Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach SGB IX bei Diabetes mellitus - Diabetes mellitus; Grad der Behinderung; GdB; intensivierte Insulintherapie; gravierende und erhebliche
Einschnitte in die Lebensführung; Hypoglykämie; labile Stoffwechsellage; Stresssituation; stabile Stoffwechsellage; Funktionssystem
Innere Sekretion und Stoffwechsel; insulinpflichtig; Therapieaufwand; Mobilität; sportliche Aktivitäten; Freizeitverhalten;
Berufsausübung; Einstellungsqualität; psychische Belastung; Folgeerkrankungen; Gesamtbehinderungsgrad; schwere Funktionsstörung
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Der am ... 1960 geborene Kläger beantragte am 21. Februar 2011 bei dem Beklagten die Feststellung von Behinderungen nach dem
Neunten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) und machte hierbei folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend: Diabetes mellitus, diabetische Polyneuropathie,
toxische Hepatose und Spondylosis deformans. Der Kläger legte bei der Beklagten seine Blutzuckertagebücher und einen ärztlichen
Entlassungsbericht des Reha-Zentrums M. vom 22. Dezember 2010 (einschließlich sozialmedizinischer Leistungsbeurteilung) vor.
Hieraus gingen die Diagnosen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II mit milder diabetischer Retinopathie und Polyneuropathie,
einer Adipositas (BMI: 39,5), einer Fettleber, eines degenerativen Lendenwirbelsäulen-(LWS)-Syndroms und eines Nikotinabusus
hervor. Darüber hinaus holte der Beklagte einen Befundschein der Fachärztin für Augenheilkunde S. vom 15. März 2011 ein. Diese
berichtete über einen myopen Astigmatismus beidseits, Presbyopie beidseits und eine milde nichtproliferative diabetische Retinopathie
beidseits. Weiterhin holte der Beklagte eine prüfärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin Dr. med. W. vom 24.
März 2011 ein, die für die Erkrankung des Diabetes mellitus einen Einzel-GdB von 40 und für die Polyneuropathie von 10 ansetzte;
hieraus ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40. Die Gesundheitsstörungen der Fettleber, des Wirbelsäulenleidens und der Sehminderung
bedingten hingegen keinen GdB.
Mit Bescheid vom 25. März 2011 stellte der Beklagte daraufhin ab 21. Februar 2011 einen GdB von 40 fest. Als maßgebliche Funktionsbeeinträchtigungen
wurden Diabetes mellitus und eine Polyneuropathie angeführt.
Hiergegen erhob der Kläger am 4. April 2011 Widerspruch: In dem Bescheid des Beklagten sei eine falsche Einschätzung seines
Krankheitsbildes und des daraus resultierenden Therapieaufwandes getroffen worden. Er führe täglich mindestens drei Injektionen
mit Kurzzeitinsulin vor den Mahlzeiten und eine weitere Injektion mit Langzeitinsulin vor dem Schlafengehen durch. Nach den
Mahlzeiten müsse er bis zu dreimal täglich selbstständig eine weitere Injektion mit Kurzzeitinsulin zur Korrektur des Blutzuckerwertes
durchführen. Die Korrekturinjektionen erfolgten in eigener Verantwortung nach den dokumentierten Messergebnissen. Bei ihm
träten zwei- bis dreimal monatlich Hypoglykämien auf. Des Weiteren ergebe sich ein zusätzlicher Therapieaufwand durch eine
tägliche Blutdruckmessung und den wöchentlichen Besuch einer Rückenschule. Weiterhin führe die diabetische Ernährung zu einem
Mehraufwand bei der Vorbereitung von Speisen, da eine fettarme Mittagsversorgung im Umfeld seines Arbeitsplatzes nicht vorhanden
sei.
Der Beklagte holte daraufhin einen Befundschein der Fachärztin für Innere Medizin und Diabetologin Dr. med. A. vom 6. Juni
2011 ein. Diese berichtete über eine seit 1999 bekannte und seit 2007 insulinpflichtige Erkrankung an Diabetes mellitus und
eine labile Stoffwechsellage bei beruflicher Stresssituation. Als Diagnose führte sie Diabetes mellitus Typ II mit sonstigen
multiplen Komplikationen (nicht entgleist), Adipositas und eine Erkrankung der Leber an. Die Blutzucker- und HbA1c-Werte wurden
bei vier Insulininjektionen pro Tag und Dosisanpassung nach Selbstmessung des Blutzuckers wie folgt angegeben:
|
13. Dez. 2010
|
7. Feb. 2011
|
5. April 2011
|
9. Mai 2011
|
Blutzucker:
|
8,02 mmol/l
|
10,5
|
8,13
|
8,38
|
HbA1c:
|
7,2%
|
7,2
|
7,7
|
7,0.
|
Der Kläger nehme die Medikamente Lantus (Insulin), Berlinsulin H normal und Metformin 1000 mg ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte ergänzend aus: Der Diabetes
mellitus werde durch mehrmalige tägliche Insulingaben nach den gemessenen Blutzuckerwerten behandelt. Vom Kläger geschilderte
Hypoglykämien würden in den Befundunterlagen nicht bestätigt. Eine Berücksichtigung von beruflichen Beeinträchtigungen sehe
das
SGB IX nicht vor. Art und Umfang der Behinderungen rechtfertigten nicht einen GdB von wenigstens 50.
