Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines gegen die Klägerin festgesetzten Regresses in Höhe von insgesamt 1.908,-
€ im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Impfstoffen.
Die Klägerin ist eine aus den Ärzten Dr. K_________ und Dr. M_______________ bestehende Berufsausübungsgemeinschaft in W___________.
In der Impfsaison 2005/2006 verimpfte die Klägerin zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 286 Dosen Grippeschutzimpfungen.
In der Saison 2006/2007 forderte die Klägerin zulasten der GKV 550 Impfdosen an. Davon verimpfte sie 217.
Mit Schreiben vom 19. September 2007 beantragten die Beigeladenen zu 1-4) und 6) gegenüber der gemeinsamen Prüfeinrichtung
der Vertragsärzte und Krankenkassen in S_________________ (Prüfungsstelle) die Festsetzung eines Schadens im Einzelfall gegen
die Klägerin. Im Prüfantrag war in der Betreffzeile das Quartal IV/06 angegeben. In der folgenden Tabelle waren dann die Grippeschutzimpfungen
in den Quartalen III/06-I/07 aufgeführt.
Mit Schreiben vom 7. November 2007 informierte die Prüfungsstelle die Klägerin über diesen Antrag und setzte nach Stellungnahme
der Klägerin vom 23. November 2007 mit Bescheid vom 12. September 2008 einen Schadensersatz in Höhe von 1908,00 € gegen die
Klägerin fest. Zur Ermittlung der Schadenssumme führte die Prüfungsstelle aus, zu den 217 tatsächlich durchgeführten Grippeschutzimpfungen
sei ein Aufschlag von 10 % zu gewähren. Zudem seien wirtschaftliche Bezugsmöglichkeiten und die Weitergabe einiger Impfdosen
an einen anderen Kollegen zu berücksichtigen. Die Abforderung von insgesamt 250 Impfdosen sei nicht zu beanstanden. Für die
darüber hinausgehend abgeforderte Anzahl von 200 Stück sei der Schadensersatz festzusetzen.
Dagegen richteten sich die Widersprüche der Beigeladenen zu 5.) vom 1. Oktober 2008 sowie der Klägerin vom 14. Oktober 2008.
Über diese Widersprüche entschied der Beklagte mit Bescheid vom 2. November 2011. Darin gab er den Widersprüchen teilweise
statt. Eine Neuberechnung der Schadenersatzsumme habe jedoch keine Änderung des Regressbetrages ergeben, es verbleibe somit
bei einem Schadensersatz in Höhe von 1908,00 €. In der Begründung führte er aus, es sei bei der Bestellung des Impfstoffes
für den Arzt sinnvoll, sich an den Zahlen der Vorsaison zu orientieren. Auf die 286 Impfdosen aus der Vorsaison werde ein
Aufschlag von 15 % gewährt. Diese Summe werde auf Zehnerpackungsgrößen aufgerundet. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe
sei die Abforderung von insgesamt 330 Impfstoffdosen nicht zu beanstanden. Die darüberhinausgehend abgeforderte Anzahl von
220 Stück sei dem Grunde nach schadenersatzpflichtig, hiervon seien 20 Impfdosen, die an einen Kollegen weitergegeben worden
seien, in Abzug zu bringen.
Am 5. Dezember 2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage hat sie vorgetragen, in der Impfsaison 2006/2007 habe es eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach
Grippeimpfungen gegeben. Dies habe im Zusammenhang mit der sich seinerzeit ausbreitenden Vogelgrippe gestanden, auch wenn
ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Vogelgrippe und klassischen Influenzaimpfungen nicht bestanden habe. Sie habe
sich daher zunächst an den Vorjahreszahlen orientiert und 250 Dosen bestellt. Diese seien Ende September 2006 bezogen worden.
