Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2006.
Die 1965 geborene Klägerin beantragte erstmals am 12. Mai 2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für sich und ihren 2002 geborenen Sohn M…. In dem Antrag gab sie ihren geschiedenen Ehemann K… H… als Mitmieter der gemeinsam
ab 1. März 2005 angemieteten Wohnung in E… an. Arbeitslosengeld hatte die Klägerin bis 30. Juni 2006 in Höhe von täglich 20,23
EUR bezogen. Mit Bescheid vom 14. Juli 2006 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Sohn Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 in Höhe von 592,23 EUR monatlich. Am 23. August führten Mitarbeiter des Beklagten
einen Hausbesuch in der Wohnung der Klägerin durch. Daraufhin ging der Beklagte vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft
zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann aus und forderte beide mit Schreiben vom 20. September 2006 unter Hinweis
auf ihre Mitwirkungspflicht nach §§
60 ff. des Ersten Sozialgesetzbuches (
SGB I) auf, bis zum 26. September 2006 die Verdienstabrechnungen von K… H… von Mai bis August 2006 sowie seine Kontoauszüge der
letzten drei Monate einzureichen. Bereits mit Schreiben vom 18. Juni 2006 hatte K… H… dem Beklagten mitgeteilt, dass er mit
der Klägerin keine Bedarfsgemeinschaft bilde. Gleichzeitig hatte er Verdienstbescheinigungen der Monate Oktober 2005 bis April
2006 vorgelegt. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 27. September 2006 hatte die Klägerin telefonisch mitgeteilt, dass
K… H… seine Unterlagen nicht vorlegen wolle, da keine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihnen bestehe. Mit Bescheid vom 27.
September 2006 stellte der Beklagte die Leistungen gegenüber der Klägerin ab 1. Oktober 2006 unter Hinweis auf die Nichterfüllung
der Mitwirkungspflichten gemäß §§
60 ff.
SGB I ein. Da die erforderlichen Unterlagen von der Klägerin nicht vorgelegt worden seien, bestünden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit.
Den Bescheid vom 14. Juli 2006 hob sie insoweit ab 1. Oktober 2006 auf. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch
wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2007 zurück. Die Klägerin habe nicht darlegen können, ob sie hilfebedürftig
sei. Es sei davon auszugehen, dass sie mit ihrem geschiedenen Ehemann K… H… in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebe und
damit die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten.
Die Einstellung aufgrund fehlender Mitwirkung gemäß §§
60 ff.
SGB I sei nicht möglich gewesen, da es an der erforderlichen Ermessensausübung gefehlt habe. Es komme aber eine Einstellung der
Leistung aufgrund des § 45 Abs. 2 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) ab Oktober 2006 in Betracht. Der Bescheid sei auch von Beginn an rechtswidrig gewesen, da bei der Berechnung der zu bewilligenden
Leistung davon ausgegangen worden sei, dass lediglich die Klägerin und ihr Sohn M… eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hätten.
Auf Vertrauen könne sich die Klägerin nicht berufen, weil ihr das Bestehen einer Partnerschaft mit K… H… bekannt gewesen sei.
Damit sei der Bewilligungsbescheid ohne Ermessensausübung zurückzunehmen.
Die Klägerin hat am 24. Juli 2007 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und weiterhin die Auffassung vertreten, sie lebe
mit ihrem geschiedenen Ehemann in keiner Beziehung, sondern in einer bloßen "Schicksalsgemeinschaft", da ihr ehemaliges gemeinsames
Eigenheim zwangsvollstreckt werde, sie erhebliche Verbindlichkeiten zu tilgen hätten und das gemeinsame Wohnen preisgünstiger
sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 27. September 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2007 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat ihre Auffassung, es liege zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft vor,
weiter aufrecht erhalten.
Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2010 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen K… H…. Mit
Urteil vom gleichen Tag hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Zwar habe der Beklagte den Aufhebungsbescheid
vom 27. September 2006 zu Unrecht auf die fehlende Mitwirkung nach §§
60 ff.
SGB I gestützt, weil es dieser Aufhebungsentscheidung an der erforderlichen Ermessensausübung gefehlt habe. Das sei jedoch durch
den Widerspruchsbescheid und den Wechsel auf die Rücknahmeentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X geheilt worden. Die Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt. Der Bewilligungsbescheid sei zum Zeitpunkt seines Erlasses
rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin und ihr Sohn mit K… H… eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hätten. Dies habe insbesondere
die Beweisaufnahme ergeben. Die bestehende Vermutung einer Partnerschaft im Sinne des § 7 Abs. 3a SGB II habe die Klägerin nicht widerlegen können. Ausgehend von dieser Bedarfsgemeinschaft habe die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit
nicht nachweisen können. Zwar sei in der vorliegenden Aufhebungssituation grundsätzlich der Beklagte verpflichtet, die Voraussetzungen
dafür nachzuweisen, dass keine Hilfebedürftigkeit bestehe. Dabei sei er jedoch auf die Mitwirkung des K… H… dergestalt angewiesen,
dass dieser seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse betreffend den streitigen Zeitraum offen lege. Er habe jedoch entsprechende
Nachweise nicht vorgelegt. Das führe zu einer Beweislastumkehr und fehlender Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft. Es
liege auf Seiten der Klägerin auch grobe Fahrlässigkeit vor, da sie die Umstände, die zur Annahme einer Bedarfsgemeinschaft
führten, kenne.
