Ermessensausübung; Lohnsummenbescheid; reformatio in peius; Verböserungsverbot; Widerruf eines Verwaltungsaktes
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage
gegen eine weitere Beitragsnachforderung.
Die Antragstellerin betreibt in der Form einer GmbH & Co. KG das Hotel "A____ G________" in H____ mit zahlreichen festangestellten
Arbeitnehmern sowie Aushilfs- und Saisonkräften seit Oktober 2006. Aufgrund einer Anzeige, bezogen auf die Zahlung steuerfreier
Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit (zukünftig: SFN-Zuschläge) ohne Vorliegen der Voraussetzungen einer Steuerfreiheit,
leitete die Staatsanwaltschaft Flensburg 2008 ein Strafverfahren ein. Dazu durchsuchte die Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit
Standort Flensburg des Hauptzollamtes Itzehoe den Hotelbetrieb der Antragstellerin, wobei umfangreiche Personal- und Lohnunterlagen
vorgelegt wurden. Nach dem Vermerk des Hauptzollamtes vom 24. Juni 2010 habe die Auswertung der beschlagnahmten Lohnunterlagen
ergeben, dass in den Arbeitsverträgen vereinbarte Gehälter gekürzt und durch die Erhöhung der SFN-Zuschläge ausgeglichen worden
seien. Im Arbeitsvertrag vereinbarte Gehälter seien durch Zusatzvereinbarungen in Grundgehalt und SFN-Zuschläge aufgesplittet
worden. Die SFN-Zuschläge seien monatlich in gleicher Höhe gezahlt worden, ohne dass spätestens am Jahresende eine Abrechnung
mit Ausgleich von zu viel bzw. zu wenig gezahlten Zuschlägen vorgenommen worden sei. Es gebe keine Einzelaufzeichnungen über
tatsächlich geleistete Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitsstunden, sondern nur die Jahreslisten, in denen festgehalten worden
sei, wie viele SFN-Stunden monatlich geleistet worden seien.
Für die Jahre 2006 bis 2008 forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. August 2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge
in Höhe von 318.823,10 EUR einschließlich Säumniszuschlägen mit der Begründung, dass die Voraussetzungen einer Steuerfreiheit
der SFN-Zuschläge nicht erfüllt seien. Damit gelte auch deren Beitragspflicht. Unter dem 26. Februar 2014 schloss die Antragstellerin
mit dem Finanzamt Flensburg eine "tatsächliche Verständigung" für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2012. Daraufhin
kürzte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. April 2014 die Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis
31. Dezember 2008 auf 64.440,77 EUR einschließlich Säumniszuschlägen und legte dabei als Bemessungsgrundlage die "tatsächliche
Verständigung" vom 26. Februar 2014 zugrunde. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2015 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch
der Antragstellerin zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin am 31. März 2015 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben
(S 6 KR 109/15). Ein Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage blieb ohne Erfolg (Beschluss des Sozialgerichts
Schleswig vom 29. Juni 2015 - S 6 KR 12/15 ER, Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2015 - L 5 KR 153/15 B ER).
Mit Bescheid vom 3. April 2014 forderte die Antragsgegnerin auf der Grundlage der "tatsächlichen Verständigung" vom 26. Februar
2014 für den hier streitigen Zeitraum 2009 bis 2012 Beiträge in Höhe von 63.571,00 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in
Höhe von 18.212,50 EUR in Form eines Summenbescheides nach §
28f Abs.
2 SGB IV. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin half die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. Oktober 2014 ab und
nahm den Bescheid vom 3. April 2014 zurück, weil die Voraussetzungen die Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbeitragsbescheides
nicht vorgelegen hätten.
Nach Beschaffung der Lohnunterlagen für die Jahre 2009 bis 2012 erstellte die Antragsgegnerin nach Anhörung der Antragstellerin
am 15. Oktober 2015 einen weiteren nunmehr personenbezogenen Beitragsbescheid für die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen
in Höhe von 476,082,37 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 166.434,00 EUR. Dabei blieb sie bei ihrer Einschätzung,
dass die pauschal gezahlten SFN-Zuschläge beitragspflichtig seien. Für die Beitragsberechnung sei zudem der tatsächlich ausgezahlte
Lohn der Mitarbeiter von einem Nettolohn auf Bruttolohn hochgerechnet worden. Es gelte die 30jährige Verjährungsfrist, da
die Antragstellerin die Beiträge vorsätzlich vorenthalten habe. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch.
