Vorläufige Leistungen nach dem SGB II
Vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts erforderliche Anhörung
Verpflichtung eines Leistungsberechtigten zur Beantragung einer vorrangigen Leistung
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über verschiedene Ansprüche der Antragstellerin,
die diese wegen des Bezugs von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gegenüber dem Antragsgegner geltend macht.
Die Antragstellerin steht seit dem 1. Januar 2020 im Leistungsbezug beim Antragsgegner. Nachdem ihr zunächst Leistungen bis
zum 31. Dezember 2020 bewilligt worden waren, hat der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 30. November 2020
für den Zeitraum 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 Leistungen in Höhe von 729,00 € monatlich bewilligt. Der Betrag setzt
sich aus der für die Antragstellerin maßgeblichen Regelleistung in Höhe von 446,00 € sowie ihren Mietaufwendungen in Höhe
von 283,00 € (vgl. Blatt 80 Band 1 der e-Akte) zusammen. Die Auszahlung der Regelleistungen erfolgt auf das Girokonto der
Antragstellerin bei der Kreissparkasse N (IBAN …). Das Girokonto der Antragstellerin weist seit Längerem eine Unterdeckung
auf. Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden direkt an den Vermieter der Antragstellerin überwiesen.
Aufgrund einer nach Aktenlage erstellten gutachterlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit
vom 15. April 2020 (Blatt 66ff. Band 3 der e-Akte), wonach bei der Antragstellerin „deutlich herabgesetzte ganzkörperliche
Funktionsstörungen und Belastungseinschränkungen durch schwerwiegende Erkrankungen und Behandlungsbedürftigkeit“ zu verzeichnen
seien und sie voraussichtlich über sechs Monate täglich weniger als drei Stunden leistungsfähig sei, forderte der Antragsgegner
die Antragstellerin ohne vorherige Anhörung mit Bescheid vom 8. Juni 2020 (Blatt 62 Band 1 der e-Akte) zur Beantragung einer
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf. Der Bescheid wurde der Antragstellerin im Rahmen eines persönlichen Gesprächs
am 15. Juni 2020 (Blatt 36 Band 2 der e-Akte) übergeben. Mit Schreiben vom 18. Juni 2020 (beim Beklagten eingegangen am 22.
Juni 2020) legte die Klägerin „Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.06.2020, Widerspruch gegen das Amtsärztliche Gutachten“ ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass sie klaren Verstandes sei, nicht unter Wahnvorstellungen leide,
besonders stressresistent und belastbar und für eine Tätigkeit als Lehrkraft für Pflegeberufe besonders geeignet sei. Mit
Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2020 (Blatt 38 Band 2 der e-Akte) wies der Antragsgegner den Widerspruch gegen die Stellungnahme
des ärztlichen Dienstes als unzulässig zurück. Über den anderen Widerspruch ist noch nicht entschieden. Aus den übersandten
Verwaltungsakten ist nicht ersichtlich, dass überhaupt ein gesondertes Widerspruchsverfahren angelegt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2020 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Nordhausen um die Gewährung von einstweiligem
Rechtsschutz nachgesucht. Dort hat sie (sinngemäß) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung
zur Beantragung vorrangiger Leistungen beantragt, vom Antragsgegner die Gewährung eines Darlehens begehrt, um die „Funktionsfähigkeit“
ihres Girokonto wieder herzustellen und von der Deutschen Rentenversicherung Bund Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
begehrt.
Nachdem das Sozialgericht das einstweilige Rechtsschutzverfahren bezüglich der gegenüber der Deutschen Rentenversicherung
Bund geltend gemachten Rehabilitationsmaßnahmen mit Beschluss vom 21. August 2020 abgetrennt hatte, hat es den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 21. August 2020 abgelehnt. Die Antragstellerin wende sich gegen die
Aufforderung zur Rentenantragstellung und begehre die vorläufige Gewährung eines Darlehens zur Wiederherstellung ihrer Liquidität.
Im Hinblick auf die Aufforderung zur Rentenantragstellung vom 8. Juni 2020 sei schon nicht abschließend feststellbar, ob überhaupt
Widerspruch eingelegt worden sei. Aufgrund der vorliegenden Gutachten erscheine die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin problematisch.
