Anspruch auf Krankengeld im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren; Kein Anordnungsgrund
bei Leistungen für abgeschlossene Zeiträume
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen eines Eilverfahrens die Zahlung von Krankengeld.
Der bei der Antragsgegnerin gesetzlich versicherte 1949 geborene Antragsteller war zuletzt als Lkw-Fahrer tätig. Seine letzte
Beschäftigung endete durch Kündigung des Arbeitgebers zum 19. Oktober 2012, Arbeitsunfähigkeit lag bereits seit 16. Oktober
2012 vor. Grund der Arbeitsunfähigkeit waren Beschwerden an der Wirbelsäule. Der Antragsteller erhielt Krankengeld. Am 21.
Januar 2013 kam die beratende Ärztin des MDK Nord Dr. K__ zu dem Ergebnis, dass ein ausreichendes Leistungsvermögen für leichte
Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werde. Daraufhin beendete die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. Januar
2013 ihre Krankengeldzahlungen am 1. Februar 2013. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Der Internist Dr. T1__
bescheinigte am 1. Februar 2013 als letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit den 8. Februar 2013 und verneinte das Bestehen einer
Arbeitsunfähigkeit und einer Behandlungsbedürftigkeit. Am 8. Februar 2013 bescheinigte Dr. T1__ das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit
ohne Angabe eines Endzeitpunktes. Entsprechend erfolgten die Bescheinigungen durch die Orthopäden Dr. K1__ und R__ am 12.
Februar 2013. Die beratende Ärztin Dr. K__ hielt den Antragsteller weiterhin für leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
für leichte Tätigkeiten.
Am 6. März 2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Itzehoe die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Fortzahlung des
Krankengeldes über den 1. Februar 2013 hinaus und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung hat er
auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner Ärzte hingewiesen. Das Arbeitsamt (gemeint Arbeitsagentur) habe Leistungen
wegen seiner Erkrankung abgelehnt. Das Einkommen seiner Ehefrau reiche nicht aus, um den Bedarf der Familie abzudecken. Ergänzend
hat der Antragsteller seinen Schwerbehindertenausweis (GdB 90, Merkzeichen "G") und die medizinische Begutachtung durch die
Agentur für Arbeit H__ vorgelegt.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund lägen vor.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der Orthopädischen Praxis Dres. K1__ und R__ eingeholt und mit Beschluss vom 29.
April 2013 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Für die
Zeit vor dem 5. März 2013 fehle es am Anordnungsgrund, da die einstweilige Anordnung grundsätzlich den Sinn habe, aktuellen
Notlagen zu begegnen. Für den Zeitraum ab 5. März 2013 sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Insoweit fehle
es an einer lückenlosen Feststellung von Arbeitsunfähigkeitszeiten. Die letzte Bescheinigung zur Feststellung von Arbeitsunfähigkeit
sei die der Gemeinschaftspraxis Dres. K1__/R__ vom 12. Februar 2013. In dieser fehle jedoch, bis zu welchen Zeitpunkt die
Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bestehe und wann der nächste Praxisbesuch anstehe. Weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen/Zahlscheine
lägen trotz entsprechender Ermittlung durch das Gericht nicht vor. Die letzte Bescheinigung der Praxis Dres. K1__/R__ vom
12. Februar 2013 bestätige lediglich die Vorstellung des Antragstellers am 11. Februar 2013 und weise eine noch bestehende
Behandlungsbedürftigkeit aus. Die Bescheinigung treffe jedoch keine Aussage zur voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit
und dem nächsten Praxisbesuch des Antragstellers. Der im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens übersandte Behandlungs- und Befundbericht
vom 15. April 2013 enthalte diesbezüglich nur die Anmerkung "Arbeitsunfähigkeit seit 16. Oktober 2012". Damit liege keine
ausreichende Feststellung zur Arbeitsunfähigkeit über den 12. Februar 2013 hinaus vor. Eine solche sei jedoch unabdingbare
Voraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld. Nachholbar sei eine entsprechende ärztliche Feststellung nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2013 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurückgewiesen. Mit
dem vom MDK festgestellten Leistungsvermögen könne der Antragsteller noch Tätigkeiten als Kraftfahrer ausüben, wie etwa als
Kurierfahrer für Apotheken.
