Anspruch auf Gewaltopferentschädigung im sozialen Entschädigungsrecht; Schaden aus einem tätlichen Angriff durch den Gebrauch
eines Kraftfahrzeuges; Aufschlagen einer Autotür
Gründe:
I.
Der am ... 1932 geborene Kläger erstattete mit Schreiben vom 19. April 2008 beim Revierkommissariat B. Strafanzeige gegen
Dr. M. K. wegen "gefährlicher Körperverletzung" und gab zur Sache an: Dr. K. sei am 19. April 2008 gegen 14:00 Uhr mit dem
PKW in den H.-weg eingefahren. Zu dieser Zeit habe der Kläger sein eigenes Fahrzeug entladen und den Beschuldigten dabei unbeabsichtigt
an der weiteren Durchfahrt gehindert. Der Kläger habe aufgrund der verspiegelten Scheiben des anderen Fahrzeuges Dr. K. nicht
sofort erkannt, sei an dessen Fahrertür herangetreten, um dem Fahrer mitzuteilen, dass es noch einige Sekunden dauern würde.
Plötzlich habe Dr. K. mit aller Kraft die Autotür seines Fahrzeuges aufgerissen und dabei das rechte Hüftgelenk sowie das
Knie des Klägers verletzt. Infolge des Stoßes seien starke Schmerzen am rechten Hüftgelenk aufgetreten, die ihn beim Laufen
einschränkten.
Am 28. April 2008 beantragte der Kläger beim Beklagten unter Hinweis auf diese Sachverhaltsschilderung eine Beschädigtenversorgung
nach dem
OEG. Nach einem vom Beklagten beigezogenen Notfallschein des H.-Klinikums vom 19. April 2008 sei beim Kläger eine Prellung der
Hüfte sowie der Knie dokumentiert. Dem vom Beklagten beigezogenen Notfallschein des H.-klinikum W. vom 19. April 2008 ist
u.a. folgender Befund zu entnehmen:
"Schmerzen an Hüfte + kein re auf Klopfen + beim Bewegen, Haut, Durchblutung/Innenrotation intakt, keine Fehlstellung, keine
Krepitation, keine Prellmarke, kein Hämatom"
Die Fachärztin für Chirurgie Dr. K. stellte am 23. April 2008 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen einer "Prellung
der rechten Hüfte" aus. Nach einem Arztbrief der radiologischen Praxis W. vom 8. April 2009 habe eine Magnetresonanztomographie
des rechten Hüftgelenks vom 31. März 2009 den Befund einer initialen Coxarthose ergeben. Hinweise für eine Ergussbildung,
eine Hüftkopfnekrose bzw. einen destruierenden Prozess bestünden nicht. In einem Anhörungsbogen des Revierkommissariats B.
vom 25. April 2008 hat der Beschuldigte Dr. K. folgende Angaben gemacht: Am 19. April 2008 gegen 14:00 Uhr sei er mit seinem
PKW im H.-weg am Fahrzeug des Klägers vorbeigefahren. Den Kläger selbst habe er dabei weder bemerkt noch gesehen. Von daher
habe es auch keinen Kontakt oder gar ein Aufeinandertreffen zwischen ihnen gegeben. Ihm sei völlig unklar, wie der Kläger
zu derartigen Anschuldigungen komme. Dieser habe offenbar wieder in einem Anflug von Streitsucht eine Geschichte erfunden,
die jeder Grundlage entbehre. Der Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung sei daher zurückzuweisen.
Seit Jahren drangsaliere und terrorisiere der Kläger ihn und seine Familie und lasse keine Gelegenheit aus, seinen schmutzigen
Phantasien und Provokationen ungezügelten Lauf zu lassen. Der Kläger handele ehrverletzend, so dass Strafanzeige wegen Vortäuschens
einer Straftat und falscher Verdächtigung sowie aus allen anderen rechtlichen Gründen gestellt werde. Mit Verfügung vom 22.
Mai 2008 stellte die Staatsanwaltschaft ... Zweigstelle H. die Ermittlungen in Ermangelung hinreichende Anhaltspunkte für
eine Straftat ein.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem
OEG ab. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger und tätlicher Angriff lasse sich nach den festgestellten Tatsachen nicht nachweisen.
