Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für eine chirurgische Brustaufbauplastik
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Kosten für eine chirurgische Brustaufbauplastik.
Die Klägerin ist im Februar 1960 geboren. Am ... 1996 unterzog sie sich einer transaxillären Mammaaugmentation beidseits,
da sie sich aufgrund einer Mikromastie nicht als vollwertige Frau fühlte. Für diese Operation wandte die Klägerin rund 530
DM auf; im Übrigen erfolgte die Abrechung gegenüber der Krankenkasse im Zusammenhang mit den Kosten einer Unterleibsoperation.
Wegen Dislokation des Implantates wurde kurze Zeit später eine Korrekturoperation durchgeführt und drei Monate später ein
Prothesenwechsel wegen Wundheilungsstörungen vorgenommen. Weitere Prothesenwechsel erfolgten 1998 und 1999 sowie im Jahre
2000 eine weitere Mamma-Operation wegen einer Kapselfibrose mit Entfernung der linken Prothese. 2001 fand wieder eine Mamma-Operation
mit einer Augmentation der linken Mamma mit subpectoralem Implantat sowie erneut im Jahre 2003 eine Mamma-Operation mit Prothesenexplantation
und Kapselexzision beider Mammae wegen Kapselfibrosen beidseits statt.
2002 erhielt die Klägerin von einer kommunalen Schadensausgleichsstelle 25.000,00 Euro zur Abgeltung aller aus dem Schadensfall
vom 13. September 1996 abzuleitenden Forderungen (Blatt 102 Gerichtsakte).
Aufgrund eines Antrags der Klägerin auf eine Mamma-Aufbauplastik im Mai 2004 erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung
Sachsen-Anhalt (MDK) im Juni 2004 ein Gutachten. Der Gutachterin gegenüber gab die Klägerin an, sie habe daran "zu knabbern",
seit September vergangenen Jahres keinen Partner mehr haben. Sie gehe nicht mehr Baden und habe Schwierigkeiten beim Einkauf
von Bekleidung. Zum Begutachtungszeitpunkt trug die Klägerin einen mit Gel-Polstern gefütterten BH. Nach Ansicht der Gutachterin
lag eine Mammahypoplasie vor, die keine Indikation für eine Operation als Kassenleistung darstelle. Bei der begehrten Brustaufbauplastik
handele sich um einen rein kosmetischen Eingriff, dessen Kosten die Versicherte selbst tragen müsse. Der Volumenmangel könne
problemlos durch einen Push-up-BH oder Einlagen im BH ausgeglichen werden. Erneute postoperative Komplikationen könnten nicht
ausgeschlossen werden, so dass schon aus gutachterlicher Sicht von weiteren Operationen abzuraten sei.
Aufgrund eines neuen Antrages der Klägerin im August 2006 wurde unter dem 8. September 2006 ein weiteres Gutachten des MDK
durch Dipl.-Med. K. erstellt, der das Vorgutachten bestätigte: Die Mammahypoplasie stelle keine Indikation für einen operativen
Eingriff dar; es handele sich um eine rein kosmetische Operation. Bei sich wiederholenden Komplikationen nach gleichartigen
Eingriffen sei insgesamt nicht davon auszugehen, dass eine weitere derartige Operation erfolgreich sein werde. Hinzu kämen
die multiplen Beschwerden der Klägerin. Die psychotherapeutische Behandlung solle unbedingt fortgeführt werden, da davon auszugehen
sei, dass der Operationswunsch eher eine allgemeine Unzufriedenheit ausdrücke, hinter der wesentliche andere Probleme stünden.
Eine Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden.
Im Jahre 2007 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und bat um Prüfung, ob ein Brustaufbau genehmigt werden könne.
Die Beklagte zog einen Bericht der Rehabilitationsklinik G. über eine Behandlung vom 25. April bis 23. Mai 2007 bei. Die dortigen
Diagnosen lauteten auf eine mittelgradige depressive Episode, eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung sowie eine Somatisierungsstörung.
Es bestehe aufgrund der körperlichen Veränderungen eine hohe Selbstwertproblematik. Die Klägerin fühle sich nicht mehr als
Frau. Die Klinik empfahl neben einer psychotherapeutischen Betreuung auch eine Unterstützung für eine kosmetische Operation
(Brustaufbau). Dies würde mittelfristig zu einer deutlichen Verbesserung des Selbstwertgefühls, des seelischen Gleichgewichts
und der Lebensqualität führen.
Im Auftrag der Beklagten erstattete der MDK unter dem 1. September 2007 ein weiteres Gutachten. Bei der Untersuchung gab die
Klägerin an, keine ambulante Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Sie habe erst wieder im Januar 2008 einen Termin bei Dr.
B. Weiterhin berichtete sie über Probleme in Bezug auf Partnerschaft, Freizeit und Kleidung. Bei der Begutachtung erschien
die Klägerin sehr gepflegt. Bei der Untersuchung der Brust stellte man eine hochgradige Mammahypoplasie beidseits fest. Unterhalb
der Mamma beidseits bestünden reizlose, bogenförmige Narben, wobei das Gewebe unterhalb der Aureolae eingezogen sei. Die aktuelle
BH-Größe gab die Klägerin mit 85 B an; der gefüttert BH saß nach Ansicht des MDK gut. Nach diesem Gutachten war die beantragte
Operation medizinisch nicht begründet. Es werde weiter auf konservative Maßnahmen verwiesen, die die Versicherte durch das
Tragen eines gefütterten BHs bereits ergriffen habe.
Mit Bescheid vom 26. September 2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch
ein und wies darauf hin, es handele sich nicht um eine Schönheitsoperation, sondern um eine Wiederherstellung. Weiterhin stützte
sie sich auf ein Schreiben der Fachärztin für innere Medizin Dipl.-Med. I. vom 29. Oktober 2007, wonach es im letzten Jahr
zu einer zunehmenden Verschlechterung der psychischen Situation gekommen sei. Diese Ärztin bat nach Schilderung der psychischen
Beschwerden die Beklagte, ihre Entscheidung hinsichtlich des Brustaufbaus neu zu überdenken. Bei einer unterstützenden Entscheidung
sei von einem positiven Einfluss auf die derzeit begonnene psychologische Therapie auszugehen. Zusätzlich wies die Klägerin
darauf hin, dass der Arzt, welcher einen Behandlungsfehler begangen habe, auch für die Folgen des Eingriffs einstehen müsse.
Die Beklagte habe somit die Möglichkeit, den Arzt in Regress zu nehmen. Nach Ansicht der Beklagten war dieser Widerspruch
verspätet, weshalb sie ein neues Verwaltungsverfahren einleitete.
Ein weiteres Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt durch Dr. P. bestätigte das vorherige Gutachten. Zusätzlich wies sie darauf
hin, dass Anlass für die mehrfachen Voroperationen rezidivierende Kapselfibrosenentzündungen gewesen seien. Diese seien als
ausgeprägte Fremdkörperreaktion zu werten und stellten eine Kontraindikation für eine nochmalige Implantateinlage dar. Mit
Bescheid vom 3. März 2008 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin erneut ab, wogegen die Klägerin nochmals Widerspruch
einlegte. Diesen wies die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2008 ab und begründete dies mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,
wonach Versicherte keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für operative Eingriffe hätten, wenn diese aus psychischen Gründen
gefordert würden. Psychische Störungen seien mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln.
Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juli 2008 Klage am Sozialgericht Magdeburg erhoben. Nach einem beigezogenen Befundbericht
der Universitätsklinik für plastische, ästhetische und Handchirurgie M. vom 9. Mai 2011 hat die Klägerin dort angegeben, unter
ihrem Aussehen sehr zu leiden. Sie fühle sich entstellt und habe Minderwertigkeitsgefühle, wenn sie sich zeigen solle. Sie
traue sich nicht, in Badebekleidung herumzulaufen und gehe nur mit einem T-Shirt bekleidet baden. Sie vermeide auch Besuche
in der Sauna und trage keine körperbetonte Bekleidung. Es bereite ihr Mühe, passende BHs zu finden. Weiterhin gebe die Klägerin
an, dass sie aufgrund ihres Aussehens auch Probleme habe, einen Partner zu finden, da sie sich schäme, Sexualkontakte einzugehen.
Aus plastisch-chirurgischer Sicht sei eine Brustrekonstruktion zu empfehlen, da sich in der Betrachtung ein eher männlicher
Habitus zeige. Insgesamt bestehe ein entstellendes Ergebnis. Aufgrund der vielfältigen Komplikationen sei eine Rekonstruktion
beider Brüste durch Eigengewebe anzuraten.
Auf Bitten der Beklagten hat der MDK durch Frau J. erneut ein Gutachten erstattet. Nach Ansicht der Gutachterin war die Klägerin
durchaus in der Lage, den Befund ihrer Brüste nach außen hin sehr gut zu kaschieren. Durch gepolsterte BHs könne sie die Asymmetrie
und das für sie zweifellos unbefriedigende Lokalbild kompensieren. Damit könne eine entstellende Wirkung des äußeren Erscheinungsbildes
ausgeglichen werden. Auch Funktionsdefizite seien nicht vorhanden. Eine regelmäßige psychotherapeutische Behandlung sei weiterhin
sinnvoll, um der Klägerin die Akzeptanz ihres äußeren Erscheinungsbildes weiter zu vermitteln.
Mit Urteil vom 27. Oktober 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es läge keine Erkrankung
vor. Die Klägerin sei weder in einer Körperfunktion beeinträchtigt noch wirke der Zustand der Brüste entstellend. Soweit sie
im unbekleideten Zustand körperliche Auffälligkeiten aufweise, die im Grunde erst im Intimleben relevant würden, spiele dies
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Rolle (Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07, juris, Rn. 15). Möglich
sei das Tragen von speziell angefertigter Badeanzüge und Bikinis. Die psychische Belastung rechtfertige keinen chirurgischen
Eingriff, sondern könne regelmäßig nur spezifische Behandlungen, z. B. mit den Mitteln der Psychiatrie, erforderlich machen.
Gegen das ihr am 2. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Januar 2012 Berufung eingelegt und erneut darauf
hingewiesen, dass der Arzt, der den Behandlungsfehler begangen habe, für weitere Eingriffe haftbar zu machen sei. Das Tragen
von BHs sei unmöglich, da keine Brust mehr vorhanden sei. Eine Attrappe trage sie nur, damit sie nicht wie ein Mann aussehe.
Ähnlich verhalte es sich bei der Badebekleidung. Die Bikinioberteile seien nicht ausgefüllt oder weit ausgeschnitten, so dass
beim Hinschauen schon die Leere und Einziehung der Haut sichtbar werde. Baden gehen in der Öffentlichkeit werde zur Tortur.
Dieser Zustand sei für sie in allen Lebenslagen, in denen sie sich unbekleidet zeigen müsse, ein Drama. Deshalb liege eine
Krankheit vor. Die Natur habe ihr den Busen gegeben, weil sie Kinder stillen solle. Dies habe sie auch getan.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Oktober 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, eine chirurgische Brustaufbauoperation
zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Prof. Dr. M.
Diese hat die Klägerin am 7. November 2012 untersucht. Ihr gegenüber hat die Klägerin angegeben, Partnerschaften seien für
sie sehr schwierig. Ein Badeanzug würde zur Qual und enge Kleidung müsse sie vermeiden. Sie ziehe sich auch aus ihrem Freundeskreis
zurück. Nach Auffassung der Gutachterin liegt eine anatomische Abweichung vor, die entstellend wirke und daher als Krankheit
zu bezeichnen sei. Aufgrund dieser Veränderungen habe sich bei der Klägerin eine schwere seelische Konfliktsituation entwickelt.
Das äußere Erscheinungsbild der Klägerin im bekleideten Zustand habe insgesamt keine entstellende Wirkung, da die Klägerin
entsprechende Büstenhalter trage. Sobald sie sich ohne Kleidung gegenüber einem Partner präsentiere, entwickle sie ein heftiges
Schamgefühl. Mit einem Zustand nach Brustamputation, z. B. nach einer Krebserkrankung, sei das konkrete Bild der Klägerin
nicht zu vergleichen, da es sich um vollkommen verschiedene Situationen handle. Unter Abwägung von Erfolgsaussichten, Nutzen
und Risiken rate sie zu einem erneuten Brustaufbau.
Auf Bitten der Beklagten hat der MDK unter dem 8. Februar 2013 durch Dr. P. zu diesem Gutachten Stellung genommen. Diese hat
ausgeführt, Auffälligkeiten im bekleideten Zustand würden durch das kosmetische Defizit der Brustkonfiguration nicht hervorgerufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen. Diese Akten und Unterlagen haben vorgelegen und sind vom Gericht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt
worden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Oktober 2011 sowie der Bescheid der
Beklagten vom 3. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2008 erweisen sich als rechtens und beschweren
die Klägerin nicht i. S. v. §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Sie hat keinen Anspruch auf eine chirurgische Brustaufbauoperation.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach §
27 Abs.
1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender
Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris, m.w.N.; kritisch hierzu Ulmer in Wenner/Eichenhofer, §
27 SGB V, Rn. 4 ff). Die Krankenkassen sind weder nach dem
SGB V noch von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit
verfügbar ist (BSG, aaO.)
Hier liegt bei der Klägerin keine körperliche Anomalität vor, die als Krankheit in diesem Sinne zu bewerten wäre. Nicht jeder
körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für
die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn
der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl.
zu Hautverfärbungen BSG, 13.7.2004, B 1 KR 11/04 R, juris).
1) Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion kann der Zustand der Klägerin schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige
Krankheit bewertet werden, weil ihr die begehrte Behandlung auch im Erfolgsfall nur ein anderes Aussehen und keine natürlich
gewachsenen funktionsgerechten Organe verschaffen würde. Ein "natürlicher" Brustzustand lässt sich durch weitere Operationen
nicht herstellen. Insbesondere lässt sich der bei der rund 53 Jahre alten Versicherten beklagte Funktionsausfall beim Stillen
durch Silikonimplantate nicht beeinflussen. Mithin besteht kein wesentlicher Unterschied zu dem von der Rechtsprechung bereits
abschlägig entschiedenen Fall, dass ein männlicher Versicherter eine Hodenprothese begehrt (BSG, Urteil vom 9.6.1998, B 1 KR 18/96 R, juris). In beiden Fallgestaltungen fehlt es insofern - und zwar auch bezogen auf die Linderung einer durch die Regelwidrigkeit
möglicherweise verursachten körperlichen Beeinträchtigung - am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit
voraussetzt (vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris, m.w.N.).
Vorliegend dient der Eingriff auch nicht der Behandlung der ursprünglich bestehenden Krankheiten. Vielmehr sind diese restlos
abgeheilt. Es besteht im Gegenteil die Gefahr, dass es aufgrund des Eingriffs erneut zu Fibrosen kommt, die nach vorangegangenen
Brustoperationen aufgetreten waren, so dass sogar eine Kontraindikation besteht (vgl. Gutachten Dr. P.).
2) Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung
als behandlungsbedürftig anzusehen wäre.
Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine
erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich
erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und
sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft gefährdet ist (vgl. BSG, aaO., m.w.N.).
Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein:
Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung
eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein,
dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig
zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (Ulmer in Wenner/Eichenhofer, §
27 SGB V, Rn. 13). Die Rechtsprechung hat als Beispiele für eine Entstellung z.B. das Fehlen natürlichen Kopfhaares bei einer Frau
angenommen (BSG, Urteil vom 23.7.2002, B 3 KR 66/01 R, juris). Dagegen hat das BSG bei der Fehlanlage eines Hodens eines männlichen Versicherten eine Entstellung nicht einmal für erörterungswürdig angesehen
(vgl. BSG, 9.6.1998, B 1 KR 18/96 R) und eine Entstellung bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt
in Form und Größe der weiblichen Brust revisionsrechtlich abgelehnt (BSG, Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris).
Zwar hat Prof. Dr. M. eine Entstellung angenommen; allerdings kann sie dabei nicht in Anspruch nehmen, diese Feststellungen
unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtsprechung getroffen zu haben. Ob und in welchem Grad Gesundheitsstörungen
entstellend wirken, lässt sich regelmäßig ohnehin nicht nach dem Eindruck eines Sachverständigen oder nach Photographien beurteilen.
Maßgebend ist der unmittelbare Eindruck des Gerichts, den es sich grundsätzlich durch Augenschein zu verschaffen hat (BSG, Urteil vom 26.1.1994, 9 RV 25/93, juris).
Der Senat geht nach dem Eindruck der Klägerin in der mündlichen Verhandlung in Übereinstimmung mit den Gutachtern des MDK
und auch der Sachverständigen Prof. Dr. M. davon aus, dass die Klägerin im bekleideten Zustand keinesfalls entstellt aussieht,
sondern gepflegt wirkt. Prof. Dr. M. hat festgestellt, das äußere Erscheinungsbild der Klägerin im bekleideten Zustand habe
insgesamt keine entstellende Wirkung, da die Klägerin entsprechende Büstenhalter trage. Auch in den Gutachten des MDK ist
mehrfach ausgeführt worden, der Volumenmangel könne problemlos durch einen Push-up-BH oder Einlagen im BH ausgeglichen werden.
Teilweise wird der Klägerin ein "sehr gepflegtes Erscheinungsbild" und ein guter Sitz der BHs bescheinigt; Hinweise in den
vielfachen Untersuchungen auf tatsächliche Probleme beim Tragen dieser BHs gibt es nicht. Der Senat schließt sich daher der
Bewertung des Sozialgerichts an, dass der Volumenmangel durch entsprechende BHs ausgeglichen werden kann.
Insoweit besteht bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" keine Gefahr, dass die Klägerin
als auffällig wahrgenommen wird. Die von der Klägerin hervorgehobenen Situationen in unbekleideten Zustand bei Ärzten sind
nicht alltäglich; zudem muss sie sich auch dort keinesfalls regelmäßig vollständig entkleiden. Erst recht sind nach dieser
Rechtsprechung sexuelle Beziehungen unerheblich; sie finden nicht in flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen statt.
Dies wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber diesen Bereich der Eigenverantwortung zugewiesen und z.B. die Behandlung
einer erektilen Dysfunktion - einer Krankheit - gezielt durch Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 14. November 2003 (BGBl I 2190) ausgeschlossen hat.
Die Beklagte ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet, ihr das Tragen von enger Kleidung oder Bikinis in optisch
ansprechender Form zu ermöglichen. Dem Gutachten von Dr. P. vom Mai 2013 ist zuzustimmen, wonach rechtlich entgegen der Ansicht
von Prof. Dr. M. ästhetische Gesichtspunkte ohne das Vorliegen eines regelwidrigen Körperzustandes bzw. einer Entstellung
die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen können. Wie der MDK mehrfach festgestellt hat, handelt
es sich um einen rein kosmetischen Eingriff (vgl. auch den Bericht der Rehabilitationsklinik G., in dem eine solche Operation
befürwortet wird).
Die Ursache des körperlichen Erscheinungsbildes der Klägerin ist unerheblich (zu den gesetzlich geregelten und hier nicht
gegebenen Ausnahmen siehe Ulmer in Wenner/Eichenhofer, §
27 SGB V, Rn. 10). Eine solche Differenzierung bei gleichartiger optischer Erscheinung mit der mehrfach diagnostizierten Mammahypoplasie
wäre nach Ansicht des Senats auch mit Art.
3 Grundgesetz nicht zu vereinbaren.
Die Frage der sexuellen Identität stellt sich hier - anders als bei Transsexuellen - nicht (dazu Ulmer in Wenner/Eichenhofer,
§
27 SGB V, Rn. 15). Das subjektive Empfinden der Kläger kann keine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung begründen.
Diese subjektive Einstellung der Klägerin ist letztlich auch nicht objektivierbar. Auffällig ist zumindest, dass die Klägerin
jene 25.000 Euro, die nach Ansicht des Senates und auch den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ohne Weiteres
für die hier gewünschte Operation ausgereicht hätten, für - nach eigenen Angaben - "Annehmlichkeiten" ausgegeben hat (Blatt
135 Gerichtsakte). Dies spricht gegen einen erheblichen Leidensdruck durch die jetzige Situation. Entgegen der Behauptung
der Klägerin handelt es sich bei dem geleisteten Geld nicht nur um Schmerzensgeld. Vielmehr sind hiermit alle Ansprüche abgegolten
einschließlich der Naturalrestitution (vgl. §
249 Bürgerliches Gesetzbuch, d.h. eines auch im unbekleideten Zustand optisch positiven Erscheinungsbildes). Daher läge es nicht fern, die Klägerin im
Obsiegensfall als erstattungspflichtig gegenüber der Krankenkasse anzusehen (§ 116 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch). Insoweit
könnte es ihr auch verwehrt sein, die Beklagte darauf zu verweisen, sich die Kosten von dem behandelnden Arzt erstatten lassen.
3) Allerdings besteht hier vermutlich eine Behandlungsnotwendigkeit bezüglich der mittelgradigen depressiven Episode, der
zwanghaften Persönlichkeitsstörung sowie der Somatisierungsstörung. Diese Krankheiten werden aber nicht durch eine körperliche
Regelwidrigkeit, sondern ausschließlich durch psychische Momente verursacht. Diese psychische Belastung der Klägerin rechtfertigt
keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ob die Klägerin einen Anspruch auf psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlung hat, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits;
jedenfalls können psychische Leiden nicht den allein streitigen Anspruch auf eine Operation zum Brustaufbau begründen. Die
Krankenkasse muss den Versicherten nicht mit jeglichem Mittel versorgen, das seiner Gesundheit förderlich ist oder für sich
in Anspruch nimmt, auf die Krankheit einzuwirken; vielmehr mutet das Gesetz dem Versicherten zu, teilweise selbst für seine
