Verhängung von Verschuldenskosten gegenüber einem Prozessbevollmächtigten
Vertagung der mündlichen Verhandlung
Versicherungen eines Rechtsanwalts
Weitere Glaubhaftmachung
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Verhängung von Verschuldenskosten wegen der Vertagung eines Termins.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er hat sich als Prozessbevollmächtigter für zwei Klägerinnen bestellt für ein Klageverfahren
beim Sozialgericht Itzehoe gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des beklagten Jobcenters in Höhe von insgesamt
83,56 EUR. Mit Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 13. Oktober 2015 ist der Beschwerdeführer den Klägerinnen im Rahmen
von Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Mit Verfügung vom 16. Oktober 2015 hat der Vorsitzende in der Sache für Montag
den 16. November 2015, 9.30 Uhr einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und den Beschwerdeführer dazu geladen. Zum
Termin ist der Beschwerdeführer nicht erschienen. In der Sitzungsniederschrift ist dazu vermerkt:
"Die Wachtmeisterei lässt mitteilen, Herr T______ habe telefonisch etwa eine Viertelstunde vor Terminsbeginn mitgeteilt, nicht
zur Verhandlung zu erscheinen, da er erkrankt sei.
Rechtsanwalt T______ wird aufgegeben, bis zum 25.11.2015 ein ärztliches Attest über die kurzfristige Erkrankung dem Gericht
vorzulegen sowie ferner nachzuweisen, warum keiner der mit dem Klägervertreter tätigen Kollegen in der Lage gewesen sei, den
Verhandlungstermin wahrzunehmen."
Das Gericht hat sich daraufhin vertagt. Die Sitzungsniederschrift ist dem Beschwerdeführer am 23. November 2015 zugestellt
worden. Mit Schriftsatz vom 27. November 2015 hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass ihm kein Attest vorliege.
Ein Arzt sei nicht konsultiert worden, da die Art der Erkrankung eine Genesung binnen weniger Tage habe erwarten lassen. Er
sei nicht in der Lage gewesen, einen Kollegen um Vertretung zu ersuchen, da sich die Erkrankung erst am Wochenende abgezeichnet
habe. Im Übrigen seien sämtliche verfügbaren Kollegen bereits durch eigene Gerichtstermine verhindert gewesen; ein Kollege
sei ebenfalls erkrankt gewesen.
Im neuen Termin am 4. Februar 2016 ist der Rechtsstreit zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten durch einen Vergleich beendet
worden.
Mit Beschluss vom 8. Februar 2016 hat das Sozialgericht dem Beschwerdeführer Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt.
Zur Begründung hat sich das Gericht auf §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gestützt. Der Beschwerdeführer sei zum Termin am 16. November 2015 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen und habe
sich für sein Nichterscheinen auch nicht ausreichend entschuldigt, weil er weder ein Attest vorgelegt, noch Terminkollisionen
der Kanzleikollegen glaubhaft gemacht habe. Dadurch sei die Anberaumung eines neuen Termins erforderlich geworden und seien
personelle und sachliche Kapazitäten des Gerichts gebunden worden. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei schuldhaft gewesen;
ihn treffe jedenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf, weil das Gericht im Protokoll vom 16. November 2015 eindeutige Anforderungen
an die Glaubhaftmachung eines kurzfristigen unverschuldeten Nichterscheinens gestellt habe, die nicht erfüllt worden seien.
Es sei entgegen der wohl überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zulässig und im vorliegenden Fall nach
Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auch sachgerecht, dem Prozessbevollmächtigten selbst Verschuldenskosten aufzuerlegen. Die
Höhe der Kosten orientiere sich vorliegend am Maßstab des §
184 Abs.
2 SGG.
Gegen diesen ihm am 11. Februar 2016 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 25. Februar 2015 Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht erhoben. Zur Begründung macht er geltend, dass die Anforderungen, die das Sozialgericht an die gehörige
Entschuldigung des Ausbleibens zu einem Verhandlungstermin stelle, völlig unüblich seien. Ein ärztliches Attest habe von ihm
noch nie ein Gericht gefordert. Ein Attest könne auch nur erbracht werden, wenn tatsächlich ein Arzt konsultiert worden sei.
Dies habe er nicht getan. Nach dem Ende der Erkrankung habe er ein Attest aber nicht mehr einholen können, weil der Arzt keine
eigenen Wahrnehmungen davon mehr habe treffen können. Auch sei die vom Gericht gesetzte Frist zur Vorlage von Nachweisen angesichts
der Tatsache, dass er die Sitzungsniederschrift erst am 23. November 2015 erhalten habe, zu kurz gewesen. Schließlich habe
es auch an der erforderlichen Anhörung gefehlt.
