Feststellung des Grades der Behinderung nach dem SGB IX
Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei kindlichem Entwicklungsrückstand
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab November 2011 festzustellen
ist.
Der am ... 2005 geborene Kläger wird ebenso wie sein ein Jahr älterer Bruder gesetzlich durch seine Großmutter vertreten.
Diese beantragte am 17. März 2009 aufgrund eines Entwicklungsrückstands der Sprache für den Kläger die Feststellung des GdB
sowie die Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (Anspruch auf ständige
Begleitung bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln) und "H" (hilflos).
Der Beklagte holte zunächst einen Befundschein der Kinderärztin Dipl.-Med. B. vom August 2009 ein, die eine globale Entwicklungsverzögerung
besonders im sprachlichen Bereich feststellte. Im Bereich der Grobmotorik bestünden nur geringe Verzögerungen. Eine soziale
Integration in kleine Gruppen sei möglich. Der Kläger sei nicht hyperaktiv und aggressiv. Der Facharzt für HNO-Heilkunde/Allergologie/Stimm-
und Sprachstörungen Dr. S. diagnostizierte am 4. August 2009 eine Sprachentwicklungsverzögerung und empfahl die Fortführung
der Sprachübungsbehandlung sowie die Betreuung durch eine integrative Kindertagesstätte (Kita). Die beteiligte ärztliche Gutachterin
des Beklagten Dr. W. schlug in Auswertung der Befunde für einen Entwicklungsrückstand, insbesondere der Sprache, einen GdB
von 30 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 23. September 2009 beim Kläger ab 17. März 2009 einen GdB 30
fest. Dagegen erhob die gesetzliche Vertreterin des Klägers Widerspruch, weil der Beklagte beim Bruder des Klägers einen GdB
von 80 wegen eines Entwicklungsrückstandes festgestellt habe. Diesen begehre sie auch für den Kläger.
Im Widerspruchsverfahren teilte Dipl.-Med. B. am 21. April 2010 ergänzend mit: Beim Kläger bestehe eine harmonische Entwicklungsverzögerung.
Die auffälligsten Rückstände seien sprachlicher und feinmotorischer Natur. Die Grobmotorik sei zufriedenstellend. Gegenüber
gleichaltrigen Kindern benötige der Kläger deutlich mehr Hilfe und Zeit sowie wegen seiner mangelnden Ausdauer und Unkonzentriertheit
sehr viel Zuwendung. Der Intelligenzquotient sei bisher nicht bestimmt worden. Nach dem Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums
(SPZ, Krankenhaus St. E. und St. B. H.) vom 1. September 2010 bestehe beim Kläger der Verdacht auf eine kombinierte Entwicklungsstörung.
Neben einer Sprachentwicklungsstörung bestünden Defizite in den Bereichen der fein- und grafomotorischen Fertigkeiten, der
Körperkoordination und im Bereich des Köpergleichgewichtes. Die psychologische Diagnostik habe eine inhomogene kognitive Leistungsfähigkeit
gezeigt. Der Kläger habe gut altersgerechte Resultate bei den Anforderungen zum wahrnehmungsgebundenen Schlussfolgern, bei
der räumlichen Lokalisation von Objekten, in den Rechenfertigkeiten sowie im akustisch-sprachlichen Faktenwissen gezeigt.
Die Aufgaben unter Einbeziehung des Kurzzeitgedächtnisses habe er knapp altersgerecht gelöst. Nur unterdurchschnittliche Resultate
habe er bei der räumlich-konstruktiven Wahrnehmung sowie beim analogen Denken erzielt. Beim Verstehen von Sprache habe er
Ergebnisse im unteren Durchschnittsbereich seiner Altersgruppe gezeigt. Aus logopädischer Sicht bestünden Auffälligkeiten
der Sprach- und Sprechentwicklung im Rahmen der globalen Entwicklungsverzögerung. Es bestehe eine universale Dyslalie (Störungen
der Aussprache bzw. der Artikulation). Der Kläger sei dadurch in seinen kommunikativen und sozialen Möglichkeiten eingeschränkt.
In Bezug auf die Einschulung 2011 werde eine sonderpädagogische Prüfung empfohlen. Denkbar sei der Schwerpunkt Lernen (Schule
für lernbehinderte Kinder) bzw. Sprache (Sprachheilschule). Die Großmutter ziehe hingegen die Einschulung in die Schule für
geistig behinderte Kinder in Betracht. Nach dem beigezogenen Entwicklungsbericht des Heilpädagogen K. von der Integrativen
Kita W. vom 6. Mai 2010 sei die grobmotorische Entwicklung des Klägers annährend altersadäquat. Im feinmotorischen Bereich
bestünden noch kleine Unsicherheiten. Das Sprachverständnis sei mittlerweile im Rahmen täglicher Situationen so ausgeprägt,
dass der Kläger einfache Aufforderungen, Anweisungen sowie Ge- und Verbote verstehe. Trotz erreichter Wortschatzerweiterung
sei dieser noch immer nicht altersgerecht. Nach nochmaliger Beteiligung seines ärztlichen Dienstes wies der Beklagte den Widerspruch
des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2010 zurück.