Aus der Rentenantragstellung habe die Antragstellerin keinen Nachteil zu erwarten. Im Hinblick auf das von der Antragstellerin
begehrte Darlehen zur Wiederherstellung ihrer Liquidität fehle es an der Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund.
Der Antragstellerin seien bis einschließlich Dezember 2020 Grundsicherungsleistungen bewilligt worden. Eine Leistungseinstellung
sei derzeit nicht ersichtlich. Der existenzsichernde Bedarf der Antragstellerin sei damit noch bis Ende des Jahres 2020 gewährleistet.
Die Gewährung eines Darlehens nach § 24 SGB II komme nicht in Betracht, da ein solches Darlehen nur für konkrete Bedarfe gewährt werden könne. Schulden würden nicht hierunter
fallen. Die Voraussetzungen für die Übernahme von Schulden auf der Grundlage von § 22 Abs. 8 SGB II würden nicht vorliegen. Es sei nicht ersichtlich, dass Wohnungslosigkeit oder eine vergleichbare Notlage drohe. Im Hinblick
auf die übrigen Schulden fehle es jedenfalls an einer Anspruchsgrundlage. Insbesondere sei nicht erkennbar, inwieweit die
Antragstellerin durch Vollstreckungsankündigungen in Existenznot geraten könne. Es gebe einen umfassenden Pfändungsschutz
mit Pfändungsfreigrenzen, die dazu führen würden, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin auch beim Vorliegen erheblicher
Schulden gesichert sei.
Am 22. September 2020 hat die Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde eingelegt. Sie macht unter
umfangreicher Schilderung von verschiedenen, teilweise weit in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten, die vielfach einen
sozialrechtlichen Bezug nicht oder nur schwer erkennen lassen, Ansprüche gegen den Antragsgegner geltend, die hinsichtlich
ihres Inhalts schwer konkretisierbar sind. Unter Zugrundelegung des gesamten Beschwerdevorbringens der Antragstellerin geht
es dieser, wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren, um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen
die Aufforderung zur Beantragung vorrangiger Leistungen und die Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich bestehender Schulden.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 21. August 2020 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den Bescheid vom 8. Juni 2020 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr ein Darlehen zur Wiederherstellung
ihrer Liquidität zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt er auf den Beschluss des Sozialgerichts Bezug.
Mit Bescheid vom 30. November 2020 hat der Antragsgegner der Antragstellerin, unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Aufwendungen
für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 729,00
€ monatlich bewilligt. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze sowie die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
1. Dem Beschwerdevorbringen der Antragstellerin kann nicht bzw. nur schwer mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden,
was im Wege des sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzes vorläufig begehrt wird.
Ohne ihre Begründung hinreichend zu systematisieren und zu strukturieren und ihr Begehren zweifelsfrei deutlich zu machen,
wird von ihr eine Vielzahl von zum Teil weit in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten bzw. Einzelaspekten geschildert,
die vielfach keinen sozialrechtlichen Bezug aufweisen. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einem Gemenge das
herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte. Es
ist am Rechtsschutzsuchenden, sein Beschwerdevorbringen in einer Art und Weise darzulegen, dass das Beschwerdegericht in die
Lage versetzt wird, das Begehren des Beschwerdeführers mit vertretbarem Aufwand zu ermitteln. Kommt der Betroffene seiner
Mitwirkungsobliegenheit nur unzureichend nach, ist der Inhalt der Beschwerdebegründung nicht oder nur schwer verständlich,
sind die Sozialgerichte nur eingeschränkt verpflichtet, den Sachverhalt weiter zu ermitteln. Durch die Mitwirkungsobliegenheit
des Antragstellers verringert sich die Ermittlungspflicht des Gerichts. Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des Antragstellers.