Dagegen hat der Kläger am 23. November 2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben und vorgetragen: Bei ihm sei ein überdurchschnittlicher Therapieaufwand durch die Messungen und Injektionen
sowie die Datenerfassung erforderlich. In Stresssituationen werde eine labile Stoffwechsellage hervorgerufen. Dies führe zu
einer Einschränkung seiner Lebensführung und rechtfertige schon allein einen GdB von mindestens 50, zumal gerade die Auswirkungen
im Berufsleben gravierend seien und er insoweit zusätzliche Pausen einlegen und darauf achten müsse, durch die regelmäßigen
Kontrollen der Blutzuckerwerte sowie die Insulininjektionen sich und andere nicht zu gefährden. Er sei leitender Angestellter,
so dass ein wesentlicher Teil seines Lebens durch die Arbeit bestimmt werde und er im Übrigen aufgrund der ihm obliegenden
Verantwortung häufig Stress und Termindruck ausgesetzt sei. Darüber hinaus leide er unter Missempfindungen der Füße und dem
restless-legs-Syndrom. Weiterhin bestehe ein degeneratives LWS- und Zervikalsyndrom; im Bereich der Halswirbelsäule (HWS)
seien beginnende degenerative Bandscheibenläsionen nachgewiesen worden.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Die Fachärztin für Neurologie Dr. med. S. hat am 27. Juni 2012 über
unangenehme Missempfindungen beider Füße berichtet. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diabetologin K. A. hat am 18.
Juli 2012 auf eine labile Stoffwechsellage bei beruflicher Stresssituation verwiesen. Der Diabetes mellitus Typ 2 mit sonstigen
multiplen Komplikationen sei weiterhin nicht als entgleist zu bezeichnen. In Auswertung der Befunde hat der Beklagte auf die
prüfärztliche Stellungnahme von Dr. med. W. vom 13. August 2012 verwiesen, wonach für den Kläger bei voller Erwerbsfähigkeit
in leitender Position und uneingeschränktem Freizeitverhalten keine gravierenden Einschnitte in den Alltagsablauf festzustellen
seien. Mit den Blutzuckerkontrollen werde eine stabile Stoffwechsellage erreicht; bewertungsrelevante Unter- oder Überzuckerungen
seien nicht belegt. Eine Polyneuropathie sei nicht objektiviert; Missempfindungen stellten keine Behinderung dar; eine Funktionsminderung
der Wirbelsäule sei nicht feststellbar.
Das SG hat ein Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. med. P., Klinik für Endokrinologie und Nephrologie des Universitätsklinikums
L., eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 25. März 2013 zur Annahme eines Gesamt-GdB von 50 gelangt.
Diese Einschätzung hat er auf die Erkrankung an Diabetes mellitus mit der Abhängigkeit von einer Insulintherapie mit täglich
mindestens vier Insulininjektionen gestützt, wobei die Insulindosen in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden
Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig festgelegt würden. Mit Schreiben vom 28. März 2013 hat das SG den Sachverständigen Professor Dr. med. P. darauf hingewiesen, dass ein alleiniges Abstellen auf den Therapieaufwand unzulänglich
sei; vielmehr müsse der Kläger durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus auch erheblich in seiner Lebensführung beeinträchtigt
sein; zu diesem Kriterium hat das SG um eine ergänzende Stellungnahme gebeten.
Daraufhin hat der Sachverständige am 24. April 2013 mitgeteilt, es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass jede intensivierte
Insulintherapie mit vier täglichen Insulininjektionen, mindestens vier täglichen Blutzuckermessungen, dem Erfordernis vorausschauender
Anpassung der Insulindosen an die körperliche Aktivität, die richtig eingeschätzte Mahlzeit und den Blutzuckerwert insgesamt
zu einer erheblichen Beeinträchtigung führe; insofern ergebe sich die Erfüllung des Kriteriums der erheblichen Beeinträchtigung
in der Lebensführung zwangsläufig aus den beiden anderen Kriterien.
In Auswertung der Feststellungen des Sachverständigen hat der Beklagte auf eine weitere prüfärztliche Stellungnahme von Dr.
med. W. vom 26. April 2013 verwiesen, wonach auch aus dem Gutachten von Professor Dr. med. P. eine stabile Stoffwechsellage
hervorgehe, seit mehreren Jahren keine Diabetiker-Nachschulung erforderlich sei und unter der Insulintherapie jährlich nur
zwei- bis dreimal (nicht als schwer einzustufende) Unterzuckerungen aufträten. Da keine gravierenden Einschnitte in den Alltagsablauf
zu erkennen seien, sei ein höherer GdB als 40 nicht zu begründen.
Mit Schreiben vom 30. Juli 2013 hat das SG den Sachverständigen Professor Dr. med. P. unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) um Mitteilung gebeten, ob diese Anlass zum Überdenken der bisherigen gutachterlichen Einschätzung gäben. Hierauf hat der
Sachverständige am 19. August 2013 mitgeteilt, grundsätzlich führe jede Insulintherapie in der beim Kläger gegebenen Intensität
zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensführung. HbA1c-Werte zwischen 7,0 und 7,7 (2011) bzw. von 8,2 und 8,1 (2012)
sprächen für eine unzureichende Führung des Glukosestoffwechsels. Im Hinblick auf die weiteren mitgeteilten Befunde sei jedoch
keine gravierend beeinträchtigte Lebensführung durch erhebliche Einschnitte festzustellen.
Daraufhin hat der Kläger am 6. Februar 2014 ergänzend zu den Umständen der nach seiner Auffassung gegebenen gravierenden Einschränkung
der Lebensführung vorgetragen: Aufgrund der Erkrankung und der daraus resultierenden Medikamenteneinnahme habe er erhöhten
Durst und folglich erhöhten Harndrang, was zu erheblichen Durchschlafstörungen führe. Mehrfache nächtliche Toilettengänge
machten ein tiefes Schlafen nicht mehr möglich, so dass er tagsüber ständig an extremer Müdigkeit leide und die Anforderungen
seiner Erwerbstätigkeit nur noch mit Mühe bewältige. Als Nebenwirkung der Insulineinnahme komme es zu gehäuften und akuten
Durchfällen, wobei es ihm nicht immer gelinge, rechtzeitig eine Toilette zu erreichen. Aufgrund der Netzhauterkrankung habe
er sich eine Brille zulegen müssen. Wegen der Funktionsbeeinträchtigungen sei er oft niedergeschlagen. Aufgrund des extremen
Kälteempfindens an den Füßen und der damit verbundenen Schmerzen sei die Konzentration auf seine Arbeit aufgehoben. In der
Freizeit benötige er für handwerklich feinmotorische Tätigkeiten Hilfe. Fußballspielen, Tischtennis, Wandern und Joggen seien
ihm nicht mehr möglich. Er nutze lediglich noch regelmäßig seinen Hometrainer. Aufgrund der Medikamenteneinnahme leide er
an Erektionsstörungen. Außerdem müsse er seine gesamte Urlaubsplanung, zum Beispiel in Bezug auf einen Türkei-Urlaub im September
2013, seinem Krankheitsbild anpassen.
Das SG hat aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt, nunmehr auch vom Facharzt für Physikalische und
Rehabilitative Medizin H. Dieser hat folgende Diagnose mitgeteilt: Osteochondrose der HWS, inkomplettes oberes gekreuztes
Syndrom nach Janda, Brustwirbelsäulen-(BWS)-Syndrom, myofasciale Dysfunktion im Hals-Nacken-Schulterbereich beidseits, ventrales
viszerothorakales Schmerzsyndrom (VTS), Schmerzen in den Extremitäten (Schulterregion), Impingement-Syndrom der Schulter und
chronisches cervikothorakales Schmerzsyndrom, wobei sich seit dem Behandlungsbeginn im Jahre 2012 im Verlauf keine wesentlichen
Änderungen der Beschwerden und Befunde ergeben hätten. In Auswertung der aktuellen Befundberichte hat der Beklagte auf eine
weitere prüfärztliche Stellungnahme von Dr. med. W. verwiesen, wonach der Kläger die Insulindosierungen nach ein- bis dreimaligen
täglichen Blutzuckerkontrollen seinem Tagesablauf variabel anpassen könne und weiterhin keine akut bedrohlichen Blutzuckerschwankungen
aufgetreten seien. Es bestehe weiterhin nur eine milde Polyneuropathie ohne daraus resultierende Funktionseinschränkungen.
Bei uneingeschränkter Sehschärfe sei keine relevante Augenhintergrundbeteiligung festzustellen. Eine maßgebliche Dauerfunktionsstörung
der Wirbelsäule und der Schultergelenke sei nicht zu erkennen. Ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom (Befundbericht von Dr.
med. S. vom 27. Februar 2014) bedinge keinen GdB. Es lasse sich weiterhin ein höherer Gesamt-GdB als 40 nicht begründen.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Diabetes mellitus des Klägers sei mit einem GdB von 40 zu bewerten.
Es liege eine Diabeteserkrankung mit erhöhtem Therapieaufwand vor. Außerdem sei eine gewisse Instabilität insbesondere in
Stresssituationen gegeben. Gravierende Ausreißer bei den Blutzuckerwerten seien im dokumentierten Zeitraum indes nicht feststellbar
gewesen. Gravierende Einschnitte, die über den Therapieaufwand hinausgingen, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Hinsichtlich
der Polyneuropathie, die sich in unangenehmen Missempfindungen beider Füße äußere, seien keine wirklichen Funktionsausfälle
zu verzeichnen; der GdB sei mit maximal 10 zu bewerten. Hinsichtlich der vorgetragenen Wirbelsäulenschäden gebe es eine Fülle
von orthopädischen Befunden. Nennenswerte Funktionseinschränkungen im Bereich der Schultergelenke und Wirbelsäule seien jedoch
nicht festzustellen. Für die Wirbelsäulenschäden sei kein GdB zu vergeben, da weder Bewegungseinschränkungen noch Instabilität
zu verzeichnen seien. Im Übrigen seien weder Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund einer Fettleber noch die Dauerhaftigkeit
der Durchfallerkrankung im Sinne einer Behinderung ersichtlich. Die Befunde zur diabetisch bedingten Augenerkrankung seien
altersgerecht, so dass hierfür ebenfalls kein GdB zu vergeben sei. Eine erektile Dysfunktion werde zwar von der Diabetologin
bestätigt, sei aber nicht als Behinderung anzusehen, für die ein GdB festzulegen wäre; im Übrigen sei diese Störung medikamentös
behandelbar; außerdem fehle insofern der Nachweis einer dauerhaften Beeinträchtigung. Der Gesamt-GdB sei bei 40 zu belassen,
da kleinere GdB als 10 oder auch 20 im Regelfall nicht zu einer Erhöhung des höchsten Einzel-GdB führten.
Gegen das ihm am 4. November 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. Dezember 2014 Berufung eingelegt und zur Begründung
ergänzend vorgetragen: Der Umstand, dass er trotz erheblicher Beeinträchtigungen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit noch
berufstätig sei, spreche nicht gegen gravierende Einschränkungen. Soweit das SG auf die Möglichkeit medikamentöser Behandlung der erektilen Dysfunktion abstelle, sei zu berücksichtigen, dass diese Medikamente
sein Herz-Kreislauf-System belasteten und wegen seiner labilen Stoffwechsellage nur sehr zurückhaltend anwendbar seien. Schließlich
bestehe bei ihm trotz aufwändiger Therapie eine schlechte Stoffwechsellage, was nicht nur an den reinen Blutzuckerwerten,
sondern auch am dauerhaft deutlich erhöhten HbA1c-Wert deutlich werde.
Der Senat hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Der Internist und Angiologe Dr. med. H.
hat über den Verdacht auf Extrasystolie, Adipositas (BMI: 38,0), Steatosis hepatitis und Diabetes mellitus berichtet. Der
Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S. hat die Diagnosen Diabetes mellitus Typ II mit Polyneuropathie und Retinopathie
sowie Adipositas, Hyperlipidämie, Steatosis hepatitis, Hyperurikämie und vorübergehende akute Erkrankungen (Infekte) mitgeteilt.
Die HNO-Fachärztin Dr. med. K. hat über einen Hörsturz mit (inzwischen zurückgebildetem) Tinnitus rechts, eine Rhonchopathie
sowie vorübergehende akute Erkrankungen berichtet. Die Augenfachärztin S. hat in ihrem Befundbericht die Diagnosen einer milden
nichtproliferativen diabetischen Retinopathie, eines kombinierten hyperopen Astigmatismus beidseits, einer Presbyopie und
einer Benetzungsstörung des Auges mitgeteilt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diabetologin A. hat ergänzend auf deutlich
verschlechterte HbA1c-Werte mit der Notwendigkeit der Basalinsulingabe wegen hyperglykämer Blutzuckerwerte auch tagsüber verwiesen.
Sie teilte Blutzucker-, HbA1c- und Blutdruckwerte wie folgt mit:
|
Blutzucker
|
HbA1c
|
RR
|
26. Mai 2014
|
9,75 mmo/l
|
9,5%
|
140/80
|
8. September 2014
|
7,33
|
8,1
|
110/80
|
1. Dezember 2015
|
14,2
|
8,4
|
130/70
|
2. März 2015
|
16,8
|
9,0
|
110/30.
|
Schwere Hypoglykämien mit der Erforderlichkeit ärztlicher Fremdhilfe seien nicht bekannt; durch die labile Stoffwechsellage
kämen indes symptomatische Hypos vor, bei denen teilweise eine Unterstützung durch Familienangehörige oder Bekannte erfolge.
Am 6. Oktober 2015 hat eine nichtöffentliche Sitzung des Senats stattgefunden. In dieser hat der Kläger erklärt: Das Medikament
Metformin habe er nicht vertragen (ständige Durchfälle). Nach Umstellung auf ein wirkungsgleiches Präparat habe er nur noch
zwei- bis dreimal monatlich Durchfall. Hinsichtlich der erektilen Dysfunktion wolle er im Moment keine Behandlung durchführen.
Er müsse nachts um 2:00 und um 4:00 Uhr auf Toilette; bei Spätschichten zusätzlich auch um 5:00 Uhr. In urologische Behandlung
habe er sich aber noch nicht begeben. Er bereite regelmäßig um 5:00 Uhr das Mittagessen vor, was er auf Arbeit nur noch warm
machen müsse. Nach dem Frühstück (eine Scheibe Brot) fahre er mit dem Auto zur Arbeit und frühstücke um 8:30 Uhr "richtig".
Zwischen 13:00 und 13:30 Uhr esse er Mittag. Wegen der Kältegefühle stehe er am Arbeitsplatz vier- bis fünfmal auf; während
der Arbeitszeit müsse er alle ein bis zwei Stunden auf Toilette; der Zucker steige in Stresssituationen sofort an (Schweißausbrüche).
Er spritze ohne das Mittel Lantus weitere sechsmal am Tag. Im Sommer beschäftige er sich mit Gartenarbeit und im Winter mit
Renovierungsarbeiten. Wegen seiner Rückenprobleme könne er aber im Garten nicht mehr umgraben; schwer heben könne er auch
nicht mehr. Ihm fehle teilweise das "Feingefühl", so dass ihm zum Beispiel Schräubchen aus der Hand fielen. Als regelmäßiges
Hobby habe er das Skifahren (Abfahrt). Ab und zu spiele er noch Tischtennis.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Oktober 2014 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 25. März 2011 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2011 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab dem
21. Februar 2011 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch nach der weiteren medizinischen Sachaufklärung seien die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft
nicht gegeben.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand ist die Feststellung eines GdB von 50. Die Klage gegen den Bescheid vom 25. März 2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14. November 2011 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG statthaft. Dabei ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt von der Antragstellung am 21. Februar 2011
bis zur mündlichen Verhandlung des Senates maßgeblich. Die Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf die
Feststellung eines GdB von mehr als 40 hat.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene
SGB IX über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist §
69 Abs.
1 und
3 SGB IX. Nach §
69 Abs.
1 Satz 1
SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift
knüpft materiellrechtlich an den in §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach §
69 Abs.
1 Satz 4
SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn
mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festgestellt.
§
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach
der früheren Fassung der Vorschrift galten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember
2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische
Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen
der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009
in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Abs. 17 ermächtigt worden ist. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG; Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember
2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen
Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.
Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil B) zugrunde zu legen.
Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall
sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und
in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, Nr. 2 f) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren;
Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel;
Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung
(Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab ist bei dem Kläger seit dem 21. Februar 2011 (Tag der Antragstellung) ein GdB von 40 festzustellen. Dabei
stützt sich der Senat auf das Sachverständigengutachten des Professors Dr. med. P., die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen,
die Arztbriefe, die vorgelegten Diabetikertagebücher, seine eigenen Angaben sowie die versorgungsärztlichen Stellungnahmen
des Beklagten.
a)
Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und wird durch den insulinpflichtigen
Diabetes mellitus Typ II geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der VMG vom 14. Juli 2010 gilt nach
Teil B, Nr. 15.1:
"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte
Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind,
erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung.
Der GdS beträgt 30 bis 40.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen,
wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig
variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund
dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise
Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen."
Das BSG hat mit Urteil vom 2. Dezember 2010 (B 9 SB/09 R, juris) diese Neufassung der VMG für rechtmäßig erklärt (vgl. BSG a.a.O. Rdnr. 26) und für die Zeit vor Inkrafttreten der Verordnung unter Hinweis auf das Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a
SB 10/06) bei der Bewertung des Einzel-GdB eines insulineingestellten Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität insbesondere
den jeweiligen Therapieaufwand hervorgehoben, soweit sich dieser auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der
Gesellschaft nachteilig auswirkt. Hierbei ist der GdB eher niedrig anzusetzen, wenn bei geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene
Stoffwechsellage erreicht werden kann. Bei einem beeinträchtigenden, wachsenden Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg
(instabilere Stoffwechsellage) wird der GdB entsprechend höher zu bewerten sein. Dabei sind - im Vergleich zu anderen Behinderungen
- die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu prüfen (BSG a.a.O. Rdnr. 33). Bei therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung können z.B. die Planung des Tagesablaufs, die
Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität beachtet werden (vgl. Begründung
zur Verordnungsänderung, BR-Drucksache 285/10 S. 3 zu Nr. 2).
