Ausbildungskosten; Einkommensanrechnung; Einkommensbereinigung; Elterneinkommen; fiktive Bedürftigkeitsberechnung; Meistbegünstigungsprinzip;
Unterkunftskosten; Zufluss; Zuschuss
1. Wird gegen eine Bewilligungsentscheidung über Leistungen für Auszubildende nach § 27 Abs. 3 SGB II mit dem Antrag Klage erhoben, Leistungen "gemäß SGB II als Hilfe zum Lebensunterhalt" zu bewilligen, ist nach dem prozessualen Meistbegünstigungsprinzip im Zweifel davon auszugehen,
dass nicht nur die Bewilligung von Arbeitslosengeld II sondern hilfsweise auch die Bewilligung eines höheren Zuschusses zu
den Unterkunftskosten nach § 27 Abs. 3 SGB II begehrt wird.
2. Die höchstrichterlich zu § 22 Abs. 7 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung entwickelte so genannte fiktive Bedürftigkeitsberechnung (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 69/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 32) ist auf § 27 Abs. 3 SGB II grundsätzlich übertragbar.
3. Modifikationsbedarf besteht aber insoweit, als Auszubildende nunmehr einen Zuschuss auch erhalten können, wenn sie BAföG-Leistungen wegen anrechenbaren Einkommens und Vermögens (der Eltern) nicht erhalten.
4. In diesen Fällen ist es vertretbar, den zweckgebundenen Ausbildungskostenanteil (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 21) vom (fiktiv) berücksichtigten Elterneinkommen in gleicher Weise abzusetzen, wie eine Absetzung
vom BAföG-Einkommen erfolgen würde.
5. Nach prozesskostenhilferechtlichem Maßstab ist es vertretbar, der Berechnung des Zuschusses nach § 27 Abs. 3 SGB II lediglich das der ablehnenden BAföG-Entscheidung zugrunde gelegte Elterneinkommen (in Höhe des ausbildungsförderungsrechtlich Bedarfs) zugrunde zu legen, auch
wenn das tatsächliche Einkommen höher ist.
Gründe
I.
Gegenstand der Beschwerde ist die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren gegen einen Bescheid des Beklagten,
mit dem dieser der Klägerin einen Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten bewilligt, die Gewährung von Arbeitslosengeld
II jedoch abgelehnt hat.
Die Klägerin besuchte im streitbefangenen Zeitraum Juli bis Dezember 2014 ein Regionales Berufsbildungszentrum im Bildungsgang
"Fachschule für Sozialpädagogik". Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhielt sie nicht, weil der monatliche Bedarf von 465,00 EUR durch anrechenbares Einkommen und Vermögen der Eltern in Höhe
von monatlich 465,00 EUR gedeckt sei (Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung vom 30. Oktober 2013). Die Klägerin lebte
im streitgegenständlichen Zeitraum in einer Wohngemeinschaft; für die Unterkunft hatte sie Kosten in Höhe von 175,00 EUR monatlich
aufzuwenden.
Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 2. Juni 2014 einen Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten in Höhe von monatlich
101,00 EUR für den Zeitraum Juli bis Dezember 2014; zur Berechnung ermittelte er einen Gesamtbedarf in Höhe von 566,00 EUR
(nach grundsicherungsrechtlichen Maßstäben), dem er das anrechenbare Elterneinkommen in Höhe von 465,00 EUR gegenüberstellte.
Gegen diese Bewilligungsentscheidung vom 2. Juni 2014 (bei gleichzeitiger Ablehnung von Arbeitslosengeld) in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 12. August 2014 hat die Klägerin am 26. August 2014 Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht, dass sie keinen Anspruch
lediglich auf den Zuschuss sondern auf Arbeitslosengeld II habe, weil der Leistungsausschluss für sie nicht greifen könne.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2016, zugestellt am 21. Januar 2016, hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
für das Klageverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussichten mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin nach § 7 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen sei, da die schulische Ausbildung der Klägerin zur staatlich anerkannten Heilerziehungspflegerin
nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Nr. 2 (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig sei. Persönliche Gründe, wegen derer die Klägerin keine Förderung erhalte, seien bei der
Frage nach der Förderungsfähigkeit dem Grunde nach nicht zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass eine der in § 7 Abs. 6 SGB II normierten Rückausnahmen greife, beständen nicht.
