Sozialhilferecht: Rückforderungsanspruch des Schenkers als Mittel der Selbsthilfe
Gründe:
I.
Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung ihres (vorläufigen)
Betreuers muß ohne Erfolg bleiben. In gerichtlichen Verfahren, in denen - wie hier - Gerichtskosten nicht erhoben werden (vgl.
§
188 Satz 2
VwGO) und deshalb der Partei Kosten nur durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts entstehen können, besteht für die Bewilligung
von Prozeßkostenhilfe nur dann ein Bedürfnis, wenn die Partei die Vertretung durch einen Rechtsanwalt begehrt. Das ist hier
nicht der Fall. Die bisher im erstinstanzlichen Verfahren und zunächst auch im Beschwerdeverfahren für die Antragstellerin
aufgetretenen Rechtsanwälte _ haben dem Gericht mit Schriftsatz vom 17. März 1995 die Beendigung des Mandats mitgeteilt. Der
durch Beschluß des Amtsgerichts Pinneberg vom 12. Januar 1995 (42 XVII 1042) zum vorläufigen Betreuer mit dem Aufgabenkreis
"Verfolgung von Ansprüchen gegenüber dem Sozialhilfeträger incl. Prozeßführung" bestellte Dipl.Rpfl. P, B, hat auch keinen
anderen zur Vertretung der Antragstellerin bereiten Rechtsanwalt benannt. Sein Antrag, ihn der Antragstellerin als Prozeßbevollmächtigten
beizuordnen, scheitert an §
121 Abs.
2 ZPO. Danach kommt in Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, auf Antrag einer Partei nur
die Beiordnung eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts in Betracht. Der (vorläufige) Betreuer der Antragstellerin firmiert
zwar als Rechtsbeistand unter der Kanzlei der Notare und Rechtsanwälte _, ist selbst jedoch nicht Rechtsanwalt.
II.
Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Zur Sicherstellung der weiteren Unterbringung und Pflege der 88jährigen Antragstellerin
im Haus und zur Abwendung einer Räumungsklage - der Heimplatz der Antragstellerin ist wegen Zahlungsrückständen bereits zum
28. Februar 1995 fristlos gekündigt worden - ist die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
die durch die eigenen (Renten-) Einkünfte der Antragstellerin nicht gedeckten Heimpflegekosten für die Vergangenheit (ab Oktober
1994) und für die begrenzte Zeit bis Juni 1995 aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen. Jedenfalls für diesen Zeitraum hat
die Antragstellerin glaubhaft machen können, in bezug auf den unstreitig vorliegenden pflegerischen Bedarf hilfebedürftig
zu sein und Hilfe von anderen - insbesonderer ihrer Tochter - nicht (rechtzeitig) erhalten zu können. Dagegen müssen der Antrag
auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und die Beschwerde ohne Erfolg bleiben, soweit die Antragstellerin die Verpflichtung
der Antragsgegnerin begehrt, die (ungedeckten) Heimpflegekosten für die Zukunft ohne zeitliche Begrenzung zu übernehmen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die seit Februar 1986 verwitwete Antragstellerin wegen ihres Alters und ihres
Gesundheitszustandes der Betreuung und Pflege in dem Haus, in dem sie seit Oktober 1993 wohnt, sozialhilferechtlich bedarf.
Die Kosten hierfür belaufen sich nach dem Pflegeheimvertrag vom 29. September 1993 auf täglich 126,-- DM. Diese Kosten kann
die Antragstellerin aus ihren monatlichen Einkünften (Altersrente 68,07 DM, Kinderleistungen in Höhe von 66,80 DM, Witwenrente
1.533,66 DM) nur zu einem Teil aufbringen. Hinsichtlich der restlichen Kosten für die notwendige Heimpflege ist die Antragstellerin
gegenwärtig auch (noch) als hilfebedürftig anzusehen und scheitert ein Anspruch auf Übernahme dieser Aufwendungen durch die
Antragsgegnerin nicht am Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe.
Zwar erhält nach § 2 Abs. 1 BSHG Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen erhält.
Dabei muß sich der Hilfesuchende auch auf künftige Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung verweisen lassen, soweit sie in angemessener
Frist zu verwirklichen sind. Es wäre mit dem Nachranggrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn der einzelne sich ohne Rücksicht
auf die Möglichkeit, seinen Bedarf von dritter Seite zu befriedigen, an den Träger der Sozialhilfe mit der Bitte um Hilfe
wenden könnte, um diesem auch dann die Durchsetzung seiner Ansprüche - etwa nach §§ 90, 91 BSHG - zu überlassen, wenn er selbst bei rechtzeitigem Tätigwerden eine Deckung seines Bedarfs hätte erreichen können (Beschluß
des Senats v. 28.4.1989, FEVS Bd. 39 S. 148, 149; Beschluß v. 22.2.1995 - OVG Bs IV 256/94 -). Insoweit ist - wie die Antragsgegnerin im Grundsatz zu Recht annimmt - die Realisierung von Leistungsverpflichtungen
Dritter eine Möglichkeit der Selbsthilfe, deren Einsatz vom Sozialhilfeträger gefordert werden kann, bevor ein Anspruch auf
Sozialhilfe entsteht (Beschluß des Senats v. 22.2.1995, a.a.O.; VGH Kassel, Beschluß v. 31.8.1992, NVwZ-RR 1993 S. 307). Zu derartigen Leistungsverpflichtungen Dritter zählt grundsätzlich auch der Rückforderungsanspruch des Schenkers - hier
der Antragstellerin - gegen den Beschenkten - hier ihre Tochter, Frau A, A, geb. K, - wegen Verarmung gemäß §
