Berechnung der Witwenrente bei Tod des Versicherten vor Vollendung des 60. Lebensjahrs mit einem abgesenkten Zugangsfaktor
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die der Klägerin bewilligte Hinterbliebenenrente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor
von 1,0 oder mit einem Zugangsfaktor von 0,988 - das bedeutet einen "Abschlag" von 1,2 % - zu berechnen ist.
Der am 1946 geborene Ehemann der Klägerin (im Folgenden: der Versicherte) ist am 16.4.2001 verstorben; eine ihm ab September
2001 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung wurde nicht mehr ausbezahlt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit
Bescheid vom 12.7.2001 ab dem 16.4.2001 große Witwenrente. Laut Anlage 6 des Bescheids wurde der Zugangsfaktor von 1,0 um
0,012 auf 0,988 vermindert; der Rentenberechnung wurden dementsprechend an Stelle von 59,2583 persönlichen Entgeltpunkten
(EP) nur 58,5472 EP zu Grunde gelegt. Dies hatte eine Absenkung der Rentenhöhe um 1,2 % zur Folge, wodurch sich (ab 1.1.2002)
ein monatlicher Zahlbetrag von 889,24 Euro (brutto) ergab. Zugleich wurde im Versicherungsverlauf eine Zurechnungszeit von
insgesamt 30 Monaten vom Sterbemonat bis einschließlich September 2003 berücksichtigt. Weitere Bescheide betreffen den Abzug
von Beitragsanteilen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Anrechnung von Erwerbseinkommen.
Im Juli 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Neuberechnung ihrer Witwenrente unter Hinweis auf das Urteil des
4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3). Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheids vom 12.7.2001 mit Bescheid vom 14.8.2006 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 9.11.2006 ab, weil die Voraussetzungen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht erfüllt seien. Der 4. Senat habe nicht über die Abschläge bei Hinterbliebenenrenten entschieden.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) mit Urteil vom 16.7.2007 abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Hinterbliebenenrente. Die Regelungen des §
77 Abs
2 Satz 2 und
3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) seien so zu verstehen, dass sich der Zugangsfaktor bei einer Hinterbliebenenrente (um höchstens 10,8 %) auch dann mindere,
wenn der Versicherte vor Vollendung seines 60. Lebensjahrs verstorben sei. Zwar ließe §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 SGB VI bei isolierter Anwendung eine Verminderung des Zugangsfaktors bis auf null zu. Um dies zu verhindern, begrenze jedoch §
77 Abs
2 Satz 2
SGB VI den Abschlag auf maximal 10,8 %. Eine weitere Begrenzung des Rentenabschlags ergebe sich durch die Verlängerung der Zurechnungszeit
iVm der Übergangsvorschrift des §
264c SGB VI. §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI verhindere die rentenmindernde Wirkung auf eine zweite Rente, wenn der Versicherte in früheren Lebensjahren eine erste Erwerbsminderungsrente
zeitlich befristet bezogen habe. §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI enthalte keine inhaltliche Modifikation der allgemeinen Regelung des §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 SGB VI; eine solche hätte gesetzestechnisch wesentlich einfacher in §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 SGB VI aufgenommen werden können. Die Absenkung des Zugangsfaktors sei Teil eines gesetzgeberischen Gesamtpakets und durch die Verlängerung
der Zurechnungszeit abgemildert worden. Diese Auffassung werde auch durch die Gesetzesbegründung zum Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetz
(RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.4.2007 (BGBl I 554) bestätigt. Die entgegenstehende Auffassung des 4. Senats des
