Leistungen zur Grundsicherung
Entziehungsentscheidung
Verletzung von Mitwirkungspflichten
Vorheriger Hinweis auf die Mitwirkungspflicht und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Entziehungs- und eines Versagungsbescheids wegen Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts.
Der am __. _______ 1954 geborene Kläger zu 1. stand bei dem Beklagten seit Dezember 2005 im laufenden Bezug von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Seine am __. ____ 1993 geborene Tochter, die
Klägerin zu 2., nahm er im August 2006 in seinen Haushalt auf; seither stand auch sie beim Beklagten im laufenden Bezug von
Sozialgeld bzw. später Arbeitslosengeld II. In den der Leistungsbewilligung zugrunde liegenden Formularanträgen vom 29. Dezember
2005 bzw. 28. August 2006 hatte der Kläger als einziges Konto ein Girokonto bei der P___bank H______ angegeben. Am 9. Dezember
2008 erklärte er gegenüber dem Beklagten, über drei weitere Konten (N____bank, S____ P___ F______ und V____bank E_______ eG)
mit Kontoständen in Höhe von 500,00 EUR, 280,00 EUR und 161,00 EUR zu verfügen. Das Vorhandensein weiteren Einkommens und
Vermögens verneinte er in diesem Antrag und den Folgeanträgen.
Die Kläger wohnten in einer abgetrennten, im Hause der Eltern des Klägers zu 1. befindlichen ca. 60 qm großen Wohnung. Ausweislich
eines am 28. August 2006 zwischen dem Kläger zu 1. und seinem Vater geschlossenen Wohnungsmietvertrags betrug die Miete 415,00
EUR brutto kalt zzgl. zunächst 60,00 EUR Heizkostenvorauszahlung. Zuletzt bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni
2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit 1. Juli bis 31. Dezember 2009 in Höhe von insgesamt 995,20
EUR monatlich. Dabei berücksichtigte er die tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von zuletzt 485,20 EUR sowie bei der Klägerin
zu 2. das für sie gewährte Kindergeld als Einkommen. Wegen der Einzelheiten der Bewilligungsentscheidung wird auf Bl. 165
der Leistungsakte Bezug genommen.
Am 12. März 2009 teilte die Kriminalpolizeiaußenstelle Elmshorn dem Beklagten mit, dass der Kläger zu 1. Inhaber eines Auslandkontos
bei der S____ P___ F______ mit einem Kontostand zum Jahresende 2008 in Höhe von 5.249,55 EUR sei. Die Kriminalpolizeiaußenstelle
Elmshorn übermittelte dem Beklagten u.a. einen Auszug dieses Kontos, das am 31. Dezember 2007 einen Kontostand nach Zinsabschluss
in Höhe von 5.249,55 CHF auswies. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 110 der Leistungsakte Bezug genommen. In einem an die
S____ P___ F______ gerichteten Kontoeröffnungsantrag hatte der Kläger zu 1. am 12. Dezember 2005 angegeben, seit dem 1. August
1995 bei dem Arbeitgeber R__ T______ L____, Sitz M_________, als Kaufmann tätig zu sein. Weitere Ermittlungen der Kriminalpolizei
ergaben, dass die Mutter des Klägers im Jahre 2006 einen Betrag in Höhe von 5.554,00 EUR auf dieses Konto überwiesen hatte
und dass der Kläger zu 1. über sechs weitere Konten bzw. Zugriffsmöglichkeiten auf diese Konten bei verschiedenen Kreditinstituten
verfügte. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 111 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Der Kläger zu 1. erklärte, Kontoinhaber nur von fünf der insgesamt sieben Konten zu sein und reichte Kontoauszüge der V____bank
E_______ eG für die Monate Januar bis März 2009 ein, die acht Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 4.040,00 EUR, Abbuchungen
für einen Pokeraccount, Ein- und Auszahlungen über PayPal und Überweisungen an die GP M_____ C____ Bank L_____ auswiesen.
Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 116 ff. der Leistungsakte Bezug genommen. Die Kontoübersicht für das Konto bei der H______er
Sparkasse (Haspa) dokumentierten Einzahlungen Dritter für beispielsweise über Ebay ersteigerte Bahntickets im Februar/März
2009 und eine Bareinzahlung In Höhe von 200,00 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 129 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Auszüge des Kontos bei der N____bank wiesen eine Einzahlung von 500,00 EUR und eine Auszahlung von 480,00 EUR aus. Wegen der
Einzelheiten wird auf Bl. 131 f. der Leistungsakte Bezug genommen. Der Kläger zu 1. erklärte, er habe seiner Mutter das von
ihr auf sein Konto eingezahlte Geld in Teilbeträgen zurückgezahlt.
