Kostenübernahme für durchgeführte Liposuktionen
Selbst beschaffte Leistung
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme für durchgeführte Liposuktionen.
Die am 1977 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie litt an einem Lipödem Stadium 3/Lip-Phlep-Lymphödem
an allen Extremitäten. Mit am 13. Mai 2016 eingegangenem Schreiben (Bl. 39f. d. VwA.) beantragte sie unter Vorlage verschiedener
medizinischer Unterlagen (Bl. 2 ff. d. VwA.) und Kostenvoranschlägen der CG Lympha-Lymphologische privatärztliche Gemeinschaftpraxis
Köln die Übernahme der Kosten für eine ambulante Lymphologische Liposkultur an Armen und Beinen.
Daraufhin übersandte die Beklagte der Klägerin unter dem 19. Mai 2016 folgendes Schreiben:
"Sie haben mit Schreiben vom 11.Mai 2016 einen Antrag auf Kostenübernahme einer Liposculpture gestellt. Die derzeit geltende
Rechtslage erlaubt uns allerdings keine Kostenübernahme der beantragten Liposculpture. Deshalb müssten wir zum jetzigen Zeitpunkt
Ihren Antrag ablehnen. Allerdings prüft der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) derzeit, ob die Kosten der Liposculpture bei
Lipödem durch die gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden können. Dies kann bedeuten, dass wir zukünftig für diese Behandlungsmethode
die Kosten tragen dürfen. Hierfür muss aber ein entsprechender positiver Beschlusses des G-BA erst einmal rechtskräftig werden.
Solange dieser nicht vorliegt, muss Ihr Antrag - wie eingangs bereits erläutert - abgelehnt werden. Wir möchten jedoch, dass
Sie von einer denkbaren positiven Entscheidung des vorgenannten Gremiums profitieren. Deshalb schlagen wir Ihnen folgendes
Vorgehen vor.
Sie stimmen mit beigefügter Erklärung einem Ruhen des Antrags zu.
Sofern der G-BA zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Kosten für Liposculpture durch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung
im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu übernehmen sind, würden wir diese Entscheidung auch für die von Ihnen jetzt
beantragte Behandlung berücksichtigen. Wir würden also die Kosten übernehmen.
Sollte der G-BA hingegen feststellen, dass eine Anerkennung des therapeutischen Nutzens der Methode sowie deren medizinische
Notwendig- und Wirtschaftlichkeit nicht festgestellt werden kann, würde Ihr Antrags- bzw. Widerspruchsverfahren - wenn Sie
dies wünschen - weitergeführt.
Sofern Sie unserem Vorschlag zustimmen, entstehen Ihnen also keinerlei Nachteile. Selbstverständlich werden wir Sie umgehend
nach Bekanntgabe der Entscheidung des G-BA über deren Inhalt und das weitere Vorgehen informieren."
Entsprechend der dem Schreiben beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten
vom 01. Juni 2016 (Bl. 44 d. VwA.) Widerspruch. Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MdK)
ein und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 8. Juni 2016 mit, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Kostenbeteiligung
nur in Zusammenarbeit mit dem MDK beurteilt werden könnten, an den die Unterlagen weitergeleitet worden seien; bis zu seiner
Antwort werde um Geduld gebeten. Der MDK stellte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 23. Juni
2016 (Bl. 60 ff. d. VwA.) aufgrund der diagnostizierten Bewegungseinschränkungen im Bereich der Beine und Arme, der eingeschränkten
Gehstrecke sowie weiteren Einschränkungen aufgrund der Fettgewebsvermehrungen im Bereich der Arme und Beine einen regelwidrigen,
krankhaften Körperzustand fest und empfahl eine stationäre offen-chirurgische Lipektomie im Bereich der Oberarme und der Beine
mit Abrechnung nach dem DRG-System.
Mit Bescheid vom 4. Juli 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie sich an den Kosten für die Liposculpture nicht
beteiligen könne. Es handle sich um eine neue Behandlungsmethode, deren diagnostischer bzw. therapeutischer Nutzen bislang
vom dafür zuständigen G-BA noch nicht festgestellt worden sei. Es wurde nochmals - wie bereits mit Schreiben vom 19. Mai 2016
- ein Ruhen des Verfahrens vorgeschlagen. Unter dem 9. September 2016 begründete die Klägerin ihren Widerspruch u. a. damit,
dass das Lipödem an allen Extremitäten das Stadium 3 erreicht habe und sie von einem Kinderwunsch beseelt sei, hierfür jedoch
zunächst von ihrem Leiden befreit werden müsse und angesichts ihres Lebensalters nicht mehr viel Zeit zu verlieren sei. Die
Beklagte teilte daraufhin mit Schreiben vom 23. September 2016 (Bl. 79 d. VwA.) mit, sie gehe von einer Umwandlung des Antrages
auf ambulante Liposuktion in einen solchen auf stationäre Behandlung aus und forderte ergänzende medizinische Unterlagen zu
einer stationären Behandlung an. Die Klägerin wies mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 01.November 2016 (Bl. 86 d. VwA.)