BSG werde nicht geteilt. Die sich aus dieser Gegenmeinung ergebende Minderung der laufenden und zunächst ungekürzt zu zahlenden
Hinterbliebenenrente, wenn der Versicherte das 60. Lebensjahr vollende, verstoße gegen den Grundsatz des §
88 SGB VI. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Inhalt des §
77 Abs
2 SGB VI bestünden nicht. Ein Verstoß gegen Art
14 Abs
1 Satz 1
Grundgesetz (
GG) könne nicht vorliegen, da Hinterbliebenenrenten diesem Schutz nicht unterfielen. Auch eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
(Art
2 Abs
1 GG) liege nicht vor, weil eine Zwangsversicherung die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten, nicht aber die ihrer Hinterbliebenen
tangiere. Schließlich liege auch kein Verstoß gegen Art
3 Abs
1 GG vor. Alle Empfänger von Hinterbliebenenrenten, bei denen der Versicherte vor dem 60. Lebensjahr verstorben sei, würden gleich
behandelt, wobei die Klägerin gegenüber den Hinterbliebenen, deren Rente ab Januar 2004 beginne, durch die Vorschrift des
§
264c SGB VI privilegiert werde. Im Hinblick auf andere Versichertengruppen sei es nicht willkürlich, sondern sachgerecht, auf das jeweilige
Lebensalter des Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen. Bei der Verschlechterung der Rechtslage gegenüber
den bereits vor dem Jahre 2001 in Anspruch genommenen Hinterbliebenenrenten sei zu berücksichtigen, dass die Abschlagsregelung
und die erweiterte Anrechnung der Zurechnungszeit als "Paketlösung" schrittweise eingeführt worden seien, sodass den Anforderungen
an die Verhältnismäßigkeit Genüge getan sei.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4, Satz 2 und 3
SGB VI und beruft sich auf das Urteil des 4. Senats vom 16.5.2006. Der Gesetzgeber habe dieses Urteil insofern bestätigt, als er
die Gelegenheit nicht wahrgenommen habe, in das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz eine diesbezügliche Klarstellung aufzunehmen.
Unabhängig davon verstoße die Absenkung des Zugangsfaktors bei Hinterbliebenenrenten gegen Art
2 Abs
1 GG sowie Art
3 Abs
1 GG iVm Art
6 GG. Das Ziel, durch die Absenkung des Zugangsfaktors Vor- und Nachteile unterschiedlicher Rentenlaufzeiten zu vermeiden, sei
im Zusammenhang mit Hinterbliebenenrenten kein sachgerechter Anknüpfungspunkt, weil dieses Ziel bei dieser Rentenart nicht
zu erreichen sei. Während die Rentenbezugsdauer (statistisch) vom Lebensalter des überlebenden Ehegatten abhänge, knüpfe der
Zugangsfaktor an das Alter des Verstorbenen an. Eine jüngere Witwe mit höherer Lebenserwartung könne daher eine Rente mit
gleich hohem oder höherem Zugangsfaktor erhalten als eine ältere Witwe, bei der eine kürzere Rentenlaufzeit zu erwarten sei.
Der Rentenabschlag bei den Hinterbliebenenrenten sei auch nicht damit zu rechtfertigen, dass andernfalls die Gefahr bestünde,
dem Rentenabschlag bei der Altersrente auszuweichen, weil der Hinterbliebene insoweit keinerlei Wahlmöglichkeit habe. Die
Akzessorietät von Hinterbliebenenrenten sei ebenfalls kein Argument für die Rentenminderung. Da der Eingriff nach dem Tode
des Versicherten erfolge, werde in ein eigenständiges Vollrecht eingegriffen. Außerdem werde der geminderte Zugangsfaktor
dem fürsorgerischen Aspekt nicht gerecht, den das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bei der Hinterbliebenenrente betont habe,
weil es sich um eine Leistung ohne Bezug zur Beitragsleistung des Versicherten handle; neben der Anrechnung von Einkommen
und Vermögen sei der Zugangsfaktor ein systemfremdes Element. Schließlich lasse ein am Alter des Verstorbenen ausgerichteter
Zugangsfaktor den Anteil unberücksichtigt, den der überlebende Ehegatte zu der arbeitsteilig während der Ehe erworbenen Altersversorgung
beigetragen habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 14.
