Tatbestand:
Die am 23. April 1979 geborene Klägerin beantragte erstmals am 3. Februar 2006 für sich und Herrn M. R. Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten. Im Antrag gab sie an, dass sie seit dem 1. Dezember 2004 in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Herrn
R. lebt. Der beigefügte Mietvertrag wies sowohl die Klägerin als auch Herrn R. als Mieter der Wohnung in der M. 33 in G. aus.
Dem Erstantrag beigefügt waren die Lohndaten der Klägerin und des Herrn R. sowie Angaben zum Vermögen der beiden.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2006 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin, bestehend aus ihr und Herrn R.,
Leistungen für 1. Mai bis 31. Juli 2006 in Höhe von 117,81 EUR monatlich.
Für den Zeitraum 1.-31. Juli 2006 bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 13. Mai 2006 der Bedarfsgemeinschaft der
Klägerin Leistungen in Höhe von 143,81 EUR. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 29. Mai 2006 wurden Leistungen für den
Zeitraum 1. Mai bis 30. Juni 2006 in Höhe von 180,75 EUR monatlich und für den Zeitraum 1.-31. Juli 2006 in Höhe von 206,75
EUR bewilligt.
Am 1. Juni 2006 erhob die Klägerin Widerspruch gegen die Bescheide. Am 4. August 2006 ging eine Veränderungsmitteilung der
Klägerin ein, in der sie mitteilte, dass ihr "Lebensgefährte" M. R. sei und sie ab 24. Juli 2006 eine Tätigkeit im Kaufland
in G. aufnehme. Am 23. November 2006 erneuerte die Klägerin ihren Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2006
wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Klägerin erhob gegen den Widerspruchsbescheid am 19. Dezember 2006 Klage beim Sozialgericht in Gotha.
Mit Änderungsbescheid vom 12. Januar 2007 wurden der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin nachfolgende Leistungen bewilligt: 05/06
iHv 180,74 EUR, 06/06 iHv 160,00 EUR, 07/06 iHv 206,74 EUR. Am 18. Februar 2008 erließ der Beklagte einen weiteren zurückweisenden
Widerspruchsbescheid den Widerspruch vom 1. Juni 2006 gegen den Bescheid vom 10. Mai 2006 in der Fassung der Änderungsbescheide
vom 29. Mai 2006 und vom 12. Januar 2007 betreffend.
Das Sozialgericht Gotha hat den Zeugen R. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2008 vernommen. Mit Urteil
vom gleichen Tag hat das Gericht den Bescheid vom 10. (gemeint: 12.) Mai 2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29.
Mai 2006 und vom 12. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2006 in der Fassung vom 18. Februar
2008 abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin im Zeitraum 1. April 2006 bis 31. Juli 2006 "höhere Leistungen
unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer zu bewilligen"; die Einkünfte des Zeugen R. seien nach Maßgabe der Rechtsauffassung
der Kammer zu berücksichtigen.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass eine Einstehensgemeinschaft der Klägerin mit dem Zeugen R. bestanden habe. Allerdings
seien die Einkünfte des Zeugen um die Absetzbeträge nach § 11 SGB II zu bereinigen und die sich hiernach ergebenden Beträge seien nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag
in Höhe des doppelten Satzes der Regelleistung zuzüglich der anteiligen Kosten der Unterkunft und 50 % der diesen Freibetrag
übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 3. April 2008 zugestellte Urteil am 16. April 2008 Berufung eingelegt. Er vertritt die Auffassung,
dass die vom Gericht vorgenommene Einkommensberechnung des Zeugen R. als Lebensgefährten der Klägerin im Urteil fehlerhaft
sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. Februar 2008 soweit die Einkommensberechnung entschieden wurde aufzuheben und
die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angegriffene Entscheidung für rechtmäßig.
Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2011 hat der Beklagte ein Anerkenntnis abgegeben, in dem er einen Leistungsanspruch für Mai
und Juni 2006 in Höhe von monatlich 92,03 EUR und für Juli 2006 in Höhe von 104,80 EUR anerkennt. Der sich hieraus insgesamt
ergebende Nachzahlungsanspruch der Klägerin beträgt 4,73 EUR. Die Klägerin hat das Anerkenntnis des Beklagten nicht angenommen.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die vom
Gericht beigezogene Akte des Sozialgerichts Gotha Az. S 37 AS 4440/06 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist in dem im Urteilsausspruch genannten Umfang begründet.
Die Berufung ist statthaft. Der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 750,- EUR gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtgesetz (
SGG) in seiner ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung wird aufgrund der Höhe der im Streit befindlichen zu bewilligenden Leistungen
überschritten.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist überwiegend begründet. Weil die Klägerin das vom Beklagten erklärte Teilanerkenntnis
nicht angenommen hat, war der Beklagte nach dem über §
202 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entsprechend anwendbaren §
307 Abs.
1 Zivilprozessordnung in diesem Umfang zu verurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 1988 - 4/11a RA 16/87 -) und das Urteil des Sozialgerichts entsprechend abzuändern.
Das Sozialgericht hat der Klage rechtsfehlerhaft teilweise stattgegeben. Ein Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Leistungen
in der vom Sozialgericht dargelegten Höhe besteht nicht. Der Senat folgt dem erstinstanzlichen Urteil allerdings insoweit,
als dass zu seiner Überzeugung feststeht, dass zwischen der Klägerin und Herrn R. im streitgegenständlichen Zeitraum eine
Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft bestand und daher im Rahmen vorliegend eine Bedarfsgemeinschaft der beiden Personen
angenommen werden muss.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12. Mai 2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29. Mai 2006 und 12.
Januar 2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 5. Dezember 2006 und 18. Februar 2008 sowie unter Berücksichtigung des
Anerkenntnisses vom 25. Oktober 2011.
Nach § 19 SGB II erhält der erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen
Kosten der Unterkunft und Heizung, allerdings ist zu beachten, dass das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen den Leistungsanspruch
mindert.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des SGB II. Sie ist hilfebedürftig. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist Voraussetzung der Leistungsberechtigung von erwerbsfähigen Personen deren Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer
seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht
ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2) aus dem zu berücksichtigenden
Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen erhält, § 9 Abs. 1 SGB II. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ist auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen,
§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört im vorliegenden Fall der Zeuge Reimann, da er mit der Klägerin in einer eheähnlichen Gemeinschaft
lebt, § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II (in der anzuwendenden Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes). Die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II ist nicht anwendbar, da sie erst mit Wirkung vom 1. August 2006 durch das Fortentwicklungsgesetz vom 20. Juli 2006 (BGBl.
I S. 1706) eingeführt wurde.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine
weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen
der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen
(BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87). Die Partner der Gemeinschaft müssen sich so verantwortlich füreinander fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt
sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, d.h. sie müssen nicht
getrennt lebenden Ehegatten vergleichbar sein (LSG BaWü, Urteil vom 23. Juli 2009, Az.: L 7 AS 3135/07, nach juris). Von Bedeutung zur Ermittlung der Indizien, die für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft sprechen sind hierbei,
lange Dauer und Intensität des Zusammenlebens, gemeinsame Wohnung, bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, gemeinsame
Versorgung von Kindern im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen zu verfügen
(BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007, Az.: B 11b AS 37/06 B; BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, Az.: B 14 AS 23/07 R, nach juris). Die eheähnliche Gemeinschaft ist dann gegeben, wenn aufgrund der engen Bindungen der Partner erwartet werden
kann, dass ein gegenseitiges Einstehen in den Not-/und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann und eine Bereitschaft
zu gegenseitiger Unterhaltsleistung besteht.