528 Abs.
1 BGB. Ein Rechtsanspruch auf Hilfe durch einen Dritten steht einem Sozialhilfeanspruch jedoch nur dann entgegen, wenn der Anspruch
rechtzeitig durchzusetzen ist, d.h. wenn seine Verwirklichung umgehend möglich scheint und es sich deshalb um ein bereites
Mittel der Selbsthilfe handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.10.1993, Buchholz 436.0 § 2 Nr. 16; Beschlüsse des Senats v. 28.4.1989,
a.a.O., S. 150, und v. 22.2.1995, a.a.O. - dort jeweils zu Unterhaltsansprüchen -; VGH Kassel, Beschluß v. 31.8.1992, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall dürfte davon auszugehen sein, daß der Antragstellerin im Grundsatz ein Rückforderungsanspruch wegen Verarmung
nach §
528 Abs.
1 BGB zusteht. Danach kann ein Schenker, soweit er nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt
zu bestreiten, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten
Bereicherung fordern; nach Satz 2 kann der Beschenkte die Herausgabe durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags
abwenden.
Es ist unstreitig, daß die Antragstellerin durch Überlassungsvertrag vom 16. Dezember 1988 ihrer Tochter und deren Ehemann
das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück R, 80 (eingetragen im Grundbuch von) mit einer Größe von 576 qm zumindest
teilweise im Wege der Schenkung überlassen hat. Je nach Bewertung des in dem genannten Vertrag vereinbarten Wohnungsrechts
für die Antragstellerin kommen die Beteiligten zwar zu einer unterschiedlichen Bewertung des schenkweise überlassenen Teils.
Die Antragstellerin hat jedoch im Laufe des Widerspruchsverfahrens insoweit selbst eingeräumt, daß der Schenkungsanteil -
ausgehend von einem Wert des Grundstücks im Jahre 1988 von 200.000,-- DM - 95.640,-- DM betrage. Ob dieser Anteil dagegen
- wie die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1995 annimmt - auf 119.000,-- DM festzusetzen ist, ist nicht
für das Bestehen des Anspruchs nach §
528 BGB dem Grunde nach, sondern nur für dessen Höhe maßgebend.
Der Rückforderungsanspruch der Antragstellerin wegen Verarmung gegen ihre Tochter und deren Ehemann nach §
528 Abs.
1 BGB ist hier nicht etwa auf eine Rückgängigmachung der Eigentumsübertragung an dem genannten Grundstück bzw. einen Widerruf der
Schenkung gerichtet. Dieser Anspruch geht vielmehr nur auf Herausgabe dessen, was der Schenker zur Behebung seiner Bedürftigkeit
benötigt. Ist der eingetretene Notbedarf - hier die monatlich durch eigene Einkünfte nicht gedeckten Heimpflegekosten - geringer
als der Wert des Geschenks, so kann deshalb nur ein zur Bedarfsdeckung jeweils erforderlicher Teil herausverlangt werden (BVerwG,
Urt. v. 25.6.1992, BVerwGE Bd. 90 S. 245, 247 ff., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH). Das sind bei einem - wie hier - wiederkehrenden Bedarf bei Heimunterbringungs-
und -pflegekosten wiederkehrende Leistungen in der dem Bedarf entsprechenden Höhe, also der jeweiligen Restheimkosten.
Der Antragsgegnerin dürfte auch in der im Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1995 niedergelegten Begründung zu folgen sein,
daß die Tochter und der Schwiegersohn der Antragstellerin diesem Anspruch nicht die Einrede des §