August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. November 2006 zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des
Bescheids vom 12. Juli 2001 Witwenrente ab dem 1. Januar 2002 unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors von 1,0 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend und führt im Wesentlichen aus: Aus dem Gesamtkontext des §
77 Abs
1 und
2 SGB VI und unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien ergebe sich, dass es sich bei der Regelung des §
77 Abs
2 Satz 2
SGB VI um ein "rettendes Netz" handele, das bewirke, dass abweichend von der Grundaussage in §
77 Abs
1 SGB VI ausnahmsweise nicht das Alter des Versicherten bei seinem Tod maßgeblich sei. Der Auffassung des 4. Senats des BSG könne
nicht gefolgt werden, da diese zur Konsequenz habe, dass die Hinterbliebenenrente der Klägerin nur bis September 2006 (Kalendermonat,
in dem der Versicherte das 60. Lebensjahr vollendet hätte) abschlagsfrei zu zahlen gewesen wäre und erst danach einem Abschlag
unterlegen wäre. Die Praxis der Beklagten verletze nicht die Grundrechte der Klägerin, da nach der Rechtsprechung des BVerfG
(Hinweis auf BVerfGE 97, 271) davon ausgegangen werden müsse, dass Ansprüche von Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Versorgung ihrer
Hinterbliebenen nicht dem Eigentumsschutz des Art
14 Abs
1 GG unterlägen. Auch Art
2 Abs
1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) könne nicht als Prüfungsmaßstab herangezogen werden. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes
(Art
3 Abs
1 GG) liege ebenfalls nicht vor, da eine Gleichbehandlung mit der Versichertengruppe, die Erwerbsminderungsrenten nach dem 31.12.2000
bezögen, geboten sei. Beiden Rentenarten sei das Ziel der Kompensation von ungewollten Risiken gemeinsam. Ein geminderter
Zugangsfaktor gleiche bei diesen "Risiko-Renten" die längere Rentenbezugsdauer aus und sei daher aus denselben Gründen gerechtfertigt
wie die Anpassung des Zugangsfaktors an den Rentenbeginn bei der Altersrente.
II. Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig. Die Voraussetzungen des §
161 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sind erfüllt, da die Zustimmung der Beklagten der Revisionsschrift der Klägerin beigefügt war und die Beklagte in diesem
Schreiben (vom 31.8.2007) ausdrücklich ihr Einverständnis zur Einlegung der Sprungrevision erteilt hat (zum Erfordernis der
Zustimmung zur "Einlegung" - und nicht lediglich zur "Zulassung" - BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 7 S 15).
Die Revision ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf höhere Rente hat. Darin liegt nach Überzeugung des Senats
keine Grundrechtsverletzung.
Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß §
63 Abs
6, §
64 Nr
1 bis
3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.
Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP, dessen Höhe in §
77 SGB VI näher geregelt ist, hier in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen
Rentenversicherung vom 21.7.2004 (RV-Nachhaltigkeitsgesetz - BGBl I 1791; zur Gesetzesentwicklung Blüggel in Wannagat,
SGB VI, §
77 RdNr 6 f, Stand 7/2007; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, §
77 SGB VI RdNr 1 ff, Stand 12/2005). Danach richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei
Tod und bestimmt, ob die vom Versicherten während des Erwerbslebens erzielten EP in vollem Umfang oder nur zu einem Anteil
bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für EP, die
noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, gemäß §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 Buchst a
SGB VI bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat zwischen dem Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist,
und dem Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten um 0,003 niedriger als 1,0. So liegt
der Fall bei der Klägerin. Der Ehemann der Klägerin ist im Alter von 54 Jahren und 7 Monaten verstorben.
Ist der Versicherte wie hier vor Vollendung des 60. Lebensjahres verstorben, so bestimmt §
77 Abs
2 Satz 2
SGB VI, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die "Bestimmung des Zugangsfaktors" der dann zu zahlenden Hinterbliebenenrente
maßgebend ist. Davon abweichend regelt §
264c SGB VI (idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754; zur Neufassung ab dem 1.1.2008 Art 1 Nr 72 des Gesetzes zur Anpassung
der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
= RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007, BGBl I 554), dass bei der Ermittlung des Zugangsfaktors an Stelle der Vollendung
des 60. Lebensjahres die Vollendung des in Anlage 23 zum
SGB VI (in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung; zur Aufhebung der Anlage 23 ab dem 1.1.2008 s Art 1 Nr 83 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes)
angegebenen Lebensalters maßgebend ist, wenn eine Rente wegen Todes vor dem 1.1.2004 beginnt. Die Voraussetzungen dieser Übergangsvorschrift
liegen bei der Klägerin vor; entsprechend der Anlage 23 zum
SGB VI und dem Rentenbeginn am 16.4.2001 hat die Beklagte bei der Absenkung des Zugangsfaktors 4 Monate berücksichtigt (vom zu unterstellenden
Lebensalter von 62 Jahren und 8 Monaten bis zur Erreichung des 63. Lebensjahres) und deshalb einen Zugangsfaktor von 0,988
ermittelt. Gleichzeitig legte die Beklagte entsprechend §
253a SGB VI iVm der Anlage 23 (idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I, 1827
- RRErwerbG) eine Zurechnungszeit von insgesamt 30 Monaten zu Grunde. Vom Todeszeitpunkt bis zum 55. Geburtstag wären es noch
5 Monate gewesen. Die übrige Zeit bis zur hypothetischen Vollendung des 60. Lebensjahres war nach Anlage 23 zu 22 Vierundfünfzigstel
als Zurechnungszeit anzurechnen, das sind aufgerundet 25 Monate. Ohne die Übergangsregelung wären vom Todestag bis zum .9.2006
insgesamt 65 Monate zu berücksichtigen gewesen. Auf Grund des früheren Rechts hätte die Zurechnungszeit insgesamt nur 25 Monate
betragen (§
59 Abs
3 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung).
