Zugunstenverfahren; Akteneinsicht; Prozessbevollmächtigte; Vorverfahren; sozialrechtlicher Herstellungsanspruch; Überprüfungsantrag;
Pflichtverletzung; Konkretisierung; Nachholung; Akteneinsichtsgesuch; Sozialrechtsverhältnis; Antrag auf Akteneinsicht; untunlich;
Übersendung in die Geschäftsräume; ursächlicher Zusammenhang; zulässige Amtshandlung; pflichtgemässes Ermessen; Ermessensausübung;
eigenständige Beschwer; selbständige Beschwer; isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids
Tatbestand:
Der Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung der Zurückweisung eines Antrags auf Überprüfung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden
im sog. Zugunstenverfahren.
Die Kläger lebten als nichteheliche Lebensgemeinschaft zusammen und bezogen als Teil einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Kindern
seit 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6. Februar 2007 hatte der Beklagte gegenüber der Klägerin die
Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. November 2006 bis 31. Januar 2007 teilweise i.H.v. 235,06 EUR aufgehoben. Als Begründung
war eine Minderung der Regelleistung der zur Bedarfsgemeinschaft gehörigen Tochter S. i.H.v. 35% wegen eines stationären Krankenhausaufenthalts
genannt.
Die Familienkasse Magdeburg hatte mit Bescheid vom 15. Februar 2008 für das Kind R. Kindergeld ab Januar 2008 bewilligt und
mit Bescheid vom 19. Februar 2008 die Bewilligung mit Ablauf des Monats April 2008 wieder aufgehoben. Mit bestandskräftigem
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. April 2008 hatte der Beklagte gegenüber der Klägerin die Leistungsbewilligung
für die Zeit vom 1. bis 30. April 2008 i.H.v. 124 EUR aufgehoben. Als Begründung war eine Einkommenserzielung aus Kindergeld
genannt. Die Überzahlung im April 2008 werde mit dem Nachzahlungsanspruch für Mai 2008 ausgeglichen.
Am 31. Dezember 2010 stellte das H. Center H. IV e.V., Beratungsstelle Q. (HCH), für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) für Zeit ab dem 1. Januar 2006. Für eine Aufforderung zur Konkretisierung gebe es keine gesetzliche Grundlage. Der Antrag
gelte für sämtliche Bescheide. Die die Bedarfsgemeinschaft betreffende Verwaltungsakte hatte zu diesem Zeitpunkt 779 Seiten.
Der Beklagte wies den Antrag mit Bescheid vom 26. Juli 2011 zurück. Es sei im Rahmen einer Überprüfung bestandskräftiger Entscheidung
nicht die Aufgabe der Behörde, sämtliche Entscheidungen ohne Vorliegen von Anhaltspunkten zu überprüfen. Der Überprüfungsantrag
sei somit unzulässig.
Am 19. September 2011 zeigten die damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger, eine Rechtsanwaltskanzlei, deren rechtliche
Vertretung an, legten Widerspruch ein und beantragten Akteneinsicht zu Händen ihres Büros. Eine Begründung des Widerspruchs
werde unmittelbar nach Akteneinsicht erfolgen.
Der Beklagte bot mit Schreiben vom 27. September 2011 die Aktenübersendung in Form von Kopien an (0,50 EUR je Kopie für die
ersten 50 Seiten sowie 0,15 EUR für jede weitere Kopie). Hilfsweise könne Akteneinsicht vor Ort in einer der Geschäftsstellen
in W., H., Q. oder B. genommen werden.
Die Prozessbevollmächtigten der Kläger wendeten ein, diese könnten die Kosten der Akteneinsicht oder die Fahrtkosten zur Akteneinsicht
nicht tragen.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2012 als unbegründet zurück. Da keine Gründe vorgetragen
worden seien, die eine erneute Überprüfung rechtfertigen würden, habe gar nicht erst nicht in die Sachprüfung eingestiegen
werden können. Es bleibe bei der Bindungswirkung der Bescheide.