Durch die euphorisierende Berichterstattung in den Medien sei es dann zu einem zum Teil panikartigen Ansturm der Patienten
auf die Praxis zwecks Impfung gegen Influenza gekommen. Daher habe sie Mitte Oktober 2006 eine weitere Bestellung von 300
Ampullen Influenzaimpfstoff vorgenommen. Der im September 2006 bezogene Impfstoff sei Ende Oktober 2006 bereits vollständig
verimpft gewesen. Trotz bis Anfang Dezember 2006 anhaltender Nachfrage habe zunächst nicht geimpft werden können, da sich
die Auslieferung des nachbestellten Impfstoffes verzögert habe. Tatsächlich sei ein Großteil der bestellten Ampullen erst
in der Woche vor Weihnachten geliefert worden. Mittlerweile habe die Panikreaktion der Patienten nachgelassen. Als die längst
überfälligen Ampullen dann eingetroffen und die Patienten telefonisch einbestellt worden seien, habe sich gezeigt, dass so
gut wie keiner mehr Interesse gehabt habe. Sie sei der Auffassung, dass der Beklagte den Sachverhalt nur ungenügend aufgeklärt
habe. Zudem leide der angefochtene Bescheid an einem Begründungsdefizit entgegen § 35 Abs. 1 SGB X. Aber auch materiell-rechtlich halte der Bescheid einer Überprüfung nicht stand, denn Impfstoffe fielen nicht unter die Prüfvereinbarung.
Sie seien keine Arzneimittel im Sinne von §§
73 Abs.
2 Nr.7, 31 Abs.
1 SGB V. Im streitgegenständlichen Zeitraum seien Schutzimpfungen eine Satzungsleistung der Krankenkassen gewesen, ein Rechtsanspruch
sei erst zum 1. April 2007 eingeführt worden. Impfstoffe seien auch nicht von der Sprechstundenbedarfsvereinbarung zwischen
der Beigeladenen zu 5.) und den Beigeladenen zu 1.-4.) und 6.) erfasst.
Ferner hätten die Beigeladenen den Prüfantrag außerhalb der in § 10 Abs. 5 der Prüfvereinbarung (PV) genannten 9-Monatsfrist
gestellt. Schließlich sei die Entscheidung des Beklagten jedenfalls ermessensfehlerhaft. Dieser habe die besondere Situation
der Panik um die Vogelgrippe in der streitigen Impfsaison nicht hinreichend beachtet.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 2. November 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichtes erneut zu bescheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 4. Juni 2014 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
Zur Begründung hat das Sozialgericht wesentlich darauf abgestellt, dass ein Prüfantrag durch die Krankenkassenverbände wirksam
nur für das Quartal IV/06 gestellt worden sei, da nur dieses in der Betreffzeile genannt worden sei. Das Gericht sei auch
der Auffassung, dass die Prüfung quartalsweise vorzunehmen sei. Soweit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Prüfung
von Sprechstundenbedarf eine Prüfung mehrerer Quartale vorsehe, sei dies auf Impfstoffverordnungen nicht übertragbar.
Gegen dieses, ihm am 3. November 2014 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 28 November 2014, zu
dessen Begründung er vorträgt, es ergebe sich aus dem Antrag zweifelsfrei, dass die Krankenkassenverbände eine Schadenersatzfestsetzung
für den Gesamtzeitraum III/06-I/07 begehrten. Der Prüfantrag habe auch keine materiell rechtliche Bedeutung, sondern sei bloße
Verfahrensvoraussetzung. Grippeimpfungen fänden saisonal von September bis Februar statt, wobei sich die meisten Patienten
in den Monaten Oktober und November impfen ließen. Die Rechtmäßigkeit einer quartalsübergreifenden Prüfung sei durch höchstrichterliche
Rechtsprechung bestätigt worden. Ähnlich wie beim Sprechstundenbedarf lägen auch im Falle von Grippeimpfstoffen besondere
Sachgründe vor, die zur Prüfung mehrerer aufeinanderfolgender Quartale in der Gesamtschau Veranlassung gäben. Die Ausführungen
der Klägerin zu den panikartigen Zuständen in der Impfsaison 2006/2007 überzeugten nicht. Es sei Aufgabe der Vertragsärzte
gewesen, die Patienten sachgerecht über Infektionsrisiken und geeignete Schutzmaßnahmen, wie allgemeine Hygienemaßnahmen und
Vermeidung des direkten Kontakts mit Wildvögeln, zu informieren und darauf hinzuweisen, dass die Impfung gegen die saisonale