Am 18. Mai 2009 übermittelte die Kriminalpolizeiaußenstelle Elmshorn dem Beklagten Ebay-Daten zu bestimmten, dem Kläger zu
1. zugeordneten Benutzerprofilen von Januar 2005 bis Anfang März 2009, aus denen sich ergab, dass durch Verkäufe in diesem
Zeitraum Einnahmen in Höhe von 43.100,48 EUR erzielt worden waren. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 136 ff. und 200 ff.
der Leistungsakte Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2009 forderte der Beklagte den Kläger zu 1. unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten auf, monatliche
Gewinn- und Verlustrechnungen ab Januar 2006 aus Ebay-An- und Verkäufen sowie Einkommenssteuerbescheide der Jahre 2005 bis
2008 einzureichen.
Hierzu erklärte der Kläger zu 1. mit Schreiben vom 2. Juni 2009, dass er bei Ebay stets als Privatperson und nicht als Gewerbetreibender
aufgetreten sei. Es gebe daher auch keine Einkommensteuerbescheide, da er seit mehreren Jahren über kein Einkommen verfüge.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2009 forderte der Beklagte den Kläger zu 1. auf, bis zum 19. Juli 2009 sämtliche Kontoauszüge seit
Beginn des Leistungsbezuges für alle Bankkonten, auf die er Zugriff habe, bei der Haspa, der V____bank E_______ eG, der P___bank
E_______, der N____bank und der S____ P___ F______ vorzulegen.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2009 reichte der Kläger zu 1. Kontoauszüge für verschiedene Konten und unterschiedliche Zeiträume
ein, so für ein Konto bei der Haspa für die Monate Mai bis Juli 2009 (Bl. 175 der Leistungsakte), für ein Konto bei der V____bank
E_______ eG für die Monate Juni bis Juli 2009 (Bl. 177 f. der Leistungsakte), für ein Konto bei der N____bank für die Monate
März bis Juli 2009 (Bl. 179 der Leistungsakte) und für ein Konto bei der P___bank für die Monate April bis Juli 2009 (Bl.
180 ff. der Leistungsakte). Er gab an, dass es auf dem Konto bei der P___ F______ keine weiteren Bewegungen gegeben habe.
Zudem führe er alle Konten online. Er könne daher nur Übersichten für die letzten zwei bis vier Monate einreichen.
Mit Schreiben vom 30. Juli 2009 forderte der Beklagte den Kläger zu 1. unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht nochmals
auf, bis 1. September 2009 alle Kontoauszüge seit Leistungsbeginn für alle Konten vorzulegen. Ferner bat er um Mitteilung,
wem die Konten bei der Haspa (Nr. 1242402616) und der V____bank E_______ eG (Nr. 22429310) gehörten. Der Beklagte wies den
Kläger zu 1. darauf hin, dass er die Geldleistungen für ihn und die Klägerin zu 2. bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz
entziehen werde, sollte er bis zum Stichtag die geforderten Unterlagen nicht vorlegen.
Der Kläger zu 1. beantwortete dieses Schreiben dahingehend, dass er für die Konten bei der N____bank und der S____ P___ F______
alle Kontoauszüge vorgelegt habe. Für die seit längerem bestehenden Konten bei der Haspa und bei der V____bank E_______ eG
würden aber für nachträglich erstellte Auszüge erhebliche Gebühren anfallen, die er nicht tragen könne und die ggf. vom Beklagten
übernommen werden müssten. Zu den im Mitwirkungsschreiben genannten Konten erklärte er, dass diese weder ihm noch der Klägerin
zu 2. gehörten. Zudem übersandte er die aktuellen Kontoauszüge der P___bank, Haspa und V____bank E_______ eG.
Mit Bescheid vom 30. September 2009 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit ab 1. Januar 2006 bis 31. März
2009 teilweise in Höhe von 287,73 EUR monatlich zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von insgesamt
11.221,47 EUR. Zur Begründung führte er aus, dass die Bewilligungsentscheidungen rechtswidrig gewesen seien, soweit sie ohne
Anrechnung von Einkommen erfolgt seien. Der Kläger zu 1. habe aus Ebay-Geschäften anrechenbares Einkommen zumindest in dem
berücksichtigten Umfang erzielt und dies insbesondere bei der Antragstellung und Folgeantragstellung verschwiegen. Wegen der
Einzelheiten wird auf Bl. 322 f. der Leistungsakte Bezug genommen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger zu 1. am 29. Oktober
2009 mit der Begründung Widerspruch ein, es handele sich um rein private Ebay-Geschäfte und klagte später gegen den korrespondierenden
Widerspruchsbescheid.
Am 14. Oktober 2009 legte das Hauptzollamt Itzehoe dem Beklagten Kontounterlagen des Klägers der Konten bei der Haspa, der
V____bank E_______ eG und der N____bank vor. Hieraus ergaben sich eine Vielzahl von Ein- und Auszahlungen. Die Barauszahlungen
auf dem bei dem Beklagten angegebenen Konto bei der P___bank wurden größtenteils auf andere Konten wieder eingezahlt. Aus
den Kontounterlagen ergeben sich keine Hinweise auf die Mietzahlungen an seinen Vater. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl.