Dagegen haben die Kläger am 21. Mai 2012 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Nach erfolgter Akteneinsicht am 28. August
2012 haben sie zur Begründung unter dem 18. Februar 2014 vorgetragen: Der Antrag nach § 44 SGB X sei schon hinreichend durch ein allgemeines Schreiben des HCH vom 1. April 2011 für eine Vielzahl der von ihm vertretenen
Leistungsberechtigten konkretisiert worden. Im Widerspruchsverfahren sei eine Konkretisierung mangels gewährter Akteneinsicht
nicht möglich gewesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. Februar 2007 sei fehlerhaft. Abzüge von der Regelleistung
bei stationären Krankenhausaufenthalten seien unzulässig. Die Rückforderung hätte zudem gegenüber der volljährigen Tochter
S. ergehen müssen. Mit Bescheid vom 30. April 2008 habe der Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für April 2008
erlassen und das für den Sohn bezogene Kindergeld nicht berücksichtigt. Er habe die Rückforderung für April 2008 mit dem verkürzten
Leistungsanspruch für Mai 2008 verrechnet und somit 124 EUR weniger ausgezahlt.
Der Beklagte hat zu dem Hinweis des Sozialgerichts auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG), Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 22/13 R) ausgeführt, es bestehe kein Anspruch auf Aktenübersendung. Er hat ferner auf den Beschluss des Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
vom 18. Januar 2010 (L 8 SO 6/07) verwiesen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5. Dezember 2014 den Bescheid vom 26. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 18. April 2012 sowie die Bescheide vom 6. Februar 2007 und 30. April 2008 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, einbehaltene
124 EUR auszuzahlen. Eine Konkretisierung des Antrags nach § 44 SGB X sei im Vorverfahren nicht erfolgt. Es könne offen bleiben, ob das Schreiben des HCH vom 1. April 2011 ausreichend gewesen
sei. Jedenfalls sei hier ausnahmsweise im Klageverfahren die Nachholung der Konkretisierung zulässig gewesen, weil die Beklagte
die beantragte Akteneinsicht abgelehnt habe. Die Vorschrift des § 25 Abs. 4 Satz 1 SGB X gelte nach §
84a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nicht für das Vorverfahren. Der Leistungsträger könne nach seinem Ermessen die Akten wie im Gerichtsverfahren Rechtsanwälten
zur Einsicht übersenden. Es bestehe zwar kein Anspruch auf Übersendung, diese solle aber erfolgen, wenn es nicht im Einzelfall
untunlich sei. Hier hätten die Akten übersendet werden müssen, da das Ermessen auf Null reduziert gewesen sei. Es lägen schon
keine Gründe für eine Untunlichlichkeit vor. Darüber hinaus hätten die Akten einen Umfang von mehr als 800 Blatt gehabt und
es sei ein Zeitraum von vier Jahren streitig gewesen. Somit wäre eine Akteneinsicht durch Übersendung von kostenpflichtigen
Kopien oder vor Ort nicht mehr in zumutbarer Weise möglich gewesen. Der von dem Beklagten angeführte Beschluss des Landessozialgerichts
Sachsen-Anhalt führte nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn dort hätte eine Akteneinsicht vor Ort lediglich 30 min in Anspruch
genommen (20 min Hin- und Rückfahrt, 10 min Akteneinsicht). Allein die Durchsicht der Akten hätte hier bei realistischer Betrachtung
einen Aufwand von mehreren Stunden bedeutet, und der Sitz der Bevollmächtigten der Kläger sei nicht lediglich 10 min Fahrzeit
entfernt. Im Klageverfahren sei eine Konkretisierung des Überprüfungsantrags auf die Bescheide vom 6. Februar 2007 und 30.
