Überprüfung von Feststellungen nach dem AAÜG für die Vergangenheit
Anwendung des § 44 SGB X und nicht des § 48 SGB X
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob den Berufungsbeklagten, Töchter und Rechtsnachfolgerinnen des verstorbenen R. H.
(im Folgenden: Versicherter) eine Nachzahlung der Regelaltersrente vom 1. Januar 1996 bis 31. März 2003 zusteht.
Der 1925 geborene und am 9. Oktober 2011 verstorbene Versicherte arbeitete seit Juli 1950 in verschiedenen Tätigkeiten. Nach
einer Bescheinigung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik Amt für Technik von 28. August 1958 war er seit 1.
März 1956 Inhaber einer zusätzlichen Altersversorgung. Im Juni 1971 bestand er an der Fachschule für Ökonomie P. die staatliche
Prüfung als Ingenieurökonom. Zuletzt arbeitete er bis Juli 1990 im VEB Forschung und Rationalisierung L. bzw. in der I. und
C. GmbH. Mit Bescheid vom 18. Mai 1990 bewilligte ihm der FDGB - Verwaltung Sozialversicherung - ab 1. August 1990 eine monatliche
Altersrente in Höhe von 510,00 Mark sowie eine Zusatzaltersrente aus der Freiwilligen Zusatzversicherung (FZR) in Höhe von
273,00 Mark. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1991 wertete der Rechtsvorgänger der Beklagten, die Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte, die Rente ab 1. Januar 1992 um und passte sie dem neuen Rentenrecht an.
Den Antrag des Versicherten vom November 2000 auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr.
1 der Anlage zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) lehnte der Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme mit Bescheid vom 20. November 2000 ab. Mit Bescheid vom 23.
Oktober 2001 stellte er fest, dass Zeiten der Beschäftigung vorhanden und nach dem AAÜG festzustellen seien. Auf den Widerspruch stellte der Zusatzversorgungsträger mit Bescheid vom 5. Februar 2003 die Zeiten
vom 15. September 1956 bis 31. Dezember 1957 und vom 1. Juli 1971 bis 31. Dezember 1983 als Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung
der technischen Intelligenz fest und wies im Übrigen den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2003 zurück. Die
beim Sozialgericht Leipzig erhobene Klage (S 3 RA 624/03 ZV) nahm der Versicherte zurück.
Mit Feststellungsbescheid vom 12. Oktober 2005 stellte der Zusatzversorgungsträger weitere Zeiten nach dem AAÜG fest.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2005 stellte die Beklagte die Regelaltersrente des Versicherten ab 1. April 2003 neu fest; dies
erfolge vom Beginn des Monats, der dem Monat des Eintritts der Bestandskraft des Feststellungsbescheids des Versorgungsträgers
folge. Mit seinem Widerspruch begehrte der Versicherte, die Nachzahlung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab dem Zeitpunkt der Antragstellung der Zeiten der Zusatzversorgung. Mit Bescheid vom 4. April 2006 stellte die Beklagte
die Rente ab 1. Dezember 2005 neu fest. Unter dem 12. und 20. Juli und 5. September 2006 erkannte der Zusatzversorgungsträger
weitere Zeiten an. Unter dem 6. und 12. September 2006 erließ die Beklagte Feststellungen zur Begrenzung des Arbeitsentgelts
in anerkannten Zeiten und stellte mit Bescheid vom 19. Dezember 2006 die Rente ab 1. September 2006 neu fest. Den Widerspruch
des Versicherten gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2005 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2007 zurück.
Einschlägig sei nicht § 44 SGB X, sondern § 48 SGB X. Eine wesentliche Änderung trete erst dann ein, wenn der Versorgungsträger über alle Datenfeststellungen unanfechtbar entschieden
habe.
Auf die Klageerhebung hat das Sozialgericht Nordhausen die Beklagte mit Urteil vom 7. September 2010 unter Aufhebung des Bescheids
vom 8. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. September 2007 verurteilt, die Regelaltersrente des Versicherten
neu festzusetzen. Einschlägige Vorschrift sei § 44 Abs. 1 SGB X, denn der Umwertungsbescheid vom 2. Dezember 1991 sei infolge der Nichtanwendung des AAÜG rechtwidrig gewesen. Durch die Zuerkennung der zusätzlichen Altersversorgung seit 1956 sei der Anwendungsbereich des AAÜG eröffnet. § 48 SGB X sei mangels wesentlicher Änderung der Verhältnisse nicht einschlägig, denn die Bescheinigung über die Zusatzversorgung habe
von Anfang an vorgelegen. Der Rechtswidrigkeit stehe die Umwertung im maschinellen Verfahren nicht entgegen, zudem sei dieser
Bescheid nur unter Widerrufsvorbehalt ergangen. Abzustellen sei für die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X auf den Antrag vom November 2000, zu dem alle Unterlagen vorlagen. Jedenfalls dürfe unter Berücksichtigung der eingereichten
Bescheinigung eine Beratungspflicht hinsichtlich eines Antrags auf Neufeststellung der Altersrente bestanden haben. Die Vier-Jahres-Frist
ende am 1. Januar 1996.