Unter wohlwollender Auslegung des gesamten Beschwerdevorbringens der rechtskundig nicht vertretenen Antragstellerin ist der
Senat davon ausgegangen, dass es dieser auch im Beschwerdeverfahren im Verhältnis zum Antragsgegner weiterhin um die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung zur Beantragung einer Rente und die Gewährung eines Darlehens
zur Wiederherstellung ihrer Liquidität geht. Für dieses Verständnis des Beschwerdevorbringens war leitend, dass die Antragstellerin
mit der am 3. August 2020 beim Sozialgericht Nordhausen eingegangenen Antragsschrift Ansprüche gegen den Antragsgegner und
die Deutsche Rentenversicherung Bund geltend gemacht hat. Mit Beschluss vom 21. August 2020 ist der Rechtsstreit abgetrennt
worden, soweit Ansprüche gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund geltend gemacht werden. Im Verfahren S 12 AS 1044/20 ER waren nur noch Ansprüche gegenüber dem Jobcenter Landkreis N verfahrensgegenständlich. Insoweit hat das Sozialgericht
das Vorbringen der Antragstellerin dahingehend verstanden, dass diese im Wege der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung
des Antragsgegners zur Gewährung eines Darlehens in Höhe von 7.500,00 € und die Aufhebung der Aufforderung zur Rentenantragstellung
begehrt. Über diese Streitgegenstände hat das Sozialgericht mit dem Beschluss vom 21. August 2020 entschieden.
Auch in Ansehung der umfangreichen schriftsätzlichen Ausführungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren - auch zu möglichen
Schadenersatzansprüchen - geht der Senat davon aus, dass Verfahrensgegenstände des Beschwerdeverfahrens nur der Anspruch auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung und der Anspruch auf
Gewährung eines Darlehens sind. Im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin hat der Senat die Ausführungen zu möglichen
Schadenersatzansprüchen so verstanden, dass diese nur verdeutlichen sollten, dass Grundsicherungsträger, bei denen sie in
der Vergangenheit im Leistungsbezug gestanden hat, und der Antragsgegner ihre angespannte finanzielle Situation mitverursacht
haben, sie selbst keine Verantwortung treffe, sodass es gerechtfertigt ist, dass sie der Antragsgegner zur Wiederherstellung
ihrer Liquidität durch Gewährung eines Darlehens unterstützt. Der Senat ist im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin
davon ausgegangen, dass diese nicht erstmals im Beschwerdeverfahren Ansprüche verfolgen wollte, die erstinstanzlich nicht
streitgegenständlich waren und für die das Landessozialgericht daher instanziell unzuständig ist oder für die der Sozialrechtsweg
nicht eröffnet ist und die (kostenpflichtig) verwiesen werden müssten.
2. Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin prozessfähig ist. Zwar ist ihr Vortrag in manchen Punkten wirr und nur
schwer nachvollziehbar. Jedoch sieht der Senat auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes (noch) keine hinreichenden
Anhaltspunkte dafür anzunehmen, dass die Fähigkeit der Antragstellerin, die eigenen Interessen zu verfolgen, situationsangemessen
vorzutragen und auf gerichtliche Verfügungen zu reagieren, in einer Prozessunfähigkeit begründenden Weise beeinträchtigt ist
oder gewesen sein könnte.
3. Die Beschwerde ist begründet, soweit die Antragstellerin - zumindest sinngemäß - die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
ihres Widerspruchs vom 18. Juni 2020 (eingegangen beim Antragsgegner am 22. Juni 2020) gegen den Bescheid vom 8. Juni 2020
(Aufforderung zur Beantragung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) begehrt (nachfolgend a.). Im Übrigen (nachfolgend
b.) ist die Beschwerde unbegründet.
a) Der Antragsgegner hat die Antragstellerin mit Bescheid vom 8. Juni 2020 aufgefordert, vorrangige Leistungen zu beantragen
(vgl. Blatt 62f. Band 1 der e-Akte). Der Bescheid ist der Antragstellerin anlässlich eines persönlichen Gesprächs am 15. Juni
2020 ausgehändigt worden (vgl. Gesprächsvermerk vom 15. Juni 2020 auf Blatt 36 Band 2 der e-Akte). Die Antragstellerin hat
mit dem Schreiben vom 18. Juni 2020 (Blatt 1ff. Band 2 der e-Akte) ausdrücklich „Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.06.2020,
Widerspruch gegen das amtsärztliche Gutachten“ eingelegt (beim Antragsgegner unter dem Aktenzeichen W 464/20 erfasst). Wie ihre Ausführungen im Schreiben vom 18. Juni 2020 deutlich machen, ist sie mit beidem nicht einverstanden. Zwar
ist ein Bescheid mit dem Datum „15. Juni 2020“ in den dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten nicht zu finden. Allerdings
kann nach dem ermittelten Sachverhalt nicht zweifelhaft sein, dass die Antragstellerin die Aufforderung zur Rentenantragstellung
nicht für gerechtfertigt hält. Es ist daher nicht verständlich, dass der Antragsgegner ein (offensichtlich aussichtsloses)
Widerspruchsverfahren zum amtsärztlichen Gutachtens angelegt (und bereits entschieden) hat, hingegen trotz der eindeutigen
Formulierung „Widerspruch“ im Schreiben vom 18. Juni 2020 ein derartiges Verfahren gegen den Bescheid vom 8. Juni 2020 offenbar
noch nicht einmal erfasst hat. Im Hinblick auf die Aufforderung zur Rentenantragstellung hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht
- jedenfalls sinngemäß - geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nicht vorliegen, in der Folge
vorrangige Leistungen nicht beantragt werden müssen (Blatt 4 der Gerichtakte) und der Antragsgegner daher nicht berechtigt
war, eine entsprechende Aufforderung an sie zu richten. Aus dem Gesamtzusammenhang ihres Beschwerdevorbringens ergibt sich,
dass die Antragstellerin hieran auch im Beschwerdeverfahren festhält.