April 2008 vorgenommen worden. Nur die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide sei daher zu überprüfen gewesen. Deren Rechtswidrigkeit
ergebe sich schon aus dem Individualisierungsgrundsatz. Grund für die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sei keine Reduzierung
des Leistungsanspruchs der Klägerin zu 1. gewesen. Vielmehr sollte sich die Regelleistung der Tochter reduziert haben bzw.
hätte das Kindergeld für den Sohn auf dessen Leistungsanspruch angerechnet werden müssen. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide
habe das Gericht selbst aufheben dürfen, denn einer Verurteilung des Beklagten zur Aufhebung der Bescheide habe es nicht bedurft.
Dieser habe die einbehaltenen Leistungen i.H.v. 124 EUR an die Klägerin auszuzahlen. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.
Gegen das ihm am 19 Dezember 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14. Januar 2015 Berufung beim Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt eingelegt. Mangels eines bis zur letzten Verwaltungsentscheidung objektiv konkretisierten Antrag nach § 44 SGB X sei die Klage nicht begründet. Der Überprüfungsantrag sei vom HCH am 31. Dezember 2010 in ca. 500 Fällen erhoben worden.
Es liege ein Verschulden des HCH vor, der sich die Bescheide von den Leistungsberechtigten hätte vorlegen lassen müssen. Teilweise
würden die Kammern des Sozialgerichts Magdeburg in vergleichbaren Fällen im Sinne des Beklagten entscheiden. Nach der Rechtsprechung
des BSG sei die Nachbesserung eines bis dahin nicht konkretisierten Überprüfungsantrags im Klageverfahren unzulässig. Weder sei das
rechtliche Gehör der Kläger verletzt noch die Konkretisierung des Überprüfungsantrags in unzumutbarer Weise erschwert worden.
Die damaligen Prozessbevollmächtigten hätten bei turnusmäßigen Terminen beim HCH einen Akteneinsichtstermin in der Regionalstelle
Q. vereinbaren können. Die aktuellen Prozessbevollmächtigten der Kläger hätten in ihrer Kostenabrechnung für das erstinstanzliche
Verfahren 262 Ablichtungen geltend gemacht und dies mit der Notwendigkeit einer sachgerechten Bearbeitung begründet. Dies
müsse auch für das Widerspruchsverfahren gelten, so dass die unterlassene Akteneinsicht dem Beklagten nicht zur Last fallen
könne. Schließlich seien auch nach erfolgter Akteneinsicht im Klageverfahren die zu überprüfenden Bescheide nicht gleich benannt
worden, und es seien auch keine Gründe für die Fehlerhaftigkeit der Bescheide vorgebracht worden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Dezember 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Grund für die Vielzahl von Überprüfungsanträgen durch den HCH sei die anstehende
Gesetzesänderung zum 1. April 2011 mit einer Verkürzung des Prüfzeitraums gewesen. Ihr rechtliches Gehör sei beschränkt worden,
da sie die kostenpflichtige Akteneinsicht nicht hätten bezahlen können. Die Akteneinsicht habe 14 Stunden in Anspruch genommen
und wäre vor Ort beim Beklagten nicht möglich gewesen. Der Kanzleisitz der Prozessbevollmächtigten sei mindestens 60 km von
dem Sitz des Beklagten entfernt gewesen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.1.
Die Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht gemäß §
151 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft, da das Sozialgericht die Berufung zugelassen hat (§
144 Satz 2
SGG).
2.
Die Klage des Klägers ist unzulässig gewesen, denn er ist durch den Ablehnungsbescheid des Beklagten nach § 44 SGB X nicht beschwert.
Durch die Konkretisierung des Überprüfungsantrags vom 31. Dezember 2010 während des Klageverfahrens hat sich ergeben, dass
die Kläger nur gegen die Aufhebungs- Erstattungsbescheide vom 26. Februar 2007 und vom 30. April 2008 vorgehen wollten. Diese
betrafen ausschließlich Ansprüche der Klägerin. Der Kläger hingegen war nicht Adressat dieser Bescheide und konnte von diesen
nicht in seinen Rechten verletzt sein.