Grippe keinen Schutz gegen die Vogelgrippe darstelle. Laut Auskunft der Pressestelle des Schleswig-Holsteinischen Gesundheitsministeriums
habe es 2006 auch keine Aufforderung gegeben, sich gegen die saisonale Grippe impfen zu lassen. Erst im Jahr 2007 habe es
wieder eine Veröffentlichung des Ministeriums zu Grippeschutzimpfung gegeben. Nicht nachvollziehbar sei, wenn die Klägerin
versuche glaubhaft zu machen, dass der im September 2006 bezogene Impfstoff bereits Ende Oktober verimpft worden sei, denn
ausweislich in Kopie beigefügter Behandlungsscheine über den Zeitraum 26. Oktober 2006 bis 22. Dezember 2006 seien weitere
50 Grippeschutzimpfungen in dieser Zeit durchgeführt worden. Mit den Ende September 2006 bezogenen 250 Impfdosen hätte auch
der gesamte Bedarf für die Impfsaison (217 Impfungen) abgedeckt werden können.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 4. Juni 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, das Sozialgericht habe sich im Wesentlichen auf die formelle Rechtswidrigkeit des Bescheides gestützt. Auf
eine materiell-rechtliche Prüfung sei es insoweit nicht mehr angekommen. Wenn der erkennende Senat den Bescheid als formell
rechtmäßig ansehen sollte, komme es aber maßgebend auf das Ergebnis der materiell-rechtlichen Prüfung an. Der erkennende Senat
habe sich bisher noch nicht dezidiert mit der Frage auseinandergesetzt, ob Impfstoffe im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich
Prüfgegenstand der Prüfvereinbarung gewesen seien. Diesbezüglich nimmt sie auf ihre Klagebegründung Bezug. Die Entscheidung
des Beklagten sei jedenfalls ermessensfehlerhaft, denn dieser habe die besondere Situation in der streitgegenständlichen Impfsaison
nicht berücksichtigt. Klarzustellen sei, dass der im September 2006 bezogene Impfstoff am 25. Oktober 2006 insoweit aufgebraucht
gewesen sei, als er entweder bereits injiziert worden oder aber für die Injektion bei konkreten Patienten zu konkret vereinbarten
Termin fest verplant gewesen sei. Die hohe Nachfrage nach Grippeschutzimpfungen bis Anfang Dezember, der sie nicht habe nachkommen
können, habe daneben bestanden.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, 3 namentlich benannte ehemalige Mitarbeiterinnen zum Bestehen des
erhöhten Impfbedarfs in der streitigen Impfsaison und den damaligen Inhaber der Bezugsapotheke zur fehlenden Stornierungsoption
zeugenschaftlich zu vernehmen.
Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der
Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß §
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingegangen.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kiel war aufzuheben, denn die Entscheidung des Beklagten ist
rechtmäßig. Zutreffend hat er einen Regress für den Zeitraum III/2006 bis I/2007 gegen die Klägerin festgesetzt. Die Klage
war daher abzuweisen.
Die durchgeführte Wirtschaftlichkeitsprüfung ist zulässig. Rechtsgrundlage ist §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V i. V. m. §
10 Abs.
2 Prüfvereinbarung vom 5. Januar 2006. Gemäß §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V in der im geprüften Zeitraum gültigen Fassung können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen
gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus Prüfungen
ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten und andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren.
Dies ist in der Prüfvereinbarung (PV) 2006 erfolgt. Danach überprüfen die Prüfstelle bzw. der Beklagte auf Antrag der Krankenkassen
oder der KVSH im Einzelfall, ob der Vertragsarzt durch Veranlassung von Auftragsleistungen, Verordnung von Arzneimitteln,
Heilmitteln, Sprechstundenbedarf, häuslicher Krankenpflege oder Krankenhausbehandlung, bei der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit
oder Verordnung von Hilfsmitteln sowie sonstiger veranlasster Leistungen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat.
