Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach SGB IX - Diabetes mellitus; erheblicher Aufwand; Grad der Behinderung; GdB; erhebliche Beeinträchtigung; stabile Stoffwechsellage;
fünf tägliche Insulininjektionen; ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung; intensivierte Insulintherapie; neurologische Ausfälle;
Hypoglykämie; Hyperglykämie; krankheitsimmanente Blutzuckerschwankung; Führen eines Pkw; Beeinträchtigung bei der Berufsausübung;
psychische Belastung; Gesamtbehinderungsgrad; Vergleichsmaßstab; Schwerbehinderteneigenschaft; Einschnitte in die Lebensführung;
Tagesablauf; Teilhabefähigkeit
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Bei der am ... 1972 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 12. April 1999 einen GdB von 40 wegen eines insulinpflichtigen
Diabetes mellitus fest. Den Neufeststellungsantrag der Klägerin, den diese mit der Notwendigkeit von fünf täglichen Insulininjektionen
begründete, lehnte er mit Bescheid vom 20. Februar 2008 ab. Am 6. Februar 2012 stellte die Klägerin einen weiteren Neufeststellungsantrag
und verwies auf den neu festgestellten Bluthochdruck. Der Beklagte holte einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin
Dipl.-Med. M. vom 14. Februar 2012 ein, der über die derzeitige Therapieoptimierung des seit Januar 2012 bekannten Bluthochdrucks
berichtete. Darunter seien die Blutdruckwerte rückläufig, aber noch nicht zufriedenstellend. Der Facharzt für Innere Medizin/Diabetologie
K. teilte mit: Der Diabetes mellitus werde mit fünf bis sieben Insulininjektionen (je nach Ernährung) behandelt. Blutzuckermessungen
seien vier- bis sechsmal täglich erforderlich. Die Insulinanpassungen erfolgten in Abhängigkeit von Blutzuckerwert, folgender
Mahlzeit und körperlicher Belastung. In Anlage übersandte er die protokollierten Blutzuckermessungen für den Zeitraum vom
19. November 2011 bis 16. Februar 2012.
Mit Bescheid vom 17. April 2012 lehnte der Beklagte nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes (Dr. G.) die Neufeststellung
des GdB ab, da der Bluthochdruck unter Medikation gut eingestellt sei und keinen Einzel-GdB erreiche. Nach Widerspruch der
Klägerin am 26. April 2012 holte der Beklagte eine prüfärztliche Stellungnahme seines ärztlichen Gutachters Dr. B. vom 30.
Mai 2012 ein, der ausführte: Es liege bei der Klägerin eine Zuckerkrankheit mit stabiler Stoffwechsellage vor. Eine durch
erhebliche Einschnitte gravierend beeinträchtigte Lebensführung mit ausgeprägter Teilhabebeeinträchtigung sei aus den Befunden
nicht ableitbar. Ein höherer GdB lasse sich daher nicht begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2012 wies der
Beklagte dem folgend den Widerspruch der Klägerin zurück und führte ergänzend aus: Spürbare Leistungseinbußen in Folge wechselnder
Blutzuckerwerte und erheblich behindernder Auswirkungen des Diabetes mellitus bei der Planung des Tagesablaufs, der Freizeitgestaltung,
der Mobilität und der Berufsausübung seien aus den vorliegenden Dokumentationen nicht erkennbar.
Dagegen hat die Klägerin am 27. September 2012 Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben und vorgetragen: Der Bluthochdruck sei nicht zufriedenstellend eingestellt. Im Februar und März 2012 sei sie
wegen des Bluthochdrucks und einer Stoffwechselstörung für die Dauer von fünf Wochen arbeitsunfähig gewesen. Auch sei der
Blutzucker nicht optimal eingestellt. Der letzte HbA1c-Wert habe 6,2 % betragen. Sie führe seit April 2012 auch ein Diabetikertagebuch.
Sportliche Aktivitäten seien nur eingeschränkt möglich. Sie sei berufstätig und müsse fünf- bis siebenmal täglich ca. eine
Viertelstunde vor den Mahlzeiten den Blutzucker messen, um die zu spritzenden Einheiten zu berechnen. Im Übrigen habe auch
ihre Sehstärke nachgelassen. Dazu verwies sie auf einen Untersuchungsbefund der Fachärztin für Augenheilkunde Dipl.-Med. K.,
wonach der Visus rechts 0,9 und links 1,0 betragen habe. Eine diabetische Retinopathie liege danach nicht vor. Der HbA1c-Wert
wurde mit 7,9 % angegeben. Außerdem verwies die Klägerin auf eine Heilmittelverordnung des Dipl.-Med. M. vom 10. Dezember
2012 aufgrund einer Erkrankung der Halswirbelsäule (HWS).
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Dipl.-Med. M. hat am 5. April 2013 über eine Zunahme der
diabetischen Neuropathie berichtet. Es bestünden Kribbelparästhesien im Bereich der oberen und unteren Extremitäten, insbesondere
beider Hände, im Bereich der Unterschenkel und beider Füße. Die Klägerin sei bereits bei geringer Belastung schnell erschöpft
und schildere rezidivierende Schwindelanfälle. Der sekundär insulinbedürftige Diabetes mellitus Typ II sei die Ursache dieser
Beschwerden. Der Blutdruck sei unter Therapie nicht erhöht und damit ausreichend therapiert. Augenhintergrundveränderungen
oder eine hypertensive Herzerkrankung (z. B. eine Linksherzhypertrophie) bestünden nicht. Folgende HbA1c-Werte seien vom 21.
September 2009 bis 9. August 2012 festgestellt worden: 7,0; 6,8; 7,2; 7,1; 7,9. Ergänzend hat der Arzt am 10. Dezember 2013
über Müdigkeit und Konzentrationsstörungen berichtet. Der Diabetologe K. hat am 30. April 2014 mitgeteilt: Die Befunde seien
unverändert, was beim Diabetes mellitus durch HbA1c-Werte von relativ konstant um 7 % zum Ausdruck komme. Die anhaltend instabile
Stoffwechsellage zeige sich im Wechsel von zu hohen und zu niedrigen Blutzuckerwerten ohne eindeutig erkennbares und damit
nicht behandelbares System. Leichte Hyper- und Hypoglykämien träten regelmäßig auf. Die Instabilität beruhe auf der erloschenen
Insulineigenproduktion der Klägerin. Auch der erhebliche Behandlungsaufwand (sechs bis sieben Insulininjektionen und Blutzuckermessungen
täglich, Anpassung von Ernährung, Bewegung und Alltagsleben) könne dies nicht ausgleichen.
In Auswertung der Befunde hat der Beklagte auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin Dr. W. vom 5.
Juni 2013 verwiesen, wonach der Diabetes mellitus mit einem GdB von 40 und der Bluthochdruck mit 10 zu bewerten seien. Unter
der intensivierten Insulintherapie bestünden die üblichen krankheitsimmanenten Blutzuckerschwankungen. Schwere Stoffwechselentgleisungen,
die zu gravierenden Einschnitten in den Tagesablauf führen könnten, seien nachweislich nicht aufgetreten. Der Therapieaufwand
und die üblichen Schwankungen bzw. die damit einhergehenden Beschwerden seien in dem GdB von 40 berücksichtigt. Der Diabetologe
habe ausdrücklich eine wesentliche Veränderung verneint und mit HbA1c-Werten um 7 % einen stabilen Verlauf belegt. Organkomplikationen
und Folgeerscheinungen lägen nicht vor. Die Polyneuropathie sei fachärztlich nicht bestätigt und bedinge beim Fehlen neurologischer
Ausfälle keine zusätzliche Behinderung. Der Blutdruck sei gut eingestellt. Ohne Herz- oder andere Organbeteiligungen sei allenfalls
ein GdB von 10 zu begründen. Orthopädische Befundberichte zu Funktionsbehinderungen der HWS lägen nicht vor. Die Klägerin
habe auch keine diesbezüglichen Beschwerden geltend gemacht.
Ergänzend hat die Klägerin nach Hinweisen des SG vorgetragen: Bereits gegen 5 Uhr müsse sie die erste Messung des Blutzuckers durchführen. Für die Messungen, das Spritzen,
die Berechnung der Broteinheiten und die Dokumentation im Diabetikertagebuch müsse sie täglich zu jeder Mahlzeit ca. 10 Minuten
zusätzlich einplanen. Die exakte Einhaltung des Tagesablaufs werde durch die berufliche Situation erschwert. Sie fahre gegen
5:45 Uhr von zu Hause mit dem PKW zum Bahnhof H. und dann weiter mit dem Zug nach M ... Dort komme sie gegen 7:50 Uhr an.
Sie arbeite dann in Gleitzeit täglich sechs Stunden. Die Rückfahrt erfolge mit dem Zug um 14:26 Uhr, die Ankunft in H. auf
dem Bahnhof sei um 15:18 Uhr. Danach fahre sie mit dem Auto weiter, sodass sie gegen 16:15 Uhr zu Hause ankomme. Zweimal monatlich
absolviere sie Bereitschaftsdienste, wobei sie erst gegen 20:00 Uhr zu Hause sei. Im Büroalltag habe sie das Messen und Spritzen
mit in den Arbeitsablauf eingeplant. Dazu könne sie in ihrem Büro direkt am Schreibtisch sitzen bleiben, die Messung durchführen,
die Spritzen geben und die Dokumentation führen. Währenddessen übernehme die Kollegin die Tätigkeiten, wie z. B. Kundengespräche.
Die letzte Messung des Blutzuckers erfolge bis ca. 23:00 Uhr, die früheste habe sie auf ca. 5:00 Uhr verlegt. Sie könne nicht
noch in der Nacht den Wecker stellen, um nochmals zu messen und zu spritzen. Blutzuckerschwankungen habe sie bei zu viel Stress.
Sie bemerke die Unterzuckerungen durch Schweißausbrüche und Zittern. Diese seien mit Kopfschmerzen, Kreislaufschwankungen,
Unwohlsein und Schlafstörungen verbunden. Auch leide sie unter Konzentrationsmängeln. Weil sie jedoch überwiegend einen geregelten
Tagesablauf habe, seien in der letzten Zeit keine erheblichen Kreislaufprobleme aufgetreten. Bei niedrigen Blutzuckerwerten
habe sie Probleme bei ihrer beruflichen Tätigkeit, insbesondere wenn sie Kundengespräche führe. Durch regelmäßiges Essen komme
es aber zu weniger Unterzuckerungen. Sie betreibe auch keine sportlichen Aktivitäten mehr. Den Kurs im Fitnessstudio könne
sie wegen Kreislaufproblemen nicht mehr durchführen. Fahrradfahren könne sie nur kürzere Strecken. Auch fahre sie keine längeren
Strecken mehr mit dem Auto. Im Haushalt könne sie nur leichte Tätigkeiten ausführen. Gartenarbeit könne sie nicht mehr erledigen.
Sie könne auch keinen spontanen Aktivitäten nachgehen. Sie müsse immer vorher planen, zu welchem Zeitpunkt sie sich wann und
wo befinde. Längere Krankschreibungen seien seit Anfang 2012 nicht mehr notwendig gewesen. Dennoch leide sie weiter unter
Bluthochdruck.
Der Beklagte hat auf die prüfärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 13. Mai 2014 verwiesen. Danach sei im gesamten erfassten
Zeitraum ausweislich der vorgelegten Diabetestagebücher keine einzige Unterzuckerung aufgetreten. Die Klägerin könne ihre
Stoffwechselführung sehr gut an die Tagesgestaltung anpassen, indem z. B. die tägliche dritte Messung zwischen 12:00 und 16:00
Uhr sowie die fünfte zwischen 20:00 und 0:00 Uhr variiert werde. Die Schilderungen zum Tagesablauf zeigten den üblichen Therapieaufwand
beim insulinpflichtigen Diabetes mellitus, der mit einem GdB von 40 angemessen berücksichtigt werde. Gravierende Einschnitte
in den Tagesablauf seien den Schilderungen und den Blutzuckerverläufen bzw. den Diabetestagebüchern nicht zu entnehmen. Der
Verzicht auf Sport sei bei dem hier vorliegenden stabilen Erkrankungsverlauf nicht notwendig.
Mit Urteil vom 21. Mai 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Diabetes mellitus der Klägerin sei mit einem GdB von 40 zu bewerten.
Die Blutzuckerwerte lägen im normalen Bereich und zeigten keine schwerwiegenden Unter- oder Überzuckerungen. Leichte Unterzuckerungen
könnten von der Klägerin selbständig behandelt werden. Wesentliche Folgeschäden seien nicht aufgetreten. Bei der Klägerin
lägen HbA1c-Werte zwischen 6,9 und 7,9 % vor, so dass von einem gut eingestellten Diabetes mellitus auszugehen sei. Zu schweren
hypoglykämischen Entgleisungen mit ärztlicher Fremdhilfe sei es seit Jahren nicht gekommen. Soweit der Diabetologe angebe,
die Stoffwechsellage sei trotz der Behandlung mit enormem Aufwand anhaltend instabil, so lasse sich dies anhand der HbA1c-Werte
medizinisch nicht objektivieren. Die Klägerin sei Ende 2012 letztmalig arbeitsunfähig erkrankt. Häufige stationäre Aufenthalte,
Nachschulungen und Therapieumstellungen seien nicht erforderlich. Die sonstigen von der Klägerin vorgetragenen Einschränkungen
durch die Notwendigkeit der ständigen Kontrolle bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und die häufigen Blutzuckermessungen
führten noch nicht zu einer erheblichen Teilhabebeeinträchtigung, die einen GdB von 50 rechtfertigten. Dass die Klägerin aus
Angst vor Unterzuckerungen mittels öffentlicher Verkehrsmittel den Arbeitsweg zurücklege und dadurch eine Stunde länger täglich
unterwegs sei, begründe keine gravierende Beeinträchtigung. Die stabile, medikamentös behandelte Hypertonie erhöhe den Gesamt-GdB
nicht.