Die Klage des Klägers ist auch nicht zunächst zulässig gewesen und erst durch die Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens
unzulässig geworden. Ein Klagebegehren des Klägers ist bei Klageerhebung nicht formuliert worden. Mangels konkretisierter
Darlegungen im Vorverfahren kann auch nicht unterstellt werden, dass mit der Klageerhebung - zunächst auch - die Leistungsansprüche
des Klägers streitbefangen sein sollten. Denn die Kläger haben mit der im Jahr 2014 erfolgten Konkretisierung ihres Begehrens
klargestellt, welches Ziel sie - von Anfang an - mit dem Antrag nach § 44 SGB X verfolgten. Dieses betraf ausschließlich Ansprüche der Klägerin. Daher war die Klage des Klägers von Anfang an unzulässig.
II.
Die Berufung des Beklagten gegenüber der Klägerin ist zum geringen Teil begründet.
1.
Die Beklagte ist durch das angefochtene Urteil insofern beschwert, als das Sozialgericht nicht nur den Widerspruchsbescheid
vom 18. April 2012, sondern auch den Ausgangsbescheid vom 26. Juli 2011 zum Überprüfungsantrag sowie die bestandskräftigen
Bescheid vom 6. Februar 2007 und vom 30. April 2008 selbst aufgehoben und den Beklagten zur Zahlung von 124 EUR einbehaltener
Leistungen verpflichtet hat.
Richtige Klageart für die begehrte Aufhebung der Ablehnungsbescheide im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X und auf Auszahlung der zu Unrecht zur Erstattung gestellten Beträge ist die grundsätzlich die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs-
und Leistungsklage (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 19/13 R (11)).
Hier gebietet die besondere prozessuale Situation aber eine andere Bewertung. Denn der Beklagte verwarf zunächst zu Recht
mit Bescheid vom 26. Juli 2011 den Überprüfungsantrag vom 31. Dezember 2010 als unzulässig. Erst die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
zu Unrecht verweigerte Akteneinsicht führte in der Konsequenz dazu, dass der Widerspruchsbescheid vom 8. April 2012 als fehlerhaft
anzusehen ist. Dieser enthält nämlich gegenüber dem Ausgangsbescheid vom 26. Juli 2011 eine zusätzliche selbstständige Beschwer
durch die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs auf Akteneinsicht.
Insoweit kam nur eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids in Betracht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl. § 95 Rn. 3a). Denn anderenfalls würde die im Rahmen von § 44 SGB X vorgeschriebene inhaltliche Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts einschließlich eventuell erforderlicher Ermittlungen
von der erlassenden Behörde auf das Gericht verlagert werden (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014, B 14 AS 39/13 R (20)).
Der Beklagte hat daher den Widerspruch der Klägerin vom 23. August 2011 gegen den Bescheid vom 26. Juli 2011 rechtsbehelfsfähig
zu bescheiden. Dabei ist die Prüfung des Antrags nach § 44 SGB X auf die gegenüber der Klägerin ergangenen Bescheide vom 6. Februar 2007 und vom 30. April 2008 beschränkt.
Das Sozialgericht hat insoweit zu Recht festgestellt, dass diese Bescheide rechtswidrig waren und damit aufzuheben sind. Insoweit
verweist der Senat auf die überzeugenden Ausführungen im sozialgerichtlichen Urteil macht sich diese zu Eigen (§
153 Abs.
1 SGG).
2.
Im Übrigen ist die Berufung des Beklagten unbegründet. Der Überprüfungsantrag der Klägerin ist vom Beklagten - im Ergebnis
- zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen worden.
a.
Nach der Rechtsprechung des BSG löst ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Umfang ist vom Antrag und dessen Begründung abhängig. Daher
muss der Antrag konkretisiert und es muss entweder aus diesem selbst oder aus einer Antwort des Antragstellers - ggf. nach
einer Nachfrage des Leistungsträgers - der Umfang der Prüfpflicht erkennbar sein. Diese Konkretisierung muss grundsätzlich
bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erfolgen. Anderenfalls darf der Leistungsträger von einer inhaltlichen Prüfung
des Antrags absehen (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2014, B 14 AS 33/13 R (15) mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung).
