Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt im Beschwerdeverfahren des einstweiligen
Rechtschutzes die Verpflichtung des Antrags- und Beschwerdegegners (im Weiteren: Antragsgegner) zur Erbringung von Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die am ... 1999 in Schweden geborene Antragstellerin ist schwedische Staatsangehörige. Nach ihren Angaben reiste sie im Januar
2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielt sich zunächst in Bn auf. Am 8. Juni 2020 meldete sie sich beim Antragsgegner
und beantragte eine Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für eine Unterkunft im Landkreis AB. Sie gab an, sie sei alleinstehend
und schwanger und beabsichtige, aus ihrer derzeitigen Unterkunft in der G...straße 42 in Bn, wo sie zur Untermiete lebe, auszuziehen
und eine Wohnung im Haus B...Straße 8 in Bd zu beziehen. Zur Begründung gab sie an, die Verwandten ihres ungeborenen Kindes
lebten in Bd. Sie habe in Bn keine Wohnung finden können. Sie legte ein Mietangebot für eine 45 m² große, sofort bezugsfähige
Wohnung mit einer Gesamtmiete von 360 € vor. Auf telefonische Nachfrage ergänzte sie, sie werde die Einraumwohnung allein
beziehen. Ihr Freund, der Kindsvater, wohne noch in Bn und beabsichtige, zu seinen Eltern nach Bd zu ziehen. Das Kind komme
voraussichtlich Ende Dezember 2020 zur Welt. Am 6. Juli 2020 sicherte der Antragsgegner gemäß § 22 Abs. 4 SGB II zu, die Aufwendungen für die Wohnung in der B... Straße 8 als Bedarf bei einer Leistungsgewährung zu berücksichtigen. Die
Bruttokaltmiete von 293,70 € und die Heizkosten von 58,50 € (nach einer geänderten Vermieterbescheinigung) seien angemessen.
Nach einer Meldebescheinigung des Amtes M in Bn vom 27. April 2020 war die Antragstellerin seit dem 18. April 2020 unter der
Anschrift G...straße 42 – bei L. – mit Hauptwohnsitz gemeldet. Am 3. August 2020 legte sie den am 8. Juli 2020 unterschriebenen
Mietvertrag für die Wohnung in der B... Straße vor. Am 10. Juli 2020 meldete sie sich unter Angabe des Einzugsdatums 1. Juli
2020 nach Bd um.
Am 13. Juli 2020 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner Gewährung von SGB II-Leistungen. Sie gab an, sie sei zuletzt Schülerin gewesen. Die Unterzeichnung des Mietvertrags verzögere sich, da sie die
Kaution noch nicht bezahlt habe. Da der Vermieter eine Ratenzahlung ablehne, begehre sie auch ein Darlehen für die Mietkaution.
Sie richte die Wohnung bereits her; auch der Briefkasten sei schon beschriftet. Sie verfüge über ein Girokonto mit einem Guthaben
von 1 €. Sonstiges Vermögen besitze sie nicht. Am 3. August 2020 sprach die Antragstellerin in Begleitung von V. A. beim Antragsgegner
vor und erklärte, sie sei vor fünf Monaten nach Deutschland gekommen, um hier eine Arbeit zu suchen und ein besseres Leben
zu führen. Nach der Einreise habe sie sich für ca. drei Monate in Bn aufgehalten und sei von Herrn A. finanziell unterstützt
worden. Seit nunmehr zwei Monaten halte sie sich im Landkreis AB auf, wo sie zunächst bei Bekannten untergekommen sei. Hier
werde sie von der Tante des Herrn A. unterstützt. Herr A. lebe in Bn. Es sei unklar, ob er nach Bd umziehe.
Mit Bescheid vom 4. August 2020 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember
2020 ab und führte zur Begründung aus, die Antragstellerin habe gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Sie halte sich seit (mindestens) 18. April 2020 in Deutschland auf und sei weder Arbeitnehmerin noch selbstständig
tätig. Es bestehe auch kein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU. Es sei von einem Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche auszugehen. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin
am 4. September 2020 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2020 wies der Antragsgegner den Widerspruch
zurück und verwies erneut auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Am 6. Oktober 2020 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen S 19 AS 887/20 geführt wird. Zugleich hat sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung hat sie erklärt,
wegen der Schwangerschaft benötige sie Unterstützung und insbesondere Krankenversicherungsschutz für die bevorstehende Geburt.