Im vorliegenden Fall liegt, wie vom erstinstanzlichen Gericht zutreffend festgestellt, eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen
der Klägerin und dem Zeugin R. im streitgegenständlichen Zeitraum vor, so dass der Zeuge in die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin
mit einzubeziehen war. Dies bedeutet, dass das Einkommen und das Vermögen des Zeugen zu berücksichtigen sind. Aus den von
dem Zeugen R. vorgelegten Einkommensunterlagen und den Berechnungen des Beklagten ergeben sich daher folgende Berechnungen:
Der Bedarf der Klägerin betrug im Zeitraum 1. April bis 30. Juni 2006 507,63 EUR monatlich. Dieser setzt sich wie folgt zusammen:
Regelleistung, § 20 Abs. 2 u. 3 SGB II i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes v. 24.12.2003, BGBl. I Seite 2954 iHv 298,- EUR anerkannte Kosten der Unterkunft u. Heizung iHv 209,63 EUR (215,- EUR abzgl. WW iHv 5,37 EUR).
Im Juli 2006 betrug der Bedarf der Klägerin 520,40 EUR. Regelleistung, § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BGBl. I Seite 558 iHv 311,- EUR anerkannte Kosten der Unterkunft u. Heizung iHv 209,40
EUR (215,- EUR abzgl. WW iHv 5,60 EUR).
Diesem Bedarf war anteilig der zu berücksichtigende Anteil der Klägerin an ihrem Einkommen und am Einkommen des Zeugen R.
gegenüber zu stellen.
Das Einkommen der Klägerin betrug: 04/06 iHv 435,91 EUR 05-07/06 iHv 0,00 EUR.
Der Zeuge verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum über ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1985,429 EUR aus seiner
Tätigkeit als Heimerzieher. Das anrechenbare Einkommen betrug daher 831,21 EUR. Der bei der Klägerin zu berücksichtigende
Anteil betrug 415,60 EUR.
Die der Klägerin zu bewilligenden Leistungen beliefen sich nach Berücksichtigung des auf ihre Person entfallenden Anteils
am Einkommen des Zeugen R. auf: 04/06 iHv 0,00 EUR 05-06/06 iHv 92,03 EUR 07/06 iHv 104,80 EUR.
Die Anrechnung des Einkommens des Partners erfolgt auf der Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB II. Hieraus ergibt sich, dass das Einkommen in vollem Umfang zu berücksichtigen ist, da andernfalls die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II keinen Sinn ergibt (Sächs. LSG, Urteil v. 7. September 2006, Az.: L 3 AS 11/06; BSG, Urteil v. 19. September 2008 - B 14/7b AS 10/07, nach juris). Der Gesetzgeber knüpft bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nicht
an die bürgerlich-rechtliche Unterhaltsverpflichtung zwischen Ehegatten an, sondern begründet für Leistungen nach dem SGB II eine eigenständige, davon zu unterscheidende, öffentlich-rechtliche Bedarfsdeckungs- und Leistungserwartung zwischen den
Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (ebenda). Bei bestehenden eheähnlichen Gemeinschaften wie hier ist das Einkommen des Partners
unter Abzug der gesetzlich eingeräumten Freibeträge in voller Höhe als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft anzusehen. Ein weiterer
Freibetrag/Abzug, wie er anderen Familienangehörigen im Rahmen des § 9 Abs. 5 SGB II eingeräumt wird, besteht bei Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht.
Insoweit ist die vom erstinstanzlichen Gericht vorgenommene Einkommensberechnung rechtsfehlerhaft. Soweit sich aus obiger
Berechnung ein noch bestehender Anspruch der Klägerin ergibt, hat der Beklagte diesen mit Anerkenntnis vom 25. Oktober 2011
in Höhe von 4,73 EUR anerkannt. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 des
Sozialgerichtsgesetzes. Der der Klägerin noch zu leistende Nachzahlungsbetrag fällt dabei nicht ins Gewicht, so dass der Senat eine Kostenquotelung
nicht als angemessen angesehen hat.
Die Revision war nicht zu zulassen, da deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind.