Anspruch auf Übernahme der Kosten für die konduktive mehrfachtherapeutische Förderung - Petö-Therapie - nach dem SGB XII
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Übernahme der Kosten für die konduktive mehrfachtherapeutische
Förderung (Petö-Therapie) nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII), hat.
Der Kläger ist seit seiner Geburt am 21. September 1989 schwerstbehindert. Er leidet an einer angeborenen Cerebralparese mit
einer ausgeprägten Bewegungsstörung und einer psychomotorischen Retardierung sowie erheblicher Sehstörung.
Von frühester Kindheit an hat er eine ganzheitliche Petö-Therapie erhalten. In der Zeit von März 1998 bis zum 31. Dezember
2005 hat die Beklagte die Kosten für die Petö-Therapie übernommen, die von der Therapeutin und Konduktorin R. A.________ durchgeführt
wurde. Dem lagen jeweils ausführliche Berichte von Frau A_____ zugrunde, die die einzelnen Therapieerfolge dokumentierten.
Außerdem lagen Stellungnahmen des Gesundheitsamtes der Beklagten vor, in denen durchgehend die Fortführung der Therapie als
sehr effektiv geschildert und diese dringend befürwortet wurde. In der letzten Stellungnahme vom 2. Februar 2005 stellte Dr.
O________ fest, dass die weitere Fortführung der Fördermaßnahme dringend erforderlich sei. Die konduktive Mehrfachförderung
sei eine geeignete und sinnvolle Maßnahme.
Den mit Schriftsatz vom 29. November 2005 gestellten Antrag auf weitere Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie lehnte
die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2005 ab mit der Begründung, die konduktive Förderung nach Petö sei als medizinische
Behandlung einzustufen. Die Petö-Therapie gehöre nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Da Leistungen
nach dem SGB XII nicht darüber hinausgehen könnten, sei auch nach diesem Gesetz eine Kostenübernahme nicht möglich. Den dagegen
mit Schreiben vom 22. am 28. Dezember 2005 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai
2006 zurück.
Der Kläger hat am 30. Mai 2006 Klage erhoben. Er hat darauf verwiesen, dass Frau A_____ eine anerkannte und erfahrene Konduktorin
sei. Durch die Behandlung habe er erhebliche Fortschritte erzielt und viel gelernt. Die Petö-Therapie habe nicht nur dazu
geführt, dass sich seine motorischen Fähigkeiten verbessert hätten. Auch die sprachlichen und geistigen Fähigkeiten sowie
die soziale Integration und eine gewisse Selbstständigkeit seien dadurch erreicht worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2006 zu
verurteilen, ihm - dem Kläger - für den Zeitraum ab 1. Januar 2006 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die
konduktive Mehrfachförderung im Umfang von zwei Terminen wöchentlich zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat mehrfach vorgetragen, bei der Petö-Therapie handele es sich um eine medizinische Behandlung. Da die Aufnahme der konduktiven
Förderung als verordnungsfähiges Heilmittel in die ambulante Versorgung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht erfolgt
sei, seien die gesetzlichen Krankenkassen zur Kostenübernahme nicht verpflichtet. Die Leistungen der Eingliederungshilfe könnten
darüber jedoch nicht hinausgehen. Die Kosten für die Therapie könnten auch nicht als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft erbracht werden, denn anderenfalls würde die gesetzliche Begrenzung medizinischer Leistungen umgangen. Sollte
eine Abgrenzung zwischen der medizinischen und der sozialen Rehabilitation erfolgen, wäre hierzu ein Gutachten erforderlich.
In einem weiteren Verfahren des Klägers wegen Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie gegen die Deutsche Angestellten-Krankenkasse,
bei der er gesetzlich versichert ist, wurde die Klage mit Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 25. Juni 2010 (S 5 KR 45/07) abgewiesen.
In der mündlichen Verhandlung am 25. August 2010 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, der von der Beklagten
fristgerecht widerrufen worden ist.
Mit Verfügung vom 3. September 2010 hat das Sozialgericht die Beteiligten zur Möglichkeit, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden,
angehört und eine Stellungnahmefrist von vier Wochen eingeräumt.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. November 2010 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. Dezember
2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2006 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis
zum 30. Juni 2008 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die durchgeführte konduktive Mehrfachförderung, begrenzt
auf zwei Termine pro Woche, zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, über den 30.