Am 4. November 2015 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Schleswig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den Beitragsbescheid beantragt, weil dieser rechtswidrig sei. Zum einen habe die Antragsgegnerin nicht das Verbot der
reformatio in peius beachtet. Selbst für den Fall, dass dieses Verbot hier nicht uneingeschränkt gelte, wäre der Bescheid
gleichwohl rechtswidrig, weil dann eine Verschlechterung nur nach Maßgabe des § 45 SGB X möglich sei, dessen Voraussetzungen hier jedoch nicht vorlägen. Es fehle nämlich an dem dann erforderlichen Ermessen, also
der Abwägung zwischen Vertrauensschutz des Betroffenen und dem öffentlichem Interesse. Im Übrigen sei die Antragsgegnerin
zur Erhebung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages gar nicht zuständig, da sie nicht in einem Betriebsprüfungsverfahren tätig
geworden sei. Die Vereinbarung der SFN-Zuschläge sei wirksam gewesen und sie seien auch abgerechnet worden, wenngleich teilweise
fehlerhaft. Diese Fehlerhaftigkeit habe der eingeschaltete Steuerberater und nicht die Antragstellerin zu vertreten.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass sie nach §
28f Abs.
2 SGB IV zur Aufhebung des Bescheides vom 3. April 2014 berechtigt gewesen sei. Dieses Widerrufsverfahren sei ein eigenständiges Verwaltungsverfahren,
das als speziellere Regelung das Aufhebungsverfahren nach § 45 SGB X verdränge. Damit verbleibe aber kein Anwendungsbereich für die reformatio in peius. Im Übrigen sei der Beitragsbescheid auch
sonst rechtmäßig, da die SFN-Zuschläge, wie für eine Steuerbefreiung notwendig, nicht jährlich abgerechnet worden seien. Fehler
des Steuerberaters müsse sich die Antragstellerin zurechnen lassen. Im Übrigen handele es sich um verbreitete Nebenleistungen,
deren steuerrechtliche und beitragsrechtliche Veranlagung bekannt seien. Die von der Antragstellerin vorgelegten Dienstpläne
reichten als Abrechnung insoweit nicht aus. Außerdem fehle es an einem Vortrag der Antragstellerin zur unbilligen Härte der
Vollziehung.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2016 hat die Antragsgegnerin die Nachforderungssumme auf 476.513,43 EUR einschließlich Säumniszuschlägen
korrigiert, da sich die Nachforderung für Herrn S____ auf den Zeitraum vom 16. August bis zum 31. Dezember 2012 beziehen müsse.
Auch hiergegen hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 7. März 2016 den Antrag abgelehnt und sich zur Begründung der Auffassung der Antragsgegnerin
hinsichtlich der Beitragspflicht der SFN-Zuschläge angeschlossen, es fehle an der unverzichtbar notwendigen jährlichen Abrechnung.
Auf die Dienstpläne und (teilweise unvollständigen) Aufzeichnungen komme es nicht an. Das Verbot der reformatio in peius greife
nicht, da die Antragstellerin Widerspruch gegen den Summenbescheid vom 3. April 2014 erhoben und damit selbst die Aufrechterhaltung
des Bescheides in Frage gestellt habe. Denn wer einen Bescheid anfechte, müsse grundsätzlich auch die Verschlechterung seiner
Position in Kauf nehmen. Ein entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen aufgrund dieses Bescheides entstehe nicht. Aus vorherigen
unbeanstandeten Betriebsprüfungen nach § 28p
SGB IV könnten nach der Rechtsprechung des BSG keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden. Solche Betriebsprüfungen hätten unmittelbar nur den Zweck, die Beitragsentrichtung
zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie bezweckten insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner
zu schützen oder ihm etwa eine "Entlastung" zu erteilen. Eine unbillige Härte sei nicht erkennbar, da es an näheren Ausführungen
und Darlegungen seitens der Antragstellerin insoweit fehle.