Die Regelung "Arzneimittel" ist auf die Impfstoffe anzuwenden. Der Senat orientiert sich dabei an der in § 2 Abs. 1 Nr. 2a Arzneimittelgesetz (AMG) enthaltenen Definition. Danach sind Arzneimittel u. a. Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im menschlichen Körper
angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch immunologische Wirkung wieder
herzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Durch die Grippeschutzimpfung soll eine Immunisierung erreicht werden,
so dass die Definition erfüllt ist. Dass Impfstoffe gegen die saisonale Grippe daher Arzneimittel im Sinne von § 10 Abs. 2
der PV sind, hatte der Senat bereits mit Urteilen vom 8. Dezember 2015 (L4 KA 84/14 und L 4 KA 44/13 sowie für eine ältere aber insoweit inhaltsgleiche Prüfvereinbarung mit Urteil vom 17. November 2009 (L 4 KA 24/08) entschieden. Daran hält der Senat fest. Zwar sind die Arzneimittelbegriffe des
SGB V und des Arzneimittelgesetzes nicht vollständig deckungsgleich, sie stimmen aber weitgehend überein. Substanzen und Präparate, die der Definition des §
2 Abs. 1 AMG entsprechen, sind grundsätzlich auch Arzneimittel im Sinne des Krankenversicherungsrechts (so auch Flint in Hauck/Noftz
SGB V §
31 Rn. 38). Insbesondere qualifiziert auch eine immunologische Wirkung im menschlichen Körper einen Stoff als Arzneimittel (so
auch Beck in [...] PK
SGB V § 31 Rn. 21 ff). Das BSG hat die weitgehende Deckungsgleichheit des arzneimittelrechtlichen und des krankenversicherungsrechtlichen Arzneimittelbegriffs
betont und eine Ausnahme lediglich für oral einzunehmende Kontrazeptiva angenommen (vergleiche BSG, Urteil vom 31. August 2000, B 3 KR 11/98 R). Diese Ausnahme überzeugt, weil mit Kontrazeptiva im Regelfall weder therapeutisch noch prohylaktisch einer Krankheit entgegengewirkt
werden soll. Gerade Letzteres ist aber bei Impfstoffen der Fall. Die unterschiedliche Ausgestaltung von Impfleistungen zu
Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung als gesetzlich geregelte Leistung (§
20d SGB V ab 01.04.2007, § 20i
SGB V ab 25.07.2015) oder als einheitliche Satzungsleistung der Krankenkassen, vermag den Charakter von Impfstoffen als Arzneimittel
im Sinne des
SGB V zur Überzeugung des Senats nicht zu ändern. Dass Arzneimittel auch zur Verhütung von Krankheiten im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung eingesetzt werden können, ergibt sich dem Grunde nach nämlich bereits aus §
23 Abs.1 Nr.3
SGB V. In S__________________ war in §
1 der zwischen den Sa______________________ Krankenkassenverbänden und der Beigeladenen zu 5.) geschlossenen Impfvereinbarung
vom 16.01.2003 die Durchführung von u.a. Grippeschutzimpfungen als vertragsärztliche Leistung im streitgegenständlichen Zeitraum
vorgesehen.
Soweit demgegenüber mit Rückgriff auf den §
132e SGB V eingewandt wird, Schutzimpfungen nach §
20 d SGB V erfolgten außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung und unterlägen deshalb nicht der Prüfkompetenz der Prüfgremien nach
§
106 SGB V (so Bayerisches LSG, Urteil vom 16.12.2015, L 12 KA 160/14), ist dies für den streitgegenständliche Zeitraum schon deshalb unbeachtlich, weil um Grippeschutzimpfungen gestritten wird,
die vor Einführung der §§ 20d, 132e
SGB V zum 1. April 2007 durchgeführt wurden.
Der Prüfantrag der Beigeladenen zu 1) bis 4) und 6) vom 19. September 2007 bezog sich auf alle Quartale III/06 bis I/07. Zwar
ist in der Betreffzeile des Antrages lediglich das Quartal IV/06 erwähnt. Der Antrag enthielt jedoch in der beigefügten Tabelle
die Anforderungen der Impfstoffe und die jeweiligen vorgenommenen Impfleistungen der Klägerin unter Benennung der entsprechenden
EBM-Ziffer für die Quartale III/06 bis I/07. Nach Auffassung des Senats ginge es zu weit, die Nennung des Quartals IV/06 in
der Betreffzeile des Antragsschreibens als Beschränkung des Antrags anzusehen. Der notwendige Inhalt eines Antrages ist gesetzlich
nicht definiert. Ein Antrag ist der in erkennbarer Weise zum Ausdruck gebrachte Wille des Antragstellers, ein Verwaltungsverfahren
einzuleiten. Er bestimmt den Gegenstand und das Ziel des Verwaltungsverfahrens im Sinne von § 8 des 10. Buches Sozialgesetzbuch (SGB X; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X § 18 Rd.Ziffer 19, 20). Im sozialen Leistungsrecht ist regelmäßig das Meistbegünstigungsprinzip auf eine Antragstellung anzuwenden.