Die so verstandene Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch und die Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage
gemäß §
86a Abs.
1 Satz 1
SGG aufschiebende Wirkung. Dies gilt unter anderem dann nicht, sofern durch Bundesgesetz anderes geregelt ist (§
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG). Eine bundesgesetzliche Regelung im Sinne der vorstehenden Vorschrift stellt § 39 Nr. 2 SGB II dar. Gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 2 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert
wird, keine aufschiebende Wirkung.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG entscheidet das Gericht nach Ermessen auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten
Bescheidadressaten an der Aufhebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes
abzuwägen ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 13. Auflage, 2020, §
86b Rn. 12 ff.). Hat der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes kraft Gesetzes als Regelfall angeordnet,
besteht Anlass davon abzuweichen nur, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen
(Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rn. 12 c.).
Hiervon ausgehend war dem sinngemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zu entsprechen.
Der Senat folgt nicht der Auffassung des Sozialgerichts, die Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin und des öffentlichen
Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts ergebe keine Notwendigkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, zumal
die Antragstellerin aus der Rentenantragstellung auch keinen Nachteil zu erwarten habe. Der Bescheid vom 8. Juni 2020 ist
in der gegenwärtigen Form offensichtlich rechtswidrig, wie unten noch auszuführen ist. Im Übrigen greift die Darstellung,
aus der Rentenantragstellung entstehe der Antragstellerin kein Nachteil, schon deshalb zu kurz, weil die Antragstellerin sich
ausdrücklich nicht für erwerbsgemindert hält und mit der Rentenantragstellung für sie Rechtswirkungen eintreten können, die
nicht nur als lediglich rechtlich vorteilhaft anzusehen sind. Dementsprechend hat das BSG entschieden, dass es sich bei der Aufforderung des Grundsicherungsträgers an den Leistungsberechtigten nach §§ 12a Satz 1
SGB II, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen, um einen belastenden Verwaltungsakt i. S. des § 31 Satz 1 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB 10) handelt (vgl. Urteil vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R - Rdnr. 12, nach juris).
Die Aufforderung zur Rentenantragstellung im Bescheid vom 8. Juni 2020 ist schon deshalb rechtswidrig, weil die Antragstellerin
nach den vorliegenden Verwaltungsakten vor Erlass des Bescheids nicht angehört worden ist und dieser Mangel bislang nicht
geheilt worden ist.
§ 24 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in dessen Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben ist,
sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl. zum Erfordernis einer Anhörung im Rahmen von § 12a SGB II BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 46/15 R - RdNr 16, nach juris). Hierzu gehören auch alle Tatsachen, die die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen
muss und kann (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - B 10 LW 2/11 R - RdNr. 35; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 9/11 R - RdNr 14, nach juris).
Eine schriftliche Anhörung ist nach dem Akteninhalt nicht erfolgt. Soweit mit der Antragstellerin am 15. Juni 2020 ein persönliches
Gespräch geführt worden ist, ist dem darüber angefertigten Vermerk (Bl. 36 eAkte Ausdruck Band 2) nicht zu entnehmen, dass
ihr vor Aushändigung des Bescheids vom 8. Juni 2020 die Möglichkeit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Maßnahme gegeben
wurde; es ist lediglich ihr Nichteinverständnis nach Aushändigung des Bescheids dokumentiert.
Die Anhörung war auch nicht entbehrlich, denn ein Fall des § 24 Abs. 2 SGB X lag nicht vor.