§
77 Abs
2 Satz 2
SGB VI (ggf iVm §
264c SGB VI und der Anlage 23 zum
SGB VI in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung) ist als Berechnungsregel zur Umsetzung der allgemeinen Grundsätze zur Rentenhöhe
iS des §
63 Abs
5 iVm §
64 Nr
1 SGB VI zu verstehen (so auch stellvertretend: Bredt, NZS 2007, 193; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, §
77 SGB VI RdNr 1, Stand 12/2005; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, §
77 SGB VI Anm 1, Stand 5/2005; Stahl in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
77 RdNr 4, Stand 2/2002). Verstirbt der Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist der Zugangsfaktor für die Rente
wegen Todes im Ergebnis um maximal 0,108 zu mindern und somit auf mindestens 0,892 festzulegen. Dafür sprechen Wortlaut und
systematische Stellung des §
77 SGB VI wie auch Sinn und Zweck, systematischer Gesamtzusammenhang und Entstehungsgeschichte der Norm.
Indem die Grundregel des §
77 Abs
1 SGB VI für die Rentenberechnung zum einen das Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder Tod für maßgebend erklärt und zum anderen
das rechnerische Verhältnis zwischen EP und persönlichen EP festlegt, bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass der Zugangsfaktor
und somit die nach §
77 Abs
2,
3 SGB VI zu ermittelnden "Abschläge" oder "Zuschläge" für die gesamte Dauer des ununterbrochenen Rentenbezugs gelten sollen (vgl BSG
vom 28.10.2004 - B 4 RA 42/02 R - Juris RdNr 281 ff; Stahl in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
77 RdNr 10, Stand 2/2002; Blüggel in Wannagat, SGB, §
77 SGB VI RdNr 18, Stand 7/2007; Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003, 171). Falls dieselben EP einer weiteren Rente zu Grunde zu legen
sind, ist durch §
77 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB VI eine erneute Ermittlung des Zugangsfaktors grundsätzlich ausgeschlossen (vgl auch §
77 Abs
3 Satz 1
SGB VI).
§
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 SGB VI bestimmt die Höhe des Zugangsfaktors für Renten wegen Todes. Danach sinkt der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 für jeden Kalendermonat,
den der Versicherte vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung seines 63. Lebensjahres verstirbt. Ein Todesfall nach dem
63. Lebensjahr hat somit keine Absenkung des Zugangsfaktors zur Folge. Demgegenüber würde der Zugangsfaktor bei isolierter
Anwendung des §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 SGB VI auf null sinken, falls der Versicherte in sehr jungen Jahren verstirbt. Zur Vermeidung dieses Ergebnisses ergänzt §
77 Abs
2 Satz 2
SGB VI die genannte Vorschrift dahingehend, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend
sein soll, wenn bei einer Hinterbliebenenrente der Versicherte bereits vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres verstorben
ist. Bei jünger verstorbenen Versicherten wird hinsichtlich des Zugangsfaktors so getan, als habe der Versicherte das 60.
