nässe, Gerüst- und/oder Leiterarbeiten und
Arbeiten im Knien oder Hocken. Auch Arbeiten mit nur gelegentlich einseitigen körperlichen Belastungen, im Freien unter Witterungsschutz
und in geschlossenen Räumen sowie in Wechselschicht und mit häufigem Publikumsverkehr seien möglich. Die Gehfähigkeit der
Klägerin sei nicht wesentlich beeinträchtigt. Sie könne öffentliche Verkehrsmittel und ein Kraftfahrzeug benutzen. Es bestehe
die begründete Aussicht, dass die festgestellte Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch ergänzende medizinische sowie psychosomatisch
und physiotherapeutisch ausgerichtete Maßnahmen gebessert werden könne. Im Vergleich zur Beurteilung im nervenärztlichen Gutachten
von T. seien keine wesentlichen Änderungen feststellbar. Keine Übereinstimmung bestehe mit den Beurteilungen von E. und R..
Auf Antrag der Klägerin ist nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sodann das psychiatrische Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S2 vom 4. November 2019 auf der Grundlage
einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 30. September 2019 eingeholt worden. Die Klägerin habe sich während der von
9:30 bis 11:15 Uhr stattfindenden Begutachtung ausreichend gut konzentrieren können. Eine Pause zur Erholung sei nicht erforderlich
gewesen. Gedächtnisstörungen seien nicht feststellbar gewesen. In der Untersuchung hätten eine jeweils schwere Deprimiertheit,
Hoffnungslosigkeit, Ängstlichkeit sowie Insuffizienzgefühle und mittelschwere bis schwere Schuldgefühle festgestellt werden
können. Eine testdiagnostische Untersuchung habe die gerichtliche Sachverständige nicht durchgeführt, da bei einer solchen
Untersuchung die Ergebnisse meistens falsch positiv ausfielen. Der sicherlich hohen Reliabilität solcher Verfahren stehe eine
schwache Validität in Bezug auf das Ziel der Untersuchung, d.h. Beurteilung der „Erwerbsunfähigkeit“ und des „Rentenanspruchs
aus gesundheitlichen Gründen“, gegenüber. Vor der eigentlichen Exploration sei der Klägerin ein kurzer Fragebogen zum Beschwerdebild
und zu biografischen Eckdaten zum Ausfüllen gegeben worden. Hierfür habe sich die Klägerin unangemessen viel Zeit genommen.
Das Arbeitstempo bei dieser Einzelaufgabe - ohne Aufsicht - habe nicht dem Arbeitstempo der psychischen Flexibilität in der
eigentlichen psychiatrischen Exploration entsprochen, sodass hier von einer bewussten Verzerrung zum negativen Ergebnis auszugehen
sei. Bei der zum Schluss der Begutachtung durchgeführten körperlichen Untersuchung sei es vor allem bei der Prüfung der Diadochokinese
und des Finger-Nase-Versuchs zu einer verlangsamten Darstellung der körperlichen Bewegungen bis zur Unmöglichkeit der Durchführung
gekommen, welche keiner der bekannten pathologischen neurologischen Erkrankung habe zugeordnet werden können und - ebenfalls
- den Eindruck einer bewussten negativen Verzerrung der Klägerin vermittelt habe, da auch eine wiederholte Magnetresonanztomografie-Untersuchung
des Kopfes sich als unauffällig erwiesen habe. Beim Lasègue-Versuch habe die Klägerin starke Schmerzen in der Lendenwirbelsäule
demonstriert, die in Diskrepanz zur Klopfschmerzfreiheit der gesamten Wirbelsäule gestanden habe. Vor dem Hintergrund des
psychodynamischen Prozesses, wonach sich die Klägerin vor der Krebserkrankung als eine „Powerfrau“ bezeichnet habe, und offensichtlich
sei, dass ihr Selbstwertgefühl durch ihre Arbeitsleistung stabilisiert worden sei, sei diese Kompetenz durch ihre körperlichen
Einschränkungen nach der Operation der rechten Brust nicht mehr möglich.
Bei der Klägerin liege auf dem Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie eine rezidivierende depressive Erkrankung, gegenwärtig
schwere depressive Episode, ohne psychotische Symptome auf Basis einer ausgeprägten Selbstwertgefühlproblematik vor. Ferner
seien eine leichte chemotherapieinduzierte Polyneuropathie und ein Zustand nach einer Brustkrebserkrankung im Jahr 2013 bekannt.