Der für die Klägerin vom HCH gestellte Antrag vom 31. Dezember 2010 genügte den Anforderungen an einen konkretisierbaren Antrag
nicht. Er enthielt lediglich einen Hinweis auf den zur Überprüfung gestellten Zeitraum, der sich anhand der 4-Jahres-Frist
ergeben hat. Weder wurden in dem Antrag Bescheide genannt, noch rechtliche Ausführungen hinsichtlich zu Unrecht bewilligter
Leistungen in dem Zeitraum ab Januar 2006 gemacht. Vielmehr hatte der HCH ausdrücklich auf eine aus seiner Sicht nicht notwendige
Konkretisierung des Überprüfungsantrags hingewiesen.
Ebenso wenig genügte zur Konkretisierung das im Gerichtsverfahren vorgelegt allgemeine Schreiben des HCH vom 1. April 2011
für eine unbestimmte Zahl von Fällen. Darin ist keine konkrete Zuordnung von behaupteten Fehlern zu einem Leistungsberechtigten
oder einer Bedarfsgemeinschaft erkennbar. Insbesondere enthält dieses Schreiben keinerlei Ausführungen zum Vorgehen des Beklagten
betreffend die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide, welche die Klägerin später gerügt hat.
Erstmals in der Klagebegründung vom 18. Februar 2014 - nach erfolgter Akteneinsicht durch das Sozialgericht - hat die Klägerin
materiell-rechtlich verschiedene Einwände, u.a. gegen die Bescheide vom 26. Februar 2007 und 30. April 2008 erhoben.
Bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens war somit der zulässige Antrag nach § 44 SGB X nicht gestellt worden.
b.
Zu Recht hat das Sozialgericht aber angenommen, dass hier ausnahmsweise die Konkretisierung des Überprüfungsantrags vom 31.
Dezember 2010 noch im Klageverfahren - nach erfolgter Akteneinsicht - zulässig war. Denn der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt,
die beantragte Akteneinsicht durch Übersendung in die Geschäftsräume der damaligen Prozessbevollmächtigten zu genehmigen.
Die Klägerin ist über das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie - nach erfolgter
Akteneinsicht in die Büroräumen der damaligen Prozessbevollmächtigten - noch im Widerspruchsverfahren den Antrag nach § 44 SGB X vom 31. Dezember 2010 hinreichend konkretisiert, womit dieser als zulässig anzusehen ist.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses
obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft, verletzt hat. Erforderlich ist weiter, dass zwischen der Pflichtverletzung
des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch
das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Der
sozialrechtliche Herstellungsanspruch zielt daher nur auf Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer sozialrechtlichen
Position im Sinne desjenigen Zustands, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm erwachsende Nebenpflicht
ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (so etwa: BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010, B 13 R 15/10 R).
a.a.
Der Beklagte hat eine ihm obliegende Pflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis mit den Klägern verletzt. Er brachte im Schreiben
vom 27. September 2011 zum Ausdruck, dass er die Akteneinsicht nur in Form der Übersendung von kostenpflichtigen Kopien oder
ersatzweise vor Ort in einer der Geschäftsstellen bewillige. Eine Ermessensausübung betreffend anderer Arten der Akteneinsicht,
insbesondere der beantragten Übersendung in die Geschäftsräume der Prozessbevollmächtigten der Kläger, hat nicht stattgefunden.
Insoweit hat der Beklagte übersehen, dass §
84a SGG für das mit der Einlegung des Widerspruchs beginnende Vorverfahren (§
83 SGG) eine weitergehende Regelung zur Akteneinsicht vorsieht als § 25 SGB X. Der insoweit entsprechend anwendbare §
120 Abs.
2 Satz 2
SGG sieht ausdrücklich die ermessensweise Genehmigung der Mitnahme in die Geschäftsräume eines Prozessbevollmächtigten, der Rechtsanwalt
ist, vor. Das entsprach der Absicht des Gesetzgebers, mit §
84a SGG das Akteneinsichtsrecht zu verbessern und während des laufenden Vorverfahrens wie im Gerichtsverfahren zu handhaben (Deutscher
Bundestag, Drucks. 11/7817 S. 143). Welche Grundsätze für Akteneinsichtsgesuche nach § 25 SGB X vor Beginn des Vorverfahrens gelten, kann hier dahinstehen.
Eine Ermessensausübung hinsichtlich der Art der zu bewilligenden Akteneinsicht hat nicht stattgefunden. Weder die Verwaltungsakte
noch das Vorbringen des Beklagten lassen erkennen, dass dieser hier die Pflicht zu einer Entscheidung nach Ausübung von Ermessen
überhaupt gesehen hat.
Der Senat hält die Begrenzung der Akteneinsicht auf die beiden vom Beklagten angebotene Formen auch nicht im Rahmen einer
Ermessensreduzierung auf Null für geboten. Hinweise für eine Untunlichkeit der beantragten Aktenübersendung finden sich nicht
und sind auch im Gerichtsverfahren nicht vorgetragen worden. Solche Gründe könnten zum einen in der Person der Prozessbevollmächtigten
liegen. Der Beklagte hat aber nicht behauptet und es ist auch nicht gerichtsbekannt, dass die damaligen Prozessbevollmächtigten
der Kläger nicht die Gewähr boten, dass sie ihnen übersandte Verwaltungsakten zurückgäben. Auch sachliche Gründe, die gegen
eine Übersendung der Originalakten für eine kürzere Zeit sprechen würden, sind nicht erkennbar. Die Übersendung von maximal
drei Bänden Verwaltungsakten im Original wäre nicht mit einem unzumutbaren finanziellen Aufwand für den Beklagten verbunden
gewesen. Die Übersendung der Akten für eine kürzere Zeit hätte auch den Geschäftslauf des Beklagten nicht in unzumutbarer
Weise beeinträchtigt, da es sich um bereits abgeschlossene Bewilligungsabschnitte gehandelt hat.
Vielmehr haben die Kläger zu Recht auf die finanziellen Folgen der ihr vom Beklagten angedienten Akteneinsicht verwiesen,
die im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen wären. An Gesamtkopierkosten wären bei 780 Blatt ca. 130 EUR zu zahlen
gewesen, wenn die Klägerin die Akteneinsicht in Form der Fertigung von Kopien beantragt hätte. Denn die Mitarbeiter des Beklagten
hätten keine Vorsortierung vornehmen dürfen und auch nicht können. Wäre die Akteneinsicht hingegen durch die Prozessbevollmächtigten
vor Ort erfolgt, wären zwar sicherlich weniger Kopierkosten angefallen (mutmaßlich für 262 Blatt wie im sozialgerichtlichen
Verfahren abgerechnet). Dies hätte aber gegenüber der Durcharbeitung der Verwaltungsakten in den Geschäftsräumen der Prozessbevollmächtigten
einen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand für die Hin- und Rückfahrt bedeutet. Dem gegenüber wären bei einer Akteneinsicht
in den Büroräumen der Prozessbevollmächtigten lediglich die eigenen Kopierkosten und die Kosten die Rücksendung der Akten
angefallen.