342 ff. der Leistungsakte Bezug genommen. Zudem wurde dem Beklagten bekannt, dass gegen den Kläger zu 1. wegen Kontoeröffnungs-
und Überweisungsbetruges ermittelt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Abschlussvermerk der Kriminalpolizeiaußenstelle
Neustadt i.H. (Bl. 481 ff. der Leistungsakte) Bezug genommen.
Daraufhin forderte der Beklagte den Kläger zu 1. mit Schreiben vom 2. November 2009 unter Hinweis auf §
60 Abs.
1 Nr.
3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) auf, bis spätestens 19. November 2009 "entsprechende Nachweise bzw. Stellungnahmen" zu insgesamt 116 Buchungsvorgängen auf
drei Konten vorzulegen. Er listete die einzelnen Zahlvorgänge (Ein- und Auszahlungen) detailliert auf. Für den Fall der Nichterfüllung
kündigte der Beklagte die Entziehung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts für ihn und die Klägerin zu 2. bis zur
Nachholung der Mitwirkung an. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 508 ff. der Leistungsakte Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 19. November 2009 erklärte sich der Kläger zu 1. unter Bezugnahme auf die Bezifferung im Mitwirkungsschreiben
vom 2. November 2009 zu den einzelnen Buchungsvorgängen. Inhaltlich trug er im Wesentlichen vor, dass er sich an die einzelnen
Zahlungen nicht erinnern könne und er die bei dem Beklagten vorhandenen Kontounterlagen benötige. Zudem reichte er eine Bescheinigung
seines Vaters, dass die Miete bis einschließlich November gezahlt worden sei, und Nachweise über bestehende Versicherungen
ein. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 533 ff. der Leistungsakte Bezug genommen.
Mit dem streitgegenständlichen, an den Kläger zu 1. gerichteten Bescheid vom 23. November 2009 entzog der Beklagte die Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 1. Dezember 2009 wegen fehlender Mitwirkung. Zur Begründung führte er aus, dass
der Kläger zu 1. erhebliches nicht bekanntes Einkommen bezogen habe und aus den vorliegenden Kontounterlagen keine Zahlungen
für die Unterkunft ersichtlich seien. Ferner reichten die Barauszahlungen von den Konten, die nicht wieder auf die anderen
Konten eingezahlt worden seien, nicht aus, um die laufenden Kosten der Bedarfsgemeinschaft zu decken. Der Aufforderung zur
Mitwirkung sei der Kläger zu 1. innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht hinreichend nachgekommen. Er habe insbesondere nicht
erklärt, wie er in der Lage gewesen sei, den Lebensunterhalt für sich und seine Bedarfsgemeinschaft sicherzustellen. Die Aufklärung
des Sachverhalts sei dadurch erheblich erschwert. Die getroffene Entscheidung sei das Ergebnis pflichtgemäßer Ermessensausübung.
Wesentlicher Grund für die getroffene Entscheidung sei dabei zunächst, dass die vorliegenden Unterlagen über die Kontobewegungen
belegten, dass die Kläger über mehrere Monate nicht hätten in der Lage gewesen sein können, unter Berücksichtigung der Ausgaben
mit den bekannten Einnahmen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies lasse nur den Schluss auf das Vorhandensein weiterer
erheblicher Zuflussquellen zu. Ferner seien die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Mittelverwendung und die Schwierigkeit,
überzahlte Leistungen zurückzuerhalten, als wesentliche Gründe in die Ermessensentscheidung einbezogen worden. Wegen der Einzelheiten
wird auf Bl. 547 der Leistungsakte Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 23. November 2009 forderte der Beklagte den Kläger zu 1. erneut unter Fristsetzung bis zum 10. Dezember
2009 zur Mitwirkung auf und verlangte die Vorlage von "Unterlagen bzw. Nachweisen". Der Kläger zu 1. solle insbesondere "vertiefen",
warum er trotz hoher Umsätze und des Handels mit teils hochpreisigen Waren in teils nicht in haushaltsüblichen Mengen davon
ausgehe, den Ebay-Account zu allein privaten Zwecken genutzt zu haben. Ferner solle er vertiefend zu der Frage Stellung nehmen,
wieviel Zeit er für Ebay-Geschäfte aufgewendet habe. Der Kläger zu 1. wurde ferner dazu aufgefordert, Nachweise über die Form
der gezahlten Miete beizubringen, zu belegen, welche Gegenstände sich in seinem Bankschließfach befänden, die auf einigen
Kontoauszügen aufgeführte Bezeichnung "LA GAA Au" zu erläutern, den Kfz-Schein für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen
PL-__ ___ beizubringen, soweit dieser für ihn verfügbar sei, und mitzuteilen, warum er wegen dieses Fahrzeug eine Zahlung
in Höhe von 74,63 EUR getätigt habe und zu einzelnen Auslandsbuchungen und Scheckeinlösungen Stellung zu nehmen. Wegen der
Einzelheiten wird auf Bl. 548 der Leistungsakte Bezug genommen.