Der Mangel der fehlenden Anhörung ist bislang auch nicht geheilt worden. Zwar ist die Verletzung der Vorschrift des § 24 SGB X unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird, wobei diese Möglichkeit auch noch im Gerichtsverfahren besteht
(vgl. § 41 Abs. 2 SGB X). Eine Anhörung ist jedoch nicht schon dann nachgeholt i. S. v. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X, wenn der Betroffene Widerspruch gegen einen Bescheid einlegt und die Behörde sich im Rahmen eines dagegen gerichteten Eilverfahrens
darauf beschränkt, die Ablehnung des Antrags bzw. die Zurückweisung der Beschwerde zu beantragen und auf den Inhalt des angegriffenen
Bescheids zu verweisen. Denn der Zweck der Anhörung, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und
ernsthaft in Erwägung zieht, wird auf diese Weise nicht erreicht. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Antragsgegner offenbar
überhaupt kein Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 8. Juni 2020 führt, sondern allein ein (von vornherein aussichtsloses)
Rechtbehelfsverfahren gegen das Amtsärztliche Gutachten angelegt hat.
Auf dieser Grundlage war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Sollte der Antragsgegner die Anhörung im Rahmen
des Widerspruchsverfahrens nachholen, würde diese Wirkung mit Erlass des Widerspruchsbescheids entfallen und ggf. wäre ein
neuer Eilantrag (gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid vom
8. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids) zu stellen.
Dem Antrag war daher bereits wegen der (jedenfalls momentanen) formellen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 8. Juni 2020 zu
entsprechen. Aber auch materiellrechtlich begegnet der Bescheid Bedenken.
Rechtsgrundlage für die Aufforderung zur Beantragung einer Erwerbsminderungsrente ist § 12a i. V. m. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Nach § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen
Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich
ist. Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag nicht, können die SGB II-Leistungsträger nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II den Antrag stellen.
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Aufforderung sind (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015- B 14 AS 1/15 R -) die Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB II, eine vorrangige Leistung zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, und die fehlerfreie Ermessensentscheidung des Leistungsträgers
nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II, den Leistungsberechtigten zur Antragstellung aufzufordern. Als Voraussetzung für eine Verpflichtung nach § 12a SGB II ist zunächst zu prüfen, ob die Inanspruchnahme von Sozialleistungen eines anderen Trägers zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung
oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist und ob hierfür eine Antragstellung erforderlich ist. Erforderlich
in diesem Sinne ist jede Inanspruchnahme, die Hilfebedürftigkeit vermeidet, also nicht eintreten lässt, beseitigt, also eine
bestehende Hilfebedürftigkeit beendet bzw. wegfallen lässt, verkürzt, also die Dauer begrenzt, oder vermindert, also die Höhe
verringert. Jeweils geht es mit der Beeinflussung der Hilfebedürftigkeit um eine Beeinflussung des nachrangigen Anspruchs
auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II durch die Inanspruchnahme vorrangiger Sozialleistungen eines anderen Trägers. Die Erforderlichkeit einer Antragstellung für
diese Leistungen bestimmt sich nach dem für sie geltenden Recht.
Die Aufforderung an Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorrangigen Leistung steht im Ermessen der Leistungsträger.