Gegen das ihr am 10. Juni 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Juli 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG)
Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Aufgrund der Blutzuckerschwankungen habe sie Kreislaufprobleme, leide
unter Kopfschmerzen und Unwohlsein sowie Angstzuständen vor Unterzuckerungen. Eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung
sei anzunehmen, da sie 50 bis 70 Minuten mehr für die Einnahme der Mahlzeiten benötige. Unter Berücksichtigung des zusätzlichen
Zeitaufwandes von mindestens 60 Minuten für die Wegstrecke müsse von einem erheblichen Einschnitt in die Lebensführung ausgegangen
werden. Es müsse der Zeitaufwand für zusätzliche Tätigkeiten, wie Parken am Zwischenstopp in H., Gehen zum Bahnhof, Wartezeit
am Bahnsteig etc. berücksichtigt werden. Dies stelle einen erheblichen Mehraufwand gegenüber dem Fahren der gesamten Strecke
mit einem PKW dar. Schließlich hätte die Entscheidung über das Bestehen einer stabilen bzw. instabilen Stoffwechsellage nur
durch einen Sachverständigen erfolgen können. Allein die Feststellung durch das SG anhand eines Vergleichs der Werte der Klägerin mit den Normalwerten reiche nicht aus, weil dafür hinreichende medizinische
Kenntnisse notwendig seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 21. Mai 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. April 2012 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. September 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr ab 6. Februar 2012 einen
Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, auch nach der weiteren Sachaufklärung seien die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft
nicht gegeben.
Der Senat hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Der Hautarzt Dr. Z. hat am 9. März 2015
über die Behandlung der Klägerin zwischen dem 20. Oktober und 9. Dezember 2014 wegen einer Psoriasis capitis und Haarausfall
berichtet. Der Zustand habe sich nach Behandlung verbessert. Dipl.-Med. M. hat am 18. März 2015 einen sich im Normbereich
befindenden Blutdruck mitgeteilt. Es sei insgesamt von einer leichten Form mit geringen bzw. keinen Leistungsbeeinträchtigungen
auszugehen. Die bei ihm festgestellten HbA1c-Werte hat er mit 7,6 (11. Februar 2014) und 7,9 (9. August 2012) angegeben. Außerdem
bestehe ein Zervikothorakalbrachialsyndrom bei Myogelosen. Unter physikalischer Therapie sei eine positive Beeinflussung der
Beschwerden möglich. Der Diabetologe K. hat am 27. März 2015 über einen unveränderten Gesundheitszustand berichtet. Organkomplikationen
lägen nicht vor. Die Klägerin könne prinzipiell einen PKW führen, müsse vor Fahrtantritt und während der Fahrt aber regelmäßig
den Blutzucker zur Erkennung von eventuellen Unterzuckerungen messen bzw. dürfe bei unzureichenden Blutzuckerwerten die Fahrt
nicht antreten bzw. fortsetzen. Sie könne prinzipiell auch Sport treiben, müsse aber vor und während der Aktivität regelmäßig
den Blutzucker messen. Folgende HbA1c-Werte hat der Arzt mitgeteilt: 7. September 2013: 6,7; 28. November 2013: 6,6; 6. März
2014: 7,0; 26. Juni 2014: 6,9; 2. Oktober 2014: 6,8; 15. Januar 2015: 6,8.
In Auswertung der Unterlagen hat der Beklagte auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin Dr. W. vom 22. April
2015 verwiesen. Danach führten unspezifische Befindlichkeitsstörungen nicht zu einem GdB. Der Blutdruck liege im Normbereich
und die Blutzuckerwerte befänden sich im therapeutischen Zielbereich. Auch die angegebenen Wirbelsäulenbeschwerden rechtfertigten
keinen GdB. Die im Oktober 2014 festgestellten Psoriasiserscheinungen auf dem Kopf sowie der Haarausfall hätten sich im Dezember
2014 gebessert und bedingten keinen GdB.