Mit der dagegen erhobenen Beschwerde macht die Klägerin geltend, dass persönliche Gründe, aus denen sie keine BAföG-Leistungen erhalte, bei der Frage nach der Förderungsfähigkeit dem Grunde nach sehr wohl zu berücksichtigen seien. Anderenfalls
liege eine Förderungslücke vor, die einen Härtefall begründe und zumindest im Wege verfassungskonformer Auslegung zu schließen
sei. Darüber hinaus greife die Gegenausnahme des § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II. Im Übrigen habe sie jedenfalls Anspruch auf ein Darlehen nach § 27 Abs. 4 SGB II.
II.
Die Beschwerde hat im Ergebnis Erfolg.
Sie ist per Telefax am Montag, den 22. Februar 2016 noch fristgerecht (§
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) erhoben worden und auch im Übrigen zulässig. Es ist davon auszugehen, dass die seitens der Klägerin für den streitigen
Sechsmonatszeitraum insgesamt begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts den Wert von 750,00 EUR übersteigen,
so dass die Berufung in der Hauptsache nicht der Zulassung bedürfte (§§
172 Abs.
3 Nr.
2 lit. b, 144 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1
SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Der im prozesskostenhilferechtlichen Sinne bedürftigen Klägerin ist Prozesskostenhilfe
zu bewilligen, weil die Rechtsverfolgung zum Teil hinreichende Erfolgsaussichten hat und nicht mutwillig ist (§
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung [ZPO]).
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht allerdings der Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten
abgesprochen, soweit das Begehren der Klägerin auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II gerichtet ist. Die Klägerin ist nach
§ 7 Abs. 5 SGB II vom Arbeitslosengeld II ausgeschlossen, weil sie eine nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchläuft. Entgegen der Beschwerdebegründung kommt es dabei nur auf die Förderungsfähigkeit
der Ausbildung dem Grunde nach an und nicht darauf, ob der jeweilige Auszubildende auch konkret gefördert wird. Dies ergibt
sich nicht nur aus dem eindeutigen Wortlaut, sondern auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift: Der Gesetzgeber wollte mit Mitteln
der Grundsicherung für Arbeitsuchende keine Ausbildungsförderung auf der "zweiten Ebene" schaffen. Deshalb ist die Frage,
ob ein Anspruch auf BAföG dem Grunde nach besteht, nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung allein anhand der sachlichen Förderkriterien losgelöst
von der Person des Auszubildenden zu beantworten (vgl. bereits BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 6).
Entgegen dem (unsubstantiierten) Beschwerdevorbringen liegt kein Fall der Gegenausnahme des § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II vor. Die Klägerin hat wegen der ausbildungsförderungsrechtlich bedarfsdeckenden Berücksichtigung von Einkommen (der Eltern)
und nicht aufgrund des § 2 Abs. 1a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung. Ein Anwendungsfall des § 2 Abs. 1a BAföG ist schon deshalb nicht gegeben, weil diese Regelung sich lediglich auf den Besuch der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG bezeichneten Bildungsstätten bezieht, während die Klägerin eine Fachschulklasse besucht, die in einem zumindest zweijährigen
(hier: dreijährigen) Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermittelt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG).
Schließlich kann auch das Vorliegen eines Härtefalls, der Leistungen in Höhe des Arbeitslosengeldes II als Darlehen nach §
27 Abs. 4 SGB II rechtfertigt, nicht allein auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit gestützt werden. Gründe, die die Annahme eines
Härtefalls rechtfertigen könnten (vgl. dazu Bernzen in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 27 Rn. 67 m.w.N.), sind vorliegend ebenso wenig ersichtlich.