Dieses besagt, dass ein Antrag stets so auszulegen ist, dass die sozialen Rechte des Antragstellers möglichst umfassend zu
seinem Gegenstand gemacht werden können. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies auch bei einer Einleitung eines Verwaltungsverfahrens
durch einen öffentlich-rechtlichen Träger gilt, für den es nicht um Sozialleistungsansprüche geht. Denn ein Antrag ist eine
empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die in entsprechender Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften
der Auslegung bedarf (Hissnauer in [...] PK-SGB X § 18 Rd.Ziffer 11). Diese Auslegung muss dahin gehen, dass die beigeladenen Krankenkassen einen Prüfantrag wegen der gesamten
drei Quartale III/2006 bis I/2007 einleiten wollten. In die Auslegung des Prüfantrages ist dessen Ausgestaltung einzubeziehen.
Die Beigeladene zu 1) hat in dem Antrag sämtliche abgeforderten Impfstoffe und abgerechneten Impfleistungen der Quartale III/06
bis I/07 aufgelistet. Dies ergäbe keinen Sinn, wenn der Antrag sich allein auf das Quartal IV/06 beschränken sollte, denn
dann wären nur die in diesem Quartal abgeforderten Impfstoffe und erbrachten Impfleistungen zu vergleichen. Der Bezug des
Antrags auf alle drei Quartale folgt ferner aus den Erwägungen des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 18. August 2010 (B 6 KA 14/09 R). Das BSG ist in der Entscheidung darauf eingegangen, ob es (dort zur Sprechstundenbedarfsverordnung) zulässig sei, auch ohne eine
entsprechende gesetzliche Regelung eine quartalsübergreifende Prüfung durchzuführen. Das BSG hat ausgeführt, dass dies zulässig sei, wenn sich aus sachlichen Gründen hierfür eine Sachgerechtigkeit oder sogar Notwendigkeit
ergebe. Im Fall des Sprechstundenbedarfs hat das BSG dies bejaht, da dieser regelmäßig quartalsübergreifend bestellt werde und für den Fall, dass Material in einem Quartal nicht
verbraucht werde, ebenso fallübergreifend im Folgequartal benutzt werde mit der Folge einer in jenem Quartal geringeren Anforderung.
In gleicher Weise verhält es sich mit den Impfstoffen: Regelmäßig wird durch Impfleistungen erbringende Vertragsärzte einmal
jährlich im Spätsommer ein gewisser Vorrat an Impfstoffen angefordert. Es liegt auf der Hand, dass diese Impfstoffe nicht
in einem Quartal, sondern im Laufe des gesamten Herbst und Winter, also während der gesamten Impfsaison, aufgebraucht werden.
Eine Quartalsbetrachtung wäre überhaupt nicht aussagekräftig. Die Auslegung des Antrags der Beigeladenen zu 1) bis 4) und
6) muss daher dahin gehen, dass eine quartalsübergreifende Prüfung, nämlich für die Quartale III/06 bis I/07, durchgeführt
werden sollte. (So schon der erkennende Senat in den Urteilen vom 8. Dezember 2015, L4 KA 84/14 und L 4 KA 44/13)
Die Anträge waren auch nicht verfristet gestellt. Hierzu bestimmt § 10 Abs. 5 PV, dass die Anträge zur Prüfung nur innerhalb
einer Frist von neun Monaten nach Abschluss des Quartals gestellt werden, in dem die Verordnung ausgestellt worden ist. Diese
Vorschrift hindert die Überprüfung jedoch nicht. Mit Urteil vom 3. Februar 2010 (B 6 KA 37/08 R) hat das BSG ausgeführt, dass die Einhaltung einer in einer Prüfvereinbarung normierten Frist für Prüfanträge der Krankenkassen keine
Voraussetzung der Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses sei; für einen derartigen Regress bestehe lediglich eine Ausschlussfrist
von vier Jahren. Diese Rechtsprechung hat das BSG in einem weiteren Urteil vom 18. August 2010 (B 6 KA 14/09 R) bestätigt. Hierzu hat das BSG ausgeführt (Rn. 20), dass derartige Fristen nicht dem Schutz des überprüften Arztes dienen sollten, sondern der Verfahrensbeschleunigung
und effektiven Verfahrensdurchführung. Werde der Antrag zu spät gestellt, sei dem Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung
zwar nicht Rechnung getragen. Es liefe aber der Zielrichtung der Regelungen und im Übrigen auch dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots
mit dem daraus folgenden Ziel möglichst effektiver Verhinderung unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise zuwider,
wenn man daraus ein Hindernis für die Verfahrensdurchführung überhaupt ableiten wolle. Die Forderung eines Prüfantrages innerhalb
einer bestimmten Frist in § 10 Abs. 5 PV hat danach keine materielle, sondern allenfalls Ordnungsfunktion. Der Senat folgt
dieser Rechtsprechung des BSG, denn sie steht mit dem allgemeinen Verfahrensrecht im Einklang (vgl. Urteil des Senats vom 8. Dezember 2015 - L 4 KA 15/12). Nach § 42 Satz 1 SGB X besteht kein Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nichtig ist, allein deshalb, weil er unter Verletzung
der Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache
nicht beeinflusst hat. Offensichtlichkeit in diesem Sinne kann angenommen werden, wenn sich mit Hilfe der vorliegenden Unterlagen
oder sonstigen Beweismittel objektiv nachweisen lässt und jeder Zweifel ausgeschlossen ist, dass der Fehler keinen Einfluss
auf das Entscheidungsergebnis genommen hat (BR-Drucks. 422/94, S. 5; Siewert/Waschull in Diering/Timme, SGB X, 4. Auflage, § 42 Rn. 12). Dies ist hier gegeben, denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Prüfungsergebnis im Fall rechtzeitiger Anträge
anders ausgefallen wäre. (So ebenfalls bereits Urteile des Senats vom 8. Dezember 2015, L 4 KA 84/14 und L4 KA 44/13).
Auch inhaltlich ist die vorgenommene Überprüfung nicht zu beanstanden. § 6 des Vertrages über die Durchführung und Abrechnung
von Schutzimpfungen gegen übertragbare Krankheiten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung (Impfvereinbarung) vom 16.
Januar 2003 enthält hinsichtlich eines sonstigen Schadens, der den Krankenkassen durch Verordnungen der Vertragsärzte über
das vertraglich vereinbarte Maß hinaus entstehen, eine Rechtsfolgenverweisung auf § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä). Diese Vorschrift verweist in Abs. 1 für die Feststellung eines Schadens auf das Verfahren bei den Prüfungseinrichtungen nach §
106 SGB V und damit auf die dazu ergangene Prüfungsvereinbarung. Als Rechtsfolgenverweis beschränkt sich der Regress nicht auf die
in § 48 Abs. 1 BMV-Ä genannten Aufgreiftatbestände. Der Beklagte hat eine Einzelfallprüfung im Sinne des § 10 Abs. 2 der Prüfvereinbarung vom 5. Januar 2006 vorgenommen. Eine Überprüfung anhand statistischer Werte oder Richtgrößen
verbat sich hinsichtlich der individuellen Verhältnisse in den einzelnen Arztpraxen. Bei der Beurteilung der Prüfmaßnahme
ist zu berücksichtigen, dass den Prüfgremien bei der Ausgestaltung der Prüfung in einzelnen Bereichen ein Beurteilungs- und
Ermessensspielraum zusteht. Dieser besteht als gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Rahmen immer dort, wo der medizinische
Sachverstand für die Beurteilung der Sachlage im Vordergrund steht (vgl. Überblick bei Engelhardt in Hauck/Noftz,
SGB V §
106 Rn. 553 a ff. und 560 ff.). Ein Beurteilungsspielraum besteht insbesondere bei der Wahl der Prüfmethode (BSG v. 16.07.2008 - B 6 KA 57/07 R - SozR 4-2005 § 106 Nr. 19) und bei der Grenzbestimmung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes (BSG v. 15.03.1995 - 6 RKa 37/93 - SozR 3-2005 § 106 Nr. 26) sowie bei der Festlegung des Prüfmaßes (BSG v. 06.05.2009 - B 6 KA 3/08 R - MedR 2010 S. 276). Es sind keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
Der Beklagte hat als Grundsatz für die Prüfung darauf abgestellt, dass der Arzt sich bei der Anforderung von Impfstoffen an
den Impfungen des Vorjahres zu orientieren habe. In Hinblick auf Schwankungen in der Zahl der Impfwilligen sei auf die Vorjahreszahl