Der Hinweis des Beklagten auf den Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 8. Januar 2010 (L 8 B 6/07 SO) geht fehl. Zum einen war schon nach dem Vorbringen des dortigen Klägerbevollmächtigten ein Gesamtzeitaufwand von nur
30 min für Anfahrt und Akteneinsicht erforderlich gewesen. Hier lag der Fall anders, da die Anfahrtzeit der Prozessbevollmächtigten
der Klägerin zum Behördensitz nach deren Vortrag schon je eine Stunde gedauert und die Durchsicht von 780 Blatt Verwaltungsakten
einen mindestens mehrstündigen Zeitaufwand bedeutet hätte. Von Bedeutung in dem dortigen Verfahren war auch gewesen, dass
sich die maßgeblichen Verwaltungsvorgänge in laufender Bearbeitung befanden, weil der dortige Kläger weitere Widersprüche
eingelegt hatte. Hier wäre jedoch eine Aktenübersendung für die in der Vergangenheit liegenden Zeiträume ohne Weiteres möglich
gewesen, wie sich auch aus der gerichtlich gewährten Akteneinsicht ergibt.
Es ist auch nicht aus anderen Gründen festzustellen, dass die beantragte Akteneinsicht in die Geschäftsräume der Prozessbevollmächtigten
im Wege der Ermessensreduzierung auf Null hätte abgelehnt werden dürfen. Dies wäre etwa vorstellbar, wenn bereits Akteneinsicht
bewilligt worden war und kein vernünftiger Grund für die Notwendigkeit einer nochmaligen Akteneinsicht vorliegt. Die Behauptung
des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, wonach die damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger schon
auf ein Akteneinsichtsgesuch vom 9. November 2010 in sechs anderen sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten Akteneinsicht
genommen hätten, ist eine durch keine objektiven Anhaltspunkte begründete Tatsachenbehauptung ins Blaue hinein. Der Vertreter
des Beklagten konnte weder darstellen, welche Verwaltungsakten wann eingesehen oder was tatsächlich kopiert wurde, ob eventuell
kopierte Akten der zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Kanzlei L.-F. tätigen Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Verfügung
standen, noch welche Sachverhalte den Rechtsstreitigkeiten in den sechs anderen Verfahren zugrunde lagen.
Eine Aussetzung des Rechtsstreits und Beiziehung der im Akteneinsichtsgesuch vom 9. November 2010 genannten Gerichtsakten
kam hier nicht in Betracht. Ein entsprechender Beweisantrag wäre ein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Denn die Beweisaufnahme
würde erst die gemutmaßten Tatsachen aufdecken oder eine Grundlage für eine substantiierte Behauptung verschaffen sollen.
Einem solchen Beweisantrag ist jedoch nicht nachzugehen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 33/11 R (26)). Schließlich ließe sich aber auch durch Beiziehung der genannten Gerichtsakten nicht klären, ob anlässlich einer
eventuell erfolgten Akteneinsicht auch die streitgegenständlichen Vorgänge kopiert wurden.
b.b.
Durch die Verletzung einer Pflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis ist der Klägerin ein Nachteil erstatten, da bis zum Abschluss
des Widerspruchsbescheids kein zulässiger Antrag nach § 44 SGB X gestellt werden konnte. Ihr Antrag ist daher als unzulässig abgelehnt worden.
c.c.
Es liegt auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der pflichtwidrig verweigerten Akteneinsicht und dem eingetretenen Nachteil
vor.
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. Juli 2011 sowie die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 18. April 2012 sind
innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt worden. Der Widerspruch hätte daher nicht bereits aus anderen Gründen als unzulässig
verworfen werden dürfen bzw. die Klage wäre nicht als unzulässig abzuweisen gewesen.
Die Klägerin hat auch nach erfolgter Akteneinsicht im Gerichtsverfahren eine hinreichende Konkretisierung ihres Antrags nach
§ 44 SGB X vom 31. Dezember 2010 vorgenommen. Betreffend den erstgenannten Bescheid hat sie auf die Rechtsprechung des BSG hingewiesen, wonach eine Kürzung der Regelleistung bei stationären Krankenhausaufenthalten unzulässig sei. In Bezug auf den
zweitgenannten Bescheid hat sie zwar lediglich den Ablauf der Leistungsbewilligung nach der Kindergeldzahlung geschildert.
