Berücksichtigung des sog. Kindergeldüberhangs als Einkommen beim Anspruch auf Arbeitslosengeld II
Gründe:
I
Im Streit ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nur noch der Anspruch der Klägerin auf höheres Alg II für Mai 2008 und
hierbei die Berücksichtigung eines Kindergeldüberhangs als Einkommen der Klägerin.
Die 1963 geborene, ledige Klägerin lebte zusammen mit ihrer 1996 geborenen Tochter, die sie allein erzog. Die Klägerin bezog
im Mai 2008 für ihre Tochter Kindergeld in Höhe von 154 Euro. Der Vater der Tochter zahlte dieser im Mai 2008 Unterhalt in
Höhe von 310 Euro, wobei ihr unterhaltsrechtlicher Bedarf unter Abzug der Hälfte des für sie von der Klägerin bezogenen Kindergelds
berechnet worden war.
Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin für Mai 2008 zunächst vorläufig und sodann abschließend Alg II, zuletzt in
Höhe von 452,21 Euro (Änderungsbescheid vom 27.11.2009). Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin die Überprüfung (auch) der
Bewilligungsentscheidung für Mai 2008 ua mit dem Ziel, das für ihre Tochter bezogene Kindergeld lediglich bis zur Hälfte als
ihr Einkommen zu berücksichtigen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ua insoweit ab, als das Begehren der Klägerin die Berücksichtigung
des Kindergeldüberhangs im Mai 2008 betraf (Bescheid vom 18.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 24.3.2011).
Die hiergegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 21.10.2014): Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höheres Alg II unter Außerachtlassung eines hälftigen
Kindergeldanteils als zu berücksichtigendes Einkommen. Im Berufungsverfahren gab der Beklagte im Termin vor dem LSG ein von
der Klägerin angenommenes Teilanerkenntnis ab und schlossen die Beteiligten einen Vergleich (Umsetzung durch Bescheid vom
23.6.2017). Das LSG hat die danach nur noch für Mai 2008 und die Höhe des Alg II ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung
aufrechterhaltene Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 17.5.2017): Die Regelungen des SGB II zur Berücksichtigung von Kindergeld seien nicht dahin auszulegen, dass der hälftige Kindergeldanteil, der unterhaltsrechtlich
als bedarfsdeckend angesehen werde, stets dem Kind zugeordnet werde und höchstens die andere Hälfte beim kindergeldberechtigten
Elternteil als Einkommen berücksichtigt werden könne. Anderes folge nicht aus §
1612b Abs
1 BGB, der eine Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem Sozialrecht nicht bewirkt habe. Dies sei nicht verfassungswidrig.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin insbesondere eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art
1 Abs
1 iVm Art
20 Abs
1 GG. Die Berücksichtigung des für die Tochter gezahlten Kindergelds als ihr Einkommen sei mit Blick auf §
1612b Abs
1 BGB jedenfalls rechtswidrig, soweit diese den hälftigen Kindergeldbetrag übersteige.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Mai 2017 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Berlin
vom 21. Oktober 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März
2011 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Änderung des Bescheids vom 27. November 2009 in der Fassung des
Bescheids vom 23. Juni 2017 für Mai 2008 Arbeitslosengeld II ohne Berücksichtigung von Kindergeld zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§
170 Abs
1 Satz 1
SGG). Sie hat keinen Anspruch auf höheres Alg II im Mai 2008, weil das von ihr für ihre Tochter bezogene Kindergeld als ihr Einkommen
zu berücksichtigen ist, soweit es bei der Tochter zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht benötigt wird (Kindergeldüberhang).
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Überprüfungsbescheid vom 18.1.2011
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.3.2011, mit welchem der Beklagte die Änderung ua des bindend gewordenen Bescheids
vom 27.11.2009 für den nach dem Vergleich vor dem LSG nur noch streitigen Mai 2008 im Hinblick auf die Berücksichtigung von
Kindergeld als Einkommen der Klägerin abgelehnt hat, der nach der Umsetzung des Teilanerkenntnisses vor dem LSG in der Fassung
des Bescheids vom 23.6.2017 gilt (vgl zur Entscheidungsbefugnis des Senats über diesen nach dem LSG-Urteil ergangenen bloßen
Umsetzungsbescheid Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
171 RdNr 3b). Hiergegen wendet sich diese zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1 und Abs
4 iVm §
56 SGG), gerichtet auf Änderung des ablehnenden Überprüfungsbescheids und Verpflichtung des Beklagten zur Änderung des den Mai 2008
regelnden, bindend gewordenen Bescheids vom 27.11.2009 dahingehend, ihr höheres Alg II ohne Berücksichtigung des von ihr für
ihre Tochter bezogenen Kindergelds, soweit es bei der Tochter zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht benötigt wird, zu zahlen
(vgl zur Klageart letztens BSG vom 24.5.2017 - B 14 AS 32/16 R - BSGE 123, 199 = SozR 4-4200 § 11 Nr 80, RdNr 9). Gegenstand des Verfahrens ist nach dem Vergleich vor dem LSG nicht mehr höheres Alg II
für Unterkunft und Heizung (vgl zur Abtrennbarkeit als Streitgegenstand BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 ff).