Am 14. Juli 2011 beantragte die gesetzliche Vertreterin des Klägers eine Neufeststellung und verwies auf die Einschulung in
die Schule für geistig behinderte Kinder wegen einer Sprachentwicklungsverzögerung. Mit Bescheid vom 19. Juli 2011 lehnte
der Beklagte den Antrag ohne weitere Ermittlungen ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2011 wies er den am 29. September
2011 erhobenen Widerspruch wegen Verfristung als unzulässig zurück.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 und nochmals mit einem am 9. November 2011 eingegangen Antragsformular begehrte die gesetzliche
Vertreterin des Klägers erneut die Feststellung eines höheren GdB sowie die Merkzeichen "G", "B" und "H". Nach ihrer Auffassung
leide der Kläger nicht nur unter einem Sprachentwicklungsrückstand, sondern benötige auch Hilfe im Straßenverkehr. Sie überreichte
außerdem die Bestallungsurkunde zum Vormund für den Kläger vom 1. Juni 2011.
Die Klassenlehrerin des Klägers der Förderschule "S." in B.-W. übersandte dem Beklagten am 10. Dezember 2011 einen Auszug
aus dem Sonderpädagogischen Gutachten, das Grundlage für die Einschulung des Klägers in die Förderschule gewesen war. Danach
habe der Kläger in den Bereichen der Grobmotorik, der taktilen, auditiven, optischen und visuomotorischen Wahrnehmungsfähigkeiten
fast altersadäquate Ergebnisse erzielt. Größere Defizite lägen im Bereich der Sprachentwicklung, der Kognition sowie des Lern-
und Arbeitsverhaltens. Die Fortsetzung einer intensiven Sprachförderung werde empfohlen. Sein herabgesetztes Konzentrationsvermögen,
die schnelle Ablenkbarkeit, sein ausgeprägter Spieltrieb und das Einfordern einer vertrauten Bezugsperson erschwerten zum
gegenwärtigen Zeitpunkt eine Beschulung in einer Regelschule und stellten eine emotionale Belastung für den Kläger dar. Da
er in einigen Bereichen tendenziell gute Lernvoraussetzungen besitze, die nach Aussagen der Erzieher der Kita in den letzten
zwei Jahren durch intensives Arbeiten mit dem Kläger hätten erreicht werden können, sei perspektivisch die leistungs- und
entwicklungsbezogene Förderung unter den Bedingungen der Regelschule denkbar. Um dem Kläger einen positiven Schulstart zu
ermöglichen, indem er mit Schulabläufen konfrontiert werde und die Voraussetzungen zum Erlernen der Kulturtechniken verinnerliche,
werde zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Beschulung nach dem Lehrplan der Förderschule für geistig Behinderte empfohlen. Das
Lernen ohne Leistungsdruck im ersten Schuljahr könne eine entwicklungsfördernde Basis für das weitere Lernen an einer Regelschule
darstellen.
Der Beklagte holte einen weiteren Befundbericht der Kinderärztin Dipl.-Med. B. vom Dezember 2011 ein. Danach sei durch die
Entwicklungsstörung eine ständige Beaufsichtigung des Klägers notwendig. Er benötige die übliche starke Aufmerksamkeit der
pflegenden Person. Nach dem beigelegten Kita-Abschlussbericht vom April 2011 habe beim Kläger im feinmotorischen Bereich ein
deutlicher Zuwachs im vergangenen Jahr erzielt werden können. Bei ebenfalls erreichter Wortschatzerweiterung sei diese annährend
altersadäquat. Der Kläger bemühe sich, Mehrwortsätze strukturiert zu bilden. Allerdings weise er noch eine multiple Dyslalie
auf. Bis zum Schuleintritt werde er einmal wöchentlich logopädisch betreut. Ersichtliche Erfolge seien auch im Bereich der
Selbständigkeit und Selbstbedienung erzielt worden. Der Kläger führe alle hygienischen Maßnahmen selbst aus. Lediglich eine
verbale Begleitung und die Anwesenheit des Heilpädagogen seien für eine korrekte Ausführung notwendig.
Der beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. E.) schlug in Auswertung dieser Unterlagen für den Entwicklungsrückstand
des Klägers, insbesondere der Sprache, einen GdB von 40 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar
2012 beim Kläger ab 9. November 2011 einen GdB von 40 fest und lehnte die Feststellung der beantragten Merkzeichen ab, weil
der GdB unter 50 liege.