Sie habe kein Geld für Lebensmittel oder Fahrscheine für den ÖPNV. Der Vater ihres Kindes, V. A., lebe in Bn. Grundsätzlich
sei der Bezug einer gemeinsamen Wohnung beabsichtigt. Sie seien auf der Suche. Die Antragstellerin hat in Kopie eine am 10.
Juli 2020 im Standesamt der Stadt Bd. von dem am ... 1998 in Bn geborenen serbischen Staatsangehörigen V. A. erklärte Anerkennung
der Vaterschaft für das erwartete Kind der Antragstellerin sowie eine am 21. August 2020 durch den Landkreis AB (Jugendamt)
aufgenommene Urkunde über die Absicht, für das erwartete Kind die elterliche Sorge gemeinsam auszuüben, vorgelegt.
Mit Schreiben vom 15. Oktober 2020 hat das SG die Antragstellerin zum ergänzenden Vortrag und dessen Glaubhaftmachung aufgefordert. Insbesondere sei von Bedeutung, seit
wann sie in Deutschland lebe und aus welchen Gründen sie hierhergekommen sei, ob sie einer Arbeit nachgehe bzw. wann sie zuletzt
hier gearbeitet habe. Es sei zu prüfen, ob sie über ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche verfüge. Wenn dies
nicht der Fall sei, habe ihr Antrag keine Aussicht auf Erfolg.
Dazu hat die Antragstellerin im Schreiben vom 22. Oktober 2020 erklärt, sie sei nach Deutschland gekommen, um mit ihrem Lebenspartner
V. A., der in Berlin seinen Schulabschluss gemacht habe, zusammenzuleben. Dem Schreiben beigefügt war die Kopie eines an „das
Jobcenter Bn“ gerichteten Antrags vom 20. Oktober 2020 auf Bewilligung von Schwangerschaftsbekleidung und einer Baby-Erstausstattung
gemäß § 24 SGB II.
Am 26. Oktober 2020 hat das SG an die Beantwortung der Fragen erinnert und diese mit Schreiben vom 18. November 2020 ergänzt: Sie möge mitteilen, seit wann
genau sie sich in Deutschland aufhalte, ob ihr Aufenthaltszweck die Arbeitsuche oder das Zusammenleben mit dem Freund sei,
in welchem Umfang sie bisher in Deutschland gearbeitet habe, ob sie Leistungen von einem Jobcenter in Bn beziehe und ob sie
sich häufiger in Bn oder in Bd aufhalte. Soweit sie über einen Aufenthaltstitel verfüge, werde sie gebeten, entsprechende
Nachweise vorzulegen.
Unter dem 25. November 2020 hat die Antragstellerin ausgeführt, sie sei Ende Januar 2020 mit dem Auto eingereist, um mit ihrem
Freund zusammen zu leben und eine Familie zu gründen. Gegenüber „dem Arbeitsamt“ habe sie gesagt, sie wolle arbeiten. Das
sei auch richtig, aber sie habe hier noch nicht gearbeitet. Schriftliche Anträge stelle sie von Beratungsstellen in Bn aus.
In Bd habe sie keine Hilfe- und Unterstützungsstrukturen. Sie halte sich nur dann in Bn auf, wenn sie Post beantworten müsse.
Ihren Lebensmittelpunkt habe sie in ihrer Wohnung in Bd.
Mit Beschluss vom 9. Dezember 2020 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Antragstellerin habe kein
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es fehle an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs
nach dem SGB II. Es bestünden bereits Zweifel am gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Antragsgegners (§ 36 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB II). Es sei zu vermuten, dass die schwangere Antragstellerin sich überwiegend in Bn aufhalte. Sämtliche per Fax eingereichten
Schreiben im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren seien von Faxgeräten mit Bner Vorwahl gesendet worden. Darüber hinaus sei
ihre Hilfebedürftigkeit zweifelhaft, denn es sei nicht auszuschließen, dass sie Leistungen vom Jobcenter Bn erhalte, wo sie
ebenfalls einen Leistungsantrag gestellt habe. Zudem sei sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b SGB II von SGB II-Leistungen ausgeschlossen, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Sie sei weder Arbeitnehmerin
noch betreibe sie eine Berufsausbildung. Ein anderweitiges Aufenthaltsrecht ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung
von Art.