Stellen Leistungsberechtigte entgegen ihrer Verpflichtung nach § 12a SGB II und trotz Aufforderung den Antrag nicht, können die Leistungsträger nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II selbst den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Mit diesem "können" ist das Ob der Antragstellung
anstelle der Leistungsberechtigten in das Ermessen der Leistungsträger gestellt. Dieses ermöglicht eine abschließende Abwägung
im Einzelfall, ob der Nachrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf diesem Weg durchgesetzt werden soll oder ob dies wegen eines besonderen Härtefalles unzumutbar ist. Noch vor der Ermessensentscheidung
der Leistungsträger über ihre Antragstellung ist indes bereits über die Aufforderung der Leistungsberechtigten zur Antragstellung
durch die Leistungsträger eine Ermessensentscheidung zu treffen. Auch die der eigenen Antragstellung vorausgehende Aufforderung
der Leistungsberechtigten zur Beantragung einer vorrangigen Leistung steht im Ermessen der Leistungsträger. Denn ohne eine
vorgezogene Ermessensprüfung des Leistungsträgers und deren Erkennbarkeit im Aufforderungsbescheid wäre der Leistungsberechtigte
benachteiligt, der der Aufforderung nachkommt, obwohl der Leistungsträger dieser bei Nichtbefolgung aus Ermessensgründen keine
eigene Antragstellung hätte folgen lassen. Der Leistungsberechtigte soll prüfen können, ob er der Aufforderung folgt, die
der Leistungsträger durch eigene Antragstellung auch durchzusetzen beabsichtigt, oder ob er im Streit um die Aufforderung
Gründe vorbringt, die gegen ihre spätere Durchsetzung und damit auch gegen die Aufforderung sprechen können. Die Ermessensgesichtspunkte,
die den Leistungsträger trotz einer Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme einer vorrangigen Leistung
und trotz nichtbefolgter Aufforderung zur Antragstellung von einer eigenen künftigen Antragstellung absehen lassen könnten,
sind bereits bei der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung zu erwägen und müssen im Aufforderungsbescheid
i. S. des § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X erkennbar sein. Denn dem Entschließungsermessen liegt tatbestandlich voraus, dass die Antragstellung des Leistungsberechtigten
auf die Inanspruchnahme für die Hilfebedürftigkeit relevanter vorrangiger Leistungen erforderlich ist. Aufgrund der sich hieraus
ergebenden Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung nach § 12a SGB II entspricht es pflichtgemäßem Ermessen des Leistungsträgers, im Regelfall von der Ermächtigung zur Aufforderung zur Antragstellung
Gebrauch zu machen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können deshalb nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen,
in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme
vorrangiger Leistungen abzusehen ist. Soweit sich Umstände für solche Härten nicht aufdrängen, ist es am Leistungsberechtigten,
atypische Umstände seines Einzelfalles vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat. Die Ermessensausübung ist gerichtlich
nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§
39 Abs.
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch , §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG), ob das Ermessen überhaupt ausgeübt wurde, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder ob von dem
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde ("Rechtmäßigkeits-, aber keine
Zweckmäßigkeitskontrolle").
Die nach diesen Grundsätzen zunächst zu prüfende Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB II, eine vorrangige Leistung zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, setzt nach Ansicht des Senats (als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal)
die hinreichende Möglichkeit voraus, dass dem Leistungsberechtigten eine vorrangige Leistung tatsächlich zusteht, und dieser
Umstand muss auch dergestalt seinen Niederschlag im Bescheid gefunden haben, dass objektive Tatsachen für eine entsprechende
Annahme geschildert werden.
Jedenfalls letzteres ist im Bescheid vom 8. Juni 2020 nicht der Fall. Darin wird zur Begründung lediglich ausgeführt, dass
die Antragstellerin nach den „vorliegenden Unterlagen“ einen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit haben
könnte. Weitere Ausführungen dazu, um welche Unterlagen es sich handelt, fehlen ebenso wie sonstige erläuternde Anmerkungen.
Zwar ist offenbar die sozialmedizinische Stellungnahme des Dipl.-Med. D vom 15. April 2020 von der Agentur für Arbeit N gemeint,
die sich in der Verwaltungsakte befindet und die nach dem darüber angefertigten Vermerk Gegenstand des persönlichen Gesprächs
mit der Antragstellerin am 15. Juni 2020 war. Das reicht jedoch nicht aus, um den o. a. Erfordernissen zu genügen, zumal der
Gutachter ausdrücklich erklärt hat, dass das Gutachten ohne Ärztin/ohne Arzt eröffnet und auf Wunsch ausgehändigt werden darf.
Im Übrigen ist auch fraglich, ob die sozialmedizinische Stellungnahme inhaltlich tragfähig ist, zumal eine Krankheitsdiagnose
nicht angegeben ist und die festgestellten Funktionseinschränkungen nur sehr allgemein beschrieben sind. Die gutachterliche
Stellungnahme ist nach Aktenlage, d.h. ohne eigene körperliche Untersuchung der Antragstellerin durch den Gutachter, erfolgt.