Durch die Neufassung der VMG zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen
pro Tag und ein selbständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand,
die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) - zu einer krankheitsbedingten
erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R, juris). Die Formulierung in Teil B, Nr. 15.1 VMG "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt
sind" ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand
durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige jeweilige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig
ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss indes wegen des
reinen Therapieaufwandes und/oder den durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschritte
in der Lebensführung erleiden. Dass zusätzlich ein gravierender Einschnitt in die Lebensführung festgestellt werden muss,
ergibt sich aus den vorhergehenden Formulierungen der VMG für einen GdB von 30 bis 40. Hiernach sind für die Bewertung der
Teilhabeeinschränkung der konkrete Therapieaufwand und die jeweilige Stoffwechselqualität von wertungserheblicher Bedeutung.
Diese beiden Kriterien müssen entsprechend auch bei der höheren Bewertungsstufe eines GdB von 50 noch bedeutsam sein. Für
die besondere Bedeutung der Stoffwechsellage spricht auch, dass nach den VMG außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen
allein bereits eine Erhöhung des GdB rechtfertigen können.
Diese Voraussetzungen hat der Sachverständige Professor Dr. med. P. im Hinblick auf erforderliche Feststellung eines (gesondert
zu begründenden) gravierenden Einschnitts in die Lebensführung in seinem ursprünglichen Gutachten vom 25. März 2013 und in
seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. April 2013 verkannt, indem er darauf abgestellt hat, dass grundsätzlich jede intensivierte
Insulintherapie mit einer entsprechenden Anzahl von Insulininjektionen und Blutzuckermessungen sowie der Notwendigkeit vorausschauender
Anpassung der Dosen z. B. an die körperliche Aktivität und die Mahlzeiten (schon für sich gesehen) zu einer erheblichen Beeinträchtigung
im hier maßgeblichen Sinne führen würde. Schon deshalb hat das SG zu Recht seine Entscheidung nicht auf die im ursprünglichen Gutachten enthaltenen Bewertungen des Sachverständigen gestützt.
Ein GdB von 50 setzt also mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis und durch
erhebliche Einschnitte gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung voraus.
Diese Anforderungen für einen GdB von 50 erreicht der Kläger unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht. Dabei
hat der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16. Dezember 2014, B 9 SB 2/13 R, juris) eine Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche angestellt. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen der Versorgungsärzte
des Beklagten.
Der Kläger führt nach den Angaben seiner behandelnden Diabetologin A. die Insulintherapie mit täglich mehr als vier Insulininjektionen
mit selbstständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Neben der täglich zweimaligen Basalinsulingabe und der oralen
Therapie mit Biguanid muss der Kläger zu jeder Mahlzeit das kurz wirkende Insulin einsetzen und dabei - in Abhängigkeit vom
gemessenen Blutzuckerwert, der geplanten Kohlenhydrataufnahme und der geplanten Bewegung - auch die jeweilige Insulindosis
variieren. Hinzu kommen Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit und bei körperlichen Aktivitäten. Allerdings fehlt es bei dem
Kläger an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf seine Lebensführung auswirken, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft
gerechtfertigt werden kann. Aufgrund der therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung
des Klägers lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an
Diabetes mellitus nicht erkennen.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der
Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen bei dem Kläger nicht in den Bereichen
der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität vorliegen. Die
von ihm angegebenen Nachteile durch seine Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht
gravierend im Sinne der VMG. So ist der Kläger in seiner Mobilität nicht gravierend eingeschränkt. Er fährt Fahrrad und regelmäßig
mit dem eigenen Pkw zur Arbeit (einfache Strecke: ca. 25 km). Ebenso unternimmt er regelmäßig Urlaubsreisen, zum Beispiel
in die Türkei, sowie einmal jährlich zum Skifahren. Dass der Kläger nach eigenen Angaben heute seltener Fahrrad fährt oder
Tischtennis spielt, lässt keinen Rückschluss auf gravierende Teilhabeeinschränkungen zu, zumal nicht ersichtlich ist, dass
dies primär auf die Diabeteserkrankung zurückzuführen wäre. Sein diesbezügliches Vorbringen ist im Übrigen teilweise widersprüchlich:
einerseits hat der Kläger im Schriftsatz vom 6. Februar 2014 vorgetragen, Tischtennis spielen sei ihm inzwischen nicht mehr
möglich; andererseits hat er im Termin vom 6. Oktober 2015 angegeben, zwar nicht mehr regelmäßig Tischtennis zu spielen, aber
"ab und zu" werde "die Platte einmal ausgegraben". Auch aus den Befundberichten ergeben sich keine Hinweise darauf, dass dem
Kläger sportliche Aktivitäten nicht mehr möglich wären. Wie die Urlaubsreisen und auch die sonstigen Aktivitäten (z. B. Garten-
und Renovierungsarbeiten) zeigen, erfährt sein Freizeitverhalten durch die Erkrankung keine gravierenden Einschränkungen.