Gegen das ihr am 15. September 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht am 12. Oktober 2010. Die Klägerin trägt ergänzend vor, zu Unrecht sei das Sozialgericht von einer Bedarfsgemeinschaft
zwischen ihr, ihrem Sohn und dem Zeugen H… ausgegangen. Zwar lebten sie in einem Haus, dabei handele es sich jedoch um eine
reine Wohngemeinschaft, die in der Hauptsache wirtschaftlichen Interessen diene. Das habe auch die Beweisaufnahme ergeben.
Mangels Bedarfsgemeinschaft dürfe die Weigerungshaltung des Zeugen H… in Bezug auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse
nicht zu Lasten der Klägerin zur Beweislastumkehr führen. Zwischenzeitlich hätten sie und der Zeuge H… die eidesstattliche
Versicherung abgegeben. Durch den Beklagten sei ihr ein erheblicher Schaden entstanden, denn sie hätte nur Leistungen für
die Zeit ab Januar 2007 beantragen können, wenn sie auch Leistungsempfängerin bis einschließlich Dezember 2006 gewesen wäre.
Sie behalte sich vor, die Schadenslastansprüche noch geltend zu machen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Juli 2010 sowie den Bescheid vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20. Juli 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise den Beweis zu erheben über eine Tatsachenbehauptung, dass Herr H… in dem streitigen
Zeitraum weiterhin 1.700,00 EUR brutto Einkünfte hatte durch Urkundsbeweis (die bei Gericht eingereichten Unterlagen des Herrn
H… und Zeugnis des Herrn H…, Adresse wie bekannt).
Der Beklagte weist zur Begründung auf das gerichtliche Eilverfahren hin, in dem das Begehren der Klägerin bereits abgelehnt
worden sei. Dort habe der 6. Senat seine Entscheidung damit begründet, für die Widerlegung der Vermutung reiche die schlichte
Erklärung, nicht in Verantwortungsgemeinschaft zu leben, nicht aus. Dazu müssten vielmehr plausible Gründe dargelegt werden,
was der Klägerin nicht gelungen sei.
Der Senat hat von K… H… Einkommensunterlagen erhalten mit dem Hinweis, dass diese lediglich für das Gericht bestimmt seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie
die Akten des Sozialgerichts Schleswig S 5 AS 925/06 ER und die Akten des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts L 6 B 476/06 AS PKH. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist von dem Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich
zugelassen worden. Außerdem wird die Berufungssumme von über 750,00 EUR erreicht, weil Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
für die Zeit von Oktober bis Dezember 2006 im Streit sind und der Klägerin monatlich 592,23 EUR von dem Beklagten bewilligt
wurden. Die Berufung ist auch begründet, weil die Aufhebungsentscheidung des Beklagten rechtswidrig ist.
Hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung in dem Bescheid vom 27. September 2006 hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid die
darin enthaltene Begründung mit der Verweisung auf eine fehlende Mitwirkung der Klägerin nach §§
66 ff.
SGB I im Widerspruchsbescheid selbst aufgehoben und die Aufhebung der Leistungsbewilligung nunmehr mit § 45 SGB X begründet. Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob dieser Wechsel in der Begründung überhaupt zulässig ist. Denn auch die
Voraussetzungen des § 45 SGB X liegen nicht vor.
Zutreffend weist in diesem Zusammenhang das Sozialgericht allerdings noch darauf hin, dass in der vorliegenden Aufhebungssituation
grundsätzlich der Beklagte verpflichtet ist, das Vorliegen der dafür notwendigen Voraussetzungen nachzuweisen, also insbesondere
die mangelnde Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft. Zu Unrecht hat dann das Sozialgericht allerdings eine Beweislastumkehr
zu Lasten der Klägerin angenommen, weil der Zeuge H… seine Einkommens- und Vermögensnachweise nicht eingereicht habe. Diese
Auffassung verkennt die Regelungen der Mitwirkungspflicht nach dem SGB II.
Sowohl im Aufhebungsbescheid vom 27. September 2006 als auch im Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2007 stützt der Beklagte
eindeutig und ausschließlich die Aufhebung der Leistungsbewilligung allein auf den Umstand, dass die Klägerin ihm gegenüber
nicht die entsprechenden Unterlagen ihres Lebenspartners vorgelegt habe. Die Aufhebungsentscheidung des Beklagten ist allein
schon deshalb rechtswidrig, weil die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten in vollem Umfange nachgekommen ist. Vielmehr wäre
der Beklagte gehalten gewesen, diese Auskünfte nicht von der Klägerin, sondern von dem Zeugen H… selbst unmittelbar einzufordern,
jedenfalls ab dem Zeitpunkt, als die Klägerin den Beklagten darauf hingewiesen hatte, dass sie entsprechende Unterlagen von
dem Zeugen H… nicht erhalte und deshalb auch nicht beibringen könne.