Gegen den ihr am 7. bzw. 9. März 2016 zugestellten Beschluss richtet sich die am 15. März 2016 beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht eingegangene Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie im Wesentlichen ihren bisherigen Vortrag wiederholt
und insbesondere darauf hinweist, dass das Sozialgericht das Verbot der reformatio in peius nicht beachtet habe. Hinsichtlich
der unbilligen Härte sei darauf hinzuweisen, dass nach dem letzten verfügbaren Jahresabschluss betreffend das Geschäftsjahr
1. April 2013 bis 31. März 2014 die Antragstellerin über ein Eigenkapital in Höhe von 200.000,00 EUR verfüge, dem gegenüber
Verbindlichkeiten von Kreditinstituten in Höhe von 287.700,00 EUR stünden. Das verdeutliche, dass die Antragstellerin sicherlich
von keiner Bank einen Kredit in Höhe des eingeforderten Betrages bekäme. Der 5. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts
sei hier nicht zuständig, da nicht die Beitragseinziehung betroffen sei, für die nicht die Antragsgegnerin sondern die Krankenkassen
als Einzugsstellen zuständig seien. Jedenfalls sei die weitere Voraussetzung nach dem Geschäftsverteilungsplan, "sofern es
sich um die Zugehörigkeit zu mehreren Versicherungsträgern zugleich handelt", nicht erfüllt. Versicherte seien einem Versicherungsträger
nicht "zugehörig" und auch sie, die Antragstellerin, sei bei keinem Träger Mitglied. Der Rechtsstreit sei auch in erster Instanz
von einer unzuständigen Kammer entschieden worden.
Die Antragsgegnerin erwidert, auf die unbillige Härte könne als Voraussetzung für die Aussetzungsentscheidung nach der Rechtsprechung
des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts nicht verzichtet werden. Für die behaupteten Beträge seien keine Nachweise
erbracht worden. Hinsichtlich der rechtlichen Einschätzung folge die Antragsgegnerin der des Sozialgerichts, wonach die Voraussetzungen
für die Steuerfreiheit der gezahlten pauschalen SFN-Zuschläge mangels jährlicher Abrechnung nicht vorlägen. Sie, die Antragsgegnerin,
sei zur Aufhebung des ursprünglichen Summenbescheides vom 3. April 2014 nach §
28f Abs.
2 SGB IV berechtigt gewesen.
II.
Der 5. Senat ist für die Entscheidung über die Beschwerde zuständig. Nach Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts ist der 5. Senat ua zuständig für Streitverfahren, welche nur die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung
oder Beitragseinziehung betreffen, sofern es sich um die Zugehörigkeit zu mehreren Versicherungsträgern zugleich oder zur
Künstlersozialkasse handelt. Die Beitragseinziehung ist betroffen, da die angefochtenen Beitragsbescheide Grundlage der Beitragseinziehung
durch die Krankenkassen als Einzugsstellen sind. Und es geht auch um die Zugehörigkeit der Beschäftigten der Antragsgegnerin
zu mehren Versicherungsträgern, da die Beiträge aller Sozialversicherungszweige streitig sind. Diese Formulierung grenzt die
Zuständigkeit des 5. Senats zu der der anderen Fachsenate ab, die zuständig sind, wenn es sich (nur) um die Versicherungspflicht
oder den Beitragseinzug des jeweiligen Fachgebiets handelt. Aus dem gleichen Grund war auch die 6. Kammer des Sozialgerichts
Schleswig zuständig.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Antrag der
Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Bescheide vom 15. November 2015 und
2. Februar 2016 abgelehnt.
Nach dem vom Sozialgericht zutreffend genannten §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG als hier maßgebende Grundlage für den Antrag der Antragstellerin kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise
anordnen. Die Widersprüche der Antragstellerin gegen die Bescheide vom 15. Oktober 2015 und 2. Februar 2016 haben nach § 86a
Abs. 1 Satz 1 keine aufschiebende Wirkung, weil sie nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG entfällt. Die angefochtenen Bescheide enthalten nämlich Entscheidungen über die Beitragspflicht sowie die Anforderung von
Beiträgen.