2. Der Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Der Zulässigkeit des mit der Revision verfolgten
Begehrens steht nicht entgegen, dass die Klägerin zunächst nur die Nichtberücksichtigung eines Kindergeldüberhangs in Höhe
eines hälftigen Kindergeldanteils begehrt hat. Ihren Überprüfungsantrag hat sie damit nicht in einer Weise wirksam betragsmäßig
begrenzt, die einer Überprüfung der Berücksichtigung des gesamten bei ihr als Einkommen berücksichtigten Kindergeldüberhangs
entgegen steht. Der Sache nach (§
123 SGG) begehrt sie von Beginn des Verfahrens an die Überprüfung der Berücksichtigung des Kindergeldüberhangs als solche, nicht
allein dessen konkreter betragsmäßiger Berücksichtigung als Einkommen. Über dieses Begehren kann durch Grundurteil im Höhenstreit
entschieden werden (vgl BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 8/17 R - RdNr 12).
Der streitbefangenen Berufungsentscheidung stand nicht die Wertgrenze des §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG entgegen, nachdem die Berufung der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Einlegung einen 750 Euro übersteigenden Wert
des Beschwerdegegenstands aufwies und von ihr erst im Laufe des Berufungsverfahrens beschränkt worden ist.
3. Der angefochtene Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 18.1.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.3.2011 ist
- nach Abgabe des Teilanerkenntnisses vor dem LSG und dessen Umsetzung durch Bescheid vom 23.6.2017 - rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf höheres Alg II unter Änderung des die Leistungen für
Mai 2008 regelnden Bescheids vom 27.11.2009 ist § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II (§ 40 SGB II in der zum Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation
der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010, BGBl I 1112) iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X und §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II (in der für Mai 2008 maßgeblichen Fassung des SGB II durch das Siebte Gesetz zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008, BGBl I 681 - im Folgenden SGB II aF; zur Maßgeblichkeit des zum damaligen Zeitpunkt geltenden Rechts in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume
vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
Auch nach Unanfechtbarkeit ist nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass
das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
In zeitlicher Hinsicht steht dem Überprüfungsbegehren für Mai 2008 aufgrund des Überprüfungsantrags vom Dezember 2010 nicht
bereits die vierjährige Verfallsfrist nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X entgegen (vgl auch § 77 Abs 13 SGB II). Die Klägerin hat indes keinen Anspruch auf Änderung des zu überprüfenden Bescheids vom 27.11.2009 in der Fassung des Bescheids
vom 23.6.2017, weil dieser rechtmäßig ist.
4. Der Bescheid vom 27.11.2009 regelt ua für Mai 2008 eine Änderung der zuvor ergangenen Bewilligungsentscheidung und bewilligt
der Klägerin höheres Alg II, als ihr mit jeder der vorangegangenen Bewilligungsentscheidungen bewilligt worden war (§ 39 Abs 2 SGB X).
Der Bescheid vom 27.11.2009 in der Fassung des Bescheids vom 23.6.2017 ist rechtmäßig, denn das von der Klägerin für ihre
Tochter bezogene Kindergeld ist als ihr Einkommen zu berücksichtigen, soweit es bei der Tochter zur Sicherung des Lebensunterhalts
nicht benötigt wird. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg II ohne Berücksichtigung des Kindergeldüberhangs als Einkommen
nach §§ 11 ff SGB II aF.
a) Die alleinerziehende Klägerin war nach den Feststellungen des LSG (§
163 SGG) eine erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II aF und von Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen.
Als Alg II waren ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und
Heizung gemindert durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen zu erbringen (§ 19 Satz 1 und 3 SGB II aF).
Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11 Abs 2 SGB II aF abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGB II aF genannten Einnahmen. Nach den Feststellungen des LSG verfügte die Klägerin über kein anderes Einkommen als das für die
Tochter bezogene Kindergeld und über kein zu berücksichtigendes Vermögen.
b) Das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen, soweit es
bei diesem zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird (§ 11 Abs 1 Satz 3, 2 SGB II aF). Soweit es bei diesem nicht benötigt wird, ist es als Einkommen des kindergeldbezugsberechtigten Elternteils zu berücksichtigen
(§ 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF), ohne dass dem § 11 Abs 3 Nr 1 lit a SGB II aF entgegensteht. Denn beim Kindergeld handelt es sich nicht um eine von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommene
zweckbestimmte Einnahme (vgl nur BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 11/10 R - SozR 4-4200 § 44 Nr 2 RdNr 23 f); zu einer in ihrer Verwendung zweckbestimmte Einnahme wird das Kindergeld auch nicht
durch Regelungen des Unterhaltsrechts über das Kindergeld (vgl zu diesen und ihrer verfassungsrechtlichen Einordnung BVerfG
[Kammer] vom 14.7.2011 - 1 BvR 932/10 - BVerfGK 19, 11), denen eine über das Unterhaltsrecht hinausreichende, grundsicherungsrechtlich beachtliche Zweckbestimmung
des Kindergelds nicht entnommen werden kann (vgl Harich, SGb 2012, 224).
c) Soweit die Klägerin hiernach grundsicherungsrechtlich auf den bedarfsdeckenden Einsatz des von ihr bezogenen Kindergelds
verwiesen ist, weil es insoweit nach den Feststellungen des LSG nicht für die Bedarfsdeckung der aufgrund insgesamt bedarfsdeckenden
Einkommens nicht hilfebedürftigen Tochter benötigt wird, steht dem auch §
1612b Abs
1 BGB nicht entgegen (vgl zur Berücksichtigung des Kindergeldüberhangs im Einzelnen BSG vom 14.6.2018 - B 14 AS 37/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 11 Nr 84, RdNr 29 ff).
Nach §
1612b Abs
1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden, und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil
seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt (Satz 1 Nr 1) und in allen anderen Fällen in voller Höhe (Satz
1 Nr 2). Nach Satz 2 mindert es in diesem Umfang den Barbedarf des Kindes. Die Regelung reagiert auf die kindergeldrechtliche
Unterscheidung zwischen materieller Anspruchsinhaberschaft einerseits und Bezugsberechtigung andererseits, wonach zwar beiden
Elternteilen ein Anspruch auf Kindergeld zusteht (§
62 Abs
1 Satz 1
EStG; § 1
BKGG), es im Interesse der Verfahrensvereinfachung aber nur einem Berechtigten gezahlt wird (§
64 Abs
1 EStG; § 3 Abs 1
BKGG). Bei mehreren Berechtigten ist das derjenige, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§
64 Abs
2 Satz 1
EStG; § 3 Abs 2 Satz 1
BKGG); ist das Kind im gemeinsamen Haushalt aufgenommen, so bestimmen die anspruchsberechtigten Personen den Bezugsberechtigten
untereinander (§
64 Abs
2 Satz 2
EStG; § 3 Abs 2 Satz 2
BKGG). Vor diesem Hintergrund zielt §
1612b Abs
1 BGB auf einen internen Ausgleich des Kindergelds zwischen dem bezugsberechtigten und dem anderen Elternteil beim Getrenntleben
der Eltern (vgl BT-Drucks 16/1830 S 28 ff).
Dazu soll der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil in den Fällen des §
1612b Abs
1 Satz 1 Nr
1 BGB nach der gesetzlichen Konzeption - abgesehen von einem hier nicht vorliegenden Wechselmodell (dazu BGH vom 20.4.2016 - XII ZB 45/15 - FamRZ 2016, 1053) - entlastet werden, indem die Hälfte des dem bezugsberechtigten Elternteil gezahlten Kindergelds auf den von ihm geschuldeten
Barunterhalt angerechnet und vom Unterhaltsbedarf des Kindes vorweg abgesetzt wird, wenn der andere Elternteil im Sinne von
§
1606 Abs
3 Satz 2
BGB seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt. Danach soll das Kindergeld dem betreuenden und dem barunterhaltspflichtigen
Elternteil entsprechend dem Grundsatz der Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt nach §
1606 Abs
3 Satz 2
BGB jeweils zur Hälfte zu Gute kommen. Demgemäß soll der betreuende Elternteil mit der einen Hälfte des Kindergelds bei der Erbringung
seiner Betreuungsleistung unterstützt und die andere Hälfte von ihm für den Barunterhalt des Kindes verwandt werden (vgl BT-Drucks
16/1830 S 30). Insoweit soll die Wendung "Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden
..." (§
1612b Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
BGB) zum Ausdruck bringen, dass das Kind Anspruch auf die Auszahlung des Kindergelds oder die Erbringung entsprechender Naturalleistungen
gegenüber demjenigen hat, der das Kindergeld ausgezahlt erhält (vgl BT-Drucks 16/1830 S 30).