529 Abs.
2 BGB entgegenhalten können. Danach ist der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks ausgeschlossen, soweit der Beschenkte bei Berücksichtigung
seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, das Geschenk herauszugeben, ohne daß sein standesgemäßer Unterhalt gefährdet
wird. Soweit die Tochter der Antragstellerin und ihr Schwiegersohn, die bis zu der von dem bisherigen Prozeßbevollmächtigten
angeregten und vom Amtsgericht Pinneberg im Januar 1995 beschlossenen Bestellung eines Betreuers das Verfahren auf Übernahme
der ungedeckten Heimpflegekosten allein betrieben haben, in diesem Zusammenhang vortragen, der alleinverdienende Schwiegersohn
habe nur Nettoeinkünfte von monatlich rund 2.700,-- DM und hiervon seien noch Abzahlungsverpflichtungen von monatlich 750,--
DM zu bedienen, so daß ihnen bei Berücksichtigung der zustehenden Selbstbehalte keine weiteren Unterhaltslasten aufgebürdet
werden könnten, läßt dieser Vortrag den nicht unerheblichen Wert des Geschenks durch die Antragstellerin außer Betracht. Die
(teilweise) Schenkung des Grundstücks stellt jedoch den Grund für den Rückforderungsanspruch nach §
528 Abs.
1 BGB dar, der - wie oben dargelegt - der Sache nach auf die Übernahme der durch eigene Einkünfte der Antragstellerin nicht gedeckten
Heimkosten gerichtet ist und der - was ebenfalls aus der Natur dieses Anspruchs folgt - in der Höhe des Geschenks zugleich
seine Begrenzung findet. In bezug auf das ihnen überlassene Grundstück haben die Tochter der Antragstellerin und ihr Schwiegersohn
jedoch nicht dargelegt, daß der Anspruch hieraus nicht befriedigt werden kann, d.h. dieses Grundstück sich nicht wirtschaftlich
in der Weise verwerten ließe, daß der Tochter der Antragstellerin und ihrem Ehemann - neben dem Erwerbseinkommen - weitere
finanzielle Mittel zufließen könnten, mit denen sie die Restheimkosten decken könnten. Insoweit hat die Antragsgegnerin zu
Recht darauf hingewiesen, daß eine derartige Verwertung vor allem durch einen Verkauf, evtl. aber auch durch Beleihung (Bestellung
einer Grundschuld und eines sukzessive bis zur Höhe des Geschenks aufzunehmenden Darlehens) verwirklicht werden kann. Dann
dürfte eine Gefährdung des standesgemäßen Unterhalts der Tochter der Antragstellerin und deren Ehemanns im Sinne von §
529 Abs.
2 BGB schwerlich in Betracht kommen.
Gleichwohl kann die Antragstellerin derzeit (noch) nicht auf die Durchsetzung dieses Rückforderungsanspruchs verwiesen und
ihr deshalb Sozialhilfe versagt werden. Denn derzeit ist ihr eine umgehende Verwirklichung der Ansprüche gegen ihre Tochter
und ihren Schwiegersohn nicht möglich und der Anspruch nach §
528 Abs.
1 BGB deshalb kein "bereites" Mittel. Das folgt daraus, daß sie - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - nicht in der
Lage ist, ihre geschäftlichen Dinge selbst in die Hand zu nehmen (vgl. Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. E, vom 6.10.1993).
Dies war offenbar der Anlaß für die Bestellung eines (vorläufigen) Betreuers durch das Amtsgericht Pinneberg im Januar 1995.
Da dessen Aufgabenkreis bisher jedoch auf die Verfolgung von Ansprüchen gegenüber dem Sozialhilfeträger inkl. Prozeßführung
beschränkt ist, scheidet eine rechtzeitige, einen Hilfeeintritt der Antragsgegnerin entbehrlich machende Geltendmachung von
Ansprüchen gegen die Tochter der Antragstellerin und deren Ehemann durch den jetzigen Betreuer jedenfalls derzeit aus. Dieser
dürfte allerdings nach Bekanntgabe dieser Entscheidung gemäß §
1901 Abs.
4 BGB gehalten sein, dem Vormundschaftsgericht mitzuteilen, daß die Verfolgung eines Rückforderungsanspruchs nach §
528 Abs.
1 BGB in Erwägung zu ziehen ist. Es liegt nahe, daß das Vormundschaftsgericht dies bei seiner Entscheidung über die endgültige
Bestellung eines Betreuers berücksichtigt und den Aufgabenkreis ggf. allgemein auf die Durchsetzung von Ansprüchen zur Sicherung
der Pflege erweitert. Aus diesem Gesichtspunkt ist deshalb die zeitliche Dauer der erlassenen einstweiligen Anordnung - auf
den 30. Juni 1995 - zu begrenzen. Es steht zu erwarten, daß innerhalb dieser Zeit ein Betreuer für die Antragstellerin mit
einem entsprechenden Aufgabenkreis tätig werden wird, und es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, daß eine Geltendmachung
eines Anspruchs nach §
528 Abs.
1 BGB in dem oben erwähnten Umfang gegen die Tochter der Antragstellerin und deren Ehemann durch einen Betreuer Erfolg hat. In
gleicher Weise ist in Betracht zu ziehen, daß diese ihre Auffassung ändern und die ungedeckten Heimpflegekosten übernehmen
und die Bewilligung weiterer Mittel der Sozialhilfe dadurch entbehrlich wird.