Sozialhilferecht: Zumutbarkeitsgrenze für die Übernahme von Bestattungskosten durch einen nahen Angehörigen
Tatbestand:
Am 13. September 1992 starb die Mutter des Klägers, der die Beklagte Hilfe zur Pflege in einem Altenheim gewährt hatte. Das
Altenheim unterrichtete die Beklagte unter dem 29. September 1992 über den Tod der Hilfeempfängerin.
Am 12. Oktober 1992 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kosten der Bestattung zu übernehmen. Mit Schreiben vom 19.
Oktober 1992 übersandte der Kläger der Beklagten die Rechnung des Bestattungsunternehmens über 5.256,07 DM, auf der Rechnung
ist vermerkt, die Allgemeine Ortskrankenkasse habe 2.100,-- DM geleistet.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 1992 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, er sei zu spät gestellt worden, nämlich
erst nachdem das Bestattungsunternehmen beauftragt worden sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 15. Januar 1993 zurück und führte zur Begründung aus: Aufwendungen für eine Bestattung, deren Übernahme erst nach der
Bestattung beantragt worden sei, seien in der Regel nicht zu übernehmen, allenfalls käme eine Übernahme in Betracht, wenn
der Antrag innerhalb einer angemessenen Frist nach der Beisetzung gestellt worden sei. Diese Frist sei hier überschritten
worden.
Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 12. August 1993 verpflichtet, Kosten für
die Bestattung in Höhe von 1.185,48 DM zu tragen, und im übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach
§ 15 BSHG seien die erforderlichen Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden könne,
die Kosten zu tragen. Der Kläger sei verpflichtet, für die Kosten der Bestattung als Alleinerbe aufzukommen. § 5 BSHG schließe den Anspruch nicht aus. Nach dieser Vorschrift setze Sozialhilfe erst ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder
den von ihm beauftragten Stellen bekannt werde, daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorlägen. Der Grundsatz, daß Sozialhilfe
nicht für vergangenen Bedarf geleistet werde, setze voraus, diesen Bedarf genau zu bestimmen, er bestehe bei § 15 BSHG in Form von "Kosten einer Bestattung", davon zu unterscheiden sei die schuldrechtliche Verpflichtung, die ein Erbe eingehe,
wenn er ein Bestattungsvertrag schließe. Erst aus einem solchem Vertrag fielen Kosten im Sinne von § 15 BSHG an, sie seien am 14. Oktober 1992, dem Tage der Beisetzung der Urne entstanden.
Allerdings seien die von dem Kläger bezeichneten Kosten nicht im vollem Umfang im Sinne von § 15 BSHG "erforderlich", es ergeben sich lediglich Kosten in Höhe von 3.958,37 DM, die ausreichten, eine würdige Bestattung zu sichern.
Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend:
Auch bei der Anwendung von § 15 BSHG sei § 5 BSHG zu beachten. Die Kosten einer Bestattung könnten nach der Bestattung nicht mehr übernommen werden, allenfalls ausnahmsweise,
wenn der Antrag innerhalb einer angemessenen Frist nach der Beisetzung gestellt worden sei. Angemessen sei eine Frist von
allenfalls zwei Wochen. Zu Unrecht meine das Verwaltungsgericht, daß der zu deckende sozialhilferechtliche Bedarf erst dann
entstehe, wenn das Bestattungsunternehmen die Rechnung übersende. Zum einen hätte es dann der Unternehmer in der Hand, zu
entscheiden, wann und ob ein Bedarf im Sinne von § 15 BSHG entstehe, zum anderen komme es nach dem anzuwendenden Werkvertragsrecht gemäß §