Zudem leide die Klägerin an einer Zuckererkrankung. Infolge der schweren depressiven Erkrankung sei die Klägerin in ihrer
psychischen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Im Rahmen des letzten Aufenthaltes in einer psychiatrischen Tagesklinik habe
sich die Klägerin nur „geringfügig“ stabilisieren können. Da die Ursache der depressiv-ängstlichen Symptomatik die gute körperliche
Leistungsfähigkeit für die Stabilisierung des Selbstwertgefühls sei, die für die „Heilung“ der depressiven Symptomatik notwendig
wäre, könne die Klägerin die Einschränkung der psychischen Leistungsfähigkeit nicht mit einer zumutbaren Willensanspannung
selbst oder mit ärztlicher Hilfe innerhalb von sechs Monaten überwinden. Aufgrund der schweren depressiven Erkrankung könnten
auch Arbeiten mit nur noch einfachen geistigen Anforderungen nicht mehr verrichtet werden. Das Leistungsvermögen der Klägerin
sei auf unter drei Stunden täglich gesunken. Eine regelmäßige Tätigkeit würde zu einer psychischen Dekompensation führen.
Die festgestellte Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe seit Antragstellung auf die Erwerbsminderungsrente. Sie stimme
weder mit der Beurteilung durch T. noch durch V. überein. Unter Auswertung des Arztbriefes vom 29. August 2019 über die vom
24. Juni bis zum 29. August 2019 durchgeführte tagesklinischen Behandlung im Krankenhaus J. bestehe Übereinstimmung mit der
dortigen Beurteilung des Vorliegens einer schweren depressiven Erkrankung.
Im Verhandlungstermin beim Sozialgericht Magdeburg am 12. Dezember 2019 hat die Beklagte - erstmals - darauf hingewiesen,
dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rente bei der Klägerin letztmalig im März 2017 erfüllt
gewesen seien.
Das Sozialgericht hat mit Urteil auf diese mündliche Verhandlung die Klage abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen
stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin noch über ein mehr als sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen
für zumindest körperlich leichte Tätigkeiten verfüge. Die Kammer folge insoweit den überzeugenden Feststellungen des Gutachters
V.. Danach könne die Klägerin noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen
oder überwiegend im Sitzen mit nur gelegentlich einseitigen körperlichen Belastungen und Zwangshaltungen ohne Gerüst- und
Leiterarbeiten und Arbeiten im Knien und Hocken, bei Verzicht auf häufige Anforderungen an feinmotorische Tätigkeiten mit
den Fingern, bei Vermeidung von starken Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe sowie ohne Arbeiten in Nachtschicht oder
besonderem Zeitdruck verrichten. Der gerichtliche Sachverständige habe im Rahmen der von ihm vorgenommenen Untersuchungen
zwar die aus den Erkrankungen der Klägerin resultierenden funktionellen Einschränkungen, wie die eingeschränkte körperliche
Leistungsfähigkeit und die Beeinträchtigung der psychisch emotionalen Leistungsfähigkeit, feststellen können, aber nachvollziehbar
dargelegt, dass diese lediglich qualitative Einschränkungen zur Folge hätten und das Leistungsvermögen der Klägerin zeitlich
nicht gemindert sei. So habe er ausgehend von den Schilderungen der Klägerin und den Untersuchungsergebnissen eine Diskrepanz
zwischen dem subjektiven Empfinden und Verhalten der Klägerin einerseits und den objektivierbaren Gesundheitsstörungen andererseits
festgestellt. Die bei der Klägerin festgestellten objektivierbaren Gesundheitsstörungen seien von den Aggravationstendenzen
und den Verhaltensauffälligkeiten während des Untersuchungsablaufs abzugrenzen gewesen mit der Folge, dass sich nicht genügend
objektivierbare Kriterien hätten finden lassen, auf die die Annahme einer auch zeitlichen Minderung des Leistungsvermögens
habe gestützt werden können. Der Sachverständige habe seine Beurteilung auf eine eingehende Anamnese, eine Auswertung der
Vorbefunde sowie eine eigene körperliche Untersuchung gestützt. Er habe verschiedene testpsychologische Untersuchungen durchgeführt
und die Ergebnisse gewürdigt. Des Weiteren habe er die von der Klägerin geschilderten Beschwerden einer Konsistenzprüfung