darauf hin, dass eine Kostenübernahme einer ambulanten Versorgung beantragt worden sei, bat um eine zeitnahe Entscheidung
und übersandte die von der Beklagten angeforderten Arztrechnungen über die zwischenzeitlich, nämlich am 16. Januar 2017, am
13. Februar 2017 und am 13. März 2017, durchgeführten ambulanten Eingriffe. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2017
(Bl. 147 ff. d. VwA.) wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen.
Mit ihrer am 12. Januar 2018 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Übernahme der hierfür angefallenen Kosten in Höhe von
EUR 15.871,93. Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 17. Dezember 2018 abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch
bestehe nicht. Gegen den am 24. Dezember 2018 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin, die am
23. Januar 2019 beim Landessozialgericht eingegangen ist und mit der die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie trägt ergänzend
vor, ihr Kinderwunsch sei ohne die Operation und die Gewichtsreduzierung nicht denkbar. Ihre Krankheit sei daher mit einer
lebensbedrohlichen Krankheit vergleichbar. Die angebotene Therapie einer offenchirurgischen Lipektomie im Rahmen eines stationären
Aufenthaltes sei unzumutbar und hätte irreversible Schädigungen mit sich gebracht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 17. Dezember 2018 und den "Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2016" sowie
den Bescheid vom 4. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
an sie 15.871,93 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten
der Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht
abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§
54 Abs.
2 SGG). Die Klägerin hat aufgrund der Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) einen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführten Liposuktionen in Höhe von 15.871,93 EUR entsprechend den vorgelegten
Rechnungen.
Gegenstand des Verfahrens sind zwei in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§
56 SGG) zusammen verfolgte zulässige Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage auf Zahlung von 15.871,93 EUR und die Anfechtungsklage
gegen die Ablehnungsentscheidung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2017 (§
95 SGG), die die Klägerin zulässigerweise vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. §
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG) verfolgt.
1. Der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung ergibt sich zwar nicht aus §
13 Abs.
3 i. V. m. §
27 SGB V, wie das Sozialgericht insoweit zutreffend entschieden hat; auf die entsprechenden Ausführungen im angegriffenen Urteil wird
Bezug genommen. Der Kostenerstattungsanspruch folgt jedoch aus §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V. Danach ist die Krankenkasse zur Erstattung der entstandenen Kosten verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf
der Frist des Abs. 3a eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Dies ist hier der Fall.
Der Senat folgt der neuesten Rechtsprechung des BSG, wonach §
13 Abs.
3a SGB V dem Versicherten (nur) eine vorläufige Rechtsposition vermittelt, die es ihm erlaubt, sich die Leistung selbst zu beschaffen
und es der Krankenkasse nach erfolgter Selbstbeschaffung verbietet, eine beantragte Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen,
nach allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R -, vgl. Terminbericht Nr. 19/20).
Die Voraussetzungen des Eintritts der Fiktion der Genehmigung sind erfüllt. Der Anwendungsbereich der Regelung des §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V ist eröffnet (dazu a). Die von der Klägerin beantragten Liposuktionen gelten als von der Beklagten genehmigt (dazu b). Auch
die weiteren Voraussetzungen für die Erstattung des geltend gemachten Betrags sind erfüllt (dazu c).
a) Die Regelung des §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V ist auf den Antrag der Klägerin sachlich und unproblematisch zeitlich anwendbar. Die Regelung erfasst u. a. Ansprüche auf
Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche gegen Krankenkassen, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation gerichtet sind. Die Klägerin verlangt demgegenüber Erstattung für selbstbeschaffte Krankenbehandlung.
b) Die von der Klägerin beantragten Liposuktionen galten in diesem Sinne wegen Fristablaufs als genehmigt. Denn die leistungsberechtigte
Klägerin (dazu aa) stellte bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag (dazu bb) auf Leistung von Liposuktionen
zur Behandlung ihres Lipödems, hinsichtlich derer sie gutgläubig war (dazu cc). Diesen Antrag beschied die Beklagte nicht
innerhalb der Frist des §
13 Abs.
3a SGB V, ohne der Klägerin hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen (dazu dd).
aa) Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter"
ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem
SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen u. a. in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Krankenkasse.
bb) Die Klägerin beantragte hinreichend bestimmt die Gewährung von Liposuktionen zur Behandlung ihres Lipödems. Damit eine
Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung
und als materiell-rechtliche Voraussetzung. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass
die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz
ggf. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei
ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt,
sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten
des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts. Der Antrag der Klägerin genügte diesen Anforderungen. Er richtete sich auf die
Versorgung mit medizinisch indizierten Liposuktionen an beiden Armen und Beinen (innen und außen). Die Klägerin untermauerte
mit den beigefügten Unterlagen ihr Begehren.
cc) Dem Eintritt der Genehmigungsfiktion steht eine fehlende Gutgläubigkeit der Klägerin nicht entgegen. Der Senat folgt auch
insoweit der neuesten Rechtsprechung des BSG, wonach das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse auch bei materieller
Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung (nur) besteht, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine
Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat ("Gutgläubigkeit", vgl.
BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R -, vgl. Terminbericht Nr. 19/20).
Davon ist hier auszugehen. Die von der Klägerin begehrten Liposuktionen liegen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs
der GKV. Die Klägerin durfte die beantragten Leistungen aufgrund der fachlichen Befürwortung ihrer behandelnden Ärzte auch
für erforderlich halten. Dafür, dass der Klägerin bekannt war, dass die beantragten Leistungen nicht von der Leistungspflicht
der GKV umfasst sind, ist nichts ersichtlich. Es spricht auch nichts dafür, dass sich dies nach Eintritt der Genehmigungsfiktion
geändert hätte und die Klägerin nicht mehr der fachlichen Befürwortung ihrer behandelnden Ärzte folgen durfte. Es begründet
keine Bösgläubigkeit, wenn eine Versicherte wie die Klägerin aus ihrer Sicht bei voneinander abweichenden Beurteilungen der
ihr günstigen Einschätzung ihrer Ärzte folgt. Gründe, warum die Klägerin die beantragten Liposuktionen nicht aufgrund der
fachlichen Befürwortung durch ihre behandelnden Ärzte für erforderlich halten durfte, sind auch sonst nicht ersichtlich. Die
Beklagte ermittelte zudem selbst in medizinischer Hinsicht, wobei der MDK sogar eine (wenn auch andere) medizinische Maßnahme
für geboten hielt.
dd) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen (§
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V). Das Schreiben vom 19. Mai 2016 stellt keine Entscheidung in diesem Sinne dar. Der Bescheid vom 4. Juli 2016 wahrt die Frist
nicht. Eine Fristverlängerung kommt vorliegend nicht in Betracht.
Eine §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V genügende Entscheidung muss die Eigenschaften eines Verwaltungsakts nach § 31 SGB X erfüllen. Nach dieser Vorschrift ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine
Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung
nach außen gerichtet ist. Ob ein Verwaltungsakt vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dafür gelten die bürgerlich-rechtlichen
Vorschriften des §
133 BGB (auch §
157 BGB) entsprechend. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob eine Entscheidung Regelungscharakter hat, ist insofern der objektive
Sinngehalt der Erklärung, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles
objektiv verstehen musste. Maßgeblich sind hierbei wiederum die im Verfügungssatz enthaltene Erklärung sowie die weiteren
Willenserklärungen innerhalb der Entscheidungsbegründung. Abzustellen ist grundsätzlich auf den Empfängerhorizont eines verständigen
Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann. Auszugehen ist
hierbei vom erklärten Willen der Behörde. Da es die Behörde durch entsprechend klare Abfassung ihrer schriftlichen Äußerungen
stets in der Hand hat, ihre eigenen Vorstellungen unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, gehen verbleibende Unklarheiten
eines Bescheides regelmäßig zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2001 - B 6 KA 3/01 R -).
Nach diesen Grundsätzen stellt das Schreiben der Beklagten vom 19. Mai 2016 keine dem §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V genügende Entscheidung dar. Schon die Formulierung im Konjunktiv "Deshalb müssten wir zum jetzigen Zeitpunkt Ihren Antrag
ablehnen" bringt zum Ausdruck, dass gerade keine Entscheidung getroffen werden sollte, weil sie für die Klägerin negativ ausgefallen
wäre. Dass dies jedoch gerade nicht geschehen sollte, ergibt sich zweifelsfrei auch aus der der Klägerin vorgeschlagenen weiteren
Verfahrensweise: Sie sollte einem Ruhen des "Antrags" (ausdrücklich nicht des "Verfahrens"!) bis zu einer Entscheidung des
G-BA zustimmen. Sollte dieser eine Anerkennung des therapeutischen Nutzens der Methode sowie deren medizinische Notwendig-
und Wirtschaftlichkeit nicht feststellen können, würde "das Antrags- bzw. Widerspruchsverfahren ( ) weitergeführt", wenn sie
dies wünsche. Ein Antragsverfahren endet mit einer Ablehnungsentscheidung, so dass auch diese Formulierung ("weitergeführt")
nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten nur so verstanden werden kann, dass eine das Antragsverfahren abschließende
Entscheidung nicht getroffen werden sollte. Auf dieser Grundlage ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte mit dem Schreiben
vom 19. Mai 2016 den für einen Verwaltungsakt typischen Regelungswillen hatte. Dem steht nicht entgegen, dass dem Schreiben
eine Rechtsbehelfsbelehrung angefügt war, der die Klägerin auch gefolgt ist. Denn dadurch mutiert eine den Anforderungen des
§ 31 SGB X nicht genügende Verfügung nicht zum Verwaltungsakt. Dass das Schreiben vom 19. Mai 2016 gerade keine rechtsbehelfsfähige
Entscheidung sein sollte, erhellt auch die Beauftragung des MDK in der Folge und die erläuternde Mitteilung an die Klägerin,
die medizinischen Voraussetzungen für eine Kostenbeteiligung könnten "nur in Zusammenarbeit mit dem MDK" beurteilt werden.