641 Abs.
1 BGB auf die Abnahme des Werkes an; dann werde die Vergütung fällig. Schließlich habe das Verwaltungsgericht von dem Kläger einen
zu geringen Einsatz seines Einkommens verlangt. Das gelte insbesondere, weil das Verwaltungsgericht bei der Bemessung des
Einkommenseinsatzes Aufwendungen für die Heizung zu Unrecht berücksichtigt habe. Der Kläger müsse sich entgegen der Auffassung
des Verwaltungsgerichts nicht nur mit 360,-- DM sondern mit 1.000,-- DM an den Kosten beteiligen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die Begründung des angefochtenen Urteils und bemerkt, er stelle "zur Prüfung, ob die Beklagte, die gesamten
Kosten der Bestattung zu tragen habe"; es habe sich um eine Bestattung im würdigen Rahmen gehandelt, er habe nicht einmal
die Übernahme der Kosten für einen Grabstein verlangt, ein Grabstein gehöre aber zu einer würdigen Bestattung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist nur teilweise begründet.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, § 5 BSHG sei im Rahmen von § 15 BSHG nicht anzuwenden, es hat aber den Anteil der Bestattungskosten, den der Kläger selber zu tragen hat, nicht zutreffend ermittelt.
In der Rechtsprechung des 4. Senats des Oberverwaltungsgerichtes (Urt. v. 4. April 1984 - 4 OVG A 378/82 - und ständige Rechtsprechung u.a. : Urt. v. 14. August 1991 - 4 L 146/90 -, DÖV 1992, 413 - Leitsatz -) ist geklärt, daß § 5 BSHG auf die Vorschrift des § 15 BSHG nicht anzuwenden ist. Dazu hat der 4. Senat ausgeführt:
§ 15 BSHG setzt Hilfsbedürftigkeit des "Verpflichteten" nicht voraus, regelt also nicht einen typischen Sozialhilfeanspruch. Auch wäre
es mit dem Wesen des Sterbefalles nicht zu vereinbaren, von den "Verpflichteten", also in der Regel den nächsten Angehörigen
des Verstorbenen, zu verlangen, daß sich diese noch vor der Beerdigung wegen der Kosten an das Sozialamt werden. Das Strukturprinzip
des Sozialhilferechtes, das § 5 BSHG ausdrückt - keine Hilfe für die Vergangenheit -, ist deshalb auf § 15 BSHG nicht anzuwenden. Dann kommt es nicht darauf an, ob es auch "Verpflichtete" geben mag, denen es zuzumuten wäre, sich noch
vor der Beerdigung des Verstorbenen an das Sozialamt zu wenden. Aus diesen Gründen schließt sich der Senat nicht der abweichenden
Meinung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 28.4.1989, FEVS 39, 144) an.
Diese Auffassung hält auch der 12. Senat für zutreffend. Er geht deshalb nicht näher auf die Auffassung des Hamburgischen
Oberverwaltungsgerichtes (a.a.O.) ein. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht begründet seine Auffassung - nur - damit, daß
§ 15 BSHG eine Vorschrift des Bundessozialhilfegesetzes und deshalb auch § 5 BSHG anzuwenden sei. Dem ist indessen nach dem Gesagten nicht zuzustimmen, auch das Bundessozialhilfegesetz kennt Vorschriften - vgl. § 121 BSHG - die nicht auf § 5 BSHG abheben.
Dahinstehen kann, ob die Übernahme der Kosten für die Bestattung in angemessener Zeit nach der Bestattung begehrt werden muß,
weil nach einem solchen Maßstab der Antrag hier rechtzeitig gestellt wäre, abgesehen davon, daß die Beklagte bereits Ende
September 1992 über den Tod der Hilfeempfängerin unterrichtet war und es angesichts des Inhalts der Akten bekannt war, daß
die Erben voraussichtlich für die Bestattung nicht würden aufkommen können.
Das Verwaltungsgericht hat den Umfang der i.S. von § 15 BSHG erforderlichen Kosten zutreffend bestimmt. Insoweit bemißt sich das Maß des Erforderlichen nach den ortsüblichen Aufwendungen
für eine einfache, aber würdige Bestattung (vgl. 4. Senat des Oberverwaltungsgerichtes, Urt. v. 25. September 1991 - 4 L 262/92 -). Danach hat das Verwaltungsgericht den Aufwand sorgfältig ermittelt. Diese Überlegungen macht sich der Senat zu eigen.