Dagegen erhob die gesetzliche Vertreterin des Klägers am 24. Februar 2012 Widerspruch und begehrte einen GdB von wenigstens
50 sowie die Merkzeichen "G" und "H". Nach Beteiligung seiner ärztlichen Gutachterin Dr. S. wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 23. August 2012 den Widerspruch des Klägers zurück.
Das an den Beklagten gerichtete Schreiben der gesetzlichen Vertreterin des Klägers vom 28. August 2012 ist als Klage an das
Sozialgericht (SG) D.-R. weitergeleitet worden. Zur Begründung hat die gesetzliche Vertreterin erneut auf die aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbare
unterschiedliche Behandlung der Geschwisterkinder verwiesen. Allein der Besuch der Förderschule rechtfertige nach ihrer Ansicht
den GdB von 50 sowie die Merkzeichen "B" und "G".
Das SG hat einen weiteren Befundbericht der Kinderärztin Dipl.-Med. B. vom 29. November 2012 eingeholt, die eine allgemeine Entwicklungsverzögerung
und Sprachstörung diagnostiziert hat. Die Entwicklung sei nach wie vor nicht altersgerecht, der Kläger benötige viel mehr
Pflege und Aufsicht als gleichaltrige Kinder. Nach dem beigelegten Bericht der Logopädin Schnöckel vom 6. August 2012 habe
die Diagnostik eine Sprachentwicklungsverzögerung (Schwerpunkt phonetisch/phonologische Störung), einen Dysgrammatismus sowie
einen eingeschränkten aktiven und passiven Wortschatz ergeben.
Die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. W. hat in ihrer Stellungnahme vom 3. Januar 2013 den Entwicklungsrückstand, insbesondere
der Sprache, weiterhin mit einem GdB von 40 bewertet. Lediglich im sprachlichen Bereich bestünden nach ihrer Auffassung noch
etwas größere Rückstände.
Schließlich hat das SG das Gutachten des Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie,
Sozialmedizinischer Gutachter, vom 18. November 2013 nach ambulanter Untersuchung des Klägers eingeholt. Danach habe der Kläger
im Schuljahr 2011/2012 die Förderschule für geistig Behinderte mit sehr guten Leistungen absolviert. Die Schule habe dann
empfohlen, ihn ab dem 2. Schuljahr in der Förderschule für Lernbehinderte zu beschulen. Diese Beschulung seit dort mit dem
Schuljahr 2012/2013 sofort in der 2. Klasse mit logopädischer Behandlung erfolgt. Aktuell befinde sich der Kläger in der 3.
Klasse dieser Schule. Nach anfänglichen Umstellungsschwierigkeiten habe er sich dort gut integriert und auch hier gute Leistungen
gezeigt. Während der Schulzeit werde der Kläger geweckt, die Oma schicke ihn ins Bad. Dann wasche er sich selbständig und
putze auch selbständig die Zähne, die Oma müsse ihm das aber immer wieder sagen. Wäsche lege sie hin, dann ziehe er sich selbständig
an. Die Oma bereite das Frühstück für die Schule vor und packe dieses in den Ranzen. Sie müsse auch den Ranzen kontrollieren.
Am Nachmittag helfe die Oma etwas bei den Hausaufgaben. Ansonsten könne der Kläger spielen, z.B. Nintendo oder Fußball. Auch
sehe er fern. Fahrrad fahre er vor dem Haus unter Aufsicht. Der Kläger spiele noch in dem Fanfarenzug des Heimatorts als Trommler.
Bezüglich der Nahrungsaufnahme müsse die Oma nichts machen. Der Kläger könne sich z.B. auch selbst Schnitten schmieren. Zwischen
19 und 20 Uhr, so die Oma, müssten sich die beiden Brüder für das Zubettgehen fertigmachen. Sozialkontakte bestünden innerhalb
der Familie. Ansonsten gebe es in der Wohnungsumgebung noch einige Kinder, mit denen der Kläger spiele. Wege außerhalb des
unmittelbaren Wohnbereichs lege der Kläger nur in Begleitung zurück, das betreffe auch öffentliche Verkehrsmittel.
Der Sachverständige Dr. S. hat über eine unauffällige allgemeinkörperlich-internistisch/neurologische Untersuchung des Klägers
berichtet. Der Kläger sei gut kontaktbereit gewesen, habe aber auch eine ausreichende Distanz gewahrt. Seine Stimmungslage
sei freundlich und kooperativ gewesen. Eine Antriebsstörung bzw. Verhaltensauffälligkeiten seien nicht festzustellen gewesen.
Der Kläger habe mit gutem Wortschatz bei noch leichter Sprechstörung (Zischlaute, Lispeln) klare Antworten gegeben. Aktuell
erfolge noch eine logopädische Behandlung, wobei sich die früh ausgeprägten Sprachstörungen deutlich zurückgebildet hätten.