Juni 2008 bestehe ein solcher Anspruch nicht, denn danach habe der Kläger nicht mehr die Schule besucht. Da die Therapie nur
auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sei, könne sie nur bis zur Beendigung des Schulbesuchs gewährt
werden. Bei der konduktiven Mehrfachförderung nach Petö handele es sich um eine Frühförderung insbesondere schwerstbehinderter
Kinder und Jugendlicher. Sie vermische medizinische und nichtmedizinische Behandlungsmethoden und -ziele. Ziele der Förderung
seien zum einen die Verbesserung der motorischen Grundfähigkeiten und koordinativen Eigenschaften wie Sitzen, Krabbeln, Stehen,
Gehen, Laufen und manuelle Fähigkeiten, aber auch die Förderung der intellektuellen und sozial-emotionalen Fähigkeiten wie
Sprache, Kultur, Technik und psychosoziales Handeln sowie die Förderung des lebenspraktischen Handelns. Es bestehe ein ganzheitlicher
Ansatz, der die mit einer Cerebralparese einhergehende Bewegungsstörung nicht isoliert betrachte, sondern die gesamte Persönlichkeit
mit einbeziehe. Dabei erfolgten die Fördermaßnahmen nicht im Rahmen einer medizinischen Behandlung, sondern durch besonders
ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte (Konduktoren). Zwar habe der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte, Krankenhäuser und
Krankenkassen (§
91 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch -
SGB V -) eine Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht empfohlen, sondern diese Therapie als nicht
verordnungsfähiges Heilmittel eingestuft, dessen therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen sei. Daher sei die Petö-Therapie
vom Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Das führe aber nicht dazu, dass eine Leistungsgewährung
im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ebenfalls ausgeschlossen sei. Bei der Petö-Therapie würden nicht nur verschiedene
therapeutische Einzelbausteine miteinander verknüpft, sondern es würden auch verschiedene Ziele verfolgt. So sei nicht nur
der Basisausgleich der bestehenden Behinderungen, also etwa die bloße Überwindung der motorischen und sprachlichen Defizite,
Ziel der konduktiven Mehrfachförderung, sondern auch die Förderung der Eigenständigkeit der kranken Kinder und Jugendlichen,
die Verbesserung ihrer Kommunikations- und Integrationsmöglichkeiten mit und in der Gesellschaft und die Stärkung ihrer Lernfähigkeit.
Die soziale Rehabilitation orientiere sich sowohl an den Hilfen für eine angemessene Schulbildung nach § 54 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 SGB XII als auch an dem Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach §
55 Abs.
2 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (
SGB IX). Das Gericht habe sich die Überzeugung gebildet, dass die Therapie in dem betreffenden Zeitraum erfolgreich, geeignet und
erforderlich gewesen sei. Daher habe die Beklagte die Kosten vollumfänglich zu übernehmen. Dabei liege es zwar in der Natur
der Sache, dass sich die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen
Rehabilitation überschnitten, die soziale Rehabilitation aber über die medizinische hinausgehen könne. Die Leistungen der
sozialen Rehabilitation seien nicht identisch mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation und könnten nur als Ganzes,
als unteilbare Leistung, erbracht werden.
Der Gerichtsbescheid ist der Beklagten am 18. November 2010 zugestellt worden.