Der Senat stimmt dem Verwaltungsgericht allerdings nicht in vollem Umfang zu, soweit es dargestellt hat, in welchem Umfang
der Kläger eigenes Einkommen einzusetzen hat. Dabei teilt der Senat den Ansatzpunkt des Verwaltungsgerichts, das einzusetzende
Einkommen sei nach den §§ 79 ff. BSHG zu bestimmen. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, der Erbe begehre - im Ergebnis - wegen der Übernahme
der Bestattungskosten eine Hilfe, die der Hilfe in einer besonderen Lebenslage gleichkomme. Da § 15 BSHG den Begriff "nicht zugemutet werden kann", verwendet, den auch § 79 Abs. 1 und Abs. 2, sowie § 84 Abs.1 Satz 1 BSHG verwenden, liegt es nahe, an diese Vorschriften anzuknüpfen. Schließlich trifft auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts
zu, § 84 Abs. 1 BSHG erlaube es, dadurch dem Einzelfall gerecht zu werden, daß die Aufbringung der Mittel - soweit das zu berücksichtigende Einkommen
die maßgebende Einkommensgrenze übersteigt - nur in angemessenem Umfang zu fordern ist. Der Senat zieht deshalb zur Auslegung
des Begriffs "nicht zugemutet werden kann" nicht § 3 Abs. 1 BSHG heran (vgl. hierzu: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27. März- 1992 - 6 S 1736/90 -, FEVS 42, 380). Bei dem Rückgriff auf diese Vorschrift ist es - mangels näherer Anhaltspunkte - nicht möglich, in einem
auch für die Träger der Sozialhilfe praktikablem Maßstab zu bezeichnen, in welchem Umfang Einkommen anzusetzen ist, soweit
Hilfe nach § 15 BSHG begehrt wird.
Wendet man § 84 Abs. 1 BSHG an, so hält der Senat für angemessen, daß nahe Verwandte (z.B. Kinder oder Ehegatten des Verstorbenen) aus ihrem zu berücksichtigenden
Einkommen, das die maßgebende Einkommensgrenze (§ 79 BSHG) übersteigt, in der Regel 50 v.H. aufwenden, um die von dritter Seite (z.B. Leistungen einer Krankenkasse) und durch das
Vermögen des Erblassers nicht gedeckten Kosten für die Bestattung aufzubringen. Bei dieser Bemessung hat der Senat die "Art
des Bedarfs" berücksichtigt, sowie bedacht, daß es sich um eine Belastung handelt, die nicht wiederholt auftritt. Angesichts
dieser Überlegungen hält es der Senat für gerechtfertigt, besondere Belastungen des Hilfesuchenden und seiner unterhaltsberechtigten
Angehörigen (§ 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG) nur dann zu berücksichtigen, wenn sie einen besonderen Umfang erreichen und deshalb das Maß dessen verlassen, was häufig
oder gar regelmäßig an besonderen Belastungen (hierzu rechnen Aufwendungen für die Heizung nicht, sie sind in der Regel im
Rahmen von § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht zu berücksichtigen) vorhanden zu sein pflegt. So bleiben Aufwendungen - etwa im Hinblick auf die Begleichung von Schulden
- geringeren Ausmaßes bei dieser entsprechenden Anwendung des § 84 BSHG unberücksichtigt, besondere Belastungen sind in die Überlegungen nur einzubeziehen, soweit sie das beschriebene Maß übersteigen
(so sind deshalb Aufwendungen für Körperpflege u.ä. nicht einzubeziehen).