Gründe für die Rechtswidrigkeit hat sie dabei nicht genannt. Dies ist aber zur Konkretisierung auch nicht erforderlich gewesen.
Ausreichend war hier, dass die Klägerin sich erkennbar eindeutig gegen diesen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gewendet
hat. Der Beklagte konnte einzelfallbezogen erkennen, dass insoweit ein konkreter Anlass zur Überprüfung der Entscheidung bestand.
Bei objektiver Betrachtung des Verwaltungshandelns war auch ohne weiteres zu erkennen, dass insoweit eine fehlerhafte Bearbeitung
erfolgt war.
Soweit der Beklagte diesbezüglich ausführt, im Klageverfahren seien weder die zu überprüfenden Bescheide benannt noch Gründe
für deren Fehlerhaftigkeit vorgebracht worden, folgt der Senat dem nicht. Die Daten der Bescheide sind ausdrücklich genannt
worden und es ist auch ausdrücklich die Fehlerhaftigkeit gerügt worden bzw. ist sie ohne weiteres erkennbar gewesen.
Der Einwand des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits, wonach die zwischen Akteneinsicht
und vorgelegter Klagebegründung verstrichene Zeitspanne das Fehlen der Kausalität belege, überzeugt nicht. Es gibt keine Vorschrift,
wonach ein nicht begründeter Widerspruch nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne unzulässig wird. Gegebenenfalls kann die
widerspruchsbearbeitende Behörde auf die Vorlage einer Begründung hinwirken, etwa durch Fristsetzung. Wird danach noch immer
keine Begründung vorgelegt, kann der Widerspruch ohne weitere Sachprüfung zurückgewiesen werden. Es ist aber nicht ersichtlich,
dass die Prozessbevollmächtigten der Kläger in einem solchen Fall eine ihnen gesetzte Frist hätten verstreichen lassen, ohne
eine Konkretisierung des Antrags nach § 44 SGB X vorzunehmen. Der zeitliche Abstand erklärt sich auch daraus, dass die Kläger zunächst die Durchführung eines Musterverfahrens
anstrebten.
d.d.
Der erlittene Nachteil für die Klägerin ist schließlich durch eine zulässige Amtshandlung zu beseitigen. Denn der Beklagte
kann verpflichtet werden, den Antrag nach § 44 SGB X vom 31. Dezember 2010 als innerhalb des Vorverfahrens hinreichend konkretisiert und somit als zulässig zu behandeln (vgl.
BSG, Urteil vom 18. Januar 2011, B 4 AS 29/10 R (16): wenn ein Weiterzahlungsantrag zu spät gestellt wird und dies kausal auf eine fehlerhafte Belehrung des Beklagten
zurückzuführen ist, ist der Leistungsberechtigte so zu stellen, als wäre sein Antrag rechtzeitig gestellt worden).
Der Beklagte hat somit den Antrag nach § 44 SGB X vom 31. Dezember 2010 betreffend die Bescheide vom 6. Februar 2007 und vom 30. April 2008 in der Sache zu prüfen und auf
den Widerspruch vom 23. August 2011 einen rechtsbehelfsfähigen Widerspruchsbescheid zu erteilen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Trotz des teilweisen Obsiegens des Beklagten war dieser zur vollen Übernahme der Kosten der Klägerin für das Klage- und
das Berufungsverfahren zu verpflichten. Denn das Obsiegen betrifft lediglich einen prozessualen Anspruch des Beklagten, selbst
über den Widerspruch und die Aufhebung der zur Überprüfung gestellten Bescheide entscheiden zu müssen.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Klageverfahren sind zu erstatten, da der Beklagte insoweit Anlass zur Klageerhebung
gegeben hat. Die Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren sind hingegen nicht zu erstatten, da dieser nach der Konkretisierung
des Überprüfungsbegehrens im Klageverfahren keine Beschwer mehr für sich in Anspruch nehmen konnte.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe vorliegen (§
160 Abs.
2 SGG).