Prüfungsanforderungen an das Gericht bei gleichzeitigem Eingang eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und eines
Klageschriftentwurfs im sozialgerichtlichen Verfahren
Aufrechterhaltung eines Krankengeldanspruchs aus der Beschäftigtenversicherung nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine beabsichtigte Klageerhebung auf Zahlung von Krankengeld ab dem 11. Juli 2015
Aussicht auf Erfolg hat.
Die 1957 geborene Beschwerdeführerin war bei der Antragsgegnerin als Beschäftigte pflichtversichert. Ihr Arbeitgeber kündigte
das Beschäftigungsverhältnis zum 28. November 2014. Seit dem 1. Dezember 2014 war sie arbeitsunfähig erkrankt und bezog Krankengeld.
Die Nervenärztliche Gemeinschaftspraxis Dr. R.-J./J./J. (im Folgenden: Nervenärztliche Gemeinschaftspraxis) bescheinigte ihr
am 29. Juni 2015 Arbeitsunfähigkeit (im Folgenden: AU) bis zum 10. Juli 2015 (Diagnose F 32.2). Am 13. Juli 2015 verordnete
der Facharzt J. stationäre Behandlung; eine weitere AU verneinte er. Vom 13. bis 21. Juli 2015 befand sich die Beschwerdeführerin
in stationärer Behandlung. Mit Bescheid vom 15. Juli 2015 teilte ihr die Antragsgegnerin mit, die ärztliche Feststellung der
weiteren AU am 13. Juli 2015 habe nicht am letzten Tag der Krankschreibung stattgefunden. Deshalb könne sie nur bis zum 10.
Juli 2015 Krankengeld zahlen. Ab dem 11. Juli 2015 sei sie nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Der Widerspruch
blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2015).
Am 12. November 2015 haben ihre Prozessbevollmächtigten beim Sozialgericht (SG) "Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage" gestellt. Im beigefügten "Entwurf" einer Klageschrift
vom 12. November 2015 haben sie ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei seit dem 1. Dezember 2014 bis auf weiteres wegen einer
depressiven Störung arbeitsunfähig erkrankt und habe sich deshalb auch in teil-/stationärer Behandlung befunden. Diese Erkrankung
habe nicht am 10. Juli 2015 geendet. Am 9. Juli 2015 sei ihr in der Nervenärztlichen Gemeinschaftspraxis mitgeteilt worden,
dass an diesem und am nächsten Tag kein Arzt anwesend sei; sie möge sich am darauf folgenden Montag, den 13. Juli 2015 erneut
vorstellen. An diesem Tag habe sie sich dann bei dem Arzt J. vorgestellt. Er habe ihr gesagt, er halte die Fortgewährung von
Krankengeld nicht für richtig und zwar wegen der finanziellen Belastung der Krankenkassen. Sie habe sich rechtzeitig um die
weitere Ausstellung eines Auszahlscheines bemüht und sei seitens ihres Arztes nicht auf mögliche Folgen oder ein Alternativverhalten
hingewiesen worden. Es sei ihr der Eindruck vermittelt worden, es sei ausreichend, wenn sie am nächsten Sprechtag (am 13.
Juli 2015), erneut erscheine.
Mit Beschluss vom 18. Januar 2016 hat das Sozialgericht (SG) die Gewährung von PKH abgelehnt. Die beabsichtigte Klage sei wegen Nichteinhaltung der Klagefrist unzulässig. Im Übrigen
kenne das
SGG keine Klage, die unter der Bedingung der Bewilligung von PKH erhoben werde.
Hiergegen hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt und ausgeführt, sie habe keine Klage unter der Bedingung der Bewilligung
von PKH erhoben, sondern PKH für ein erst zukünftig einzulegendes beabsichtigtes Rechtsmittel beantragt.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 18. Januar 2016 aufzuheben und ihr unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. M.-L.,
..., ..., Prozesskostenhilfe für das beabsichtigte Verfahren vor dem Sozialgericht Gotha zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin hat sich zu dem PKH-Antrag nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Beschwerdeakte sowie
der beigezogenen Prozessakte samt PKH-Heft des Sozialgerichts Gotha (Az.: S 38 KR 4382/15 PKH) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet. Die Beschwerdeführerin hat, allerdings aus anderen als den im Beschluss
der Vorinstanz genannten Gründen, keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH für das beabsichtigte Verfahren.