Am 6. Oktober 2015 hat eine nichtöffentliche Sitzung des Senats stattgefunden. In dieser hat die Klägerin erklärt: Seit dem
Jahr 2000 sei sie bei einer Versicherung in M. beschäftigt. Sie fahre immer mit dem Auto von ihrem Wohnort nach H. (ungefähr
45 min) und anschließend mit dem Zug weiter. Die Fahrzeit sei für sie sehr belastend. Sie könne ohne direkten Publikumsverkehr
arbeiten, nehme aber Anrufe entgegen und bearbeite Anträge. Längere PKW-Strecken fahre ihr Mann. Bei Urlaubsreisen bevorzugten
sie Kurzstreckenflugreisen wie z. B. nach Mallorca oder Bulgarien. Sportliche Aktivitäten führe sie nicht durch. In der Woche
bleibe nicht viel Freizeit. Am Wochenende müsse sie die Hausarbeit nachholen. Gelegentlich gehe sie in das Kino. Es belaste
sie sehr, dass sich das ganze Leben nur noch um den Diabetes drehe. Schon früh müsse sie daran denken, was sie essen wolle
und ob sie noch etwas einkaufen müsse. Sie kenne auch ein Leben ohne Diabetes mellitus. Das sei komplett anders gewesen. Spontane
Dinge habe sie sich abgewöhnt. Sie könne einfach nicht essen gehen, wenn sie gefragt werde, ob sie Lust darauf habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß §
143 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auch statthafte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte mit Bescheid vom 17. April 2012 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2012 die Neufeststellung des Behinderungsgrades ab 6. Februar 2012 abgelehnt.
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft liegen weiterhin nicht vor.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 6. Februar 2012. Hierbei handelt
es sich um eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, für die bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitraum vom
Neufeststellungsantrag bis zur Entscheidung durch den Senat maßgeblich ist.
Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 12. April 2009 einen GdB von 40 festgestellt und damit über den Behinderungsgrad
der Klägerin entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 Abs.1 des Zehnten Buches des (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen,
wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens
10 ergibt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 12. April 2009 vorgelegen haben, ist keine
Änderung eingetreten. Die Funktionsstörungen der Klägerin rechtfertigen auch weiterhin die Feststellung eines GdB von 40.
Nach §
69 Abs.
1 des
Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung
knüpft materiell-rechtlich an den in §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen
der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009
in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG, Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember
2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt.
Soweit der streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der VMG (Teil A) zugrunde zu legen ist, gilt Folgendes: Nach den allgemeinen
Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden
Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil
A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane;
Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu
beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab ist bei der Klägerin weiterhin ein GdB von 40 ab 6. Februar 2012 bis zum jetzigen Zeitpunkt festzustellen.
Dabei stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, die Arztbriefe, die vorgelegten Diabetikertagebücher
der Klägerin, ihre eigenen Angaben sowie die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten.
a)
Das zentrale Leiden der Klägerin betrifft das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und wird durch den insulinpflichtigen
Diabetes mellitus Typ I geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der VMG vom 14. Juli 2010 gilt nach
Teil B, Nr. 15.1:
"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte
Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind,
erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung.
Der GdS beträgt 30 bis 40.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen,
wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig
variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund
dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise
Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen."
Das BSG hat mit Urteil vom 2. Dezember 2010 (B 9 SB/09 R, juris) diese Neufassung der VMG für rechtmäßig erklärt (vgl. BSG a.a.O. Rdn. 26) und für die Zeit vor Inkrafttreten der Verordnung unter Hinweis auf das Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a
SB 10/06) bei der Bewertung des Einzel-GdB eines insulineingestellten Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität insbesondere
den jeweiligen Therapieaufwand hervorgehoben, soweit sich dieser auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der
Gesellschaft nachteilig auswirkt. Hierbei ist der GdB eher niedrig anzusetzen, wenn bei geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene
Stoffwechsellage erreicht werden kann. Bei einem beeinträchtigenden, wachsenden Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg
(instabilere Stoffwechsellage) wird der GdB entsprechend höher zu bewerten sein. Dabei sind - im Vergleich zu anderen Behinderungen
- die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu prüfen (BSG a.a.O. Rdn. 33). Bei therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung können z.B. die Planung des Tagesablaufs, die
Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität beachtet werden (vgl. Begründung
zur Verordnungsänderung, BR-Drucksache 285/10 S. 3 zu Nr. 2).