Lebensjahr bereits vollendet. Entgegen der Grundregel des §
77 Abs
1 SGB VI, wonach sich der Zugangsfaktor nach dem (tatsächlichen) Alter des Versicherten beim Tod bestimmt, ordnet das Gesetz eine
Rentenberechnung unter der (fiktiven) Annahme an, der Versicherte habe das 60. Lebensjahr bereits vollendet, um auf diese
Weise die Minderung des Zugangsfaktors entsprechend der 36 Monate zwischen dem vollendeten 60. und dem vollendeten 63. Lebensjahr
auf maximal 36 x 0,003 = 0,108 zu begrenzen (so auch Ruland, NJW 2007, 2087; Mey, RVaktuell 2007, 46; Bredt, NZS 2007, 194; Blüggel in Wannagat, SGB, §
77 SGB VI RdNr 28, Stand 7/2007; Kreikebohm in BeckOK, §
77 SGB VI RdNr 5, Stand 9/2007; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, §
77 SGB VI Anm 3b, Stand 5/2005; Stahl in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
77 RdNr 28, Stand 2/2002; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, §
77 SGB VI RdNr 16, Stand 12/2005; Polster in Kasseler Kommentar, §
77 SGB VI RdNr 12, Stand 9/2006). Eine zusätzliche Herabsetzung des Zugangsfaktors mit Rücksicht auf einen tatsächlichen Versicherungsfall
vor der Vollendung des 60. Lebensjahres ist ausgeschlossen. Dass es bei der Bezugnahme auf das 60. Lebensjahr des Versicherten
um eine Fiktion für die Bestimmung des Zugangsfaktors und nicht etwa um die Festlegung des Beginns der Rentenminderung geht,
wird gerade bei der Hinterbliebenenrente deutlich. Bei einem anderen Verständnis müsste dem Gesetz unterstellt werden, es
wolle die Rentenhöhe für den Zeitraum regeln, nachdem der verstorbene Versicherte das genannte Lebensalter erreicht haben
würde.
§
77 Abs
2 Satz 2 und
3 SGB VI dient für die aktuell zu berechnende Rente ausschließlich der Bestimmung eines einheitlichen Zugangsfaktors für die gesamte
Zeit des Rentenbezugs und nicht etwa eines variablen Zugangsfaktors in Abhängigkeit von verschiedenen Bezugszeiträumen. Das
auf einer möglichen "Vorzeitigkeit" der Rente wegen Erwerbsminderung beruhende gegenteilige Konzept des 4. Senats des BSG
(BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, jeweils RdNr 22 f) findet im Gesetz weder für Erwerbsminderungsrenten noch für Hinterbliebenenrenten
eine Stütze. Eine "vorzeitige" Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung im Sinne einer freien Entscheidung des Versicherten,
vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu wollen, ist nicht möglich, da der Leistungsfall (Eintritt der Erwerbsminderung)
in der Regel unabhängig vom Willen des Versicherten eintritt (vgl insoweit auch die Kritik des DGB und des VdK im Rahmen der
57. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 20.10.2000, Prot 14/57 S 18, 26). Streng genommen kann somit in
Bezug auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht von einer vorzeitigen, sondern allenfalls von einer früheren
oder späteren Inanspruchnahme gesprochen werden (in diesem Sinne auch Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im
SGB, §
63 SGB VI Anm 6, Stand 12/2005). Für Renten wegen Todes ist der Begriff der Vorzeitigkeit vollends unpassend, weil er ein Regelalter
für diesen Versicherungsfall und - auch hier - eine Einflussmöglichkeit des Rentenberechtigten suggeriert. Dessen war sich
der Gesetzgeber auch bewusst, wie nicht nur die Auseinandersetzung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (aaO) zeigt,
sondern auch im Wortlaut des §
77 Abs
2 Satz 1
SGB VI zum Ausdruck kommt. Denn das Gesetz spricht von einer "vorzeitigen" Inanspruchnahme nur in Satz 1 Nr 2a, der sich ausschließlich
auf Renten wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres (ab 1.1.2008: "Erreichen der Regelaltersgrenze"; vgl Art 1 Nr
23 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes) bezieht. Mit der Einführung des abgesenkten Zugangsfaktors auch bei Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden, durch das RRErwerbG wurde
der Begriff der "Vorzeitigkeit" in §
63 Abs
5 SGB VI gestrichen. Während vor dem 1.1.2001 eine Bezugnahme auf die "vorzeitige Inanspruchnahme ..." enthalten war, heißt es jetzt
nur noch: "Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden."