ein Zuschlag von 15 % zu gewähren, wobei in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung auf Zehnerpackungsgrößen aufzurunden
sei. Dieser Ansatz ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat diese Vorgehensweise bereits gebilligt (Urteil vom
8. Dezember 2015, L 4 KA 84/14). Daran hält er fest und sieht in den vorliegend vorgetragenen Umständen keinen hinreichenden Grund für ein Abweichen von
diesen Maßstäben. Insbesondere war es nicht geboten, dass sich die Klägerin statt an den Vorjahreszahlen an einer von ihr
selbst durchgeführten Patientenbefragung orientiert. Zu berücksichtigen ist, dass ein direkter immunologischer Zusammenhang
zwischen der sich 2006 aus Asien nach Europa ausbreitenden Vogelgrippe vom Typ H5 N1 und der saisonalen Grippeschutzimpfung
nicht bestand und eine "normale" Grippeschutzimpfung daher keinen Schutz gegen diese Form der Vogelgrippe geboten hätte. Ferner
ist zu berücksichtigen dass es seinerzeit in Europa keine Übertragung des Virus H5 N1 auf Menschen gegeben hat und auch in
Asien und Afrika nur in relativ geringen Fallzahlen, wobei primär Personen mit intensivem Kontakt zu infiziertem Geflügel
betroffen waren (siehe Wikipedia "Vogelgrippe H5 N1" Version vom 16.03.17). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass zur Überzeugung
des Senats bei Vorsorgeleistungen jeglicher Art aus dem auf Nachfrage bekundeten Interesse an einer Leistung kaum auf die
Bereitschaft, diese Leistung zu einem späteren Zeitpunkt auch tatsächlich durchzuführen, geschlossen werden kann. Zutreffend
hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass es Aufgabe von Vertragsärzten ist, ihre Patienten auf die Sinnhaftigkeit und den
erwartbaren Nutzen von Impfungen hinzuweisen. Es wäre daher Aufgabe der Klägerin gewesen, ihre Patienten auf den fehlenden
Zusammenhang zwischen der normalen saisonalen Grippe und der Vogelgrippe H5 N1 hinzuweisen, anstatt einer - wie sie selbst
ausführtpanikartigen Nachfrage nach Schutzimpfungen kritiklos zu begegnen oder diese durch gezielte Abfragen noch zu fördern.
Keinesfalls durfte die Klägerin daher die von ihr geführten Patientenlisten für aussagekräftiger halten als die Heranziehung
der Vorjahresdaten. Auf die von der Klägerin mit Beweisangebot geschilderten Tatsachen kommt es insoweit nicht an. Die Durchführung
der beantragten Zeugenbefragungen war entbehrlich, da nicht entscheidungserheblich.
Unter Berücksichtigung der geschilderten Maßstäbe ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden, insbesondere ist
sie rechnerisch richtig. Ausgehend von 286 Impfdosen in der Vorsaison und einem 15%igen Zuschlag ist aufgerundet die Bestellung
von 330 Impfdosen nicht zu beanstanden. Von den verbleibenden 220 Dosen sind 20 in Abzug zu bringen, die von einem anderen
Arzt tatsächlich verimpft wurden. Für die restlichen 200 Impfdosen durfte der Beklagte einen Schadenersatz in geltend gemachter
Höhe gegenüber der Klägerin festsetzen. Dass sich die Prüfungsstelle zuvor zugunsten der Klägerin um 100 Impfdosen verrechnet
hatte, ist unbeachtlich. Der Beklagte hat seine Entscheidung auch hinreichend begründet. Begründungsdefizite entgegen § 35 Abs.1 SGB X sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG in Verbindung mit §
154 VwGO und folgt der Sachentscheidung.
Die Entscheidung zur Zulassung der Revision beruht auf §
160 Abs.2 Nr.1
SGG. Der Senat berücksichtigt dabei, dass die Frage, ob Impfleistungen zur vertragsärztlichen Versorgung gehören, unterschiedlich
beantwortet wird und das BSG diese Frage mit Urteil vom 25. Januar 2017 im Verfahren B 6 KA 7/16 R im dort entschiedenen Fall ausweislich des zum jetzigen Zeitpunkt nur vorliegenen Terminbericht Nr.2/17 offen gelassen hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs.
1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.