Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren
Bemessung des Arbeitsaufwands nach dem Maßstab des jeweils anhängigen Verfahrens
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der anwaltlichen Vergütung. Der Erinnerungsführer war der Klägerin in dem Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde L 6 AS 198/15 NZB vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht im Wege der Prozesskostenhilfe als Prozessbevollmächtigter beigeordnet
worden (Beschluss vom 1. Februar 2016). Die Beschwerde hatte der Erinnerungsführer am 17. Juli 2015 beim LSG eingelegt und
am 2. November 2015 auf zwei Seiten begründet. Ebenfalls mit Beschluss vom 1. Februar 2016 ist die Berufung gegen das Urteil
des Sozialgerichts Kiel vom 30. April. 2015 in dem Verfahren S 36 AS 536/13 zugelassen worden. In diesem Verfahren geht es um die Vollstreckung von Forderungen des beklagten Jobcenter hinsichtlich
des Monats April 2011.
Mit seiner Kostenrechnung vom 4./8. Februar 2016 hat der Erinnerungsführer für das Beschwerdeverfahren beantragt:
Verfahrensgebühr Nr. 3511 VV-RVG
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370,00 EUR
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Post- und Telekommunikationspauschale
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Nr. 7002 VV-RVG
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20,00 EUR
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Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG
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74,10 EUR
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Endbetrag
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464,10 EUR
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Mit Festsetzungsbeschluss vom 23. Februar 2016 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den beantragten Betrag reduziert,
und zwar:
Verfahrensgebühr Nr. 3511 VV-RVG
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185,00 EUR
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Pauschale Nr. 7002 VV-RVG
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20,00 EUR
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Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG
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38,95 EUR
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Gesamtbetrag
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243,95 EUR
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Zur Begründung hat sie ausgeführt, mit einem zweiseitigen Schriftsatz ohne nachfolgendem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten
habe der dokumentierte Zeitaufwand deutlich unter dem gelegen, was in einem sozialgerichtlichen Verfahren anfalle. Gleiches
gelte auch für die Dauer des Verfahrens von knapp sechs Monaten. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit entspreche dem
Durchschnitt ebenso wie die Bedeutung der Angelegenheit, da es sich um einen Leistungsbetrag in Höhe von 79,06 EUR aus der
Vergangenheit (2013) handele. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse lägen deutlich unter dem Durchschnitt. Zusammengefasst
sei die Verfahrensgebühr daher in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr als angemessen festzusetzen.
Gegen den ihm am 26. Februar 2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Erinnerung des Erinnerungsführers, eingegangen beim
Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 1. März 2016. Zur Begründung trägt er vor, maßgebend für die Vergütung sei
die Nr. 3511 VV-RVG und nicht die Nr. 3204 VV-RVG. Auch bei der Nr. 3511 VV-RVG handele es sich um eine Rahmengebühr, auf die § 14 RVG Anwendung finde. In den Fällen, in denen eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3511 VV-RVG entstehe, sei dann Maßstab der Arbeitsaufwand, der durchschnittlich für eine Nichtzulassungsbeschwerde anfalle. Nur dieser
Maßstab vermöge der gesetzlichen Anordnung zu entsprechen, dass die Betragsrahmen für die unterschiedlichen Verfahren unterschiedlich
ausgestaltet seien. Der denkbare alternative Ansatz, hinsichtlich aller Verfahrensgebühren einen einheitlichen Maßstab anzulegen,
der sich aus dem Durchschnitt des Arbeitsaufwandes aus sämtlichen sozialgerichtlichen Verfahren ergebe, nivelliere diese gesetzlich
angeordnete Unterschiedlichkeit der Betragsrahmen und der Gebührenhöhen in unzulässiger Weise. Der Ablauf einer Nichtzulassungsbeschwerde
sei dadurch geprägt, dass die den Rechtsstreit bildenden Sach- und Streitfragen bereits erstinstanzlich umfänglich aufbereitet
worden seien. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sei ausschließlich die Frage nach dem Vorliegen eines Berufungszulassungsgrundes.