Die Rechtverfolgung hat jedoch hinreichende Erfolgsaussichten, soweit sich die Klägerin auch gegen die Höhe des gewährten
Zuschusses zu den ungedeckten Unterkunftskosten wendet. Dabei geht der Senat angesichts des schriftsätzlich gestellten Antrags
("Leistungen gem. SGB II als Hilfe zum Lebensunterhalt") und vor dem Hintergrund des prozessualen Meistbegünstigungsprinzips davon aus, dass die Klägerin
höhere Leistungen nach dem SGB II unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begehrt; dieses Begehren wäre mit der Klage gegen den streitgegenständlichen
Bewilligungsbescheid über den Zuschuss im Höhenstreit auch prozessual durchsetzbar.
Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Klägerin einen um monatlich 74,00 EUR höheren Zuschuss zu den ungedeckten
Unterkunftskosten verlangen kann. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs ist eine "fiktive Bedürftigkeitsberechnung" (Bernzen
a.a.O., Rn. 53) vorzunehmen, die den Grundsätzen folgt, die die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits zu § 22 Abs. 7 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.) entwickelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 69/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 32). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass § 27 Abs. 3 SGB II im Gegensatz zu § 22 Abs. 7 SGB II a.F. den tatsächlichen Bezug von BAföG-Leistungen nicht mehr voraussetzt, sondern auch in den Fällen greift, in denen Auszubildende BAföG wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen gerade nicht erhalten. Für diesen Fall wird es erforderlich
sein, auch die fiktive Bedürftigkeitsberechnung zu modifizieren. Der Beklagte dürfte in diesem Zusammenhang im Ausgangspunkt
zutreffend das bei der Bedürftigkeitsberechnung im BAföG berücksichtigte anrechenbare Elterneinkommen ohne Rücksicht auf einen tatsächlichen Zufluss bei der Klägerin als Einkommen
angerechnet haben. Es erscheint jedoch mindestens vertretbar, das fiktive Einkommen in gleicher Weise um zweckgebundene Ausbildungskosten
in Höhe von 20 Prozent des Betrags nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG (= 93,00 EUR) zu bereinigen, wie eine Einkommensbereinigung zu erfolgen hätte, wenn dieser Betrag als BAföG geleistet würde (dazu BSG, Urteil vom 17. März 2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21).
Würde man (mit dem Beklagten) das Elterneinkommen fiktiv ausschließlich in Höhe des ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarfs
in Höhe von 465,00 EUR berücksichtigen wollen - der Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung weist nur diesen Betrag aus,
weil bereits dieser Betrag zum Wegfall des BAföG-Anspruchs führt - und um den Betrag von 93,00 EUR bereinigen, bliebe der Unterkunftsbedarf der Klägerin vollständig ungedeckt.
Der Zuschuss betrüge dann 175,00 EUR. Vertretbar wäre aber auch der rechtliche Ansatz, den Zuschuss unter Berücksichtigung
des gesamten nach ausbildungsförderungsrechtlichen Maßstäben (fiktiv) anrechenbaren Elterneinkommens (ggf. bereinigt um 93,00
EUR, s.o.) zu berechnen; bei dieser Sichtweise wäre möglicherweise - abhängig von der Höhe des dann ggf. unter Beiziehung
der Akten des Amtes für Ausbildungsförderung konkret zu ermittelnden Elterneinkommens - der Zuschuss in Höhe von 101,00 EUR
bereits überzahlt.
Das Sozialgericht wird zu entscheiden haben, welchen Lösungsweg es wählt. Angesicht der Vielzahl vertretbarer Ansätze, weil
es an Orientierung bietender Rechtsprechung fehlt und die Fragen bisher auch in der maßgeblichen Kommentarliteratur noch nicht
aufgeworfen worden sind, sieht der Senat davon ab, sich (und damit letztlich auch das Sozialgericht) bereits im Prozesskostenhilfeverfahren
auf eine Rechtsauffassung festzulegen.
Außergerichtliche Kosten sind im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).