Sozialhilferecht: Berücksichtigung des Erziehungsbeitrags bei Hilfe zum Lebensunterhalt eines Kindes
Tatbestand:
Der Beklagte gewährt der Klägerin und ihren beiden Kindern Hilfe zum Lebensunterhalt.
In ihrem Haushalt lebt ferner das Kind D in Vollzeitpflege gemäß § 33 KJHG. Der Beklagte zahlt der Klägerin für die Vollzeitpflege des Kindes ein Pflegegeld in Höhe von 788,-- DM monatlich, in dem
für die "Kosten der Erziehung" ein Anteil in Höhe von 300,-- DM enthalten war.
Bei der der Klägerin gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt brachte er den Erziehungsbetrag in Höhe von 300,-- DM als Einkommen
der Klägerin in Ansatz. Die nach erfolglosem Vorverfahren gegen die Kürzung in Höhe von 300,-- DM erhobene Klage war erfolgreich.
Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Der Erziehungsbeitrag in Höhe von 300,-- DM darf nicht als Einkommen der Klägerin angesehen werden; der Klägerin steht deshalb
im streitigen Zeitraum ein Anspruch auf eine entsprechend höhere Hilfe zum Lebensunterhalt zu.
Der Erziehungsbeitrag in Höhe von 300,-- DM monatlich ist zwar Einkommen im Sinne des § 76 BSHG. Es handelt sich um eine Einkunft in Geld, die nach § 39 KJHG - hier noch anzuwenden in der Fassung vom 26.6.1990 (BGBl I, 1163) - gewährt wird. Nach § 39 Abs. 1 KJHG ist - wird Hilfe, wie hier, zur Erziehung nach § 33 (Vollzeitpflege) gewährt - der notwendige Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen außerhalb der Elternhauses sicherzustellen.
Nach § 39 Abs. 3 KJHG umfaßt der Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen in Vollzeitpflege den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten
der Erziehung. Nach Satz 2 dieses Absatzes soll der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt
werden, und zwar, wie sich aus Abs. 4 ergibt, auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten, sofern sie einen angemessenen
Umfang nicht übersteigen, in der Regel durch einen monatlichen Pauschalbetrag. Nach § 39 Abs. 5 KJHG sollen die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festgesetzt
werden. Auf dieser Grundlage hat der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NW)
- soweit hier einschlägig - durch Runderlaß vom 15.1.1991 - IV B 2-6122.1 (MBl NW 1991, 174) die Pauschalbeträge für Leistungen
zum Unterhalt bei Erziehung in Vollzeitpflege wie folgt festgesetzt: Für Kinder bis zum vollendeten 7. Lebensjahr:
materielle Aufwendungen: 628,-- DM Kosten der Erziehung: 300,--- DM Gesamtbetrag: 928,-- DM.
Hiernach stellt der im vorliegenden Verfahren streitige "Erziehungsbeitrag" in Höhe von 300,-- DM den im Gesamtbetrag der
Pauschale für Leistungen zum Unterhalt bei Erziehung in Vollpflege in Höhe von 928,-- DM enthaltenen Anteil der "Kosten
der Erziehung" dar und ist deshalb eine Einkunft in Geld nach anderen gesetzlichen Regelungen als denen des BSHG.
Es ist aber bereits fraglich, wessen Einkommen der Erziehungsbeitrag ist...
Diese Zurechnungsproblematik braucht letztlich nicht vertieft und entschieden zu werden, weil der Erziehungsbeitrag nach
§ 77 Abs. 1 BSHG nicht als Einkommen der Klägerin berücksichtigt werden darf.
Nach § 77 Abs. 1 BSHG sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden,
nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Bei dem Erziehungsbeitrag
als Bestandteil der Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen nach § 39 KJHG handelt es sich um eine aufgrund dieser öffentlich-rechtlichen Vorschrift gewährte Leistung. Insoweit hat sich die Rechtslage
durch das Inkrafttreten des KJHG am 1.1.1991 verändert und ist das zum vorherigen Rechtszustand unter der Geltung des JWG ergangene Urteil des OVG NW vom
8.7.1975 - VIII A 964/74 - jedenfalls nicht mehr einschlägig...
Der "Erziehungsbeitrag" genauer gesagt: der in dem Pauschalbetrag für die Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen
nach § 39 KJHG enthaltene Anteil der Kosten der Erziehung - wird zu einem ausdrücklich genannten Zweck im Sinne des § 77 Abs. 1 BSHG gewährt.
Durch die Vorschrift des § 77 BSHG soll einerseits verhindert werden, daß Leistungen, die der nach öffentlichen Recht Leistende mit einer besonderen Zweckbestimmung
gewährt, vom Hilfesuchenden zu anders gearteten Zwecken eingesetzt werden müssen; andererseits soll durch die Regelung auch
der Ausschluß von Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln für ein und denselben zweck erreicht werden
vgl. BverwG, z.B. Urteil vom 12.4.1984 - 5 C 3.83 -, FEVS 33, 353; OVG NW, Urteil vom 10.1.1989 - 8 A 1759/87 -, m.w.N.
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Besteht die Leistung eines anderen als Gesamtleistung aus mehreren Teilen, sind für die Qualifizierung der Leistung als
mit einer anderen Hilfeleistung zweckgleich die Zweckrichtungen der Teilleistungen entscheidend und zu ermitteln.
Vgl. zu § 43 Abs. 3 BSHG: BVerwG, Urteil vom 26.7.1994 - 5 C 11.92 - BVerwGE 96, 379, = DVBl 1995, 673.