Gegen das am 28. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. November 2010 Berufung eingelegt. Nach ihrer Ansicht
kommt angesichts der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 29. Oktober 2002 - B 4 RA 55/01, B 4 RA 19/02 R, B 4 RA 27/02 R) die Anwendung des § 44 SGB X nicht in Betracht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 7. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Berufungsbeklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht übersieht die Beklagte, dass das BSG in den zitierten Fällen von der Rechtmäßigkeit des Umwertungsbescheids ausgehen durfte. Hier sei der Bescheid dagegen von
Anfang an rechtswidrig gewesen. Damit sei der Anwendungsbereich der §§ 44, 45 SGB X eröffnet.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Den Berufungsbeklagten stehen als Töchter und Erben des verstorbenen Versicherten mangels Sonderrechtsnachfolger die von der
Beklagten zu leistenden fälligen Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach §
58 Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB) zu. Dieser hat einen Anspruch auf Sozialleistungen gegen die Beklagte ab 1. Januar 1996.
Einschlägige Vorschrift ist § 44 Abs. 4 SGB X. Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu unrecht nicht erbracht worden sind (Absatz 1 S.
1); ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften
der besonderen Teile des Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (Absatz 4
S. 1), dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen
wird (Absatz 4 S. 2). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen
zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (Absatz 4 S. 3).
Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt tatsächlich ein Fall des § 44 SGB X und nicht des § 48 SGB X vor, denn der Bescheid vom 8. Dezember 2005 war bei seinem Erlass rechtswidrig. Gleiches gilt für den Umwertungsbescheid
vom 2. Dezember 1991. Insofern war der Rentenbescheid des Versicherten nach § 44 Abs. 4 SGB X für einen Zeitraum von vier Jahren seit Antragstellung zurückzunehmen. Die Beklagte kann sich nicht auf die von ihr zitierten
Urteile des BSG berufen; sie sind nicht einschlägig.
Der Versicherte unterfiel dem persönlichen Anwendungsbereich des §
307b des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI). Ein Versorgungsanspruch bestand bereits am 31. Dezember 1991, weil er einen nach Art. 19 des Einigungsvertrages (EinigVtr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle erhalten und damit ein (Stamm-)Recht auf Versorgung
hatte (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 4 RA 42/04 R, nach juris). Dies ist durch die Bescheinigung des Amts für Technik vom 28. August 1958 belegt und wird von der Beklagten
auch nicht bestritten. Nach § 2 Abs. 2 AAÜG erfolgte die Überführung der Versorgungsansprüche zum 31. Dezember 1991 und die ab 1. August 1991 gezahlte Rente war nach
§
307b Abs.
1 SGB VI neu zu berechnen. Dies ist nicht erfolgt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten haben die Regelungen des AAÜG keine Relevanz für den hier allein wesentlichen Erwerb des Rechts des Versicherten auf Versorgungsrente (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 4 RA 42/04 R, nach juris; Senatsurteil vom 23. Februar 2004 - L 6 RA 248/02). Mit seinen Feststellungsbescheiden nach § 8 Abs. 3 S. 1 S. 1 AAÜG nahm der Versorgungsträger zwar seine Befugnis wahr, bestimmte nach den §§ 5 bis 8 AAÜG im Rentenrecht erhebliche Tatsachen vorab festzustellen, die einen spezifischen Bezug zum früheren Versorgungsrecht haben;
an sie ist die Beklagte als Rentenversicherungsträger gebunden und hat dann nach § 48 SGB X seine Bescheide wegen einer wesentlichen Änderung aufheben (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 2004 - B 4 RA 39/03 R, nach juris). Darauf kam es hier aber nicht an, denn die Festsetzungen haben mit der Kraft Gesetzes (§ 2 AAÜG) zum 31. Dezember 1991 erfolgten Überführung von Versorgungsanwartschaften in Rechte auf Renten nichts zu tun (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - B 4 RA 27/02 R m.w.N., nach juris). Damit ist § 48 SGB X nicht einschlägig.
Der Senat stimmt der Vorinstanz auch insoweit zu, als hinsichtlich des Vier-Jahres-Zeitraums auf den Antrag an den Zusatzversorgungsträger
vom November 2000 abzustellen ist. Insoweit verweist er nach §
153 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auf die Ausführungen der Vorinstanz.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.