Nach §
65 Abs.
1 Nr.
2 SGB I bestehen Mitwirkungspflichten nämlich nach den §§
60 bis
64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung den Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden können. Dies ist hier hinsichtlich
der angeforderten Vermögensmitteilungen und Vorlage der Kontoauszüge von K… H… der Fall. Die Anforderung dieser Unterlagen
betraf einen privaten Dritten, der nicht am Sozialleistungsverhältnis beteiligt war. Auskunftspflichten, die Dritte betreffen,
erstrecken sich jedoch nur auf Tatsachen, die dem Leistungsempfänger selbst bekannt sind. Grundsätzlich besteht keine Ermittlungspflicht
des Leistungsempfängers gegenüber Dritten. Er braucht sich keine entsprechenden Erkenntnisse zu verschaffen und hat im Übrigen
auch keine rechtlichen Möglichkeiten, dies gegen den Willen des Dritten durchzusetzen. Daraus folgt, dass auch keine Verpflichtung
besteht, Beweismittel - etwa Urkunden - von einem privaten Dritten zu beschaffen und vorzulegen. Dies muss insbesondere dann
gelten, wenn es der betreffende Dritte ausdrücklich abgelehnt hat, entsprechende Angaben zu machen. Da der Beklagte insoweit
von der Klägerin etwas Unmögliches verlangt hat, kann von einer Mitwirkungsobliegenheit im Sinne des §
60 Abs.
1 SGB I nicht ausgegangen werden (LSG Niedersachsen, Beschluss vom 14. Januar 2008 - L 7 AS 772/07 ER m. w. N.).
Der Beklagte war vielmehr selbst gehalten, die von ihm insoweit für entscheidungserheblich erachteten Auskünfte nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II unmittelbar von K… H… zu beschaffen. § 60 Abs. 4 Satz 1 SGB II normiert eine eigenständige öffentlich-rechtliche Auskunftspflicht des Partners, die bußgeldbewährt ist und bei deren Verletzung
der Auskunftspflichtige schadensersatzpflichtig werden kann (vgl. §§ 63, Abs. 1 Nr. 4, 62 SGB II). Wenn der Beklagte somit vom Vorliegen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft überzeugt war, musste er die gegenüber
K… H… bestehende Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt feststellen und gegebenenfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung
durchsetzen. Diesen Weg ist der Beklagte unstreitig nicht gegangen, so dass auch der in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat gestellte hilfsweise Beweisantrag nicht greift. Eine Leistungsentziehung wegen fehlender Mitwirkung gegenüber dem Antragsteller
kommt insoweit nicht in Betracht. Gleiches gilt für die Aufhebung einer Leistungsbewilligung ohne Nachweis der Rechtswidrigkeit
der Bewilligung bzw. unter Hinweis auf eine Beweislastumkehr zulasten des Leistungsempfängers (LSG Niedersachsen, a. a. O.;
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. April 2012 - L 18 AS 2167/11; Meyerhoff in juris PK, § 60 SGB II Rz. 64; Voelzke in Hauck/Noftz, § 60 SGB II Rz. 40).
Auch das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 1. Juli 2009 (B 4 AS 78/08 R) ausgeführt, bevor der Träger keine Anstrengungen unternommen habe, den Auskunftsanspruch (§ 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II) durchzusetzen, dürfte eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Hilfebedürftigen nicht statthaft sein. Damit steht die angefochtene
Entscheidung des Sozialgerichts, die von einer Beweislastumkehr zu Lasten der Klägerin ausgeht, im Widerspruch. Der Beklagte
hat in dem Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2007 die Aufhebungsentscheidung nur mit dem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft
zwischen der Klägerin und Herrn H… begründet. Alleine das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft führt jedoch noch nicht zur Rechtswidrigkeit
der aufgehobenen Bewilligung von Leistungen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn bei unterstellter Bedarfsgemeinschaft diese
in der Lage wäre, den notwendigen Lebensunterhalt auch für die Klägerin aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten. Hierfür
ist der Beklagte, da hier aus o. g. Gründen keine Umkehr der Beweislast stattfindet, im Zeitpunkt der Entscheidung nicht nur
beweispflichtig geblieben. Dem Aufhebungsbescheid fehlt es insoweit schon an einer Begründung im Sinne von § 35 Abs.1 SGB X.
Danach waren auf die Berufung der Klägerin die erstinstanzliche Entscheidung sowie die angefochtenen Bescheide des Beklagten
aufzuheben.
Die Kostentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senats entspricht der zitierten Rechtsauffassung
des BSG.