Durch die Neufassung der VMG zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen
pro Tag und ein selbständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand,
die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) - zu einer krankheitsbedingten
erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R, juris). Die Formulierung in Teil B, Nr. 15.1 VMG "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt
sind" ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand
durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige jeweilige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig
ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss daher wegen des
reinen Therapieaufwandes und/oder den durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschritte
in der Lebensführung erleiden. Dass zusätzlich ein gravierender Einschnitt in die Lebensführung festgestellt werden muss,
ergibt sich aus den vorhergehenden Formulierungen der VMG für einen GdB von 30 bis 40. Hiernach sind für die Bewertung der
Teilhabeeinschränkung der konkrete Therapieaufwand und die jeweilige Stoffwechselqualität von wertungserheblicher Bedeutung.
Diese beiden Kriterien müssen entsprechend auch bei der höheren Bewertungsstufe eines GdB von 50 noch bedeutsam sein. Für
die besondere Bedeutung der Stoffwechsellage spricht auch, dass nach den VMG außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen
allein bereits eine Erhöhung des GdB rechtfertigen können.
Ein GdB von 50 setzt damit mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis und durch
erhebliche Einschnitte gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung voraus. Diese Anforderungen für einen GdB von 50
erreicht die Klägerin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls während der gesamten streitbefangenen Zeitraums
nicht. Dabei hat der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16. Dezember 2014, B 9 SB 2/13 R, juris) eine Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche angestellt. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen der Versorgungsärzte
des Beklagten.
Die Klägerin führt nach den Angaben ihres behandelnden Diabetologen K. und ausweislich ihres Diabetikertagebuchs die Insulintherapie
mit täglich mindestens vier Insulininjektionen und selbständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Neben der täglichen
Injektion mit einem Langzeitinsulin muss sie zu jeder Mahlzeit das kurz wirkende Insulin einsetzen und dabei auch die jeweilige
Insulindosis variieren. Hinzu kommen Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit und bei körperlichen Aktivitäten, sodass oftmals
sechs tägliche Messungen erfolgen. Allerdings fehlt es bei der Klägerin an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend
auf ihre Lebensführung auswirken, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden kann. Aufgrund
der therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung der Klägerin lässt sich eine gravierende
Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der
Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen bei der Klägerin nicht in den Bereichen
der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität vorliegen. Die
von ihr angegebenen Nachteile durch ihre Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht
gravierend im Sinne der VMG. So ist die Klägerin in ihrer Mobilität nicht gravierend eingeschränkt. Sie fährt Fahrrad und
kann nach dem Bericht des Diabetologen K. einen PKW führen, sofern sie vor Fahrtantritt und während der Fahrt den Blutzucker
zur Erkennung von eventuellen Unterzuckerungen misst. Sie fährt auch tatsächlich mit dem PKW zweimal täglich eine Strecke
von ca. 45 zum Bahnhof H. bzw. von diesem zu ihrem Wohnort. Auch unternimmt sie regelmäßig Urlaubsreisen, wie z. B. nach Mallorca
oder Bulgarien. Wie die Urlaubsreisen und Kinobesuche zeigen, erfährt auch ihr Freizeitverhalten durch die Erkrankung keine
gravierenden Einschränkungen. Die von ihr angegebenen Aktivitäten sind, wenn auch mit einem erhöhten planerischen Aufwand
verbunden, jedenfalls zumindest unter erschwerten Bedingungen (weitere Blutzuckermessungen und ggf. Reaktion durch Insulingaben)
möglich. Auch die Haushaltsführung ist ihr weiterhin möglich. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt
werden muss, ist Teil der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Gleiches gilt auch für den damit verbundenen zeitlichen
Aufwand, den alle an Diabetes Erkrankten mit intensivierter Insulintherapie haben. Auch Zwischenmahlzeiten (wie z. B. spontanes
Essen) sind nicht krankheitsbedingt ausgeschlossen, sondern ebenfalls unter Beachtung eines Mehraufwandes möglich. Sportliche
Aktivitäten sind nach dem Befundbericht des Diabetologen K. auch nicht ausgeschlossen, sondern ebenfalls unter Beachtung eines
gewissen Mehraufwandes durchführbar (weitere Blutzuckermessungen, ggf. Insulininjektionen). Daher ist nicht nachvollziehbar,
weshalb bei Beachtung dieses Mehraufwandes Tätigkeiten im Haushalt und die Gartenarbeiten ausgeschlossen sein sollten.