Die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Klägers sei allenfalls im Sinne einer leichten Intelligenzminderung, hier aber eher
oberer Bereich, eingeschränkt. Bei einem noch vorhandenen psychomentalen Entwicklungsrückstand gegenüber einem Normalschüler
habe er aber offensichtlich eine Aufholtendenz unter den neuen Förderungsbedingungen gezeigt. Ein orientierendes Gespräch
über Alltagsaktivitäten bzw. Alltagssituationen habe eine ausreichende soziale Kompetenz unter Berücksichtigung des bisherigen
Bildungsweges erkennen lassen. Sie entspreche sicherlich nicht einem Kind, das in eine Regelschule gehe, andererseits aber
keinesfalls einem Schüler einer Förderschule für geistig behinderte Kinder. Den Zahlenraum mit Münzen von 1 ct bis 2 EUR habe
der Kläger gut realisieren können. Dies habe sowohl Additions- als auch Subtraktionsaufgaben betroffen. Das Lesen einfacher
Texte gelinge ihm mit kleinen Pausen und sei gut verständlich. Inhaltlich verstehe er einfache Texte ausreichend. Der Kläger
bedürfe noch einer besonderen Anleitung und gegebenenfalls auch Kontrolle bei Aktivitäten des täglichen Lebens, aber keineswegs
Hilfeleistungen im engeren Sinne. Zusammenfassend hat der Sachverständige für die leichte Intelligenzminderung und Sprachstörung
des Klägers einen GdB von 50 vorgeschlagen. Körperlich lägen keine Einschränkungen vor, die die Merkzeichen "G" und "B" rechtfertigten.
Auch die intellektuelle Leistungsminderung sei nicht so gravierend, dass er sich in Örtlichkeiten nicht ausreichend orientieren
könne und regelmäßig Hilfe beim Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel bzw. während der Fahrt benötige.
Der Sachverständige hat u.a. ein Zeugnis der Basisförderschule B.-W. vom 31. Januar 2013 über das 3. Schulbesuchshalbjahr
(Klasse 2) des Klägers übersandt. Danach habe sich der Kläger sehr gut in das neue Schulleben eingefügt. Er habe ein gutes
Auffassungsvermögen. Er lerne rasch Texte von Liedern und Gedichten und könne sich das Gelernte über einen längeren Zeitraum
merken. Sätze mit bekannten Wörtern lese er wortweise fließend und mit unbekannten Wörtern sinnerfassend silbenweise. Ihm
gelinge es, geübte Wörter fehlerfrei aus dem Gedächtnis aufzuschreiben. Den erarbeiteten Zahlenraum bis 10 habe der Kläger
vollständig erfasst. Im Sach- und Ethikunterricht bereichere er durch ein gutes Allgemeinwissen das Unterrichtsgeschehen.
Seine Hausaufgaben erledige er regelmäßig und sauber.
Der Beklagte hat in Auswertung des Gutachtens auf die versorgungsärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin Dr.
W. vom 8. Januar 2014 verwiesen. Danach stünden die gutachtlichen Befunde und die Zeugnisse der Förderschule einem höheren
GdB als 40 entgegen. Das Gutachten stütze sich vordergründig auf die Angaben der Großmutter und ein orientierendes Gespräch
mit dem Kläger. Testpsychologische Untersuchungen und eine spezielle Leistungsdiagnostik seien aber nicht erfolgt. Aus den
Schilderungen seien jedoch seit 2010 Entwicklungsfortschritte zu erkennen, die keinesfalls einen noch höheren GdB als 40 rechtfertigten.
Die von der Großmutter aufgeführten Besonderheiten seien bei einem 8-jährigen Kind generell zu beachten, wie z.B. Kontrollen
bei der Körperpflege, die Beaufsichtigung im Straßenverkehr und die Begleitung in unbekannter Umgebung.
Mit Urteil vom 20. Mai 2014 hat das SG den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger ab November 2011 einen GdB von 50 festzustellen, und hinsichtlich der begehrten
Merkzeichen "G" und "B" die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst auf die von Dr. S. festgestellte Lernbehinderung
verwiesen, für die im Ergebnis ein GdB von 30 bis 40 festzustellen sei. Eine intellektuell eingeschränkte Leistungsfähigkeit
sei nach Auffassung der Kammer aber nicht nur als Lernbehinderung zu bewerten, sondern auch als eine geistige Beeinträchtigung,
selbst wenn nur eine Auswirkung leichteren Ausmaßes bestehe. Vor diesem Hintergrund sei ein GdB von 50 festzustellen. Ein
Anspruch auf die begehrten Merkzeichen bestehe nicht. Die intellektuelle Leistungsminderung mit einem noch leichten psychomentalen
Entwicklungsrückstand stehe einer ausreichenden Orientierung in Örtlichkeiten nicht entgegen.