Das habe zur Folge, dass sich die anwaltliche Tätigkeit auf das Abfassen einer Beschwerdeschrift beschränke. Eine über den
Austausch mehrerer Schriftsätze zwischen den Beteiligten erfolgende Diskussion finde im Regelfall nicht statt. Aus diesem
Grund entspreche die hier zu beurteilende Tätigkeit durchschnittlichen Anforderungen. Der Kostenprüfungsbeamte irre in seiner
Auffassung, dass ein Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde denselben Inhalt habe, wie ein Berufungsverfahren. Hier
käme die Frage der Berufungszulassungsgründe ergänzend hinzu. Dies rechtfertige den Gebührenrahmen der Nr. 3511 VV-RVG.
Der Kostenprüfungsbeamte beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts trägt vor: Der Gesetzgeber habe für das Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde eine gesonderte Gebührenziffer vorgesehen, so dass bei der Ausfüllung des Rahmens auf die Besonderheiten
eines solchen Beschwerdeverfahrens abzustellen wäre. Diese Vorgehensweise erscheine jedoch problematisch angesichts der in
Nr. 3511 VV-RVG enthaltenen Bestimmung, nach der die Gebühr für das Beschwerdeverfahren auf die Verfahrensgebühr für ein nachfolgendes Berufungsverfahren
anzurechnen sei. Aufgrund des gleichen Gebührenrahmens für Beschwerde- und Berufungsverfahren sollten auch keine unterschiedlichen
Maßstäbe angelegt werden, zumal das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt werde. Ansonsten würde dieselbe
anwaltliche Tätigkeit im Beschwerdeverfahren höher bewertet werden als im Berufungsverfahren. Die Verfahrensgebühr im Beschwerdeverfahren
würde höher ausfallen als die Verfahrensgebühr im Berufungsverfahren. Eine vollumfängliche Anrechnung wäre nicht möglich.
Ob eine derartige Abrechnung der Gebühren vom Gesetzgeber tatsächlich gewünscht sei, erscheine fraglich. Er sei offensichtlich
davon ausgegangen, dass die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren grundsätzlich höher ausfalle als die Verfahrensgebühr
für das Beschwerdeverfahren und die Anrechnung daher in vollem Umfang stattfinde.
II.
Die Entscheidung zur Übertragung der Sache auf den Senat beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 RVG. Danach überträgt der Einzelrichter das Verfahren dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Letzteres ist vorliegend der Fall. Rechtsprechung
zu der Bemessung der Gebühr nach der Nr. 3511 VV-RVG unter Heranziehung des § 14 RVG liegt, soweit ersichtlich, nicht vor. Die Beteiligten streiten um die grundsätzliche Frage, ob Maßstab für die Festlegung
der Gebühr die Besonderheiten des Nichtzulassungsverfahrens sind.
Die Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet, da der Kostenfestsetzungsbeschluss im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Der
Erinnerungsführer hat keinen darüber hinausgehenden Vergütungsanspruch.
Die Verfahrensgebühr der hier entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin anzuwendenden Nr. 3511 VV-RVG ist in sozialgerichtlichen Streitigkeiten eine Rahmengebühr und beträgt 60,00 bis 680,00 EUR. Die Mittelgebühr liegt mithin
bei 370,00 EUR, die auch der Erinnerungsführer in seiner Kostenrechnung zugrunde gelegt hat. Die Verfahrensgebühr deckt das
Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information ab. Setzt man die Kriterien des § 14 RVG ins Verhältnis zur Rahmengebühr, dann ist die Mittelgebühr immer nur dann angebracht, wenn der zeitliche Aufwand und die
Intensität der Arbeit für den Rechtsanwalt einen durchschnittlichen Aufwand erfordert haben und die übrigen Kriterien des
§ 14 RVG entweder für sich oder zusammen dem Durchschnitt entsprechen. Das ist hier nicht der Fall.
Allerdings weist der Erinnerungsführer zutreffend darauf hin, dass Maßstab für die Bemessung des Arbeitsaufwands nicht das
durchschnittliche Berufungsverfahren ist, sondern das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, denn ein für alle Verfahren
genereller Maßstab hätte in der Tat zur Folge, dass die gesetzlich angeordneten unterschiedlichen Betragsrahmen in unzulässiger
Weise nivelliert würden. Überdies hätte eine solche Auffassung für die Nr. 3511 VV-RVG zur Folge, dass, da mündliche Verhandlungen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde generell nicht stattfinden, Ermittlungen
nicht durchgeführt werden und die Verfahren damit auch regelmäßig eher und mit geringerem Aufwand abgeschlossen sind als ein
Berufungsverfahren, die Höchstgebühr grundsätzlich unerreichbar wäre. Der Umstand, dass die Nr. 3511 VV-RVG den identischen Betragsrahmen aufweist wie die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren nach der Nr. 3204 VV-RVG ändert daran nichts. Zum einen kommt im Berufungsverfahren in der überwiegenden Anzahl der Fälle noch die Terminsgebühr nach
Nr. 3205 VV-RVG hinzu und darüber hinaus bestimmt die Nr. 3511 VV-RVG im Anschluss, dass diese Gebühr auf die Verfahrensgebühr für ein nachfolgendes Berufungsverfahren angerechnet wird.