Hiergegen ist im Grundsatz nichts einzuwenden, wenn hinreichend aussagekräftige und aktuelle Unterlagen anderer ärztlicher
Behandler vorliegen, auf deren Grundlage der aktuelle Gesundheitszustand zuverlässig erhoben und die hieraus resultierenden
Einschränkungen abgeleitet werden können. Vorliegend ist aber nicht erkennbar, aufgrund welcher Unterlagen der Gutachter welche
Erkrankungen - physischer und/oder psychischer Natur - festgestellt hat, wie sich diese auf die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin
auswirken und dass sie länger als sechs Monate andauern.
b) Die Beschwerde ist unbegründet, soweit das Sozialgericht einen Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung eines Darlehens
zur Wiederherstellung ihrer Liquidität abgelehnt hat. Das Sozialgericht ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass die
Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorgelegen haben.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der
der Antragsgegner verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit
der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 ZPO glaubhaft zu machen. Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind.
Charakteristisch für den Anordnungsgrund ist die Dringlichkeit der Angelegenheit, die nur für die Zukunft wirkt. Durch eine
einstweilige Anordnung sollen nur die Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig
noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Ein Anordnungsgrund besteht daher regelmäßig nur, soweit Leistungen für die Gegenwart
oder die nahe Zukunft begehrt werden. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur
ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird,
und ein Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein
Anspruch eindeutig besteht (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Juli 2017, L 11 AS 439/17 B ER). Werden Leistungen für Zeiträume vor der gerichtlichen Entscheidung beansprucht, muss dargelegt und glaubhaft gemacht
werden, dass gegenwärtig noch ein schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil droht, und ein Nachholbedarf durch die
Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt.
Für das Begehren der Antragstellerin besteht schon kein Anordnungsanspruch. Ein solcher kann weder § 24 SGB II noch § 21 Abs. 6 SGB II oder § 22 Abs. 8 SGB II entnommen werden.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt
der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts
umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann. Die Norm kommt als Anspruchsgrundlage nur
für solche Bedarfe zur Anwendung, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 24 [Stand: 6. Januar 2021], Rn. 35). Schlichte Schulden gehören hierzu nicht.
Für das Begehren der Antragstellerin ergibt sich eine Anspruchsgrundlage auch nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II. Nach der Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer
Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Anwendungsbereich auch dieser Vorschrift
ist nur dann eröffnet, wenn es um einen gegenständlich konkretisierten Bedarf geht. Bei Schulden handelt es sich nicht um
einen Bedarf im vorstehenden Sinne.
Letztlich ergibt sich ein Anordnungsanspruch auch nicht aus § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II. Nach der Norm können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren
Notlage gerechtfertigt ist, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Der Antragsgegner
hat der Antragstellerin seit Beginn des Leistungsbezugs ab dem 1. Januar 2020 fortlaufend Bedarfe für Unterkunft und Heizung
in tatsächlicher Höhe bewilligt. Weder aus dem Vortrag der Antragstellerin noch aus den vorliegenden Unterlagen ergeben sich
irgendwelchen Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin Wohnungslosigkeit oder eine vergleichbare Notlage drohen könnte.
Weitere sozialrechtliche Anspruchsgrundlagen, die für das Begehren der Antragstellerin in Betracht kommen könnten, sind nicht
ersichtlich.
Soweit sich für die Antragstellerin aufgrund des negativen Saldos ihres Girokontos bei der Kreissparkasse N Probleme ergeben,
auf die vom Antragsgegner bewilligten Leistung vollständig zuzugreifen, weil durch das Kreditinstitut eine Verrechnung im
Kontokorrent erfolgt, kann sie dem durch Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos gemäß § 850k
ZPO entgegenwirken. Vor einer Verrechnung mit Sozialleistungen ist die Antragstellerin dann durch § 850k Abs. 6
ZPO geschützt. Soweit sich im Hinblick auf die Beachtung der Vorschrift durch die Kreissparkasse N Probleme ergeben sollten,
ist die Antragstellerin gehalten, diese mit dem Kreditinstitut, ggf. unter Inanspruchnahme vom zivilgerichtlichem Rechtsschutz,
zu klären.
Auch aufgrund der von der Antragstellerin im Übrigen geschilderten Schuldenproblematik ist kein Raum für sozialgerichtlichen
Rechtsschutz. Insoweit ist die Antragstellerin gehalten, von den zur Verfügung stehenden Vollstreckungsschutzvorschriften
Gebrauch zu machen. Durch diese ist sichergestellt, dass der Antragstellerin die ihr bewilligten existenzsichernden Leistungen
jederzeit zur Verfügung stehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Entscheidung ist nach §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.