Am 30. November 2009 legten die Kläger gegen den Bescheid vom 23. November 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung trugen sie
im Wesentlichen vor, dass der Kläger zu 1. Fremdverkäufe für Freunde und Familie über sein Ebay-Konto abgewickelt habe. Zudem
reichte der Kläger zu 1. eine von seinem Vater ausgestellte Bescheinigung über die Mietzahlungen ein und nahm zu den vom Beklagten
im Mitwirkungsschreiben vom 23. November 2009 aufgeworfenen Fragen Stellung. Es hätten sich zu keiner Zeit hochpreisige oder
nicht handelsübliche Warenmengen in seinem Besitz befunden, Mietzahlungen an seinen Vater seien überwiegend in bar getätigt
worden, das Bankschließfach sei leer, bei den Scheckeinlösungen handele es sich ausschließlich um Kontobelastungen, ein Fahrzeug
mit dem Kennzeichen PL-__ ___ sei nicht in seinem Besitz; für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen PI-__ ___ reichte er die Kopie
eine Kfz-Scheins ein, der den Vater des Klägers zu 1. als Halter ausweist. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 555 ff. der
Leistungsakte Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2009 versagte der Beklagte den Klägern die mit Folgeantrag vom 19. November 2009 beantragten
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen mangelnder Mitwirkung ab 1. Januar 2010. Zur Begründung wiederholte er
die Gründe, die bereits für den Entziehungsbescheid vom 23. November 2009 maßgebend gewesen waren. Wegen der Einzelheiten
wird auf Bl. 580 der Leistungsakte Bezug genommen.
Am 28. Dezember 2009 legten die Kläger auch Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 22. Dezember 2009 ein.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 20. Juli 2010 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 23. November 2009
und 22. Dezember 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 5. Juli 2010 in dem zwischen den Beteiligten geführten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
(Az. S 2 AS 315/09 ER Sozialgericht Itzehoe, L 6 AS 70/10 B ER), mit dem die Beschwerde der Kläger gegen die Ablehnung der Suspendierung der Bescheide vom 23. November und 22. Dezember
2009 und der vorläufigen Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt worden war. Wegen der Gründe
dieses Beschlusses wird auf Bl. 189 ff. der Beiakte zum Az. L 6 AS 70/10 B ER verwiesen.
Gegen die Bescheide vom 23. November 2009 und 22. Dezember 2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Juli 2010 haben
die Kläger am 17. August 2010 Klage bei Sozialgericht Itzehoe erhoben.
Zur Begründung haben sie geltend gemacht, dass die Bescheide rechtwidrig seien, weil sie auf §
66 SGB I nicht gestützt werden könnten. Die Beantwortung der vom Beklagten aufgeworfenen Fragen diene lediglich der Ermittlung von
Umständen, die ihn zur Aufhebung von Bewilligungsentscheidungen und zur Rückforderung von Leistungen für die Vergangenheit
berechtigen würden. Für die Gegenwart und Zukunft hätten sie keine Aussagekraft. Im Übrigen überspanne der Beklagte die an
die Mitwirkung zu stellenden Anforderungen und stütze sich im Wesentlichen auf Unterstellungen. Hier stehe die geforderte
Mitwirkung nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis zu den von ihnen begehrten Sozialleistungen. Tatsächlich sei es im
Übrigen so, dass aus Ebay-Geschäften oder sonstigen gewerblichen Aktivitäten kein Einkommen erzielt worden sei.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründung auf die Widerspruchsbescheide und die Beschlüsse im Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes Bezug genommen.
Mit Urteil vom 20. Februar 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit sie auf Gewährung von Leistungen seit 1.
Januar 2010 gerichtet sei, sei die Leistungsklage bereits unzulässig, weil gegen Entziehungs- und Versagungsbescheide nur
die Anfechtungsklage eröffnet sei. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für die Entziehung und Versagung von Leistungen zu
Sicherung des Lebensunterhalts nach §
66 Abs.
1 Satz 1, Abs.
3 SGB I vor. Der Beklagte habe den Klägern mit Schreiben vom 2. und 23. November 2009 jeweils Fristen zur Erledigung bis 19. November
bzw. 10. Dezember 2009 gesetzt. Beide Schreiben seien mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen. Den Mitwirkungspflichten
seien die Kläger innerhalb der gesetzten Fristen nicht nachgekommen. Weder hätten sie lückenlose Angaben zum Verbleib der
Geldbeträge gemacht, noch plausibel darzulegen vermocht, für wen in welcher Höhe und für welche Gegenleistung der Kläger zu
1. tätig geworden sei und welche Vertragsgestaltung dieser Tätigkeit zugrunde gelegen habe. Es seien keine Möglichkeiten erkennbar,
den Sachverhalt ohne Mitwirkung der Kläger weiter aufzuklären. Vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit zugeflossenen
Einnahmen von mehr als 43.000,00 EUR beständen berechtigte Zweifel an der Hilfebedürftigkeit, die nur durch widerspruchsfreie
und lückenlose Angaben und Nachweise ausgeräumt werden könnten. Diese seien nicht erbracht worden. Die Ermessensentscheidungen
des Beklagten seien nicht zu beanstanden. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
Gegen diese ihnen am 2. Juli 2013 zugestellte Entscheidung haben die Kläger am 18. Juli 2013 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht erhoben.