Er beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 8. Februar 2016 aufzuheben.
Der Beschwerdegegner stellt keinen Antrag und sieht von einer inhaltlichen Stellungnahme ab.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
173 Satz 1
SGG). Sie ist ohne weiteres statthaft (§
172 Abs.
1 SGG). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts greift der Ausschlussgrund des §
172 Abs.
3 Nr.
4 SGG nicht, weil dieser Tatbestand sich allein auf Entscheidungen über Verschuldenskosten nach §
192 Abs.
4 SGG bezieht und für die hier gegenständlichen Verschuldenskosten nach §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG nicht gilt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Juni 2011 - L 6 AS 959/11 B ER; Böttiger, in: Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl. 2014, §
172 Rn. 51; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
172 Rn. 6k; vgl. auch BT-Drucks. 16/7716, S. 22 und BT-Drucks. 16/9788 S. 23).
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, dem Beschwerdeführer für sein Ausbleiben zum Termin
am 16. November 2015 Verschuldenskosten aufzuerlegen, teilt der Senat nicht. Sie kann nicht auf die einzig in Betracht kommende
Vorschrift des §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG gestützt werden. Danach kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten
ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung
einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist, wobei
dem Beteiligten sein Vertreter oder Bevollmächtigter gleich steht (§
192 Abs.
1 Satz 2
SGG). Die Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Senat geht allerdings - ohne dass es hier entscheidungserheblich darauf ankäme - mit dem Sozialgericht übereinstimmend
davon aus, dass die Verhängung von Verschuldenskosten nach §
192 Abs.
1 Satz 1
SGG auch gegenüber einem Prozessbevollmächtigten (und nicht nur gegenüber dem Beteiligten selbst) grundsätzlich in Betracht kommt.
Dafür sprechen sowohl Systematik als auch Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des §
192 Abs.
1 SGG. Systematisch erscheint es zumindest naheliegend, dass sich die Gleichstellung des Bevollmächtigten mit dem Beteiligten in
§
192 Abs.
1 Satz 2
SGG sowohl auf die tatbestandlichen Voraussetzungen als auch auf die Rechtsfolgen des §
192 Abs.
1 Satz 1
SGG bezieht, weil der Begriff des Beteiligten dort (im Gegensatz zur bis 1. Januar 2002 geltenden Urfassung des §
192 SGG) in beiden Zusammenhängen verwendet wird (vgl. Krasney, in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens,
6. Aufl. 2011, Kap. XII Rn. 38). Die Gegenauffassung, die in §
192 Abs.
1 Satz 2
SGG nach wie vor nur eine Zurechnungsnorm erkennen will (Leitherer, a.a.O., § 192 Rn. 2 m.w.N.; zuletzt auch Spellbrink, Sozialrecht
aktuell 2016, 7, 8), überzeugt den Senat nicht, weil die Zurechnung von Verschulden des Prozessbevollmächtigten sich bereits
aus allgemeinen Vorschriften ergibt (§
202 SGG i.V.m. §
85 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]) und in einer Spezialregelung wie §
192 SGG nicht noch einmal hätte aufgegriffen werden müssen. Auch die vom Änderungsgesetzgeber gewollte (vgl. BT-Drucks. 14/5943,
S. 28) Anlehnung der zum 2. Januar 2002 in Kraft getretenen Neufassung des §
192 Abs.
1 SGG an § 34 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), der ebenfalls die Auferlegung von Kosten gegenüber dem Bevollmächtigten zulässt und in diesem Sinne gehandhabt wird, spricht
für den ihrer vertretenen Lösungsweg (dazu eingehend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. August 2010 - L 8 SO 159/10;
Bezug nehmend darauf auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Februar 2012 - L 29 AS 1144/11 - jeweils zit. n. juris). Schließlich weist das Sozialgericht zu Recht darauf hin, dass die Auferlegung der Verschuldenskosten
gerade in Konstellationen wie der vorliegenden sachgerecht ist, würde der (im Rahmen der §§
183 ff.
SGG generell als sozial schutzbedürftig anzuerkennende) Beteiligte durch die Auferlegung von Verschuldenskosten ihm gegenüber
doch in ein Regressverfahren mit seinem Prozessbevollmächtigten hineingedrängt, für das ihm regelmäßig die Fähigkeiten und
Mittel fehlen dürften.