Nach §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG soll in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige,
nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Zwar richten sich diese Voraussetzungen an
die Herstellung der aufschiebenden Wirkung an die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu
entscheiden hat. Sie finden jedoch nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung auf die gerichtliche Entscheidung entsprechend
Anwendung.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen nach ganz überwiegender Auffassung dann,
wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen
durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer im Anschluss
an das Hauptsacheverfahren wieder gut gemacht werden können.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung hat der Senat erhebliche Bedenken an der
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Abweichend vom Sozialgericht und der Antragsgegnerin ist der Senat nämlich der
Auffassung, dass die Antragsgegnerin nach ihrem Beitragsbescheid vom 3. April 2014 nicht berechtigt war, uneingeschränkt eine
höhere Beitragsforderung der Antragstellerin gegenüber zu erheben, wie dies durch die angefochtenen Bescheide geschehen ist.
Der Auffassung des Sozialgerichts, die Antragstellerin könne sich schon deshalb nicht auf das Verbot der reformatio in peius
berufen, weil sie den Summenbescheid vom 3. April 2014 mit Widerspruch angefochten und damit selbst die Aufrechterhaltung
dieses Bescheides in Frage gestellt habe, verkennt, dass das Verbot der Schlechterstellung des Widerspruchsführers gerade
voraussetzt, dass dieser Widerspruch gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt erhoben hat. Die Anfechtung des Verwaltungsaktes
durch den Betroffenen mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs durchbricht die Bindung der den Bescheid erlassenen Behörde an
den Verwaltungsakt nur insoweit, als der Widerspruchsführer die belastende Regelung angreift. Die in dem Verwaltungsakt getroffene
begünstigende Entscheidung, wozu auch gehört, dass, wie hier, eine Belastung nur in einem gewissen Umfang festgelegt worden
ist, wird mit dem Widerspruch dagegen nicht - erneut - zur Disposition der Verwaltung gestellt. Insoweit bleibt die Verwaltung
an die begünstigende Regelung gebunden (vgl. etwa BSG vom 2. Dezember 1992 - 6 RKa 33/90).
Ob die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG im Rentenrecht vertretene Auffassung allerdings zutreffend ist, dass das Verböserungsverbot im sozialrechtlichen Verwaltungs-
und Widerspruchsverfahren uneingeschränkt gilt, d. h. jegliche Verschlechterung des Betroffenen ausgeschlossen ist, kann der
Senat dahinstehen lassen. Auf jeden Fall kann eine Änderung einer einmal getroffenen Entscheidung nur unter Beachtung der
dafür maßgebenden Verfahrensvorschriften vorgenommen werden (Leitherer in Meyer-Ladewig,
SGG-Kommentar, § 85 Rz 5). Und das ist hier entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin § 45 SGB X, der insoweit von §
28f Abs.
2 Satz 5
SGB IV nicht verdrängt wird.
Allerdings handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine spezielle Verfahrensvorschrift zur Überprüfung von Summenbeitragsbescheiden
im Rahmen des §
28f Abs.
2 SGB IV. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich nach ihrem Wortlaut um eine Regelung über den "Widerruf" eines ergangenen
Bescheides handelt. In der Terminologie der allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Bescheiden in Verfahren der Sozialverwaltung
(§§ 44 ff. SGB X) behandelt der Widerruf die Aufhebung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes. Daraus folgt, dass der Summenbeitragsbescheid
anfänglich rechtmäßig war(so auch Werner in [...] PK-
SGB IV, §
28f Rz. 72). Das folgt auch aus dem weiteren Wortlaut, indem es heißt, dass "nachträglich" Versicherungs- oder Beitragspflicht...
festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Rechtmäßig war der Bescheid vom 3. April 2014 als Summenbescheid
jedoch nicht, wovon auch die Antragsgegnerin nach einem internen Prüfvermerk vom 8. Oktober 2014 und dem Beschluss des Sozialgerichts
Schleswig vom 24. Juli 2014 in dem Verfahren S 23 KR 28/14 ER zurecht ausging, weil die Arbeitnehmer bekannt waren. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, dem prüfenden Träger der Rentenversicherung
die Möglichkeit einzuräumen, bei späterer Vorlage von Aufzeichnungen den Beitragsbescheid zu individualisieren, um so dem
Interesse der betroffenen Arbeitnehmer an einer konkreten Zuordnung der Beiträge zu entsprechen, spricht hier gegen eine Verdrängung
des § 45 SGB X durch den §
28f Abs.