Da dem Hilfesuchenden insoweit ein Teil seines Einkommens verbleibt, das die Einkommensgrenze übersteigt, ist es ihm möglich,
aus diesem Einkommen Aufwendungen geringeren Umfangs, wie sie bei einer Bestattung üblich sein mögen aufzubringen, in diesem
Zusammenhang mag an eine Bewirtung der Trauergäste sowie an ein geringes "Trinkgeld" für die Mitarbeiter des Altenheims, in
dem der verstorbene Hilfeempfänger gewohnt hat, gedacht werden.
Hiernach gilt:
Die Einkommensgrenze beträgt 1.931,-- DM (Grundbetrag in Höhe von 924,-- DM; Kosten der Unterkunft - ohne Heizung - 600,--
DM; Familienzuschlag für die Ehefrau des Klägers in Höhe von 80 v.H.des maßgebenden Regelsatzes für den Haushaltsvorstand
in Höhe von 407,-- DM; das Verwaltungsgericht hat bei seiner Bemessung unrichtigerweise nicht den maßgebenden Regelsatz des
Haushaltsvorstandes, sondern des erwachsenen Haushaltsangehörigen zugrunde gelegt). Angesichts des Einkommens des Klägers
und seiner Ehefrau von 3.100,-- DM im Monat ergibt sich ein die Einkommensgrenze übersteigendes Einkommen in Höhe von 1.169,--
DM, das zu 50 v.H. zur Deckung der Kosten der Bestattung einzusetzen ist (nach dem Gesagten sind geltend gemachte besondere
Belastungen nicht zu berücksichtigen, weil sie das beschriebene durchschnittliche Maß nicht übersteigen). Bei Ansatz der erforderlichen
Kosten der Bestattung in Höhe von 3.958,37 DM und den hiervon abzuziehenden Leistungen der Krankenkasse in Höhe von 2.100,-
DM sowie des Wertes des Nachlasses von 312,89 DM sowie des einzusetzenden Einkommens in Höhe von 584,50 DM ist die Beklagte
zu verpflichten, für die Bestattung eine einmalige Leistung in Höhe von 960,98 DM zu gewähren.
Der Senat hat nicht über eine Anschlußberufung des Klägers zu entscheiden. Der Senat bewertet die Bemerkung des Klägers, er
stelle zur Prüfung, ob die Beklagte die gesamten Kosten der Bestattung zu tragen habe, nicht dahin, daß er Anschlußberufung
(§
127 VwGO) einlege; denn nach dem Inhalt der Akten verteidigt der Kläger sich nur gegen die Berufung der Beklagten (insoweit hat er
- nur - beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und macht im übrigen sinngemäß geltend, es seien noch höhere Aufwendungen
für die Bestattung zu berücksichtigen und dies habe zur Folge, daß die Berufung der Beklagten selbst dann zurückzuweisen wäre,
wenn ihrer Auffassung zu folgen wäre, er habe in höherem Umfang als von dem Verwaltungsgericht erkannt, aus seinem Einkommen
die Kosten für die Bestattung aufzubringen). Dabei bedenkt der Senat auch, daß der Kläger seit längerer Zeit ehrenamtlicher
Richter in dem 4. Senat des Oberverwaltungsgerichtes ist und dem Kläger daher vertraut ist, daß es eines ausdrücklichen Antrages
bedarf, wenn ein Kläger erreichen will, daß das Urteil des Verwaltungsgerichtes auch zu seinen Gunsten geändert wird.
An dieser Bewertung ändert der Hinweis des Klägers nicht, er habe noch weitere Aufwendungen für die Bestattung - etwa die
Übernahme der Kosten für einen Grabstein - geltend machen können. Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens ist die Übernahme von solchen Kosten nicht (sie werden von seinem bei der Beklagten gestellten Antrag nicht erfaßt),
so daß sich auch der Senat nicht damit zu befassen hat, ob die Beklagte verpflichtet werden könnte, diese Kosten zu tragen.
Davon abgesehen bliebe eine Anschlußberufung nach dem Gesagten ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
155 Abs.
1 Satz 1,
188 Satz 2, 167
VwGO, 708 Nr.
11 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen (§
132 Abs.
2 VwGO), bestehen nicht.