Wegen objektiver Beweislosigkeit könne kein Anspruch des Klägers bestehen.
Hiergegen legte der Kläger am 27. Januar 2010 Widerspruch ein und machte geltend: Zur Tatzeit habe er sich mit seinem Kleinwagen
Fiat Delta in E. auf dem H.-weg befunden und sei mit dem Entladen des Fahrzeuges fast fertig gewesen, als Dr. K. mit seinem
"Luxusmittelklassewagen" gekommen sei. Er sei an das Fahrzeug herangetreten, um dem Fahrer, den er zunächst nicht erkannt
habe, zu sagen, dass es noch ein paar Sekunden dauern würde. Der Fahrer habe jedoch nur geradeaus "gestiert" und es nicht
einmal für nötig befunden, die Scheibe herunter zu drehen. Als er sich wieder zu seinem Fahrzeug habe abwenden wollen, habe
Dr. K. die Fahrertür mit brachialer Gewalt aufgestoßen und mit der Türkante das rechte Hüftgelenk des Klägers getroffen. Dass
Dr. K. die Tat leugne, könne angesichts seines minderwertigen und unehrlichen Charakters nicht verwundern. Mit Widerspruchsbescheid
vom 3. November 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Wegen unwiderlegbar gegensätzlicher Aussagen könne der vom
Kläger geltend gemachte Schadensachverhalt nicht festgestellt werden. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers von einem tätlichen
Angriff auszugehen sei, scheitere ein Versorgungsanspruch jedenfalls an §
1 Abs.
11 OEG. Hiernach sei das
OEG nicht anwendbar, wenn die Schäden aus einem tätlichen Angriff vom Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder
eines Anhängers verursacht worden seien. In diesen Fällen seien Schadensersatzansprüche durch die Haftpflichtversicherung
des Schädigers zu regulieren.
Hiergegen hat der Kläger am 7. November 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben, sein Begehren weiterverfolgt und ergänzend vorgetragen: Nach dem Vorfall habe er noch sein Fahrzeug zur Seite gefahren,
um den "linken Totschläger" durchzulassen. Vorher sei der Beschuldigte noch wie ein unter Drogen stehender "Maniac" aus seinem
Auto gesprungen und habe gebrüllt: "Herr S. fahren sie ihr Auto an die Seite." Neben ihm im Auto saß seine "Schabracke, also
Frau, die auch Ärztin miemt".
Das SG hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung die Klage mit Urteil vom 30. Mai 2013 abgewiesen. Es könne
nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines rechtswidrigen, vorsätzlichen tätlichen Angriffs auf den
Kläger ausgegangen werden. Der Angriff werde allein vom Kläger dargestellt. Der Beschuldigte habe dieser Sachverhaltsdarstellung
widersprochen. Nach dem Notfallschein des Krankenhauses sei keine Prellmarke und kein Hämatom festgestellt worden. Selbst
bei Wahrunterstellung des Sachvortrages des Klägers sei ein Anspruch nach §
1 Abs.
11 OEG ausgeschlossen, da der Angriff im Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Kraftfahrzeuges stehe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 27. Juni 2013 zugestellte Urteil am 28. Juni 2013 Berufung eingelegt und an seinem bisherigen
Vorbringen festgehalten.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 2010 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm aus dem Vorfall vom 19. Februar
2008 einen Hüftschaden als Schädigungsfolge anzuerkennen sowie eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen
von mindestens 25 vom Hundert ab dem 28. April 2008 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide für rechtmäßig.
Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 14. August 2013 darauf hingewiesen, dass der Nachweis einer Straftat nicht mit
der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gelingen könne, da im vorliegenden Sachverhalt Aussage gegen Aussage stehe. Selbst wenn
der klägerische Vortrag richtig wäre, könne auch ein bloß fahrlässiges Verhalten des Beschuldigten in Betracht kommen, was
vom
OEG nicht umfasst wäre. Auch §
1 Abs.
11 OEG stehe dem möglichen Anspruch des Klägers entgegen, da der tätliche Angriff "durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges" verursacht
worden wäre. Die teils beleidigenden Inhalte der Schreiben gegen Dr. K. seien zudem ungeeignet, die eigenen Aussagen zu bekräftigen.