Diese hat am 17. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Sie rügt, dass das Sozialgericht den Anspruch des Klägers nicht auf eine
konkrete Rechtsgrundlage gestützt habe. Dabei sei es für eine Kostenbeteiligung von wesentlicher Bedeutung, ob die Hilfe für
eine angemessene Schulbildung im Vordergrund stehe oder der Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten. Sie - die Beklagte
- vertritt weiter die Meinung, dass es sich bei der Petö-Therapie um eine medizinische Rehabilitation handele, so dass die
Kosten im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht übernommen werden könnten. Da die Therapie aber nicht als verordnungsfähiges
Heilmittel eingeordnet sei, könne weder die Krankenkasse noch der Sozialhilfekostenträger die Kosten übernehmen. Außerdem
sei ein Bezug zur schulischen Ausbildung nicht deutlich gemacht worden. Die Entscheidung des Sozialgerichts habe sich nicht
in dem notwendigen Umfang mit den Zielen und der Zwecksetzung der Petö-Therapie auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt stehe die
Verbesserung der krankheitsbedingten Behinderung. Daher sei auch zu überprüfen, ob die Ziele der Petö-Therapie nicht durch
von der gesetzlichen Krankenkasse anerkannte Therapien erreicht werden könnten. Um das zu ermitteln, sei ein Sachverständigengutachten
erforderlich. Im Übrigen weist sie darauf hin, dass auch in der Neufassung der Heilmittelrichtlinie vom 20. Januar 2011 die
konduktive Förderung nach Petö in der Anlage zu den nicht verordnungsfähigen Heilmitteln aufgeführt sei, dessen therapeutischer
Nutzen nicht nachgewiesen sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 4. November 2010 insoweit aufzuheben, als sie - die Beklagte - unter
Abänderung des Bescheides vom 12. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2006 verurteilt worden ist,
dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2008 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die
durchgeführte konduktive Mehrfachförderung, begrenzt auf zwei Termine pro Woche, zu gewähren,
und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe des angegriffenen Urteils und legt eine erneute Stellungnahme von Frau R. A.________ vor, in
welcher diese im Einzelnen aufführt, dass das konduktive Förderungssystem ein gleichermaßen medizinisch-therapeutisch und
pädagogisch-psychologisch fundiertes didaktisches Konzept zur Unterstützung komplexer, die gesamte Persönlichkeitsentwicklung
betreffender Lernprozesse sei. Durch diese Therapie, die bei dem Kläger seit 1993 angewandt werde, weil die konventionellen
Therapien und heilpädagogischen Förderungen keine wesentlichen Fortschritte erzielt hätten, habe eine wesentliche Verbesserung
des Krankheits- und Persönlichkeitsbildes des Klägers erreicht werden können.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und Beiakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
In dem angegriffenen Gerichtsbescheid hat das Sozialgericht Schleswig zutreffend und umfangreich ausgeführt, dass der Kläger
einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie in dem Zeitraum von Januar 2006 bis Juni 2008 hat. Zwecks Vermeidung
von Wiederholungen wird insoweit auf die Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheides gemäß §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Bezug genommen.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist zu ergänzen:
Das Sozialgericht hat in dem angegriffenen Gerichtsbescheid auch deutlich gemacht, dass Rechtsgrundlage für die Übernahme
der Kosten für die Petö-Therapie § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung (EingliederungsHVO) ist. Nach diesen Vorschriften sind Leistungen der Eingliederungshilfe die Hilfen zu einer angemessenen
Schulbildung und bestehen in heilpädagogischen sowie sonstigen Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder
und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der
allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dabei gehören zu den methodischen Elementen heilpädagogischen
Handelns u. a. die Wahrnehmungsförderung, basalpädagogische Aktivierung, Spielförderung, heilpädagogische Übungsbehandlung,
Verhaltensmodifikation, Psychomotorik, Rhythmik, Werken, Gestalten, Musizieren, Sprach- und Kommunikationsförderung. Als "sonstige
Maßnahmen" kommen alle Maßnahmen in Betracht, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet
und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern. Bei der Beurteilung der Eignung der heilpädagogischen
Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 12 Nr. 1 EingliederungsHVO besteht dabei keine Bindung
an den Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnisse. Die Möglichkeit einer Förderung knüpft an die
Aussicht auf Erfolg an und bedingt einen auf die einzelne Person zugeschnittenen individuellen Prüfungsmaßstab (vgl. Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2010 - L 7 SO 6090/08 -, recherchiert bei juris, Rn. 30 m.w.N.). Dabei können wegen
des Nachrangs der Sozialhilfe allerdings keine Maßnahmen gefördert werden, die originäre Aufgaben der Schulen sind. Eine Kostenübernahme
für Maßnahmen, die zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit gehören, kann daher nicht erfolgen. Für Hilfen außerhalb des Kernbereichs
der pädagogischen Arbeit kann dagegen - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt - ein
ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2010, aaO., Rn.
34).