Gegen das ihm am 5. Juni 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16. Juni 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG)
Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung erneut Mängel im Gutachten geltend gemacht. Insbesondere untersetze keine standardisierte
testpsychologische Untersuchung im Rahmen einer gezielten Leistungsdiagnostik den von Dr. S. vorgeschlagenen GdB von 50. So
gehe aus dem Entwicklungsbericht von April 2011 hervor, dass sich die 2010 noch vorhandenen Defizite deutlich gebessert hätten
und inzwischen eine weitgehend altersadäquate Entwicklung eingetreten sei. Auch habe sich der Kläger in eine Förderschule
für Lernbehinderte integrieren können und erbringe dort gute Leistungen. Die Sprachstörungen hätten sich deutlich zurückgebildet.
Gravierende Verhaltungsauffälligkeiten seien nicht beschrieben worden. Zwar bestehe nach wie vor eine leichte Beeinträchtigung
der intellektuellen Leistungsfähigkeit, jedoch rechtfertige diese im Zusammenhang mit der im Übrigen positiven Entwicklung
bei dem Kläger in der Gesamtschau keineswegs die Annahme einer besonders schweren Entwicklungsstörung.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 20. Mai 2014 abzuändern, soweit er verurteilt wurde, beim Kläger ab November
2011 ein Grad der Behinderung von 50 festzustellen, und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die gesetzliche Vertreterin des Klägers hat mit Schreiben vom 24. Oktober 2014 eingewandt, der Kläger gehe nicht umsonst in
eine Förderschule.
Der Kläger ist zur nichtöffentlichen Sitzung des Senats am 3. Juni 2015 geladen worden, dort aber nicht erschienen. Am 5.
August 2015 hat die gesetzliche Vertreterin mitgeteilt, ihr sei aus gesundheitlichen Gründen keine Teilnahme am Termin möglich
gewesen. Die Berichterstatterin hat am 17. August 2015 ein Telefongespräch mit der gesetzlichen Vertreterin des Klägers geführt,
um mit ihr einen Erörterungstermin abzustimmen. Dabei hat die gesetzliche Vertreterin Bedenken geäußert, dass der Kläger den
GdB von 50 nicht bekomme, wenn er "gut auftritt". Nach den telefonischen Schilderungen der gesetzlichen Vertreterin gehe der
Kläger draußen allein spielen, auch sei ihm Fahrrad fahren möglich. Er laufe alleine bis zum Fanfarenzug und sei in den Ferien
auch im Jugendclub gewesen. In einem weiteren Telefongespräch der Berichterstatterin mit der gesetzlichen Vertreterin des
Klägers am 25. August 2015 ist ein Erörterungstermin für den 6. Oktober 2015 abgestimmt worden. Nachdem die Berichterstatterin
am 5. Oktober 2015 bei der gesetzlichen Vertreterin telefonisch an den Termin am 6. Oktober 2015 erinnert hat, ist dieser
wegen gesundheitlicher Probleme der gesetzlichen Vertreterin aufgehoben worden. Auch in der nichtöffentlichen Sitzung des
Senats vom 16. Dezember 2015 sind weder der geladene Kläger noch die gesetzliche Vertreterin erschienen. Die gesetzliche Vertreterin
des Klägers hat trotz gerichtlicher Aufforderung ihr Ausbleiben nicht erklärt.
Mit Schreiben vom 31. August 2016 (zugestellt mit Postzustellungsurkunde vom 3. September 2016) ist der gesetzlichen Vertreterin
des Klägers aufgegeben worden, eine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, einen Fragebogen über
die den Kläger seit 2013 behandelnden Ärzte und eine Erklärung über ein Einverständnis mit einer erneuten ambulanten Begutachtung
zu unterschreiben und an das Gericht zurückzusenden. Die gesetzliche Vertreterin ist in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen
worden, dass ohne weitere Sachaufklärung die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch nicht nachzuweisen seien und
der Senat den Rechtsstreit ohne ihre Mitwirkung nach Aktenlage entscheiden werde. Nach vorläufiger Bewertung werde der durch
das Urteil des SG vom 20. Mai 2014 festgestellte GdB von 50 keinen Bestand haben können. Eine Reaktion der gesetzlichen Vertreterin des Klägers
ist auf dieses Schreiben nicht erfolgt.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2018 ist die gesetzliche Vertreterin darauf hingewiesen worden, dass der Rechtsstreit in einer der
nächsten Sitzung des Senats entschieden werden wird. Auch darauf hat die gesetzliche Vertreterin nicht reagiert.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.
Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte den Rechtsstreit in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil dieser ordnungsgemäß geladen
und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, §
110 Abs.
1 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §
143 SGG auch statthafte Berufung des Beklagten hat Erfolg. Hinsichtlich der begehrten Merkzeichen "G" und "B" ist das klageabweisende
Urteil des SG rechtskräftig, sodass diese nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits sind. Der Kläger hat dagegen keine Berufung eingelegt.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 20. Mai 2014 ist begründet, denn der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 13. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012
ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§
54 Abs.
1,
56 SGG) zwar statthaft und zulässig erhoben worden. Sie ist aber, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, unbegründet.
Der Kläger hat aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen
Zeitraum, der hier von der Verurteilung des Beklagten zur Feststellung des GdB von 50 (November 2011) bis zur mündlichen Verhandlung
des Senats reicht, keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.
Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 23. September 2009 beim Kläger einen GdB von 30 festgestellt und damit über den Behinderungsgrad
entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung
ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades
um wenigstens 10 ergibt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 23. September 2009 vorgelegen
haben, ist eine Änderung eingetreten, die einen GdB von 40 im hier zu prüfenden Zeitraum rechtfertigt. Die Voraussetzungen
für die Feststellung eines GdB von 50 liegen jedoch nicht vor.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (
SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist §
69 Abs.
1 und
3 SGB IX (nachfolgend aF) bis zum 31. Dezember 2017 bzw. in der gleichlautenden Fassung durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG vom 23.
Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) §
152 Abs.
1 und
3 SGB IX ab dem 1. Januar 2018. Nach diesen Vorschriften stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest.
Diese Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an den in §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Nach der bis 31. Dezember 2017 gültigen Fassung dieser Vorschrift sind Menschen behindert,
wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt
ist. Nach der ab dem 1. Januar 2018 anzuwendenden Fassung des §
2 Abs.
1 Satz 1 und
2 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie
in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand
von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX (aF) bzw. §
152 Abs.
1 Satz 5
SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn
mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX (aF) bzw. §
152 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festgestellt.
§
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX war durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Danach
galten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtete sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen
der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009
in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG, Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember
2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen
Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Seit dem 15. Januar 2015 ergab sich die Rechtsgrundlage aus §
70 Abs.
2 SGB IX (Gesetz vom 7. Januar 2015, BGBl. I 2015, S. 15) bzw. ergibt sich ab dem 1. Januar 2018 aus §
153 Abs.
2 SGB IX (Fassung durch BTHG, a.a.O.).
Bei der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der VMG (Teil B) anzuwenden. Nach den allgemeinen Hinweisen
zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe
beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb
der in Teil A, Nr. 2 e genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung;
Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend
zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Die Behinderung des Klägers betrifft das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und ist maximal mit einem GdB von 40
seit November 2011 bis zum jetzigen Zeitpunkt zu bewerten. Dabei stützt sich der Senat auf das Gutachten des Dr. S., den Bericht
des SPZ, die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, das Sonderpädagogische Gutachten, die Berichte des Heilpädagogen K.,
die Schilderungen des Klägers und seiner Großmutter und die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten. Dem ohne Bezugnahme
auf die VMG unterbreiteten Vorschlag des Sachverständigen Dr. S., beim Kläger einen GdB von 50 festzustellen, kann der Senat
nicht folgen. An diesen war der Senat auch nicht gebunden, da die Bemessung des GdB und damit die rechtliche Bewertung der
Teilhabeauswirkungen die tatrichterliche Aufgabe ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Beschluss vom 22. Dezember 2017, B 9 SB 68/17 B, juris, m.w.N.).
Nach dem Gutachten des Dr. S. vom 18. November 2013 leidet der Kläger an einer allenfalls leichten Intelligenzminderung (oberer
Bereich), einem psychomentalen Entwicklungsrückstand und einer Sprachstörung. Damit ist der Bewertungsrahmen für Beeinträchtigungen
der geistigen Leistungsfähigkeit im Kindes- und Jugendalter eröffnet, der durch Teil B, Nr. 3.4 VMG vorgegeben wird. Dabei
wird zwischen Entwicklungsstörungen im Kleinkindesalter (Teil B, Nr. 3.4.1 VMG) und Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit
im Schul- und Jugendalter (Teil B, Nr. 3.4.2 VMG) differenziert. Bei Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit im
Schul- und Jugendalter unterscheiden die VGM nochmals zwischen kognitiven Teilleistungsschwächen (z. B. Lese-Rechtschreibschwäche,
isolierte Rechenstörung) und einer allgemeinen Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit. Von einer kognitiven Teilleistungsschwäche
ist nur dann auszugehen, wenn die spezifische Leistungsstörung nicht durch eine Minderung des allgemeinen Intelligenzniveaus
erklärt werden kann (Marks, MedSach 2016, 220, 222).