Eine dem §
13 Abs.
3a SGB V genügende Entscheidung stellt erst das Schreiben vom 4. Juli 2016 dar, wonach sich die Beklagte nicht an den Kosten für die
Liposcultpure beteiligen könne. Damit liegt eine den Kriterien des § 31 SGB X genügende und nach §
13 Abs.
3a SGB V zu berücksichtigende Entscheidung vor. Sie wahrt allerdings die dort geregelte Frist nicht. Die Frist begann mit Antragseingang
am Freitag, dem 13. Mai 2016 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
187 Abs.
1 BGB). Eine Fristverlängerung kommt hier nicht in Betracht. Es fehlt schon an einer innerhalb der drei Wochen nach Antragseingang
erfolgten Information der Klägerin über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK (§
13 Abs.
3a Satz 2
SGB V), was Voraussetzung für die Ingangsetzung der Fünf-Wochen-Frist wäre. Der Bescheid vom 4. Juli 2016 ist auch weit danach
ergangen; eine hinreichend begründete Mitteilung, dass die Frist nicht eingehalten werden kann, liegt nicht vor.
c) Auch die weiteren Voraussetzungen für die beanspruchte Kostenerstattung liegen vor. Die Klägerin beschaffte sich zulässig
die erforderlichen genehmigten Leistungen der Liposuktionen selbst. Die Beklagte hat ihr die entstandenen Kosten zu erstatten.
Die Klägerin durfte sich die Liposuktionen privatärztlich selbst verschaffen, weil die Beklagte unter Missachtung der fingierten
Genehmigung deren Gewährung abgelehnt hatte. Versicherte, denen ihre Krankenkassen rechtswidrig Leistungen verwehrt, sind
nicht prinzipiell auf die Selbstbeschaffung der Leistungen bei zugelassenen Leistungserbringern verwiesen. Sie müssen sich
nur eine der vorenthaltenen Naturalleistung entsprechende Leistung verschaffen, dies aber von vornherein privatärztlich außerhalb
des Leistungssystems. Die selbstbeschafften Liposuktionen entsprachen den genehmigten Leistungen und waren auch noch zum Zeitpunkt
der Beschaffung aus Sicht der Klägerin erforderlich. Die Klägerin beschaffte sich die Liposuktionen an Armen und Beinen zur
Behandlung des Lipödems, wie in dem mit dem Antrag eingereichten Unterlagen beschrieben. Die Klägerin durfte diese genehmigten
Leistungen, die sie sich selbst beschaffte, auch noch im Zeitpunkt der Beschaffung für erforderlich halten. Sie beachtete
nämlich Art und Umfang der fingierten Genehmigung und musste bei der Beschaffung nicht annehmen, die fingierte Genehmigung
habe sich bereits erledigt, die Leistung sei nicht mehr (subjektiv) erforderlich. Die Klägerin schuldete aufgrund von Behandlungsverträgen
mit den operierenden bzw. die Voruntersuchungen durchführenden Ärzten rechtswirksam Vergütung in der geltend gemachten Höhe.
Die Liposuktionen unterfielen als ärztliche Leistungen dem Anwendungsbereich der Gebührenordnung für Ärzte und erfüllten die darin vorgesehenen formellen Voraussetzungen. 2. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten (Bescheid vom
4. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2017) ist rechtswidrig. Sie verletzt die Klägerin
in ihrem sich aus der fiktiven Genehmigung ihres Antrags ergebenden Leistungsanspruch und war daher aufzuheben. 3. Die Kostenentscheidung
beruht auf §
193 SGG. Soweit die Klägerin den noch erstinstanzlich formulierten Zinsantrag in der Berufungsinstanz nicht mehr weiterverfolgt hat,
fällt das aus Sicht des Senats nicht ins Gewicht.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.