Dieser Umstand der Anrechnung verdeutlicht auch nicht, wie der Kostenprüfungsbeamte meint, dass der Gesetzgeber offensichtlich
davon ausging, dass die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren grundsätzlich höher ausfalle als die Verfahrensgebühr
für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde. Denn der Umstand, dass eine Anrechnung zu erfolgen hat, setzt nicht zwingend
voraus, dass eine Anrechnung in vollem Umfange erfolgt. Entsteht etwa aufgrund eines überdurchschnittlichen Aufwandes im Beschwerdeverfahren
eine höhere Gebühr, als im anschließenden Berufungsverfahren für die Verfahrensgebühr, was allerdings die Ausnahme sein dürfte
s. o.), hätte dies nur eine Teilanrechnung zur Folge, was damit gerechtfertigt ist, dass der Aufwand des Rechtsanwalt für
das Beschwerdeverfahren in einem solchen Fall auch ein höherer ist.
Gleichwohl kommt der Senat zu der Auffassung, dass die Kriterien des § 14 RVG dazu führen, dass eine geringere Gebühr als die Mittelgebühr nach Nr. 3511 VV-RVG festzusetzen ist. Das normale sozialgerichtliche Verfahren im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde läuft so ab, dass der
Beschwerdeführer die Beschwerde einreicht, begründet und im Anschluss daran eine Erwiderung durch den Beschwerdegegner erfolgt.
Letzteres ist hier nicht der Fall und führt damit zu einer Minderung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit, da eine Auseinandersetzung
des Erinnerungsführers mit einer entsprechenden Beschwerdeerwiderung, die nicht notwendig einen weiteren Schriftsatz zur Folge
haben muss, nicht notwendig war. Hinsichtlich der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit gehen die Beteiligten von einem
durchschnittlichen Verfahren aus. Entgegen der Auffassung der Beteiligten sieht der Senat die Angelegenheit für die Beschwerdeführerin
nicht als durchschnittlich, sondern unterdurchschnittlich an. Denn in einer Vielzahl sozialgerichtlicher Verfahren geht es
um Existenzsicherungsleistungen. Gerade solche stellen den Regelfall sozialgerichtlicher Verfahren dar (vgl. Beschluss des
Senats vom 17. Januar 2014 - L 5 SF 8/14 E). Dabei handelt es sich sehr häufig bis regelmäßig um fortlaufende Leistungen. Dies gilt auch für den Bereich des SGB XII und des SGB II. In diesem Zusammenhang ist hier zu berücksichtigen, dass sich der Streitgegenstand lediglich auf die Zahlung eines festen
Betrages bezieht, und zwar 177,94 EUR, und die Feststellung, dass die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin wegen Erstattung
von Leistungen, die ihr für den Monat April 2011 gewährt worden waren, rechtswidrig war. Dieser Umstand begründet eine unter
dem Durchschnitt liegende Bedeutung der Sache für die Beschwerdeführerin. So hat der Senat etwa in seinem Beschluss vom 24.
März 2015 (L 5 SF 40/15 B E) die Bedeutung für den Kläger, dessen Klage auf Zahlung von 223,85 EUR nach dem SGB II bezogen war, als unterdurchschnittlich angesehen. Da auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin
klar unter dem Durchschnitt liegen, mithin drei Elemente der vier Kriterien als unterdurchschnittlich anzusehen sind, ist
die Festsetzung der Gebühr auf die Hälfte der Mittelgebühr angemessen. Damit ist die Kostenfestsetzung ausweislich des Kostenfestsetzungsbeschlusses
vom 23. Februar 2016 im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Dieser Beschluss ist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gebührenfrei.
Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§
177 SGG).