Da der Kläger im November 2011 bereits im Schulalter war, ist der GdB nach Teil B, Nr. 3.4.2 VMG - Einschränkungen der geistigen
Leistungsfähigkeit im Schul- und Jugendalter - zu bewerten. Nach den Feststellungen von Dr. S., der Befunde des SPZ H. und
der Kinderärztin Dipl.-Med. B. liegt beim Kläger keine bloße kognitive Teilleistungsschwäche vor, sondern eine darüber hinausgehende
allgemeine Minderung des Intelligenzniveaus. Diese Einschränkungen eröffnen nach Teil B, Nr. 3.4.2 VMG einen Bewertungsrahmen
von 30 bis 40, wenn während des Schulbesuchs nur geringe Störungen, insbesondere der Auffassung, der Merkfähigkeit, der psychischen
Belastbarkeit, der sozialen Einordnung, des Sprechens, der Sprache oder anderer kognitiver Teilleistungen vorliegen. Ein GdB
von 50 bis 70 ist erst festzustellen, wenn diese während des Schulbesuchs stark ausgeprägt sind oder mit einem Schulversagen
zu rechnen ist.
Beim Kläger sind in der Gesamtbewertung der Teilhabebeeinträchtigungen keine Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit
nachgewiesen, die einen GdB von mehr als 40 nach Teil B, Nr. 3.4.2 rechtfertigen könnten. Zwar hat Dr. S. keine eigene Leistungsdiagnostik
mit standardisierten Testverfahren vorgenommen, sodass auch keine Bestimmung des Intelligenzquotienten des Klägers erfolgt
ist. Eine weitere Sachaufklärung, insbesondere zum tatsächlichen Ausmaß der Intelligenzminderung, war dem Senat aufgrund der
mangelnden Mitwirkung der gesetzlichen Vertreterin trotz mehrfacher Versuche und umfangreicher rechtlicher Hinweise nicht
möglich gewesen. Allerdings ist bei der GdB-Feststellung nach Teil B, Nr. 3.4 VMG nicht allein vom Ausmaß der Intelligenzminderung
und von diesbezüglichen Testergebnissen auszugehen, die immer nur Teile der Behinderung zu einem bestimmten Zeitpunkt erfassen
können. Daneben ist stets die Persönlichkeitsentwicklung auf affektivem und emotionalem Gebiet, wie auch im Bereich des Antriebs
und der Prägung durch die Umwelt mit allen Auswirkungen auf die sozialen Einordnungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Unter Berücksichtigung aller vorhandenen Unterlagen bzw. Informationen über den Kläger und bei Anwendung des aufgezeigten
Bewertungsmaßstabs zeigen die von Dr. S. erhobenen Befunde eine positive Entwicklung des Klägers insbesondere durch die heilpädagogische
und integrative Betreuung in der Kita sowie die erfolgreiche logopädische Behandlung. Die ursprünglichen Defizite im fein-
und grafomotorischen Bereich sowie in Bezug auf Körperkoordination und Köpergleichgewicht konnten so verbessert werden, dass
derartige Rückstände durch Dr. S. nicht mehr dokumentiert wurden. Insoweit hat der Sachverständige von einer unauffälligen
allgemeinkörperlich-internistisch/neurologischen Untersuchung des Klägers berichtet. Auch die vorhandenen Sprachdefizite haben
sich nach der Einschätzung von Dr. S. deutlich zurückgebildet. Die im Kleinkindesalter zunächst von der Kinderärztin Dipl.-Med.
B. und nachfolgend im SPZ H. festgestellte globale Entwicklungsstörung besteht demnach nicht mehr. Zwar hat die gesetzliche
Vertreterin den Neufeststellungsantrag im Oktober 2011 wegen der Einschulung des Klägers in die Schule für geistig behinderte
Kinder gestellt. Allein dieser Bildungsweg lässt allerdings keinen Rückschluss auf den GdB zu, sofern er nicht mit einer entsprechenden
Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit korreliert. Beim Kläger war die Einschulung in die Schule für geistig behinderte
Kinder vorrangig auf den Wunsch der gesetzlichen Vertreterin zurückzuführen, die Geschwisterkinder in der gleichen Schule
unterzubringen. Das SPZ hatte dagegen vorgeschlagen, den Kläger in eine Schule für lernbehinderte Kinder oder in eine Sprachschule
einzuschulen. Es war in diesem Zusammenhang auf die inhomogene kognitive Leistungsdiagnostik mit einer Vielzahl altersadäquater
Ergebnisse verwiesen worden. Auch im Sonderpädagogischen Gutachten ist darauf hingewiesen worden, dass aufgrund der bestehenden
Potentiale perspektivisch die leistungs- und entwicklungsbezogene Förderung unter den Bedingungen der Regelschule denkbar
sei. Die auch tatsächlich erfolgte Umschulung nach der 1. Klasse sogleich in die 2. Klasse der Förderschule für Lernbehinderte
bestätigt die damalige Prognose. Die in den Zeugnissen der Förderschule zum Ausdruck kommende gute Schulentwicklung und die
Tests von Dr. S. (z. B. Umgang mit Zahlen und Geldmünzen, Lese- und Schreibfähigkeiten) zeigen außerdem, dass der Kläger nicht
einem Kind gleichzustellen ist, das notwendigerweise in einer Schule für geistig behinderte Kinder unterrichtet wird. Dies
hat Dr. S. in seinem Gutachten auch ausdrücklich eingeschätzt. Insoweit wird der Unterschied zum Bruder des Klägers deutlich,
der aufgrund seiner Behinderung in der Schule für geistig behinderte Kinder dauerhaft beschult wird.