Die vom Kläger angegebenen Aktivitäten sind, wenn auch mit einem erhöhten planerischen Aufwand verbunden, jedenfalls zumindest
unter erschwerten Bedingungen möglich. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt werden muss, ist Teil
der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Gleiches gilt für den damit verbundenen zeitlichen Aufwand, den alle
an Diabetes Erkrankten mit intensivierter Insulintherapie haben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass etwa Zwischenmahlzeiten
(wie z. B. spontanes Essen) ausgeschlossen wären; unter Beachtung des entsprechenden Aufwandes sind diese grundsätzlich möglich.
Auch gravierende Beeinträchtigungen im Bereich der Berufsausübung liegen nicht vor. Der Kläger kann seine Tätigkeit als leitender
Angestellter - ohne Veränderung seines Aufgabenbereichs - weiterhin ausüben. Auch erhebliche diabetesbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten
sind nicht gegeben. Vielmehr hat der Kläger im Termin vom 6. Oktober 2015 angegeben, eine beantragte Rehabilitationsmaßnahme
sei wegen "zu wenig Arbeitsunfähigkeitszeiten" abgelehnt worden. Gerade aus den eigenen Angaben des Klägers in der nichtöffentlichen
Sitzung vom 6. Oktober 2015 ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für erhebliche Beeinträchtigungen durch die Diabeteserkrankung
und diesbezügliche Folgewirkungen auf die berufliche Tätigkeit. Die angeführten häufigeren Toilettengänge und das zwischenzeitliche
Aufstehen wegen besonderen Kälteempfindens an den Füßen können solche erheblichen Beeinträchtigungen jedenfalls nicht begründen.
Aus dem Befundbericht der Diabetologin A. vom April 2015 ist zu entnehmen, dass der Kläger weiterhin im Zwei-Schicht-System
arbeitet und sich hieraus zwar zusätzliche - wechselnde - Belastungen ergeben, der Kläger diese aber grundsätzlich bewältigen
kann. Auch aus den Schilderungen zum täglichen Arbeitsweg lassen sich keine Hinweise zu einem zeitlichen Mehraufwand (etwa
durch eine - hier nicht gegebene - Erforderlichkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel) oder zu sonstigen Nachteilen
entnehmen.
Der Kläger wird über den einschränkenden Therapieaufwand hinaus auch nicht zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität
in seiner Leistungsfähigkeit und damit in seiner Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Der Senat folgt den
prüfärztlichen Stellungnahmen des Beklagten. Eine äußerst schwer regulierbare Stoffwechsellage ist nicht gegeben. Die von
der Diabetologin A. berichtete labile Stoffwechsellage tritt nach den Befundberichten (lediglich) bei beruflichen Stresssituationen
auf. Diese Situationen werden vom Kläger nach seinen Angaben etwa durch Schweißausbrüche erkannt, so dass er hierauf auch
entsprechend reagieren kann. Im Übrigen hatte auch der vom SG beauftragte Sachverständige Professor Dr. med. P. nach nochmaliger Erläuterung der Anforderungen an die Vergabe eines GdB
von 50 das vollumfängliche Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen verneint. Zwar bewegen sich die übermittelten HbA1c-Werte
für den Zeitraum vom 26. März 2014 bis 2. Mai 2015 durchaus in einem verhältnismäßig hohen - jedoch nicht außergewöhnlichen
- Bereich. Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt, resultieren daraus jedenfalls keine erheblichen Einschränkungen
in der Leistungsfähigkeit und damit der Teilhabefähigkeit. Die mit der Erkrankung üblicherweise einhergehenden Blutzuckerschwankungen
und die damit verbundenen Symptome wie Konzentrationsschwankungen, Schwindel und Müdigkeit sind Teil der Erkrankung und damit
auch bei der Höhe des GdB nach den VMG bereits berücksichtigt. Darüber hinausgehende erhebliche Symptome der Blutzuckerschwankungen
lassen sich den Befunden der Diabetologin A. nicht entnehmen.
Bei dem Kläger führen auch nicht Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus zu erheblichen Einschnitten in der Lebensführung.
Als Folgeerkrankungen benennt u. a. der Befundbericht von Dipl.-Med. S. vom 29. März 2015 Polyneuropathie und Retinopathie.
Die vom Kläger angegebenen Auswirkungen der diabetischen Neuropathie (Miss- und Kälteempfinden an den Extremitäten) führen
nicht zu einer GdB-relevanten Bewertung, zumal der Kläger zu einer vorgesehenen Wiedervorstellung bei seiner Neurologin nicht
erschienen ist. Entsprechendes gilt für die aus dem Befundbericht der Augenärztin S. vom 18. April 2015 mitgeteilten Auswirkungen
der diabetischen Retinopathie. Die Retinopathie wurde ausdrücklich als eine milde nichtproliferative Form beschrieben. Durch
die vom Kläger in Bezug genommene Erforderlichkeit des Tragens einer Brille wird diesbezüglichen Funktionsbeeinträchtigungen
gerade entgegengewirkt. Die darüber hinaus geltend gemachten Durchfälle treten nach einer Medikamentenumstellung nur noch
zwei- bis dreimal im Monat auf, so dass schon unter diesem quantitativen Aspekt ein erheblicher Einschnitt in die Lebensführung
nicht in Betracht kommt.