Im Hinblick auf die von dem Anspruch nach § 39 KJHG umfaßte Teilleistung "Erziehungsbeitrag" kommt auch deren Zweck, ohne daß auf die Gesetzesmaterialien zurückgegriffen
werden müßte, in der gesetzlichen Regelung des § 39 KJHG hinreichend deutlich zum Ausdruck. Zweck auch dieser Leistung ist nämlich, daß "auch der notwendige Unterhalt des Kindes
oder des Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen ist", wird Hilfe - wie hier - nach § 39 KJHG - gewährt. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 39 Abs. 3 umfaßt der Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen in Vollzeitpflege den gesamten Lebensbedarf einschließlich
der Kosten der Erziehung. Dieser gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf des Kindes oder des Jugendlichen soll durch laufende
Leistung gedeckt werden. Der Beklagte verkennt diese gesetzlich vorgegebene Zweckbestimmung nach der gerade nicht die erzieherische
Tätigkeit als solche "entlohnt" werden soll, sondern Kosten der Erziehung des Kindes oder des Jugendlichen gedeckt werden
sollen. Der Erziehungsbeitrag unterscheidet sich mit diesem personenbezogenen Kostendeckungszweck auch vom Kindergeld. Dieses
wird "familienbezogen" geleistet.
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 11.10.1985 - 5 B 80.85 -, FEVS 35, 1.
Durch die gesetzliche Regelung selbst wird eindeutig ausgedrückt, daß der Erziehungsbeitrag Bestandteil des Unterhaltsanspruches
des Kindes oder des Jugendlichen ist und dessen Bedarf durch laufende Leistungen in der Form von Pauschalbeträgen gedeckt
werden soll. Der Erziehungsbeitrag wird deshalb nach dem Gesetzeswortlaut nicht ohne irgendeine Zweckbindung zur freien
Verfügung überlassen. Er dient bei der Hilfe zur Erziehung eines Kindes zu dessen Bedarfsdeckung zwar sowohl im Hinblick
auf möglicherweise anfallende konkrete Erziehungskosten (Ausgaben) als auch nicht meßbare immaterielle Werte der Erziehung
selbst. Es sollte - dies ergibt sich ergänzend aus der Entstehungsgeschichte des § 39 KJHG - eine Gleichstellung mit dem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch des Kindes nach §
1610 Abs.
2 BGB erreicht werden, weil kein Grund dafür ersichtlich sei, daß der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Kindes die Kosten
der Erziehung umfasse, die öffentlich-rechtliche Sicherstellung des Lebensunterhalts diese Kosten aber ausspare, wenn das
Kind in einer Pflegefamilie lebe.
Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KJHG, BT-Drucks. 11/5948, S. 75 f.
Nach der Empfehlung des Deutschen Vereins für die Bemessung des monatlichen Pauschalbetrages bei Vollzeitpflege (§§ 39, 33 KJHG) - ND 1991, 1 ff -, auf die die Festsetzung des Erziehungsbeitrages in Höhe von 300,-- DM zurückzuführen ist, soll das
Kind oder der Jugendliche u.a. in der Lage sein, Personen zu finden, die anstelle der eigenen Eltern Erziehungsaufgaben
übernehmen. Hiernach ist es dem Pflegegeld gemäß § 69 Abs. 3 BSHG a.F. vergleichbar, das, wendet es der Bedürftige bestimmungsgemäß einer Pflegeperson zu, von dieser ebenfalls grundsätzlich
nicht als Einkommen i.S. von § 76 BSHG einzusetzen ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.1992 - 5 C 82.88 - FEVS 43, 109.
Da der Erziehungsbeitrag nach der gesetzlichen Regelung Bestandteil des Unterhaltsanspruchs des Kindes oder der Jugendlichen
ist, kann er nicht hiervon abgekoppelt werden und als zweckneutrale oder der Bedarfsdeckung anderer Personen dienende Zuwendung
aufgefaßt werden. Daß es sich um eine am Bedarf des Kindes odes des Jugendlichen zu orientierende Hilfe handelt, ergibt
sich auch aus § 39 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 KJHG. Hiernach sind von den monatlichen Pauschalbeträgen abweichende Leistungen zu gewähren, wenn dies nach der Besonderheit
des Einzelfalles geboten ist. Die Besonderheit des Einzelfalls richtet sich allein nach den Bedürfnissen des Kindes oder
des Jugendlichen und ermöglicht - für besonders schwierige Erziehungsverhältnisse - eine Erhöhung der Pauschale und zwar
unabhängig von dem altersbedingten Unterhaltsbedarf, auf den nach § 39 Abs. 5 Satz 2 KJHG Rücksicht zu nehmen ist.
Wird hiernach der Zweck des Erziehungsbeitrages als Bestandteil des Unterhaltsanspruches des Kindes bzw. des Jugendlichen
mit dem Zweck der der Klägerin gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt gegenübergestellt, so fehlt es an einer Identität der
Zwecke. Die der Klägerin gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt dient dazu, ihren Bedarf an notwendige Hilfe zum Lebensunterhalt
sicherzustellen, während der Erziehungsbeitrag als Bestandteil des Unterhaltsanspruches des Kindes oder des Jugendlichen
dazu dient, dessen notwendigen Unterhalt außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Die Notwendigkeit, den die Kosten
der Erziehung umfassenden Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen sicherzustellen, gehört nicht zum Bedarf eines anderen
Hilfesuchenden an Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11, 12 BSHG.