Auch der von der Großmutter gegenüber Dr. S. geschilderte Tagesablauf mit den notwendigen Unterstützungsmaßnahmen im täglichen
Leben ist dem Lebensalter des Klägers angepasst und lässt keinen Rückschluss auf Teilhabebeeinträchtigungen zu, die einen
(noch) höheren GdB als 40 rechtfertigen. Er ist in weiten Teilbereichen des täglichen Lebens selbständig (Ankleiden, Nahrungsaufnahme,
Hygiene). Dies ist auch in dem Sonderpädagogischen Gutachten und im Abschlussbericht der Kita dokumentiert. Der Antrieb des
Klägers ist nach den Feststellungen des Dr. S. nicht gemindert. Der Kläger ist darüber hinaus nach seinen eigenen Schilderungen
beim Sachverständigen Dr. S. und den Angaben der Großmutter in der Schule und im Familienkreis gut sozial integriert. Dr.
S. hat auf eine ausreichende soziale Kompetenz des Klägers verwiesen. In der Freizeit spielt er für Jungen seines Alters typische
Spiele (Nintendo, Fußball), sieht fern, hat Freunde in der Nachbarschaft, geht in den Jugendclub, fährt Fahrrad und ist Trommler
im Fanfarenzug. Er nimmt damit umfassend am gesellschaftlichen Leben teil. Insoweit ist gut nachvollziehbar, dass im Zeugnis
des Klägers über sein gutes Allgemeinwissen berichtet wird, mit dem er den Sachkunde- und Ethikunterricht bereichert.
In dem GdB von 40 ist das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigungen des Klägers abschließend berücksichtigt. Bei einer Einschränkung
der geistigen Leistungsfähigkeit im Schulalter umfasst der GdB nach Teil B, Nr. 3.4.2 VMG das gesamte Spektrum der mit der
eingeschränkten geistigen Leistungsfähigkeit verbundenen Teilhabebeeinträchtigungen. Die beim Kläger damit einhergehende Lernbehinderung,
die eine Beschulung in der Förderschule notwendig macht, kommt in dem GdB von 40 angemessen zum Ausdruck. Ein Kind mit einer
Minderung des allgemeinen Intelligenzniveaus weist regelmäßig auch eine Lernbehinderung auf, die mit einem besonderen schulischen
Förderbedarf verbunden ist. Die vom SG vorgenommen Bewertung der Lernschwäche neben der Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit würde zu einer unzulässigen
Doppelbewertung der bestehenden Teilhabebeeinträchtigungen führen. Nur wenn neben der Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit
zusätzlich eine davon unabhängige weitere psychische Störung vorliegt, ist nach Teil B, Nr. 3.5 VMG eine Erhöhung des GdB
möglich. Derartige Störungen hat weder Dr. S. nachgewiesen, noch wurden entsprechende Diagnosen vom SPZ H. oder der Kinderärztin
Dipl.-Med. B. gestellt. Dr. S. hat ausdrücklich eine Verhaltensstörung des Klägers ausgeschlossen. Auch die Kinderärztin Dipl.-Med.
B. hat keine solche diagnostiziert und mitgeteilt, der Kläger sei weder hyperaktiv noch aggressiv.
Die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beim Kläger würde schließlich dem zu berücksichtigendem Gesamtmaßstab widersprechen.
Er ist unter Berücksichtigung seiner gesamten Teilhabemöglichkeiten nicht so beeinträchtigt wie ein Kind, das z. B. unter
eine globalen Entwicklungsstörung mit starken Auswirkungen leidet (Teil B, Nr. 3.4.1 VMG) oder bei dem aufgrund von Autismus
zumindest mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten bestehen (Teil B, Nr. 3.5.1 VMG). Das war letztlich wohl auch der gesetzlichen
Vertreterin bewusst, da diese mehrfach anberaumte Erörterungstermine mit Anordnungen des persönlichen Erscheinens des Klägers
ohne plausible Entschuldigungen nicht wahrgenommen und telefonisch Bedenken geäußert hat, dass der Kläger den GdB von 50 nicht
erreicht, wenn er "gut auftritt".
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.