Gegen den ihm am 2. Mai 2013 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Sozialgericht
Itzehoe am 24. Mai 2013. Zur Begründung ergänzt er, nachgewiesen sei die Arbeitsunfähigkeit vom 11. Februar bis 21. Mai 2013
durch die Praxis Dres. K1__/R__. Insoweit legt der Antragsteller eine mit Datum 17. Mai 2013 versehene Korrektur der "Bescheinigung
für Krankengeldzahlung" vom 12. Februar 2013 vor. Die Antragsgegnerin trägt vor, dass eine Arbeitsunfähigkeit für die Zeit
vom 11. Februar bis 21. Mai 2013 nicht ausreiche, um einen Anordnungsanspruch in einen Anordnungsgrund zu begründen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist unbegründet, soweit die Beschwerde sich gegen die Ablehnung
des Erlasses einer einstweiligen Anordnung richtet. Sie ist begründet, soweit das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe
für dieses Verfahren abgelehnt hat.
Die notwendigen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung werden in dem angefochtenen Beschluss zutreffend unter Hinweis
auf die dafür maßgebende Vorschrift des §
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) aufgeführt. Neben dem Anordnungsanspruch, also dem materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, bedarf es danach eines
Anordnungsgrundes, d.h. eines Sachverhalts, aus dem sich die Eilbedürftigkeit der Anordnung ergibt. Diesen vermag der Senat
für das Beschwerdeverfahren nicht zu erkennen.
§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG weist ausdrücklich darauf hin, dass einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Verhältnis nur zulässig sind, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist bei
einem Rechtsstreit, in dem es um einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum geht, in der Regel nicht der
Fall. Darauf weist auch das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung für die Zeit vor dem 5. März 2013 zutreffend hin.
Maßgebend ist dabei für die Bestimmung des Zeitraums regelmäßig der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung; im Beschwerdeverfahren
ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. Juli 2007 - L 10 B 116/07 AS ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2008 - L 25 B 838/07 AS ER -). Soweit dagegen die Auffassung vertreten wird, bei abgelaufenen Zeiträumen sei maßgebend der Zeitpunkt der Antragstellung,
folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Diese Auffassung widerspricht dem Sinn und Zweck und dem Hintergrund der Voraussetzungen
des Anordnungsgrundes, aktuelle wesentliche Nachteile abzuwehren und nicht materielle Ansprüche vor dem Hauptsacheverfahren zu befriedigen. So können durch
die Versagung des Krankengeldes für die Vergangenheit grundsätzlich keine wesentlichen Nachteile mehr entstehen, die sich
durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung noch abwenden ließen; denn der Antragsteller hat für diese Zeit seinen Lebensunterhalt
bereits aus eigenen oder fremden Mitteln gedeckt, so dass er hierfür auf das begehrte Krankengeld nicht mehr angewiesen ist
(vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Januar 2008 - L 9 B 600/07 KR ER -). Besondere Gründe, warum gleichwohl Krankengeld für einen zurückliegenden Zeitraum zu gewähren ist, hat der Antragsteller
nicht vorgetragen, obwohl der Senat mit gerichtlicher Verfügung vom 4. Juni 2013 ausdrücklich auf die Problematik und insbesondere
das Vorliegen einer gegenwärtigen Notlage hingewiesen hat. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen die Ablehnung vorläufigen
Rechtsschutzes unbegründet.
Anders verhält es sich hingegen hinsichtlich der Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das
einstweilige Rechtsschutzverfahren. Nach §
73a Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten einzuschätzen, wenn das
Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für zumindest vertretbar
hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Dabei dürfen die Anforderungen an
die tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten zwar nicht überspannt werden. Es ist zu berücksichtigen, dass Prozesskostenhilfe
den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bietet, sondern lediglich zugänglich machen will.