unterzogen. Die Einschätzung des Sachverständigen werde auch durch das Gutachten von T. bestätigt. Der Einschätzung der Gutachterin
S2 folge die Kammer nicht. Soweit sie allein aufgrund der Diagnose einer schweren depressiven Episode ein zeitlich gemindertes
Leistungsvermögen der Klägerin angebe, sei dies nicht nachvollziehbar. In dem Gutachten fände sich weder eine konkrete Erhebung
bestimmter Funktionsstörungen noch eine Beschreibung des Alltags und der Aktivitäten der Klägerin. Testdiagnostische Untersuchungen
habe die Sachverständige ebenso wenig durchgeführt wie eine Konsistenzprüfung der Angaben der Klägerin durch Leistungstests
oder Fragebögen. Die Einschätzung der Gutachterin beruhe überwiegend auf den Schilderungen der Klägerin und der Beobachtung
ihres Verhaltens. Hierbei habe sie zwar Anzeichen für Simulation und Aggravation erkannt, diese aber nicht hinreichend gewürdigt
und von den objektivierbaren Gesundheitsstörungen abgegrenzt. Soweit R. und S1 ein zeitlich auf unter drei Stunden täglich
gemindertes Leistungsvermögen angäben, hätten diese ihre Einschätzung vorwiegend mit den psychischen Einschränkungen der Klägerin
- und damit mit für sie fachfremden Diagnosen - begründet. Für die Bewertung der psychischen Einschränkungen halte die Kammer
das psychiatrische Gutachten des V. für valider. Die beiden Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, bei denen die Klägerin
in Behandlung gewesen sei, F. und P., hätten zum zeitlichen Leistungsvermögen der Klägerin keine Angaben gemacht.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Januar 2020 zugestellte Urteil am 5. Februar 2020 Berufung beim Landessozialgericht
(LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und die Verurteilung der Beklagten zur Bewilligung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen
teilweiser Erwerbsminderung weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie sich auf die Leistungsbeurteilung von S2 gestützt. Diese
habe die wiederkehrende depressive Erkrankung vor ihrem psychodynamischen Hintergrund erklärt. Die Kompensation ihres Selbstwertgefühls
durch die Berufstätigkeit sei durch die körperlichen Einschränkungen nach der Krebserkrankung verloren gegangen. Zudem läge
eine unterdurchschnittliche Intelligenzleistung vor. Ferner seien mehrere Familienangehörige an Krebs verstorben, was die
Krankheitsbewältigung deutlich erschwere. Die psychodynamischen Abläufe würden zudem für eine neurotische Persönlichkeitsstruktur
sprechen. Ihre seelischen Störungen würden auch nicht mit der endgültigen Ablehnung des Rentenantrags verschwinden, da die
narzisstische Problematik weiter fortbestehen bleibe. In diesem Kontext seien von der Sachverständigen auch die Aggravationstendenzen
bewertet worden. MUS2 habe darauf hingewiesen, dass sich die Vorgutachter nicht mit den psychiatrisch-psychotherapeutischen
Hintergründen ihrer Erkrankung auseinandergesetzt hätten. Trotz vorliegender Aggravation sei auf psychiatrischem Gebiet objektiv
von einer schweren depressiven Erkrankung auszugehen. Die von ihr durchgeführten Behandlungen hätten keine anhaltende Besserung
erbracht. In Bezug auf den Leistungsfall im Jahr 2015 seien auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug
einer Erwerbsminderungsrente erfüllt. Gegen das eingeholte Gutachten des V. bestünden bereits methodische Bedenken, da bei
der Begutachtung ihr Ehemann anwesend gewesen sei (Hinweis auf Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2016 [L
7 R 2329/15]).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Dezember 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2014 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Rente
wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für rechtmäßig. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
für den sich im Streit befindlichen Rentenanspruch seien letztmalig zu einem fiktiv angenommenen Eintritt der rentenrelevanten
Minderung der Erwerbsfähigkeit am 30. November 2017 (nicht März 2017) erfüllt. Die Änderung habe sich durch die vorgenommene
weitere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten ergeben. Auf den Versicherungsverlauf vom 9. November 2020 werde verwiesen.