Ebenso wenig sind nach dem Vorbringen des Klägers gravierende psychische Belastungen gegeben. Der pauschale Hinweis auf eine
gelegentliche Niedergeschlagenheit kann entsprechende erhebliche Belastungen jedenfalls nicht begründen. Unabhängig davon
gehen solche mit dem Diabetes mellitus verbundenen psychischen Beeinträchtigungen, etwa durch die Angst vor Unterzuckerungen
insbesondere bei Stress und körperlichen Aktivitäten, mit der Krankheit einher und sind in der GdB-Bewertung für den Diabetes
mellitus bereits berücksichtigt (dazu VMG, Teil A, Nr. 2 i). Eine eigenständige psychische Belastung hat keiner der behandelnden
Ärzte mitgeteilt. Der Kläger nimmt auch keine fachärztliche psychiatrische Behandlung wahr, die eine über die typischen Belastungen
hinausgehende seelische Funktionsstörung zeigen würde.
Nach alledem kann unter Beachtung der gesamten Umstände im Einzelfall für den Diabetes mellitus bei dem Kläger kein höherer
GdB als 40 festgestellt werden.
b)
Hinsichtlich der Erkrankung der Polyneuropathie als solcher, die sich in unangenehmen Miss- und Kälteempfindungen in den Füßen
äußert, kommt im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang nicht gegebenen wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen ein höherer
Einzel-GdB als 10 jedenfalls nicht in Betracht (VMG, Teil B, Nr. 3.11 VMG).
c)
Wegen der vorgetragenen Wirbelsäulenschäden lassen sich den Befundberichten des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative
Medizin H. keine erheblichen Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten entnehmen, so dass insofern keine GdB-Relevanz gegeben
ist (vgl. VMG, Teil B, Nr. 18.9). Auch die in der nichtöffentlichen Sitzung vom 6. Oktober 2015 angegebenen Erschwernisse
bei der Gartenarbeit stellen sich im Wesentlichen als durchaus altersgerecht dar.
d)
Bezüglich der Leberschädigung (Fettleber - steatosis hepatitis) sind konkrete Funktionsbeeinträchtigungen nicht vorgetragen
oder anderweitig ersichtlich. Unter diesen Umständen kann die diagnostizierte Fettleber nicht mit einem Einzelbehinderungsgrad
bewertet werden (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. August 2011 - L 7 SB 108/08, juris).
e)
Die von der Diabetologin A. bestätigte erektile Dysfunktion kann vorliegend ebenso wenig einen Einzel-GdB begründen. Nach
Teil B Nr. 13.2 der VMG ist bei einer Impotentia coeundi nur bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung ein GdB von 20 vorgesehen.
Der Kläger hat indes in der nichtöffentlichen Sitzung des Senats vom 6. Oktober 2015 ausgeführt, er habe über diese Problematik
nur mit Dr. A. gesprochen, habe insoweit aber Schamgefühle und möchte im Moment keine diesbezügliche Behandlung durchführen.
Der erforderliche Nachweis einer (tatsächlich durchgeführten) erfolglosen Behandlung kommt mithin nicht in Betracht.
f)
Schließlich kann aufgrund des Untersuchungsbefundes der Augenärztin S. bei einem Visus von 1,0/1,0 und im Übrigen im Wesentlichen
altersgerechter Beeinträchtigung der Sehfähigkeit (siehe oben) insofern kein GdB festgestellt werden (VMG, Teil B, Nr. 4.3).
Die Fehlsichtigkeit wird durch die Brille im Wesentlichen korrigiert. Die augenärztlichen Befundberichte beziehen sich ausdrücklich
auf eine milde Form der diabetischen (nichtproliferativen) Retinopathie.
Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist
in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach kommt ausgehend von dem Einzel-GdB von 40 für das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" keine weitere
Erhöhung aufgrund der weiteren Funktionsstörungen in Betracht. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Polyneuropathie erhöht
nicht das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung (dazu VMG, Teil A Nr. 3 ee). Für einen Ausnahmefall, der bei einem Einzel-GdB
von nur 10 auch den Gesamtbehinderungsgrad erhöht, liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei dem zwar krankheitsbedingt eingeschränkten, aber
voll im beruflichen und gesellschaftlichen Leben integrierten Kläger dem nach Teil A Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Vergleichsmaßstab.
So spricht gegen die Annahme einer Schwerbehinderung ein wertungsmäßiger Vergleich mit anderen Erkrankungsgruppen, für die
ein Einzel-GdB von 50 festgestellt werden kann. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende
Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige
Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung)
mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Eine derartig schwere Funktionsstörung liegt bei dem Kläger nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegt nicht vor.