Rente wegen Erwerbsminderungsrente
Verfahrensrüge
Wahrung des rechtlichen Gehörs
Beweiserhebung von Amts wegen
Kein kompensatorisches Hinwirken auf die Stellung eines Beweisantrages
1. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen hat; daher
muss die Beschwerdebegründung besondere Umstände des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden
kann.
2. Welche Schlussfolgerungen das Gericht aus den Tatsachen bzw. Beweisergebnissen ziehen wird, muss das Gericht vorab nicht
mitteilen.
3. Insbesondere bietet der Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten
aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen.
4. Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen,
sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben.
5. Lehnt es die Beweiserhebung dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen,
eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten.
Gründe:
Mit Urteil vom 24.2.2017 hat das Hessische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf einen Verfahrensfehler.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG nicht dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG). Das Gericht wäge in den Entscheidungsgründen die "multiplen Sachverständigengutachten" gegeneinander ab und entscheide
trotz bestehender Zweifel zu ihren Lasten. Das Gericht hätte jedoch die verschiedenen Sachverständigen zur endgültigen Klarstellung
laden und anhören müssen.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Daher
muss die Beschwerdebegründung besondere Umstände des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden
kann (vgl BVerfGE 54, 86, 91 f mwN). Derartige besondere Einzelfallumstände schildert die Klägerin nicht. Die in der Beschwerdebegründung angeführten
Bezüge belegen vielmehr, dass die von der Klägerin angeführten Gutachten Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, wenngleich
auch nicht in ihrem Sinne. Dabei ist jeweils von der Rechtsauffassung des LSG auszugehen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 23). Welche Schlussfolgerungen das Gericht aus den Tatsachen bzw Beweisergebnissen ziehen wird, muss das Gericht vorab
nicht mitteilen (vgl BSG vom 17.7.2007 - B 6 KA 14/07 B - BeckRS 2007, 46399 RdNr 7). Insbesondere bietet der Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Schutz gegen Entscheidungen,
die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt
lassen (vgl BVerfGE 96, 205, 216 f).
Soweit die Klägerin dem LSG vorwirft, es hätte die Sachverständigen zur endgültigen Klarstellung anhören bzw ein "endgültiges"
Sachverständigengutachten einholen müssen, hat sie nicht ausreichend dargelegt, dass das LSG Hinweispflichten aus §
106 Abs
1, §
112 Abs
2 S 2
SGG verletzt habe. Denn die Tatsachengerichte sind nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13) oder im Rahmen von Beweisanträgen sonstige Formulierungshilfen zu geben (Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse
in Sozialsachen, 2. Aufl 2016, § 8 RdNr 141). Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen
entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung
dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde
vorzubereiten (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; Becker, SGb 2007, 328, 331; Berchtold, aaO, § 8 RdNr 141; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr
132). Vertraut ein Kläger darauf und unterlässt deshalb - prozessordnungskonforme - Beweisanträge, so kann er später im Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geltend machen, das LSG habe nicht gesetzesgemäß gehandelt (vgl Krasney/Udsching, aaO,
Kap IX RdNr 127).
Unabhängig davon hat die Klägerin auch nicht dargelegt, von den Verfahrensmöglichkeiten nach §
116 S 2
SGG, §
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO Gebrauch gemacht zu haben. Neben der nach §
411 Abs
3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen
anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß §
116 S 2
SGG, §
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten
(BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - Juris RdNr 11; vgl auch BSG vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BGH vom 7.10.1997 - VI ZR 252/96 - Juris RdNr 10 - alle mwN). Anhaltspunkte, dass die Klägerin rechtzeitig einen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen
gestellt und sie objektiv-sachliche Fragen angekündigt hat, lassen sich ihrem Vortrag nicht entnehmen.
Soweit die Klägerin im Kern das Ergebnis der Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) des LSG angreift, kann eine Verfahrensrüge nach der ausdrücklichen Regelung des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG hierauf nicht gestützt werden. Auch die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung kann mit der
Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.