Die Beklagte hat zudem die Bedenken der Klägerin gegen das Gutachten von V. nicht geteilt und auf den Beschluss des LSG Bayern
vom 4. April 2019 (L 7 U 396/16) verwiesen, wonach ein uneingeschränktes Recht auf Anwesenheit Dritter bei einer medizinischen Begutachtung zwar nicht bestehe,
der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit und des fairen Verfahrens aber durchaus eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall erfordere.
Hier sei nicht ersichtlich, dass der Ehemann an der Untersuchung teilgenommen habe, sondern die Erhebung der dokumentierten
Informationen des Ehemannes entsprechend der fachlichen Standards gesondert von der eigentlichen Untersuchung erfolgt sei.
Im Berufungsverfahren sind Behandlungs- und Befundberichte von F. vom 16. Juli 2020, von S1 vom 17. Juli 2020, von Dipl. E.
vom 29. August 2020 und von R. vom 2. September 2020 eingeholt worden. F. hat angegeben, eine wesentliche Änderung sei in
Bezug auf die festgestellte Depression seit Mai 2017 nicht eingetreten. S1 hat mitgeteilt, der Zustand der Klägerin sei stabil
bei immer noch starken Depressionen und Ängsten und die Befunde seien insoweit unverändert. Nach den Angaben von E. habe die
fortlaufende Verhaltenstherapie eine langfristige Stabilisierung der Klägerin ermöglicht. Gleichwohl sei es nicht zu einer
wesentlichen Verringerung der depressiven Symptomatik gekommen. Die Belastbarkeit sei wegen der gestellten Diagnosen (spezifische
Phobie [Karzinomphobie], nicht organische Störung des Schlaf-/Wachrhythmus, rezidivierende depressive Störung, sonstige Reaktion
auf schwere Belastung) stark vermindert. R. hat keine Veränderungen der Befunde im Behandlungszeitraum von Juli 2013 bis März
2020 angegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 362 f, 365 bis 404, 408 und 410 bis 421 der Gerichtsakte Bezug
genommen.
Mit den gerichtlichen Schreiben vom 17. November 2020 und vom 22. Februar 2021 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden,
dass die Berufung unbegründet sein dürfte. Der streitige Zeitraum sei aufgrund des letztmaligen Vorliegens der sogenannten
besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die im Streit befindliche Rente wegen Erwerbsminderung am 30. November
2017 von August 2014 an bis zu diesem Datum begrenzt. Soweit die Berufung aufrechterhalten bleibe, sei beabsichtigt, hierüber
durch Beschluss zu entscheiden, da die Berufsrichter des Senats diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich hielten. Hierzu hat die Klägerin unter dem 7. Februar 2020 (gemeint 2021) darauf hingewiesen, als Folge
der Brustkrebserkrankung schwer chronisch krank mit somatischen und psychischen Faktoren zu sein. Praktisch habe sie keine
Möglichkeit einer „Teilzeitbeschäftigung“, da dies die heutige Arbeitsmarktlage nicht hergebe. Ein leidensgerechter Arbeitsplatz
sei wegen der eingeschränkten körperlichen Beweglichkeit, der psychischen Störungen und der Arbeitsmarktlage kaum möglich.
Es sei nur noch ein Restleistungsvermögen vorhanden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 452 bis 454 der Gerichtsakte
Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich
Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss entscheiden, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§
153 Abs.
4 SGG).
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin ist durch den angefochtenen
Bescheid nicht beschwert (§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG). Ihr steht ein Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht zu.