6 Grundgesetz (
GG) im Hinblick auf die bevorstehende Geburt eines Kindes. Sie habe auch keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII), denn insoweit ergäben sich aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dieselben Ausschlusstatbestände wie aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Über einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII sei nicht zu entscheiden, da diese offensichtlich nicht begehrt würden.
Gegen den ihr am 12. Dezember 2020 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 6. Januar 2021 Beschwerde eingelegt:
Es gehe ihr um den Erhalt von SGB II-Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts und der Unterkunftskosten sowie um Leistungen für die Schwangerschaft und
die Geburt. Es gehe auch um den Krankenversicherungsschutz für ihr Kind. Ihr Sohn H. A. A. sei am 8. Dezember 2020 im Städtischen
Klinikum D. geboren worden. Seit Januar 2021 halte sie sich bei ihrem Partner in Bn auf, weil sie in Bd weder die Miete bezahlen
noch Lebensmittel einkaufen könne. Sie sei Familienangehörige ihres Partners V. A., der in Bn bei seinen Eltern lebe. In deren
Wohnung habe sie nicht einziehen dürfen, da der Vermieter dies nicht erlaubt habe. Sie wohne in Bd, weil sie dort eine Wohnung
gefunden habe. Sie habe jedoch bislang keine Miete zahlen können; es seien Mietschulden aufgelaufen.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 hat die Berichterstatterin die Antragstellerin um die Beantwortung weiterer Frage gebeten,
insbesondere darum, darzulegen, wie sie seit Januar 2020 ihren Lebensunterhalt bestreite, wo, wann und wie sie sich mit welchem
Erfolg um Arbeit bemüht habe, über welchen Schulabschluss bzw. Berufsausbildung sie verfüge, welchen Aufenthaltsstatus ihr
Partner habe, ob eine Eheschließung beabsichtigt sei und diesbezügliche Vorbereitungshandlungen unternommen worden seien,
und ob ihr Partner den Unterhalt für sie und das Kind sicherstellen könne. Trotz Erinnerung vom 5. Februar 2021 hat die Antragstellerin
auf das Schreiben nicht reagiert. Mit einem weiteren Schreiben vom 23. Februar 2021, das sowohl an die Anschrift in Bd als
auch an die vormalige Meldeadresse der Antragstellerin in Bn versandt worden ist (und zu dem es keinen Postrücklauf gegeben
hat), hat die Berichterstatterin nochmals – unter Fristsetzung bis zum 5. März 2021 – an die Beantwortung ihres Schreibens
erinnert und ergänzend danach gefragt, ob sie nach der Geburt des Kindes weitere Sozialleistungsanträge für sich und ihren
Sohn, ggf. auch bei einem Sozialhilfeträger gestellt habe, wie der beim Jobcenter Bn gestellte Antrag beschieden worden sei,
ob sie aktuell Erziehungsgeld oder Kindergeld für den Sohn beziehe. Denkbar sei, dass sie als schwedische Staatsangehörige
einen Anspruch auf Sozialhilfe habe. Dazu müsse ggf. der für ihren tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Sozialhilfeträger
beigeladen werden.
Gleichzeitig hat sich die Berichterstatterin an das Jobcenter Bn gewandt und nach dem Bearbeitungsstand des Leistungsantrags
der Antragstellerin gefragt.
Beide Schreiben vom 23. Februar 2021 sind bis zur Entscheidung des Senats nicht beantwortet worden.
Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Dezember 2020 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den Beschluss des SG für zutreffend: Neben der zweifelhaften örtlichen Zuständigkeit sei von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b SGB II auszugehen. Es gebe keinen Anhaltspunkt für ein von der Arbeitsuche unabhängiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin. Bei
ihm habe die Antragstellerin nach der bis zum 31. Dezember 2020 befristeten Antragsablehnung keinen weiteren Leistungsantrag
gestellt. Ob sie bei anderen SGB II-Leistungsträgern Anträge gestellt habe, wisse er nicht und könne dies auch nicht ermitteln.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung des Senats gewesen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
Die nach §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerechte eingelegte Beschwerde ist statthaft nach §
172 Abs.
1,
3 Nr.
1 SGG. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt den in §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG genannten Betrag von 750 €. Allein die geltend gemachten Unterkunftskosten überschreiten bereits für einen Zweimonatszeitraum
die Beschwerdewertgrenze.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antragstellerin sind nicht nachträglich
SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 zu gewähren.