Wie aus den Berichten der Konduktorin R. A.________ und auch aus ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung hervorgeht,
dient die Petö-Therapie auch dazu, den Kläger überhaupt in die Lage zu versetzen, die Schule zu besuchen, dort den Lehrstoff
aufzunehmen und zu verarbeiten. So ergibt sich zum Beispiel aus dem Entwicklungsbericht vom 27. November 2001, dass die Therapie
der Aufrechterhaltung der Lernbereitschaft und der Stabilisierung der Persönlichkeit dient. Der Kläger habe gelernt, bei den
Übungen zur Schreibvorbereitung senkrechte Striche und Schwünge zu malen. Die Bedeutung von Symbolen sei ihm klar. Bei unbekannten
Begriffen sei die Zuordnung noch fehlerhaft. Die inhaltsangemessene Intonation seiner Sprache habe sich weiter verbessert,
ebenso sein Wortschatz und Satzbau. Er formuliere längere und auch Nebensätze, benutze Möglichkeits-, Vergleichs- sowie Steigerungsformen
annähernd sicher. Sein Identitätsbewusstsein habe sich stabilisiert und er wisse, dass andere Menschen andere Sichtweisen,
Probleme und Empfindungen hätten, und beginne, sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen. Die Förderung diene der
Benutzung und dem Ausbau von motorischen, kognitiven und psychosozialen Ressourcen. Daraus folgt, dass der Kläger durch die
jahrelange Petö-Therapie mit sehr kleinschrittigen Erfolgen allmählich daran herangeführt wurde, dass ein Schulbesuch einen
gewissen Lerneffekt für ihn erreichen kann. Die Therapie versetzt ihn in die Lage, das Geschehen in der Schule wahrzunehmen
und damit das dort Vorgetragene aufzunehmen und verarbeiten zu können. Dies stellt eine Hilfe zu einem angemessenen Schulbesuch
und zu einer angemessenen Schulbildung dar, die über den Kernbereich der schulischen Pädagogik hinausgeht und dem Kläger unter
Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten erst den Schulbesuch und einen gewissen Lerneffekt ermöglicht.
Inwieweit daneben auch § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit §
55 Abs.
1, Abs.
2 Nr.
7 SGB IX als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, kann hier dahinstehen, denn in dem angegriffenen Gerichtsbescheid ist die Förderungsdauer
auf die Zeit des Schulbesuchs begrenzt, so dass es für diesen Zeitraum auf diese Rechtsgrundlage nicht ankommt. Allerdings
weist der Senat darauf hin, dass nach seiner Auffassung nichts dagegen spricht, diese Rechtsgrundlage auch für die Fortführung
der Petö-Therapie heranzuziehen, um einem schwerstbehinderten Menschen die Teilhalbe am gemeinschaftlichen und kulturellen
Leben zu vereinfachen.
Der Beklagten ist nicht darin zu folgen, die Petö-Therapie sei als eine medizinische Behandlung zu qualifizieren. Da sie als
Heilmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden dürfe, sei eine Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe
ausgeschlossen. Zwar ist zutreffend, dass die Förderung nach Petö in der Neufassung der Heilmittelrichtlinie vom 20. Januar
2011 erneut als nicht verordnungsfähiges Hilfsmittel eingestuft ist, weil der therapeutische Nutzen nicht nachgewiesen sei.
Die Krankenkassen können daher die Kosten im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nicht übernehmen. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz
2 SGB XII darf der Sozialhilfeträger Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben jeweils
nur im Rahmen der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung gewähren. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gilt
das aber nur für die medizinische Rehabilitation und die Teilhabe am Arbeitsleben, nicht für die soziale Rehabilitation.