Nach §
43 Abs.
1 und
2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelalters-grenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung,
wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Er-werbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tä-tigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit
erfüllt haben. Versicherte sind nach §
43 Abs.
1 S. 2
SGB VI teilweise erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den
üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, bzw. nach §
43 Abs.
2 S. 2
SGB VI voll erwerbsgemindert, wenn sie unter diesen Bedingungen außer Stande sind, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein. Erwerbsgemindert ist nach §
43 Abs.
3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin im hier maßgebenden Zeitraum, d.h. seit Rentenantragstellung im August 2014
bis zum letztmaligen Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen am 30. November 2017, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich in zumindest körperlich leichten - überwiegend
im Sitzen auszuführenden - und geistig einfachen Arbeiten ohne besondere Anforderungen an die psychischen und mnestischen
Fähigkeiten erwerbstätig sein konnte. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug
genommen, die nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage auch die Entscheidung im Berufungsverfahren tragen (§
153 Abs.
2 SGG). Ergänzend wird auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 11. Dezember 2019 - B 13 R 7/18 R - verwiesen, wonach weiterhin von dem Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes auszugehen und daran festzuhalten ist, dass
Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen
- wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, „erwerbstätig zu sein“ (juris, Rdnr. 26
ff.). Dementsprechend hat die Klägerin zuletzt ebenfalls auf ein bei ihr bestehendes Restleistungsvermögen vor dem Hintergrund
einer schwierigen Einsetzbarkeit in Bezug auf die bestehende Arbeitsmarktlage hingewiesen. Nach dem Willen des Gesetzgebers
hat die konkrete Arbeitsmarktlage jedoch keine Berücksichtigung zu finden.
Die - erstmals im Berufungsverfahren - vorgebrachten Einwände gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens von V. wegen der Anwesenheit
des Ehemannes der Klägerin überzeugen nicht. Denn - worauf die Beklagte bereits zutreffend hingewiesen hat - es sind vom Ehemann
der Klägerin lediglich ergänzende Angaben zu den von ihm wahrgenommenen Störungen des Allgemeinbefindens und der Psyche sowie
des Ausmaßes der Antriebsstörungen erfolgt. Eine Beeinflussung der Befunderhebung und insbesondere der Anamneseerhebung lässt
sich dem Gutachten nicht entnehmen und ist von der Klägerin auch nicht behauptet worden. Der Senat hält das Gutachten von
V. für uneingeschränkt verwertbar und überzeugend. Dementsprechend hat auch das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 22. September
2016 (L 7 R 2329/15) die Auffassung vertreten, dass vor oder nach der Exploration mit den Angehörigen gesprochen werden kann (juris, RdNr. 50).
Demgegenüber ist das Gutachten von S2 vom 4. November 2019 als Beurteilungsgrundlage für das Leistungsvermögen der Klägerin
im hier maßgebenden Zeitraum ungeeignet. S2 hat - worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat - ihre Beurteilung
lediglich auf die subjektiven Angaben der Klägerin gestützt und die in der Verhaltensbeobachtung und bei der Befunderhebung
gewonnenen Erkenntnisse nicht plausibel ausgewertet. So hat die Erhebung des psychopathologischen Befundes bei S2 keinerlei
Auffälligkeiten ergeben. Auch hat sie eine bewusste Verzerrung zum negativen Ergebnis u.a. beim Ausfüllen des Fragebogens
mitgeteilt. Das von ihr ihrer Leistungsbeurteilung zugrundegelegte Erklärungsmodell einer ausgeprägten Selbstwertgefühlproblematik
für die von ihr angenommene schwere depressive Episode setzt sich mit diesen Inkonsistenzen nicht auseinander.
Auch die die Klägerin behandelnden Ärzte, die im Berufungsverfahren erneut befragt worden sind, haben für den hier maßgeblichen
Zeitraum keine bislang unberücksichtigten Erkenntnisse mitteilen können und eine schwere depressive Erkrankung der Klägerin,
die ein länger als sechs Monate währendes aufgehobenes Leistungsvermögen rechtfertigen könnte, nicht mitgeteilt.
Die Beklagte ist daher auch nicht verpflichtet gewesen, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Denn das Restleistungsvermögen
der Klägerin reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten
ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss
des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44
SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in den Urteilen des BSG vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - und vom 11. Dezember 2019 - B 13 R 7/18 R -, beide juris).
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen ist auch nicht davon auszugehen, dass der Klägerin die sogenannte Wegefähigkeit
fehlte, so dass ein Seltenheits- oder Katalogfall der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch unter diesem Gesichtspunkt
ausscheidet. Die Klägerin konnte im hier maßgeblichen Zeitraum viermal 500 m in ca. 20 Minuten ohne unzumutbare Schmerzen
zurücklegen und/oder zur Überwindung dieser Wegstrecken einen Pkw benutzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat
von einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.