Dem genügt §
114 Satz 1
ZPO dadurch, dass er die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erst bei sicherer, sondern bereits bei hinreichender Erfolgsaussicht
vorsieht. Deren Feststellung soll mithin nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe
vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet allerdings zugleich, dass Prozesskostenhilfe
verweigert werden darf, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur
eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, 1 BvR 94/88, NJW 1981, 413 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 R - = SozR 3-1500 § 62 Nr. 19). Gemessen an diesen Grundsätzen bestand für den Antrag des Antragstellers zum Zeitpunkt der
sozialgerichtlichen Entscheidung hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Zwar hat das Sozialgericht im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs zutreffend auf die Notwendigkeit einer nahtlosen
ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit hingewiesen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des beschließenden
Senats und folgt der ebenfalls ständigen Rechtsprechung des BSG. Allerdings vermag der Senat dem Sozialgericht insoweit nicht zu folgen, als die letzte ärztliche Bescheinigung zur Feststellung
von Arbeitsunfähigkeit vom 12. Februar 2013 durch die Gemeinschaftspraxis Dres. K1__/ R__ für die Begründung eines zukünftigen
Krankengeldanspruchs zwingend nicht ausreichend ist. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 10. Mai 2012 (B 1 KR 20/11 R) eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als ausreichend angesehen, in der der bescheinigende Arzt einen Zeitpunkt
des Wiedereintritts der Arbeitsunfähigkeit nicht mitgeteilt hat. Gleiches gilt für den Zeitpunkt des nächsten Praxisbesuchs.
Dazu hat das BSG in seinem zweiten Leitsatz ausgeführt, dass eine einzige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf
Krankengeld für mehrere Zeitabschnitte begründen kann und weitere Meldungen der Arbeitsunfähigkeit sich dadurch erübrigen
können.
Hinsichtlich des tatsächlichen Bestehens von Arbeitsunfähigkeit als weitere Voraussetzung des Krankengeldes liegen neben den
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der den Kläger behandelnden Ärzte die Stellungnahme seitens des MDK Nord (dort Dr. K__)
und das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten der Agentur für Arbeit (Dr. T2___) vom 18. März 2013 vor. Dr. T2___ kommt dabei
nach "umfänglicher Untersuchung" zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller in seiner Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt
und ihm deshalb die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Berufskraftfahrer nicht mehr zumutbar sei. Dr. K__ vom MDK Nord kommt
hingegen zu dem Ergebnis (wohl ohne Untersuchung), dass Arbeitsunfähigkeit aus medizinischer Sicht nicht mehr bestehe. Dabei
geht sie allerdings in ihren beiden Stellungnahmen von einer Belastbarkeit für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
aus. Diese Einschätzung berücksichtigt jedoch nicht, dass der Antragsteller bereits während seiner letzten Beschäftigung als
Lkw-Fahrer arbeitsunfähig geworden ist. Endet nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit das Beschäftigungsverhältnis, ändert sich
der Maßstab für die Bestimmung der Arbeitsunfähigkeit insofern, als für deren Beurteilung zwar nicht mehr die konkreten Verhältnisse
am letzten Arbeitsplatz maßgebend sind. Es ist allerdings abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen
(vgl. etwa Meyerhoff in [...] PK §
44 SGB V Rz. 58). Das berücksichtigt nunmehr auch die Antragsgegnerin, indem sie in ihrem Widerspruchsbescheid vom 30. April 2013
auf die eingeschränkte Verweisbarkeit des Antragstellers als Kraftfahrer eingeht. Für die Verweisungstätigkeit als Kurierfahrer
für Apotheken findet sich jedoch keine Grundlage in den Feststellungen des MDK, da dieser, wie oben beschrieben, als Bezugstätigkeit
den allgemeinen Arbeitsmarkt angesehen hat.
Vor diesem Hintergrund kommt der beschließende Senat zu dem Ergebnis, dass während des sozialgerichtlichen Verfahrens hinreichende
Aussicht auf Erfolg im Sinne des §
73a Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
114 ff.
ZPO bestand. Da auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe vorliegen (nach den Angaben
bezieht seine Ehefrau monatliche Nettoeinnahmen von 1.357,00 EUR bei Wohnkosten von 700,00 EUR monatlich), war dem Antragsteller
auf die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts insoweit Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).