Auch gravierende Beeinträchtigungen im Bereich der Berufsausübung liegen nicht vor. Eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen
Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs wegen der Diabeteserkrankung hat es bislang nicht gegeben. Auch erhebliche
diabetesbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten sind nicht nachgewiesen. Die fünfwöchige Arbeitsunfähigkeit Anfang 2012 ist im
Zusammenhang mit der damals neu festgestellten Bluthochdruckerkrankung und der Therapieeinstellung dieser Erkrankung zu sehen.
Seit über vier Jahren sind vergleichbare Ausfälle nicht aufgetreten. Die Klägerin arbeitet bei einer Versicherung in Gleitzeit
sechs Stunden täglich und kann diese Tätigkeit nach ihren eigenen Angaben mit der Diabeteserkrankung vereinbaren. Lediglich
bei Kundengesprächen erfährt sie bei Blutzuckerschwankungen Einschränkungen. Arbeitsrechtliche Konsequenzen sind damit aber
nicht verbunden, sodass nicht auf gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung insgesamt geschlossen werden kann. Auch
der durch die Kombination von PKW- und Bahnanreise längere Arbeitsweg kann nicht als eine gravierende Beeinträchtigung im
Bereich der Berufsausübung berücksichtigt werden. Aus medizinischer Sicht bestehen nach dem Befundbericht des Diabetologen
K. keine Einschränkungen hinsichtlich der Wegstrecke beim Führen eines PKW, sofern die Klägerin vor Fahrtantritt und während
der Fahrt den Blutzucker zur Erkennung von eventuellen Unterzuckerungen misst. Damit ist aus medizinscher Sicht das teilweise
Zurücklegen der Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erforderlich, sodass der damit verbundene Zeitaufwand auch
nicht als gravierende Beeinträchtigung berücksichtigt werden kann.
Die Klägerin wird über den einschränkenden Therapieaufwand hinaus nicht auch noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität
in ihrer Leistungsfähigkeit und damit in ihrer Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Eine äußerst schwer regulierbare
Stoffwechsellage liegt nicht vor. Die vom Diabetologen K. am 30. April 2014 mitgeteilte "anhaltend instabile Stoffwechsellage"
wird nicht medizinisch belegt. Der Senat folgt insoweit den prüfärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, sodass keine weitere
medizinische Sachaufklärung durch ein Gutachten von Amts wegen erfolgen musste. Der HbA1c-Wert liegt danach stabil im Normalbereich
für Diabetiker. Auch der Diabetologe K. hat am 30. April 2014 von "relativ konstanten" HbA1c-Werten um 7 % berichtet. Daran
hat sich auch in der Folgezeit nichts geändert, wie die von ihm übermittelten HbA1c-Werte im Zeitraum vom 7. September 2013
bis 15. Januar 2015 zeigen (6,7; 6,6; 7,0; 6,9; 6,8; 6,8). Auch die mit der Erkrankung üblicherweise einhergehenden Blutzuckerschwankungen
und die damit verbundenen Symptome wie Konzentrationsschwankungen, Schwindel und Müdigkeit sind Teil der Erkrankung und damit
auch bei der Höhe des GdB nach den VMG bereits berücksichtigt. Darüber hinausgehende erhebliche Blutzuckerschwankungen sowie
damit verbundenen Symptome lassen sich den Berichten des Diabetologen K. nicht entnehmen. Auch der Diabetologe K. hat die
Blutzuckerschwankungen der Klägerin auf die erloschene Insulineigenproduktion zurückgeführt und diese damit als krankheitsimmanent
eingeordnet. Es werden von der Klägerin auch keine regelmäßigen nächtlichen Blutzuckermessungen durchgeführt. Schließlich
musste sich die Klägerin seit dem Neufeststellungsantrag bis zum heutigen Zeitpunkt keinen weiteren stationären Behandlungen
wegen des Diabetes mellitus unterziehen.
Bei der Klägerin führen auch nicht Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus zu erheblichen Einschnitten in die Lebensführung.
Der Diabetologe K. hat am 27. März 2015 Organkomplikationen ausgeschlossen. Sofern Dipl.-Med. M. am 5. April 2013 über eine
Zunahme der diabetischen Neuropathie mit Kribbelparästhesien im Bereich der oberen und unteren Extremitäten, insbesondere
beider Hände, im Bereich der Unterschenkel und beider Füße berichtet hat, führt dies nicht zu einer GdB-relevanten Bewertung.
Zutreffend hat die Prüfärztin Dr. W. am 5. Juni 2013 darauf verwiesen, dass die Polyneuropathie fachärztlich nicht bestätigt
sei und beim Fehlen neurologischer Ausfälle keine zusätzliche Behinderung bedinge.