An den Voraussetzungen für die Auferlegung von Verschuldenskosten fehlt es aber deshalb, weil der Beschwerdeführer die Vertagung
der mündlichen Verhandlung nicht schuldhaft verursacht hat. Der Senat geht vielmehr angesichts seiner telefonischen Mitteilung
am Verhandlungstag (16. November 2015) und seiner Erklärungen im Schriftsatz vom 27. November 2015 davon aus, dass der Beschwerdeführer
krankheitsbedingt nicht am Termin hat teilnehmen können, was generell Verschulden i.S. des §
192 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG ausschließt.
Anwaltliche Versicherungen genießen gegenüber Erklärungen von Beteiligten einen besonderen Stellenwert. Der Rechtsanwalt ist
Organ der Rechtspflege (§ 1 Bundesrechtsanwaltsordnung [BRAO]). Er ist kraft Gesetzes verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufs
der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung als Rechtsanwalt erfordert, würdig zu erweisen (§ 43 BRAO). Verletzt ein Rechtsanwalt schuldhaft diese Verpflichtungen, wird dies durch anwaltsgerichtliche Maßnahmen geahndet (§ 113 Abs. 1 BRAO). Dieses besondere standesrechtliche Gefüge rechtfertigt es, Versicherungen eines Rechtsanwalts einen besonderen Vertrauensvorschuss
entgegenzubringen. Das Gericht ist gehalten, einer solchen Versicherung in gleichem Umfang zu glauben wie es einer dienstlichen
Äußerung eines Richters oder Staatsanwalts glauben würde (AG Halle [Saale], Beschluss vom 4. Januar 2011 - 103 II 2020/10). Dies schließt es im Einzelfall nicht aus, vom Anwalt die weitere Glaubhaftmachung oder den Nachweis der versicherten Tatsachen
zu verlangen, wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung bestehen - etwa, wenn Verhinderungen dieser Art häufig
auftreten - oder sonst begründeter Anlass besteht, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Solche Umstände sind hier aber nicht
ersichtlich; der angegriffene Beschluss gibt dazu jedenfalls nichts her.
Einer weiteren Sachaufklärung in diese Richtung bedarf es schon deshalb nicht, weil - selbst wenn Zweifel an der Richtigkeit
insbesondere der telefonischen Krankmeldung am Morgen des 16. November 2015 bestanden haben sollten - das Sozialgericht gehalten
gewesen wäre, den Beschwerdeführer so rechtzeitig über die von ihm geforderten Nachweise in Kenntnis zu setzen, dass ihm die
Beibringung noch möglich gewesen wäre. Dies gilt gerade für die Vorlage eines ärztlichen Attests, weil ein solches einerseits
angesichts des der Rechtsanwaltschaft grundsätzlich entgegengebrachten Vertrauens üblicherweise nicht verlangt wird und weil
andererseits - der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin - der nachträglichen Einholung eines ärztlichen Befunds (hier:
frühestens mit Zustellung des Sitzungsprotokolls am 23. November 2015 eine Woche nach dem versäumten Termin) kein Beweiswert
für die Arbeits- bzw. Verhandlungsunfähigkeit am Verhandlungstag mehr zukommt. Vorliegend wäre das Sozialgericht gehalten
gewesen, den Beschwerdeführer sogleich telefonisch zur Beibringung eines ärztlichen Attests aufzufordern, um die Einholung
eines ärztlichen Befunds noch am Verhandlungstag sicherzustellen.
Der Beschwerdeführer hat die Vertagung des Termins auch nicht dadurch schuldhaft verursacht, dass er nicht an seiner Stelle
einen Vertreter zum Termin entsandt hat. Auch in diesem Zusammenhang ist zunächst die Versicherung des Beschwerdeführers zu
berücksichtigen, dass alle Kollegen der Sozietät terminlich verhindert oder selbst erkrankt gewesen seien. Außerdem ist der
Beschwerdeführer der einzige Anwalt der Sozietät mit einem sozialrechtlichen Tätigkeits- bzw. Interessenschwerpunkt, was als
sachlicher Gesichtspunkt für ein berechtigtes Interesse der Klägerinnen daran streiten kann, dass ihr prozessuales Anliegen
in der mündlichen Verhandlung gerade durch den Beschwerdeführer vertreten wird, zumindest aber dafür, die Vertretung durch
einen fachfremden Kollegen nicht ohne vorherige Rücksprache zu veranlassen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO), weil der Beschwerdeführer nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des §
183 SGG gehört. Gerichtskosten sind nicht zu erheben, weil das Land als Gegner des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren nach
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) von Gerichtskosten befreit ist.
Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG, §§ 1 Abs. 5, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).