Hilfsmittel bzw. Maßnahmen können sowohl der medizinischen Rehabilitation als auch der sozialen Rehabilitation dienen. Maßgebend
ist dabei, welche Bedürfnisse Hilfsmittel bzw. Maßnahmen befriedigen sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel
bzw. eine Maßnahme dienen soll. Zu den Hilfsmitteln hat das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt (Urteil vom 19. Mai 2009
- B 8 SO 32/07 R), dass "andere" Hilfsmittel im Sinne von §
55 Abs.
2 Nr.
1 SGB IX über die Aufgabenbestimmung nach §
31 SGB IX hinaus der gesamten Alltagsbewältigung dienten. Sie hätten die Aufgabe, den Behinderten den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht
nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch
insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern. Ihre Zweckbestimmung überschneide sich dabei
zwangsläufig mit der des Hilfsmittels im Sinne von §
31 SGB IX (BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 32/07 R, recherchiert bei juris, Rn. 17). Überschnitten sich medizinische und soziale
Rehabilitation, sei eine Leistung nicht in der Weise teilbar, dass gegebenenfalls nur Teile der Kosten im Rahmen der sozialen
Rehabilitation übernommen werden könnten. Es liege in der Natur der Sache, dass sich die Aufgaben der Hilfsmittel in der gesetzlichen
Krankenversicherung bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation überschnitten, die soziale Rehabilitation
aber über die medizinische Rehabilitation hinausgehen könne. Leistungen der sozialen Rehabilitation seien dann nicht identisch
mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation und könnten auch nur als Ganzes, als unteilbare Leistung, erbracht werden
(BSG, Urteil vom 19. Mai 2005, aaO., Rn. 23). Es spricht nichts dagegen, diese Ausführungen des BSG auch auf Eingliederungshilfemaßnahmen
bzw. auf die Petö-Therapie zu erstrecken. Dem folgend hat das BSG (Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 19/08 R, recherchiert
bei juris, Rn. 21) ebenfalls entschieden, dass Zwecksetzung der Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft mit der
Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch sei und insbesondere die Leistungen nach
§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII der Erleichterung des Schulbesuchs dienen könne und somit über die Zwecke der gesetzlichen
Krankenversicherung hinausgehende Ziele verfolge. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 EingliederungsHVO
liege dabei ein stärker individualisiertes Förderverständnis zugrunde. Dieser individualisierende Ansatz zeige sich auch in
§
9 Abs.
2 Satz 1 SGB XII und §
9 Abs.
1 SGB IX, die es ermöglichten, den Wünschen der Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen. Daher stelle das SGB XII bei den Leistungen
zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Besonderheit des Einzelfalls in den Vordergrund. Jedenfalls könne nicht darauf
verwiesen werden, dass die Petö-Therapie generell ungeeignet sei, die Schulfähigkeit eines an Cerebralparese leidenden Kindes
zu verbessern (BSG, Urteil v. 29. September 2010, aaO., Rn. 22).
Ziel und Zweck der Petö-Therapie war nach den Stellungnahmen des Gesundheitsamtes der Beklagten und den Entwicklungsberichten
von Frau A_____ die ganzheitliche Förderung des Klägers, um diesem den Schulbesuch zu ermöglichen und während des Schulbesuchs
Lernerfolge ermöglichen zu können. Daher ist unerheblich, inwieweit diese Therapie auch medizinisch zu einer Verbesserung
des Gesundheitsbildes des Klägers beigetragen haben mag. Angesichts dieser Berichte und Stellungnahmen steht zur Überzeugung
des Senats fest, dass die Petö-Therapie im Fall des Klägers prognostisch zur Verbesserung der Beschulungsfähigkeit geeignet
war und ihm den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht jedenfalls erleichtert hat. Auch wenn durch diese Therapie
medizinische Erfolge erzielt worden sein sollten, steht dies der vollständigen Kostenübernahme durch die Beklagte nicht entgegen
(vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Februar 2011 - L 9 SO 11/08). Gerade bei der ganzheitlichen
Förderung durch Petö, bei der im Einzelnen schwer abgrenzbar ist, inwieweit die Therapie zu einer medizinischen oder anderweitigen
darüber hinausgehenden Verbesserung der Situation einer behinderten Person führt, kommt es auf eine derartige Abgrenzung nicht
an.
Wegen der Unteilbarkeit der Leistungen zur sozialen Rehabilitation ist daher auch kein Sachverständigengutachten einzuholen.
Ein solches ist ebenso wenig erforderlich zur Feststellung, ob andere Therapien denselben Erfolg bei dem Kläger erreicht hätten.
Solche Therapien hätte die Beklagte bei Einstellung der Kostenübernahme für die Petö-Therapie anbieten müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.