Der Senat beabsichtige daher, die Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit durch Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zurückzuweisen. Hiervon hat der Senat auch den Beklagten in Kenntnis gesetzt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.
Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§
143,
151 SGG), aber unbegründet.
Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Hierauf hat
er die Beteiligten hingewiesen. Der Senat konnte daher durch Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 SGG entscheiden. Ein Einverständnis der Beteiligten ist hierfür nicht erforderlich.
Dem Kläger steht wegen des dargestellten Tatgeschehens unzweifelhaft kein Anspruch nach dem
OEG zu. Gemäß §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes "infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs" gegen seine Person
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff lässt sich hier nicht zur
vollen richterlichen Überzeugung ("Vollbeweis", d.h. zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit
oder eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt - Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Auflage 2012, Rdn. 6a zu §
103, Rdn 5 zu § 118 und § 128 Rdn 3d, mwN) feststellen.
Während der Kläger geltend macht, er sei am 19. April 2008 Opfer eines vorsätzlichen Gewaltangriffs mittels einer Autotür
geworden, streitet der von ihm Beschuldigte Dr. K. einen solchen Tathergang ab. Anhaltspunkte dafür, dass die Tatbeschreibung
des Klägers wahrscheinlicher ist als die von Dr. K. haben sich nicht ergeben. So hat der Kläger keine Zeugen oder weitere
Beweismittel angeben können, die seinen Vortrag belegen könnten. Zudem bestehen erhebliche Zweifel an der Tatbeschreibung
des Klägers, da sichtbare Verletzungen in der Notfallaufnahme des Krankenhauses nicht dokumentiert wurden.
Selbst wenn der Senat von der Sachverhaltsschilderung des Klägers überzeugt wäre, könnte durchaus auch eine bloße Fahrlässigkeitstat
in Betracht kommen, die nicht dem
OEG unterfallen würde (vgl. Kunz,
OEG, 5. Auflage 2010, §
1 Rdn. 26). Das plötzliche Öffnen einer Autotür kann nicht nur - wie der Kläger meint - als vorsätzliches Verhalten des Beschuldigten
bewertet werden, sondern durchaus auch fahrlässig geschehen sein. Nach seinem eigenen Vortrag beabsichtigte der Kläger gerade,
sich von der Seitentür des Dr. K. zu entfernen, als ihn die Autotür an der Hüfte getroffen haben soll. Das lediglich leichtfertige
Öffnen der eigenen Fahrzeugtür, die die Hüfte eines Passanten verletzt, wäre dann als bloß fahrlässige Körperverletzung zu
bewerten und schließt einen Anspruch nach dem
OEG bereits vom Tatbestand her aus.
In jedem Fall aber scheitert der geltend gemachte Anspruch aber an §
1 Abs.
11 OEG. Diese Regelung steht im Zusammenfang mit § 12 Pflichtversicherungsgesetz, der das Eintreten des "Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen" regelt. Hierfür ist der Verein "Verkehrsopferhilfe
eingetragener Verein" in H. zuständig, auf den der Beklagte bereits hingewiesen hatte. Hiernach ist das
OEG nicht auf Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges
verursacht worden sind. Dabei genügt es wenn der Täter das Fahrzeug (z.B. durch Anschieben) oder eine Sache (z.B. Autotür)
hinbewegt hat, wodurch das Opfer einen Schaden erlitten hat (Kunz,
OEG, 5. Auflage 2010, §
1 Rdn. 77). Der Begriff "Gebrauch eines Kraftfahrzeuges" ist dabei weit auszulegen (vgl. Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht,
1. Auflage 2012 zu §
1 OEG Rdn. 151). Der vom Kläger behauptete vorsätzliche Einsatz einer Autotür als Waffe im Straßenverkehr erfüllt daher den Ausschlusstatbestand
des §
1 Abs.
11 OEG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§
160 SGG).