Die mit dem Diabetes mellitus verbundene psychische Belastung der Klägerin, insbesondere durch die Angst vor Unterzuckerungen
insbesondere bei Stress und körperlichen Aktivitäten geht typischerweise mit der Krankheit einher und ist in der GdB-Bewertung
für den Diabetes mellitus bereits berücksichtigt (dazu VMG, Teil A, Nr. 2 i). Gleiches gilt für die psychische Belastung durch
den Umstand, dass der Tagesablauf der Klägerin im Wesentlichen von der Krankheit geprägt wird. Eine eigenständige psychische
Erkrankung hat keiner der behandelnden Ärzte mitgeteilt. Die Klägerin nimmt auch keine fachärztliche psychiatrische Behandlung
wahr, die eine über die typischen Belastungen hinausgehende seelische Funktionsstörung zeigen würde.
Nach alledem kann unter Beachtung der Gesamtumstände im Einzelfall für den Diabetes mellitus bei der Klägerin kein höherer
GdB als 40 festgestellt werden.
b)
Das Bluthochdruckleiden der Klägerin rechtfertigt einen GdB von 10. Nach Teil B, Nr. 9.3 VMG ist die leichte Form der Hypertonie,
bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen vorliegen,
mit einem GdB von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen
von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus
hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach
über 100 mmHg trotz Behandlung. Nach diesem Maßstab kann maximal ein Einzel-GdB von 10 für die Bluthochdruckerkrankung festgestellt
werden, weil Dipl.-Med. M. über einen sich unter Therapie im Normbereich befindenden Blutdruck berichtet und die Erkrankung
als leichte Form mit geringen bzw. keinen Leistungsbeeinträchtigungen eingeschätzt hat.
c)
Die weiteren von den behandelnden Ärzten der Klägerin mitgeteilten Erkrankungen waren Behandlungsleiden bzw. rechtfertigen
keinen Einzel-GdB. Nach ca. sechswöchiger Behandlung der Psoriasis capitis und des Haarausfalls durch den Hautarzt Dr. Z.
im Herbst 2014 hat die Erkrankung in der Folgezeit keine Erwähnung mehr gefunden, sodass von einem Ausheilen auszugehen ist.
Auch die von Dipl.-Med. M. geschilderten Funktionseinschränkungen aufgrund des Zervikothorakalbrachialsyndroms bei Myogelosen
rechtfertigen keinen GdB. Unter physikalischer Therapie ist nach dem Befundbericht des Dipl.-Med. M. eine positive Beeinflussung
der Beschwerden möglich, sodass ebenfalls von einem Behandlungsleiden auszugehen ist. Außerdem hat der Arzt keine GdB-relevanten
Einschränkungen der Wirbelsäule mitgeteilt. Es erfolgt auch keine Behandlung der Wirbelsäulenbeschwerden durch einen Orthopäden,
wie dies bei erheblichen Funktionsstörungen zu erwarten wäre. Somit ist von keiner dauerhaften GdB-relevanten Funktionsbeeinträchtigung
der Wirbelsäule auszugehen. Schließlich kann aufgrund des Untersuchungsbefundes der Fachärztin für Augenheilkunde Dipl.-Med.
K. bei einem Visus von 0,9/1,0 und bei Ausschluss von hypertonischen Augenhintergrunderscheinungen bzw. diabetischer Retinopathie
kein GdB festgestellt werden (VMG, Teil B, Nr. 4.3).
d)
Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist
in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach kommt ausgehend von dem Einzel-GdB von 40 für das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" keine weitere
Erhöhung aufgrund der weiteren Funktionsstörungen in Betracht. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Bluthochdruckerkrankung
erhöht nicht das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung (dazu VMG, Teil A Nr. 3 ee). Für einen Ausnahmefall, der bei einem Einzel-GdB
von nur 10 auch den Gesamtbehinderungsgrad erhöht, liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei der zwar krankheitsbedingt eingeschränkten, aber
voll im beruflichen und auch gesellschaftlichen integrierten Klägerin dem nach Teil A Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Vergleichsmaßstab.
So spricht gegen die Annahme einer Schwerbehinderung ein wertungsmäßiger Vergleich mit anderen Erkrankungsgruppen, für die
ein Einzel-GdB von 50 festgestellt werden kann. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende
Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige
Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung)
mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Eine derartig schwere Funktionsstörung liegt bei der Klägerin nicht
vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegt nicht vor.