Der so konzipierte Ausgleichsmechanismus zwischen dem kindergeldbezugsberechtigten und dem von ihm getrennt lebenden barunterhaltspflichtigen
Elternteil berührt die Kindergeldanrechnung im SGB II nicht. §
1612b BGB zielt allein auf den unterhaltsrechtlichen Ausgleich unter den Elternteilen (vgl BT-Drucks 16/1830 S 29; BGH vom 14.12.2016
- XII ZB 207/15 - FamRZ 2017, 633 RdNr 11). Anlass für eine Korrektur der Kindergeldzuordnung als Einkommen nach dem SGB II gibt die Vorschrift dagegen nicht.
Zwar kann zweifelhaft erscheinen, ob die mit der Neuregelung des §
1612b BGB angestrebte Harmonisierung unterhalts- und sozialrechtlicher Wertungen durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts
vom 21.12.2007 (BGBl I 3189) erreicht worden ist (vgl BT-Drucks 16/1830 S 29). Anders als vom Gesetzgeber vorausgesetzt ist
dem betreuenden Elternteil eine vollständige Verwendung des hälftigen Kindergelds für den Barunterhalt des Kindes nicht möglich,
wenn das Kind wegen seiner weiteren Einnahmen weniger als die Hälfte des Kindergelds zur Deckung seines Bedarfs benötigt und
der bezugsberechtigte Elternteil deshalb zur Deckung seines eigenen Lebensunterhalts auf einen Kindergeldanteil verwiesen
ist, der nach der unterhaltsrechtlichen Konzeption für den Barbedarf des Kindes eingesetzt werden soll (zur Kritik hieran
vgl zuletzt Schürmann, FamRZ 2018, 1902; Schürmann, jurisPR-FamR 25/2018 Anm 2).
Solange der Gesetzgeber unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Existenzsicherung im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit
für solche Fälle grundsicherungsrechtlich gleichwohl an der allgemeinen Zuordnungsregelung des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF festhält, kann dies im Wege gerichtlicher Auslegung indessen nicht korrigiert werden (ebenso BGH vom 14.12.2016 - XII ZB 207/15 - FamRZ 2017, 633 RdNr 9 ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, K § 11 SGB II, Stand der Kommentierung Januar 2015, RdNr 364). Im Übrigen kann nach der Rechtsprechung des BGH aus §
1612b BGB in bestimmten Fällen ebenso ein Auskehrungsanspruch des Kindes folgen (BGH vom 14.12.2016 - XII ZB 207/15 - FamRZ 2017, 633 RdNr
10) wie nach §
74 Abs
1 EStG ein Anspruch auf Auszahlung des für ein Kind festgesetzten Kindergelds bestehen kann (auf Letzteres verweisend auch Geiger
in LPK-SGB II, 6. Aufl 2017, § 11 RdNr 56).
d) Die durch das SGB II geregelte Berücksichtigung eines Kindergeldüberhangs wahrt entgegen der Revision die Grenzen der dem Gesetzgeber obliegenden
Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art
1 Abs
1 GG iVm Art
20 Abs
1 GG (vgl dazu zuletzt BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 31/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4 RdNr 37 f), denn berücksichtigt werden nur dem hilfebedürftigen Elternteil tatsächlich
zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehende bereite Mittel (vgl dazu und zur Nachrangsicherung bereits BSG vom 1.12.2016 - B 14 AS 28/15 R - RdNr 28 f, 33).
Aus Art
3 Abs
1 GG iVm Art
6 Abs
1 GG folgt vorliegend keine über das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums hinausreichende Schutzwirkung,
weil das Existenzminimum der Klägerin durch die Berücksichtigung des zu ihrer Bedarfsdeckung zur Verfügung stehenden Kindergeldüberhangs
als Einkommen gesichert ist (zu den Wirkungen von Art
3 Abs
1 iVm Art
6 Abs
1 GG bei der gerichtlichen Kontrolle von Vorschriften des Existenzsicherungsrechts vgl nur BSG vom 1.12.2016 - B 14 AS 28/15 R - RdNr 30). Gewährleistet ist im Übrigen auch der nach Maßgabe des SGB II existenznotwendige Bedarf ihrer Tochter; eine Vorgabe, die existenzsicherungsrechtlichen Vorschriften insoweit nur nach Maßgabe
des Unterhaltsrechts anzuwenden, lässt sich der Verfassung nicht entnehmen.
5. Ist der Kindergeldüberhang danach bei der Klägerin als Einkommen zu berücksichtigen, scheidet nach der nicht zu beanstandenden
und nicht mit der Revision angegriffenen Berechnung des LSG ein Anspruch auf höheres Alg II im Mai 2008 als zuletzt in der
Fassung des Bescheids vom 23.6.2017 bewilligt und damit eine weitergehende Korrektur der Bewilligungsentscheidung vom 27.11.2009
aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.