2 Satz 5
SGB IV. Die Vorschrift dient gerade nicht dazu, Vertrauensschutzregelungen wie insbesondere § 45 SGB X zu umgehen.
Im vorliegenden Falle hatte die Antragsgegnerin bei der Zurücknahme bzw Änderung des Bescheides vom 3. April 2014 und der
Festsetzung einer höheren Beitragsforderung § 45 SGB X zu beachten. Zwar regelt § 45 Abs. 1 SGB X die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes, um den es sich hier handelte. Nach dieser Vorschrift
darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet und unanfechtbar geworden ist, aber
nur unter den Voraussetzungen der § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X zurückgenommen werden. Wie bereits die Verwendung des Wortes "darf" in § 45 Abs. 1 SGB X erkennen lässt, handelt es sich bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes um eine Ermessensentscheidung.
Dies ist in der Rechtsprechung nicht zweifelhaft. Soweit es sich bei den hier angefochtenen Bescheiden also um die Rücknahme
bzw. Änderung rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte handelt, hätte die Beklagte demgemäß das Ermessen in der vorgeschriebenen
Weise ausüben müssen. Hieran fehlt es in den angefochtenen Bescheiden. Aus ihrem Vortrag wird vielmehr deutlich, dass sie
davon ausgegangen ist, dass eine höhere Beitragsbelastung jederzeit und ohne weiteres möglich ist. Die Rücknahme rechtswidriger
begünstigender Verwaltungsakte gemäß § 45 Abs. 1 SGB X unterliegt damit bei fehlender Ermessensentscheidung der Aufhebung. Für eine Ermessensreduzierung auf Null fehlt jede Grundlage.
An diesem Ergebnis ändert auch nicht der Umstand etwas, dass der ursprüngliche Beitragsbescheid vom 3. April 2014 mit Bescheid
vom 14. Oktober 2014 zurückgenommen wurde. Denn zum einen kann die Vertrauensregelung des § 45 SGB X nicht dadurch umgangen werden, dass durch einen dazwischen geschalteten Verwaltungsakt der ursprüngliche Bescheid aufgehoben
wird, um dann, uneingeschränkt, eine Neubescheidung vorzunehmen. Zum anderen erfasst der Aufhebungsbescheid vom 14. Oktober
2014 den Bescheid vom 3. April 2014 nur insoweit, als darin eine Belastung der Antragstellerin enthalten ist. Das verdeutlicht
der Umstand, dass mit dem Bescheid dem Widerspruch in vollem Umfange abgeholfen wurde und sich überdies der Bescheid vom 14.
Oktober 2014 nicht auf die Beitragshöhe, sondern die Grundlage der Beitragsbemessung in Form eines Summenbeitragsbescheides
bezog. Vor diesem Hintergrund liegen nach Auffassung des Senats ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Beitragsbescheide vor, die dazu führen, dass die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen diese gemäß § 86b anzuordnen
ist.
Soweit die Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats in dem Beschluss vom 7. Juni 2013 den Antrag auf
Herstellung der aufschiebenden Wirkung deshalb nicht für begründet ansieht, weil die Antragstellerin nicht eine unbillige
Härte bei Vollziehung des Beitragsbescheides glaubhaft gemacht habe, verkennt sie diese Rechtsprechung insoweit, als dort
der Antragsteller nicht einmal im Ansatz glaubhaft gemacht hatte, dass für die dortige Forderung von 1.377,97 EUR ein Härtefall
gegeben war, der den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erforderlich machte. Von einer solchen Geringfügigkeit
der Forderung kann hier bei dem streitigen Betrag von 476.513,43 EUR schon nicht ausgegangen werden. Es liegt auf der Hand,
dass eine Vollstreckung in dieser Höhe bei der Antragstellerin Nachteile entstehen lassen, die über die eigentliche Zahlung
hinausgehen und nicht oder nur schwer im Anschluss an das Hauptsacheverfahren wieder gut gemacht werden können.
Bei der Festsetzung des Streitwertes geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
grundsätzlich wegen seiner Vorläufigkeit der Streitwert auf ein Drittel des Hauptsacheverfahrens festgesetzt ist (476.513,43
EUR x 1/3 = 158.837,81 EUR). Davon ist auch das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgegangen.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).