Zur Begründung vertiefen die Kläger ihr bisheriges Vorbringen. Sie sehen keinen Verstoß gegen Mitwirkungspflichten. Sie hätten
bis zum Erlass der streitgegenständlichen Bescheide lückenlos Angaben zum Verbleib der Geldeingänge gemacht. Einnahmen aus
Ebay-Verkäufen in Höhe von ca. 43.000,00 EUR habe er - der Kläger zu 1. - nicht erhalten. Die diesbezüglichen Beweisantritte
habe das Sozialgericht ignoriert. Zudem komme eine Entscheidung nach §
66 Abs.
1 SGB I dann nicht mehr in Betracht, wenn ein Berechtigter rechtserhebliche Tatsachen angebe, diese aber nicht beweisen könne oder
die eingereichten Unterlagen für einen Nachweis nicht ausreichen würden. In diesem Falle müsse der Beklagte eine materielle
Entscheidung über den Leistungsanspruch treffen und die Leistungsgewährung ggf. ablehnen. Auch habe der Beklagte das ihm im
Rahmen von §
66 Abs.
1 SGB I eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 20. Februar 2013 und die Bescheide des Beklagten vom 23. November 2009 und 22. Dezember
2009 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Juli 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und nimmt auf die angegriffenen Bescheide Bezug.
Dem Senat haben die die Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten zum korrespondierenden Eilverfahren
(Az. S 2 AS 315/09 ER Sozialgericht Itzehoe/L 6 AS 70/10 B ER) vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakten wird wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts
ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Kläger hat Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist zulassungsfrei statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR überschreitet (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits die Entziehungsentscheidung vom 23. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20. Juli 2009 für den Monat Dezember 2009 zuvor mit Bescheid vom 4. Juni 2009 bewilligte Leistungen in Höhe von 995,20
EUR betrifft. Die Versagungsentscheidung, die sich auf gleichartige Leistungen in vergleichbarer monatlicher Höhe für Zeiträume
ab 1. Januar 2010 bezieht, wäre im Rahmen des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG sogar noch deutlich höher zu bewerten.
Die Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage gegen den Entziehungsbescheid vom 23. November
2009 und den Versagungsbescheid vom 22. Dezember 2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide von 20. Juli 2010 abgewiesen.
Streitgegenstand ist dabei nur die Anspruch der Kläger auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und nicht auch ein Leistungsanspruch
für den Zeitraum ab 1. Januar 2010. Prozessual ist auch gegen die Versagung von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld wegen fehlender
Mitwirkung nur die reine Anfechtungsklage gegeben (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 78/08 R - BSGE 104, 26 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5). Darauf haben die Kläger ihre Klage auch von vornherein beschränkt. Soweit das Sozialgericht von
einem sinngemäßen Antrag auch auf Gewährung von Leistungen für den Zeitraum ab 1. Januar 2010 ausgegangen ist und die Klage
insoweit als unzulässig abgewiesen hat, haben die Kläger zumindest in der Berufungsbegründungsschrift vom 8. Oktober 2013
ihren Anspruch ausdrücklich auf die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beschränkt und schließlich auch einen entsprechenden
Antrag gestellt.
Die insoweit zulässige Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG) ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide vom 23. November und 22. Dezember 2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 20. Juli 2010 sind rechtswidrig und beschweren die Kläger.
Als Ermächtigungsgrundlage sowohl für die Entziehungs- als auch für die Versagungsentscheidung kommt allein §
66 Abs.
1 Satz 1, Abs.
3 SGB I in Betracht. Danach kann der Leistungsträger die Leistung - soweit deren Voraussetzungen nicht nachgewiesen sind - ohne weitere
Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn derjenige, der die Sozialleistung
beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 und 65 nicht nachkommt und hierdurch die Ermittlung
des Sachverhalts erheblich erschwert wird (§
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I). Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung allerdings nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte
auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen
Frist nachgekommen ist (§
66 Abs.
3 SGB I). Diese Voraussetzungen für eine Entziehung oder Versagung liegen hier nicht vor.
Soweit der Beklagte der Klägerin zu 2. den auf sie entfallenden Anteil der für die gesamte Bedarfsgemeinschaft erbrachten
Leistungen mit dem Bescheid vom 23. November 2009 für den Monat Dezember 2009 entzogen und ihr gegenüber die Gewährung weiterer
Leistungen ab 1. Januar 2010 mit Bescheid vom 22. Dezember 2009 versagt hat, sind die Entscheidungen schon deshalb rechtswidrig,
weil die Klägerin zu 2. weder im Schreiben vom 2. November 2009 noch im Schreiben vom 23. November 2009 selbst zur Mitwirkung
aufgefordert worden ist. Einer Entziehung- bzw. Versagungsentscheidung ihr gegenüber steht insoweit bereits §
66 Abs.
3 SGB I entgegen. Die Klägerin zu 1. hat nach Überzeugung des Senats aber in eigener Person auch keine Mitwirkungspflicht verletzt.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die damals 16-jährige Klägerin zu 2. in die geschäftlichen Aktivitäten ihres Vaters eingeweiht
gewesen ist bzw. in irgendeiner Form tatsächlich oder rechtlich Zugang zu dessen Konten gehabt hat. Zwar kommt auch im Rahmen
des §
66 SGB I eine Zurechnung von Verschulden des gesetzlichen Vertreters grundsätzlich in Betracht, aber eben nur, soweit eine eigene
Mitwirkungspflicht des minderjährigen Leistungsberechtigten in Rede steht. Demgegenüber ermächtigt §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I von vornherein nicht zu einer Entziehungs- oder Versagungsentscheidung gegenüber Personen, die mit einer anderen Person,
die eine eigene Mitwirkungspflicht verletzt, in einer Bedarfsgemeinschaft i.S. des § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) leben oder deren Anspruch auf Sozialleistungen in sonstiger Weise von Umständen abhängig ist, die in der Person des zur
Mitwirkung Verpflichteten begründet liegen (vgl. SG Potsdam, Urteil vom 9. April 2014 - S 40 AS 1288/11 - zit. n. juris).
Aber auch im Übrigen, soweit die Entziehungs- und die nachfolgende Versagungsentscheidung gegenüber dem Kläger zu 1. ergangen
sind, liegen die Voraussetzungen des §
66 Abs.
1 Satz 1, Abs.
3 SGB I nicht vor. Der Kläger zu 1. hat die ihm in den Mitwirkungsaufforderungen vom 2. und 23. November 2009 auferlegten Mitwirkungshandlungen
zur Überzeugung des erkennenden Senats erfüllt. Zwar hat eine Person, die Sozialleistungen beantragt oder erhält, nach §
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 und
3 SGB I auch ohne besondere Aufforderung Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und Beweismittel zu bezeichnen
sowie auf Verlangen des Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Eine Versagungs- oder Entziehungsentscheidung kann auf
einen solchen Mitwirkungsverstoß aber erst gestützt werden, nachdem der Leistungsberechtigte vom Sozialleistungsträger auf
die Mitwirkungspflicht und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung hingewiesen und ihm eine angemessene Frist zur Nachholung gesetzt
worden ist. §
66 Abs.
3 SGB I ist insoweit eine spezielle Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; ein den Anforderungen des §
66 Abs.
3 SGB I entsprechender Antrag darf sich deshalb nicht in einer allgemeinen Belehrung erschöpfen, sondern verlangt einen unmissverständlich
auf den Fall des Leistungsempfängers bezogenen Hinweis u.a. auf die von ihm konkret geforderten Mitwirkungshandlungen (vgl.
Kampe, in: jurisPK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, §
66 Rn. 32 ff. m.w.N.). Es obliegt damit dem Leistungsträger, die geforderte Mitwirkungshandlung in der Mitwirkungsaufforderung
so weit zu konkretisieren, dass deren Nichterfüllung feststellbar wird und durch eine Entziehungs- oder Versagungsentscheidung
geahndet werden kann. Zumindest aber gilt: Je unspezifischer die geforderte Mitwirkungshandlung definiert wird, desto eher
ist die um Leistungen nachsuchende Person in der Lage, sie durch allgemeine Erklärungen zu erfüllen. Daran gemessen ist kein
wesentlicher Verstoß gegen Mitwirkungsverpflichtungen erkennbar, die dem Kläger zu 1. in den Mitwirkungsaufforderungen auferlegt
worden sind.
Der Kläger zu 1. ist der Aufforderung vom 2. November 2009, zu insgesamt 116 einzeln bezeichneten Buchungsvorgängen (Ein-
und Auszahlungen von Girokonten) "Stellung zu nehmen", umfassend nachgekommen. Daran ändert es auch nichts, dass er zu den
meisten der ihm zur Stellungnahme vorgelegten Buchungsvorgänge erklärt hat, sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern zu können.