Gesundheit zu sorgen (vgl. §
1 Satz 2 Halbsatz 1, §
2 Abs.
1 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V). Es weist beispielsweise die Ernährung und Körperpflege insgesamt seiner Eigenverantwortung zu, und zwar selbst dann, wenn
die dafür eingesetzten Mittel wesentlich dazu beitragen, den Gesundheitszustand zu bessern oder die Verschlimmerung einer
Krankheit zu verhüten (vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris). Schon daraus ergibt sich, dass Krankheit keinen undifferenzierten Bedarf an Sozialleistungen auslöst, sondern dass
der Begriff der Krankenbehandlung i.S. von §
27 Abs.
1 Satz 2
SGB V in einem enger umrissenen Sinne zu verstehen ist. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der operative Eingriff kostenmäßig
günstiger als eine langwierige psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung ist (BSG, Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris, m.w.N.).
Die bisherige Rechtsprechung hat einen Leistungsanspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe verneint, wenn
diese Maßnahmen nicht durch Fehlfunktionen oder durch Entstellung veranlasst werden (BSG, aaO., m.w.N.). Damit hat sie Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische
Leiden beeinflussen sollen, nicht als "Behandlung" i.S. von §
27 Abs.
1 SGB V gewertet und derartige Maßnahmen (ähnlich wie z.B. Ernährung und Körperpflege) der Eigenverantwortung des Versicherten zugewiesen.
Dieser Abgrenzung schließt sich der Senat an. Wie oben dargelegt ist die Klägerin körperlich aus Sicht des
SGB V nicht "krank".
Hinzu kommt, dass die Kostenübernahme für die hier in Rede stehenden Operation mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken
einer besonderen Rechtfertigung bedarf, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird,
sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden
soll. Eine solche Rechtfertigung hat das BSG für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Vorhersage
der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose in ständiger
Rechtsprechung verneint. Der damit aufgestellte Grundsatz wäre nach dieser Rechtsprechung nur dann zu überprüfen, wenn sich
die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe wesentlich geändert hätte
(vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris).
Die aktuellen medizinischen Erkenntnisse widerlegen jedoch nicht die diesbezüglichen in der Rechtsprechung geäußerten Zweifel.
Im Gegenteil hat Dipl.-Med. K. ausdrücklich bestätigt, dass der Operationswunsch eher eine allgemeine Unzufriedenheit ausdrücke
und damit wesentlich andere Probleme nach außen transportiere. Etwas anderes haben auch die behandelnden Ärzte nicht bekundet.
Keiner ging davon aus, dass die psychischen Probleme der Klägerin durch die gewünschte Operation beseitigt werden könnten.
Die Argumentation von Dipl.-Med. K. kann der Senat unmittelbar nachvollziehen. Da die Klägerin nach ihren Angaben trotz der
1996 fehlgeschlagenen Operation erst seit September 2003 keinen Partner mehr hat, ist der von ihr gezogene Zusammenhang zwischen
der aus ihrer Sicht fehlenden Attraktivität und der Partnerlosigkeit nicht objektivierbar. Ein Rückzug aus dem Freundeskreis
aufgrund des - bekleidet unauffälligen - Zustandes der Klägerin ist ebenfalls nicht verständlich. Hier liegt - wie ebenfalls
vom MDK mehrfach bestätigt und von der Klägerin und den behandelnden Ärzten auch nicht in Zweifel gezogen - eine psychische
Erkrankung vor, die entsprechend mit den Mittel der Psychotherapie behandelt werden sollte. Sogar die Klägerin hat in einer
Begutachtung durch den MDK im Jahre 2006 eingeräumt, sie habe auch andere Probleme.
Hinzu kommt: Wie der MDK mehrfach ausgeführt hat und auch die behandelnden Ärzte bestätigen, besteht real das Risiko einer
erneuten Abstoßungsreaktion. Wie die vielfachen Fehlschläge nachvollziehbar machen, ist der Erfolg einer solchen kosmetischen
Operation sehr zweifelhaft. Dies bestreitet auch die gerichtliche Sachverständige nicht. Sie weist allerdings zutreffend darauf
hin, dass der ebenfalls diskutierte Wiederaufbau mit Eigengewebe ebenfalls zu kosmetischen Unregelmäßigkeiten an der Entnahmestelle
führen kann, die optisch störend wirken.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.
Es handelt sich um einen Einzelfall, den der Senat auf der Basis der zitierten ständigen Rechtsprechung des BSG würdigt.