Das Gericht kann nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung
ist gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Anordnungsgrunds (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile) und eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs). Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren
für das Vorliegen der anspruchsbegründeten Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen
dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen
Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer
des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht der Hauptsache nicht bindet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund
sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass zumindest
mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht. Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch,
sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, Az.: 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236; BVerfG, NVwZ 2004, S. 95 f.), wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren – wie vorliegend – vollständig die Bedeutung des Hauptsachverfahrens übernimmt
und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu
einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderung an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines
Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller
mit seinem Begehren verfolgt. Zudem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtschutzes einbeziehen. Ist dem Gericht eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch
in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen
sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, a.a.O.,
S. 1237). Dies gilt insbesondere, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen
Gewährleistungen, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Art.
19 Abs.
2 Grundgesetz (
GG) die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren
zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung
in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass ein Anordnungsgrund fehlt, wenn die vermutliche
Zeitdauer des Hauptsacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und -durchsetzung darstellt, wenn also dem
Antragsteller auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts geholfen ist. Zwar sollen grundsätzlich Leistungen nach dem
SGB II das Existenzminium der Leistungsberechtigten sichern. Wird durch die seitens des Leistungsträgers erbrachte Leistung der
Bedarf nicht gedeckt, ist die Existenz des Leistungsbeziehers zeitweise nicht sichergestellt. Allerdings führt nicht jede
Unterdeckung des Bedarfs grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrunds. Erforderlich
ist eine aktuelle existenzielle Notlage, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch andauern muss. Sofern im Zeitraum
zwischen Antragstellung bei dem SG und der gerichtlichen Entscheidung Veränderungen eingetreten sind, und deshalb die Hilfsbedürftigkeit ab einem bestimmten
Zeitpunkt ganz oder zeitweise entfallen ist oder sich die zu Grunde liegende Sachlage in entscheidungserheblicher Weise geändert
hat, ist er auch für davorliegende Zeiträume auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, sofern kein konkreter Nachholbedarf
glaubhaft gemacht worden ist (vgl. dazu: Beschlüsse des 2. Senats vom 9. Juli 2009, Az.: L 2 AS 194/09 B ER und 12. November 2009, Az.: L 2 AS 307/09 B ER; Beschluss des 5. Senats vom 11. Januar 2010, Az.: L 5 AS 321/09 B ER). Eine insoweit rückwirkende Verpflichtung des Leistungsträgers zur vorläufigen Leistungsgewährung ist daher grundsätzlich
vom Fortbestehen der Notlage oder von einem aktuellen Nachholbedarf abhängig. Eine zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr
bestehende Notlage bedarf keiner vorläufigen Leistungsgewährung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung (mehr). Dann ist es
zumutbar, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Dementsprechend sind Leistungen in der Regel ab Eingang des
Eilantrags bei Gericht zuzusprechen. Für zurückliegende Zeiträume werden Leistungen nur ausnahmsweise dann gewährt, wenn ein
Nachholbedarf besteht, d.h. wenn die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige
Notlage bewirkt.
Eine noch fortwirkende aktuelle und erhebliche Notlage, die eine Eilentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin erfordern
würde, ist im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht worden. Es ist zweifelhaft, ob die im Ausgangsverfahren beim SG behauptete Eilbedürftigkeit und die wirtschaftliche Notlage der Antragstellerin im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats
noch bestehen. Denn die Antragstellerin hat sich trotz mehrerer Schreiben der Berichterstatterin vom 19. und 22. Januar sowie
9. und 23. Februar 2021 nicht mehr beim Senat gemeldet und insbesondere die ihr gestellten Fragen nicht beantwortet, obwohl
ihr erläutert worden ist, dass es zur Bewertung des geltend gemachten Sozialleistungsanspruchs auf die abgefragten Informationen
und deren Glaubhaftmachung – insbesondere zur rechtlichen Einordnung (Rechtsgrundlage) ihres Begehrens ankommt. Aufgrund der
unzureichenden Mitwirkung der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren sind nicht nur ihr aktueller Aufenthaltsort und Hilfebedarf
unklar, darüber hinaus ergeben sich Zweifel am Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses, die dadurch verstärkt werden, dass
sie nach Auskunft des Antragsgegners auch bei ihm nach Ablauf der zum 31. Dezember 2020 befristeten Antragsablehnung nicht
mehr vorstellig geworden ist. Sie hat ihm weder die Geburt ihres Sohnes mitgeteilt noch einen weiteren Leistungsantrag für
die Zeit ab 1. Januar 2021 gestellt.