Auch dies ist im Rahmen der ihm auferlegten konkreten Mitwirkungspflicht ("Stellungnahme") eine Mitwirkungshandlung, die als
Mitteilung von Tatsachen im weiteren Sinne (§
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB I) der Wahrheit entsprechen kann und damit grundsätzlich geeignet ist, der Pflicht zu genügen. Die Frage, ob die im Rahmen
der Mitwirkungshandlung abgegebenen Erklärungen tatsächlich objektiv der Wahrheit entsprechen, ist dagegen nach Einschätzung
des erkennenden Senats grundsätzlich keine Frage der Verletzung von Mitwirkungspflichten mehr. Glaubt der Leistungsträger
den im Rahmen der Mitwirkung abgegebenen tatsächlichen Erklärungen nicht, weil er anderweitige Erkenntnisse hat, die den Erklärungen
widersprechen oder weil allgemein Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Leistungsberechtigten oder der Glaubhaftigkeit seiner
Erklärungen und deshalb bezogen auf existenzsichernde Leistungen auch Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit bestehen, ist er
grundsätzlich gehalten, eine materielle Aufhebungsentscheidung nach §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bzw. - im Hinblick auf die zukünftige Leistungsgewährung - eine materielle Ablehnungsentscheidung zu treffen. Anderes mag
ausnahmsweise in Fällen gelten, in denen offensichtlich ist, dass eine Erklärung nicht den Tatsachen entspricht und erkennbar
nur zu dem Zweck abgegeben wird, sich der geforderten Mitwirkung zu entziehen. Eine solche Situation ist hier aber nicht gegeben.
Es erscheint vielmehr nicht von vornherein unglaubhaft, dass der Kläger zu 1. sich an konkret bezeichnete Buchungsvorgänge
nicht mehr erinnern will, die teils Jahre in der Vergangenheit liegen, zumal vor dem Hintergrund, dass er selbst - ebenfalls
nicht von vornherein unglaubhaft - geschildert hat, über die entsprechenden Kontoauszüge nicht mehr zu verfügen.
Gleiches gilt für die dem Kläger zu 1. mit Schreiben vom 23. November 2009 auferlegten Mitwirkungshandlungen. Soweit er aufgefordert
ist, "zu vertiefen", warum er trotz hoher Umsätze von einer privaten Nutzung des Ebay-Accounts ausgehe und "darzulegen", was
er unter einer privaten Nutzung verstehe, hat er dies im Widerspruchsschreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 30. November
2009 und damit innerhalb der ihm eingeräumten Frist getan. Er hat erklärt, keine Umsätze über 40,000,00 EUR getätigt zu haben
und weder hochpreisige Waren noch nicht handelsübliche Warenmengen besessen zu haben und dargelegt, dass er nur gelegentlich
Verkäufe und Einkäufe auf Ebay getätigt habe und zwar für sich und andere Familienangehörige. Er hat ferner erklärt, dass
es sich überwiegend um Einnahmen aus dem Verkauf von Hausrat, persönlichen Gegenständen und Kleidung gehandelt habe, die rechtlich
nicht als Einkommen, sondern als Umschichtung bereits vorhandenen Vermögens zu bewerten seien. Ob diese Einlassungen glaubhaft
sind, ist nach den obigen Ausführungen für die Frage, ob der Kläger zu 1. seinen Mitwirkungspflichten entsprochen hat, prinzipiell
irrelevant. An der Glaubhaftigkeit der Einlassungen bestehen auch nach Ansicht des Senats erhebliche Zweifel. Diese hätten
ggf. in eine materiellrechtliche Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch für den Zeitraum ab 1. Januar 2010 einfließen
können; zu einer Versagung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung berechtigen sie nicht.
Auch die übrigen, dem Kläger zu 1. abverlangten Mitwirkungshandlungen aus dem Schreiben vom 23. November 2009 sind zur Überzeugung
des Senats im Wesentlichen erfüllt worden. Der Kläger zu 1. hat eine Erklärung zur Zahlung der Miete (Barzahlung) abgegeben
und insoweit auf einen früher erbrachten Nachweis (schriftliche Erklärung seines Vaters) Bezug genommen. Er hat eine Erklärung
über den Inhalt seines Bankschließfachs dergestalt abgegeben, dass dieses leer sei. Er hat erklärt, mit der Bezeichnung "LA
GAA Au" auf seinen Kontoauszügen als im Bankfach Unkundiger nichts anfangen zu können, ferner, dass sich ein Fahrzeug mit
dem amtlichen Kennzeichen PL-__ ___ nicht in seinem Besitz befinde und er hat zum Beleg den Kfz-Schein für das Fahrzeug PI-__
___ zur Akte gereicht. Auch zu den Auslandsbuchungen und Scheckeinlösungen hat der Kläger zu 1. Angaben gemacht, die - seien
sie glaubhaft oder nicht - als im Rahmen der geforderten Mitwirkung ausreichend bezeichnet werden müssen.
Fehlt es danach bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entziehungs- und Versagungsentscheidung, bedarf es
an sich keiner Entscheidung darüber mehr, ob der Beklagte bei der ihm im Rahmen des §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I obliegenden Ermessensentscheidung die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer
dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG). Auch von der nicht rechtmäßigen Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens geht der Senat allerdings aus.