Nach §
73 a Abs.
1 SGG i.V.m. §
114 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn
bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum Erfolg
führen kann. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht den Standpunkt des Beteiligten nach dessen Sachdarstellung und den vorhandenen
Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung
überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für den Eintritt des angestrebten Erfolgs eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besteht. Letzteres ist hier nicht der Fall.
Nicht nachvollziehbar ist allerdings die Begründung der Vorinstanz. Tatsächlich hatten die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin
keine unzulässige bedingte Klage erhoben sondern eindeutig PKH beantragt und eine Klageerhebung angekündigt. Dies ist durchaus
zulässig. In seinem Urteil vom 13. Oktober 1992 (Az.: 4 RA 36/92, nach juris) führt das BSG aus: "Wird bei einem Gericht gleichzeitig mit einem Prozeßkostenhilfeantrag ein Schriftsatz eingereicht, der den an eine
Berufungsschrift zu stellenden Anforderungen entspricht, sind für dessen Auslegung drei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen:
Es kann sich um ein unabhängig von der Prozeßkostenhilfebewilligung eingelegtes oder um ein unter der Bedingung der Prozeßkostenhilfegewährung
erhobenes und damit unzulässiges Rechtsmittel oder schließlich um einen Schriftsatz handeln, der lediglich einen der Begründung
des Prozeßkostenhilfeantrages dienenden Entwurf eines erst zukünftig einzulegenden Rechtsmittels enthält. Was hiervon vorliegt,
ist im Wege der Auslegung nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, wobei es nicht auf den inneren Willen der Beteiligten,
sondern vielmehr auf den in der Erklärung verkörperten Willen unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände des Falles ankommt."
Vom objektiven Empfängerhorizont erfüllen der Schriftsatz vom 12. November 2015 und seine Anlage unzweifelhaft die letzte
hier genannte Alternative. Daher hätte die Vorinstanz die Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels prüfen und bei
der Bejahung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§
67 SGG) gewähren müssen. Dies entspricht der ständigen und gefestigten Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl.
die umfangreichen Nachweise bei BSG, Urteil vom 13. Oktober 1992 - Az.: 4 RA 36/92, nach juris). Die Rechtsansicht der Vorinstanz würde die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe aushöhlen, weil die Beschwerdeführerin
gezwungen wäre, sich bereits vor einer Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch die Mittel für die Beauftragung eines
Rechtsanwalt zu besorgen, was mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der möglichst weitgehenden Gleichstellung von bemittelten
und unbemittelten Verfahrensbeteiligten unvereinbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 13. Oktober 1992 - Az.: 4 RA 36/92, nach juris).
Nach summarischer Prüfung des Senats hat die beabsichtigte Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht. Die den Krankengeldanspruch
vermittelnde, auf einem Leistungsbezug beruhende Pflichtmitgliedschaft der Beschwerdeführerin bei der Antragsgegnerin endete
mit Ablauf des 10. Juli 2015. Sie kann einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit ab dem 11. Juli 2015 nicht ganz oder teilweise
auf §
19 Abs.
2 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) stützen. Nach §
44 Abs.
1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittel-rechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt
I Seite 1990 ff), gültig ab 1. August 2009 bis 22. Juli 2015, haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig
macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
(§
23 Abs.
4 SGB V, §§
24,
40 Abs.
2 SGB V und §
41 SGB V) behandelt werden. Ob und in welchem Umfang sie Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis,
das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für Krankengeld vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - Az.: B 1 KR 25/14 R m.w.N., nach juris).
Nach §
46 Satz 1
SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 entsteht der
Anspruch auf Krankengeld (1) bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
(§
23 Abs.
4 SGB, §
24 SGB V, §
40 Abs.
2 SGB V und §
41 SGB V) vom Beginn an, (2) im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt. Wird Krankengeld
wegen ärztlich festgestellter AU begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes demgemäß grundsätzlich auf den Tag
abzustellen, der dem Tag nach Feststellung der AU folgt. Das Gesetz bietet weder einen Anhalt für ein Verständnis des §
46 S 1 Nr. 2
SGB V als bloße Zahlungsvorschrift noch dafür, dass der Krankengeldanspruch nach §
44 SGB V schon bei Eintritt der AU entsteht (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - Az.: B 1 KR 25/14 R, nach juris). Die durch das Beschäftigungsverhältnis begründete Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin endete nicht mit dem
Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis endete (§
190 Abs.
2 SGB V), sondern bestand darüber hinaus unter den Voraussetzungen des §
192 SGB V fort. Sie bleibt nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V u.a. erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht. §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V verweist damit wieder auf die Vorschriften über den Krankengeldanspruch, die ihrerseits voraussetzen, dass ein Versicherungsverhältnis
mit Anspruch auf Krankengeld vorliegt. Die Mitgliedschaft blieb aufgrund des Bezuges von Krankengeld nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V bis zum 10. Juli 2014 erhalten. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach §
46 Satz 1 Nr. 2
SGB V - wenn keine stationäre Behandlung bzw. Rehabilitationsmaßnahmen erfolgen -, nur aufgrund ärztlicher Feststellung (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005 - Az.: B 1 KR 30/04 R, nach juris). Für den Umfang des Versicherungsschutzes ist demgemäß auf den Tag abzustellen, der dem Tag nach Feststellung
der AU folgt. Es reicht allerdings aus, dass Versicherte am letzten Tag des Versicherungsverhältnisses mit Anspruch auf Krankengeld
- hier des Versicherungsverhältnisses aufgrund der aufrecht erhaltenen Mitgliedschaft - alle Voraussetzungen erfüllen, um
spätestens mit Beendigung des Ablaufs dieses Tages und damit zugleich mit Beginn des nächsten Tages einen Krankengeldanspruch
entstehen zu lassen (vgl. BSG, Urteile vom 16. Dezember 2014 - Az.: B 1 KR 25/14 R und 10. Mai 2012 - Az.: B 1 KR 19/11 R, m.w.N., beide nach juris). Bei fortdauernder AU aber abschnittsweiser Krankengeldbewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt
gesondert zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs aus der Beschäftigtenversicherung ist es deshalb erforderlich,
aber auch ausreichend, dass die AU vor Ablauf des Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird (vgl.
BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - Az.: B 1 KR 25/14 R, nach juris). Dies war hier nicht der Fall.
Der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Krankengeld endete aufgrund der durch die Nervenärztlichen Gemeinschaftspraxis bis
zum 10. Juli 2015 bescheinigten AU an diesem Tag. Ihre Mitgliedschaft wurde nicht über den 10. Juli 2015 hinaus aufrechterhalten.
Bei der Vorstellung am 13. Juli 2015 war sie als freiwillig Versicherte ohne Anspruch auf Krankengeld versichert (vgl. §
44 Abs.
2 Nr.
1 SGB V).
Folgen der unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der AU sind grundsätzlich vom Versicherten zu tragen.
Die Ausschlussregelung des §
46 Abs.
1 Nr.
2 SGB V ist strikt zu handhaben; Ausnahmen werden nur in engen Grenzen anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005 - Az.: B 1 KR 30/04 R, nach juris). Dies kommt nur in Betracht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat,
um seine Ansprüche zu wahren, er daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde
(z.B. durch die Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes und des MDK) und er seine Rechte bei der Kasse unverzüglich
(spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beschwerdeführerin
hatte nicht alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan, um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit über
den 10. Juli 2015 hinaus zu erlangen. Sie suchte am 10. Juli 2015 bzw. vor Ablauf der Frist keinen Arzt persönlich auf. Anhaltspunkte
dafür, dass sie wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit an einer Wiedervorstellung beim Arzt gehindert war oder durch die
Beklagte falsch beraten worden wäre, liegen ebenfalls nicht vor. Anhaltspunkte dafür, die Beschwerdeführerin aufgrund eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie bis zum 10. Juli 2015 die AU ärztlich feststellen lassen,
bestehen nicht. Auch aus einer - unterstellten - unvollständigen Auskunft der Nervenärztlichen Gemeinschaftspraxis folgt kein
Anspruch gegen die Antragsgegnerin.
Die Beschwerdeführerin hat auch keinen Krankengeldanspruch nach §
19 Abs.
2 SGB V. Sie war ab dem 11. Juli 2015 nach §
9 Abs.
1 Nr.
1 SGB V ohne Krankengeldanspruch versichert. Dieser neue Status ist gegenüber der Auffangregelung des §
19 Abs.
2 SGB V vorrangig und schließt in Bezug auf das Krankengeld weitere Ansprüche aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, a.a.O.).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).