Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge
Schutz durch den Richter
Warnfunktion eines Beweisantrages
Aufrechterhaltener Beweisantrag
Gründe:
Mit Beschluss vom 20.6.2017 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung
verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Der Kläger rügt eine Verletzung des Art
19 Abs
4 GG.
Hierzu trägt er vor, er habe mit Schriftsatz vom 5.4.2017 darauf hingewiesen, dass im Arztbrief des Prof. Dr. E. vom 16.1.2017
festgestellt worden sei, dass er an einer schweren depressiven Episode leide. Er habe daher in diesem Schriftsatz beantragt,
von Prof. Dr. E. eine sachverständige Zeugenaussage einzuholen. Diesem Antrag sei das LSG nicht nachgekommen, wodurch es den
wirkungsvollen Rechtsschutz, der nach Art
19 Abs
4 GG garantiert sei, verletzt habe. Ebenso habe das Berufungsgericht gegen das Grundrecht des Klägers auf effektiven und möglichst
lückenlosen Rechtsschutz dadurch verstoßen, dass es seinem im Berufungsverfahren gestellten Antrag, das Ruhen des Verfahrens
anzuordnen, nicht gefolgt sei.
Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des Art
19 Abs
4 GG nicht schlüssig bezeichnet.
Art
19 Abs
4 GG sichert den Rechtsschutz desjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinem Recht verletzt wird. Die Rechtsprechung fällt
nicht unter diese Grundgesetznorm; Art
19 Abs
4 GG garantiert den Schutz durch den Richter, nicht gegen ihn (zB BVerfGE 49, 329, 340; 65, 76, 90; 76, 93, 98; 107, 395, 403 f = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 12; BVerfGE 138, 33 RdNr
17). Gerichte fallen nur dann unter den Anwendungsbereich des Art
19 Abs
4 GG, wenn sie "außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit aufgrund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts tätig werden"
(BVerfGE 107, 395, 406 = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 18, mwN). Der Beschwerdebegründung ist aber nicht zu entnehmen, dass das als verletzt
gerügte Verhalten des LSG außerhalb seiner spruchrichterlichen Tätigkeit stattgefunden hat.
Mit dem Vortrag, das Berufungsgericht habe seinen Antrag, eine sachverständige Zeugenaussage von Prof. Dr. E. einzuholen,
übergangen, rügt der Kläger sinngemäß auch eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht iS von §
103 SGG.
Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist indes ebenfalls nicht schlüssig dargelegt.
Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob der Kläger jedenfalls unter Berücksichtigung des in der Beschwerdebegründung dargestellten
Kontextes im Schriftsatz vom 5.4.2017 aufgezeigt hat, im Berufungsverfahren einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag im Sinne
der
ZPO gestellt zu haben. Er hat es zumindest versäumt darzutun, dass er einen solchen Antrag bis zuletzt aufrechterhalten habe.
Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung
vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird
ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiterverfolgt
wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten - wie dem Kläger - regelmäßig anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen
Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt wird (BSG SozR 3-1500 §
160 Nr 35 S 73 mwN). Wird ein Verfahren durch Beschluss nach §
153 Abs
4 SGG entschieden, ist ein zuvor gestellter Antrag dann nicht mehr aufrechterhalten, wenn die Beteiligten ihn nach Erhalt der Anhörungsmitteilung
nicht wiederholt haben (BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7 mwN). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen.
Durch die Nichteinholung einer sachverständigen Zeugenaussage von Prof. Dr. E. fühlt sich der Kläger ferner in seinem Anspruch
auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von §
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG verletzt.
Mit dieser Gehörsrüge macht der Kläger letztlich ebenfalls eine Verletzung des §
103 SGG geltend. Eine solche Rüge ist aber nur dann zulässig, wenn eine Sachaufklärungsrüge ordnungsgemäß dargetan worden ist. Ansonsten
würden die Vorgaben des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG umgangen. Einen Verstoß gegen §
103 SGG hat der Kläger allerdings aus dem og Grund nicht ausreichend dargetan.
Mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht sei rechtswidrig seinem Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht gefolgt,
rügt der Kläger des Weiteren sinngemäß eine Verletzung des §
251 ZPO iVm §
202 S 1
SGG.
Auch insoweit ist ein Verfahrensfehler nicht schlüssig bezeichnet.
Gemäß §
251 S 1
ZPO hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens
von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen die Anordnung zweckmäßig ist. Der Kläger hat nicht vorgetragen,
dass die Beklagte ebenfalls die Anordnung des Ruhens des Verfahrens beantragt hat.
Mangels Aufzeigens einer prozessualen Verletzungshandlung des Berufungsgerichts hat der Kläger auch diesbezüglich keine Gehörsverletzung
durch das LSG schlüssig dargetan.
2. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 §
160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl 2014, §
160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, "in wieweit Artikel
19 Abs.
4 GG und Artikel
103 Abs.
1 GG im Rahmen der Prozessordnung zu beachten ist".
Der Senat lässt dahinstehen, ob der Kläger mit dieser Formulierung eine abstrakte Rechtsfrage aufgeworfen hat.
Er hat es zumindest versäumt, deren Klärungsbedürftigkeit darzutun.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus
dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann
anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine
oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde
als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggf des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung
gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet
ist (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Der Kläger geht nicht ansatzweise auf die umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu Art
19 Abs
4 und Art
103 Abs
1 GG ein (vgl etwa die og Urteile des BVerfG und weitere Rechtsprechungsnachweise bei Jarass/Pieroth,
GG, 14. Aufl 2016, Art 19 RdNr 45 und Art 103 RdNr 1, 5 f sowie Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, Vor §
60 RdNr 1a und der Kommentierung zu § 62).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.