Zweck des §
66 SGB I ist es, den Mitwirkungspflichten nach den §§
60 ff.
SGB I Durchsetzungskraft zu verleihen, wenn deren Verletzung dazu führt, dass die weitere Ermittlung des Sachverhalts unverhältnismäßig
erschwert wird (Kampe, a.a.O., Rn. 17). Im Rahmen dieser allgemeinen Zwecksetzung hat sich grundsätzlich auch die Ermessensausübung
zu halten, wobei zu berücksichtigen ist, dass bereits auf der Tatbestandsebene eine umfangreiche Abwägung der widerstreitenden
Interessen stattfindet (Kampe, a.a.O., § 66 Rn. 34). Dies lässt für die eine Ermessensentscheidung schon deshalb wenig Raum,
weil Gesichtspunkte, die erst die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermessensentscheidung schaffen, nicht (nochmals)
als Abwägungsgesichtspunkt in die Ermessensentscheidung einfließen dürfen. Die nach §
66 Abs.
1 Satz 1, Abs.
3 SGB I zu treffende Ermessensentscheidung verengt sich bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen (vor allem Mitwirkungspflichtverletzung
und nicht nachgewiesener Leistungsanspruch) grundsätzlich auf die Frage, ob die beantragte Leistung sogleich versagt werden
soll oder ob es ausnahmsweise geboten oder zweckmäßig ist, die Leistungsvoraussetzungen ohne weitere Beteiligung des Antragstellers
(etwa durch Einholung von Auskünften bei Dritten) weiter zu ermitteln, auch wenn dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden
ist.
Daran gemessen beruhen die vom Beklagten in die Ermessensentscheidung einbezogenen Gesichtspunkte auf sachfremden Erwägungen
und führen zu einem auch gerichtlich überprüfbaren Ermessensfehlgebrauch. Denn der Beklagte stützt sich bei den Ermessensentscheidungen
in den angegriffenen Bescheiden neben dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit jeweils wesentlich auf die Zweifel
an der Hilfebedürftigkeit der Kläger und die Annahme, dass der Kläger zu 1. über erhebliche anderweitige Einnahmequellen verfüge.
Dies sind Gesichtspunkte, die für die Entscheidung über den materiellen Leistungsanspruch von substanzieller Bedeutung sind,
für die Ermessensentscheidung über die Frage, ob weiter ermittelt oder sogleich versagt werden soll, aber prinzipiell keine
Relevanz haben. Jedenfalls stellt der Beklagte in der Begründung seiner Ermessensentscheidung (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) den erforderlichen Zusammenhang nicht her.
Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten ferner auch deshalb
fehlerhaft i.S. eines Ermessensfehlgebrauchs gewesen sind, weil bereits den Mitwirkungsaufforderungen nach Lage des Sachverhalts
ein sachfremdes Handlungsmotiv zugrunde gelegen hat (vgl. zu sachfremden Motiven Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
54 Rn. 27). Die zeitlichen Abläufe legen für einen objektiven Betrachter allerdings zumindest die Vermutung nahe, dass dem Beklagten
an der Erfüllung der dem Kläger zu 1. in den Mitwirkungsschreiben vom 2. und 23. November 2009 auferlegten Mitwirkungspflichten
gar nicht mehr gelegen war, weil er sich bereits zuvor inhaltlich auf die Bewertung des Sachverhalts festgelegt hatte. Dabei
berücksichtigt der Senat, dass der Beklagte bereits am 30. September 2009 einen auf §§ 45 Abs. 2 Satz 3, 50 Abs. 1 SGB X gestützten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für den Zeitraum 1. Januar 2006 bis 31. März 2009 erlassen hat, auf den sich
die meisten der vom Kläger zu 1. geforderten Mitwirkungshandlungen beziehen. Damit ist zumindest äußerst zweifelhaft, ob die
vom Kläger zu 1. geforderten "Stellungnahmen" und "vertiefenden Darlegungen" überhaupt anfänglich geeignet gewesen sind, auf
den Entscheidungsfindungsprozess der Behörde noch Einfluss zu nehmen.
Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung im korrespondierenden Eilverfahren
zum Az. L 6 AS 70/10 B ER vom 5. Juli 2010. Gegenstand jenes Verfahrens war neben der Suspendierung der hier streitgegenständlichen Bescheide
nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG vor allem der Anspruch der Kläger auf die vorläufige Zahlung existenzsichernder Leistungen über den 31. Dezember 2009 hinaus
(Regelungsanordnung gemäß §
86b Abs.
2 SGG). Diesen Anspruch in erster Linie hat der Senat mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs verneint und in diesem Kontext
im Rahmen einer Folgenabwägung ohne Bewertung ihrer Rechtmäßigkeit auch auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche
gegen die hier angefochtenen Bescheide verzichtet.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Gründe, die gemäß §
160 Abs.
2 SGG die Zulassung der Revision rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.