Im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des einstweiligen Rechtschutzes beim SG (6. Oktober 2020) waren bereits mehr als drei Monate des streitigen Sechsmonatszeitraum der Antragsablehnung abgelaufen,
sodass regelmäßig eine vorläufige Leistungsgewährung nur für den Zeitraum ab dem 6. Oktober 2020 in Betracht gekommen wäre.
Da die Antragstellerin – nach den Erkenntnissen des Senats – keinen Leistungsantrag für das Jahr 2021 gestellt hat, besteht
ein streitiges im Wege der einstweiligen Anordnung regelungsfähiges Rechtsverhältnis zum Antragsgegner nur bis zum 31. Dezember
2020. Dieser Zeitraum war bei Eingang der Beschwerde am 6. Januar 2021 vollständig beendet. Einen konkreten Nachholbedarf
im o.g. Sinne ist aufgrund der Untätigkeit der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht worden.
Zudem ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden. Nach dem bisherigen Stand des Verfahrens ist davon auszugehen,
dass die Antragstellerin die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht erfüllt, weil sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Danach sind von Leistungen ausgenommen
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige
noch aufgrund § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
Ausländerinnen und Ausländer,
die kein Aufenthaltsrecht haben,
deren Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl.
L 141 vom 27.05.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.04.2016, S. 1) geändert worden ist,
ableiten,
und ihre Familienangehörigen sowie
Abweichend von Satz 2 Nr. 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies
gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 des FreizügG/EU festgestellt wurde.
Die Antragstellerin, die sich nach eigenen Angaben seit Ende Januar oder seit März 2020 – belegt ist ein Aufenthalt seit dem
18. April 2020 – in Deutschland aufhält, ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a und b SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie hat in der zweiten Jahreshälfte 2020 allenfalls über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach §
2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügt, sodass sie nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen ist. Ein anderes Aufenthaltsrecht aus §§ 2 Abs. 2 und Abs. 3, 3, 4, 4a FreizügG/EU hat für sie – nach der Kenntnis des Senats über ihre Lebensumstände – nicht bestanden. Sie hat keine (abhängige oder selbständige)
Tätigkeit ausgeübt (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FreizügG/EU), denn sie hat nach in Deutschland wohl noch nicht gearbeitet. Die gerichtlichen Fragen nach Art, Umfang und Erfolg ihrer
Bewerbungsbemühungen hat sie – wie auch die Frage nach Qualifikation, Schulabschluss oder erlerntem Beruf – nicht beantwortet.
Es ist nicht zu erkennen, inwieweit sie mit dem deutschen Arbeitsmarkt in Kontakt gekommen ist. Selbst wenn man zu ihren Gunsten
– trotz naheliegender Pause seit der Geburt ihres Sohnes im Dezember 2020 – von einer weiteren Arbeitsuche im Bundesgebiet
ausgeht, verleiht diese gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU nach einem Aufenthalt von sechs Monaten, der jedenfalls vorliegt, ein Aufenthaltsrecht nur dann, wenn sie nachweisen kann,
dass sie weiterhin Arbeit sucht und die begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen
ist nichts vorgetragen oder glaubhaft gemacht worden.
Die Antragstellerin kann sich im streitigen Zeitraum nicht auf einen Aufenthalt von fünf Jahren in Deutschland berufen (§
7 Abs. 1 Satz 4 SGB II), da sie erstmals im April 2020 melderechtlich erfasst worden ist. Ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 in Verbindung mit § 4 FreizügG/EU kommt nicht in Betracht, da die Antragstellerin nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende
Existenzmittel verfügt. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Aufenthaltsrechts aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes sind nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht worden und für den Senat auch nicht ersichtlich.
Ein Aufenthaltsrecht ist gemäß § 3 FreizügG/EU als Familienangehörige eines Unionsbürgers ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Es kann nicht festgestellt werden, dass
die Antragstellerin – oder ihr im Dezember 2020 geborener Sohn – als Familienangehörige im Sinne von § 3 Abs. 2 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht von einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger ableiten können. Soweit fehlt es an einem Vortrag
bzw. an einer Glaubhaftmachung des erforderlichen verwandtschaftlichen Verhältnisses. Mangels familiären Zusammenlebens von
Antragstellerin, Sohn und Kindsvater ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Schutzbereichs von Art.
6 Abs.
1 und
2 GG keine andere Bewertung. Unabhängig davon, dass sich aus Art.
6 GG kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ableitet, ist es EU-Bürgern grundsätzlich möglich, eine familiäre Einheit durch
Besuche oder im Ausland herzustellen. Es besteht keine unmittelbare Verpflichtung für einen aufgrund der Freizügigkeitsregelungen
innerhalb der EU möglichen Aufenthalt Sozialleistungen zu gewähren.
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) und b) SGB II betreffend den Ausschluss von Unionsbürgern von den Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II bei fehlenden materiellen Aufenthaltsrecht bzw. Bestehen eines Aufenthaltsrechts (allein) zur Arbeitsuche ist verfassungsgemäß.
Der Ausschluss von Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht bzw. nur mit einem Recht zur Arbeitsuche von laufenden
Leistungen nach dem SGB II bzw. Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art.
1 Abs.
1 GG) vereinbar (BVerfG, Urteile vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1, 3, 4/09, und vom 18. Juli 2012, Az.: 1 BvL 10/10, 2/11; Beschluss vom 23. Juli 2014, Az.: 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13).
Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf die von ihr möglicherweise hilfsweise begehrten Leistungen der Hilfe zum
Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit §§ 27 ff. SGB XII glaubhaft gemacht. Einem solchen Anspruch steht zunächst entgegen, dass Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (in der seit dem 29. Dezember 2016 gültigen Fassung) in demselben Umfang ausgeschlossen sind wie die Leistungen nach dem
SGB II. Sie erfassen auch die in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII geregelte Sozialhilfe als Ermessensleistung ( vgl. zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az.: B 4 AS 44/15 R, juris). Wie dargelegt liegen die tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsausschlusses vor.
Es kann – mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds – offenbleiben, ob dieser Leistungsausschluss mit europarechtlichen
Bestimmungen vereinbar ist (vgl. Beschluss des Senats vom 4. Juli 2019, Az.: L 4 AS 246/19 B ER , juris RN 40 ) oder ihm das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) entgegensteht,
das für die Antragstellerin als schwedische Staatsangehörige anwendbar ist. Denn Schweden gehört zu den Unterzeichnerstaaten
dieses Abkommens. Die Bundesrepublik Deutschland hat zwar einen Vorbehalt für die Gültigkeit des EFA für das System des SGB II verkündet, aber nicht für das System der Sozialhilfe nach dem SGB XII. Daher erscheint denkbar, das EFA-Staatsangehörige einen Sozialhilfeanspruch haben, obwohl sie erwerbsfähig sind (so: Sächs.
LSG, Beschluss vom 29. April 2020, Az.: L 7 AS 76/20 B ER, juris RN 41 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Januar 2021, Az.: L 18 AS 1572/18, juris RN 38 ff.). Eine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu existiert nicht; die Frage ist derzeit als Revision beim
BSG (Az.: B 8 SO 7/19 R) anhängig; zumeist gehen die LSG davon aus, dass § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht ausreisepflichtige Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht in verfassungskonformer Weise von Leistungen nach
§ 23 Abs. 1 SGB XII ausschließt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2020, Az.: 1 BvR 1246/19, juris RN 18ff. m. weit. Nachw.).
Angesichts der fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes kann diese Rechtsfrage im Beschwerdeverfahren dahinstehen
und der Senat von der ansonsten notwendigen Beiladung des örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers absehen – zumal die Antragstellerin
die Fragen nach ihrem aktuellen tatsächlichen Aufenthaltsort nicht beantwortet hat, sodass die örtliche Zuständigkeit nach
§ 98 Abs. SGB XII nicht festgestellt werden kann.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §193
SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).