Im Zusammenhang mit Hinterbliebenenrenten bestätigt §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI dieses Ergebnis. Die Anordnung, dass die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten
nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme "gilt", kann sich nicht auf eine Hinterbliebenenrente beziehen. Auf die Bedenken,
die sich aus dem Begriff der "Vorzeitigkeit" ergeben, wurde bereits hingewiesen; allerdings gelten diese - wie ausgeführt
- in abgeschwächter Form auch für Erwerbsminderungsrenten. Hinterbliebenenrenten können jedoch in §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI aus einem weiteren Grund nicht gemeint sein. Alle anderen in §
77 SGB VI zu Hinterbliebenenrenten getroffenen Regelungen knüpfen an den Zeitpunkt des Todes des Versicherten an (vgl § 77 Abs 1, Abs
2 Satz 1 Nr 4 Buchst a, Abs 2 Satz 2), und nicht wie in Satz 3 an den Zeitpunkt der Inanspruchnahme, der (bzw an seiner Stelle
derjenige des Rentenbeginns) bei Alters- und Erwerbsminderungsrenten maßgebend ist (vgl § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Nr 2, Nr 3
und Nr 4 Buchst b, Abs 2 Satz 2, Abs 2 Satz 4, Abs 3 Satz 3). Überdies kann sich die Wendung "Bezug einer Rente vor Vollendung
des 60. Lebensjahres des Versicherten" nicht auf einen bereits verstorbenen Versicherten beziehen, was aber im Zusammenhang
mit einer Hinterbliebenenrente der Fall wäre. Da es somit ausgeschlossen ist, §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI als eine Regelung für Hinterbliebenenrenten zu verstehen, muss sich die Vorschrift auf eine Erwerbsminderungsrente beziehen,
die dem Versicherten früher gewährt wurde und für die gemäß §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
3, Satz 2
SGB VI ein abgesenkter Zugangsfaktor ermittelt worden war (was in der allerdings missverständlichen Wendung angedeutet wird, eine
frühere Rentenbezugszeit gelte nicht als Zeit einer "vorzeitigen" Inanspruchnahme).
Mit dieser Fiktion wird im Interesse des Versicherten und seiner Hinterbliebenen eine Ausnahme von dem sich aus §
77 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 1, Abs
3 Satz 1
SGB VI ergebenden Grundsatz geschaffen, dass ein früherer Zugangsfaktor auch für spätere Renten - auch Hinterbliebenenrenten - maßgeblich
bleibt (ebenso Ruland, NJW 2007, 2087; Bredt, NZS 2007, 194; Mey, RVaktuell 2007, 46 f; Blüggel in Wannagat, SGB, §
77 SGB VI RdNr 30 ff, Stand 7/2007; Kreikebohm
SGB VI, 2. Aufl 2003, §
77 RdNr 16; Polster in Kasseler Kommentar, §
77 SGB VI RdNr 21, Stand 9/2006; Stahl in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
77 RdNr 47 mit Beispiel, Stand 2/2002; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, §
77 SGB VI RdNr
18 f mit Beispiel, Stand 12/2005). §
77 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB VI schließt eine (Neu-)Berechnung des Zugangsfaktors aus, soweit die EP des Versicherten bereits Grundlage von persönlichen
EP einer Rente gewesen sind. Damit korrespondiert die in Abs 3 Satz 1 derselben Vorschrift angeordnete Übernahme des bisherigen
Zugangsfaktors in die Berechnung einer Folgerente (vgl hierzu im Einzelnen Schmitz, LVA Rheinprovinz Mitteilungen 2003, 142
ff). Dadurch wird das gesetzgeberische Anliegen verwirklicht (vgl nochmals §
63 Abs
5 SGB VI), Rentenleistungen an jüngere Versicherte mit Rücksicht auf die längere Bezugszeit auch in denjenigen Fällen zu begrenzen,
in denen eine Erwerbsminderungsrente mangels Besserung im Gesundheitszustand des Versicherten ohne Unterbrechung wiederholt
zu bewilligen ist, weil sie gemäß §
102 Abs
2 SGB VI grundsätzlich längstens für drei Jahre und nicht auf Dauer gewährt werden darf; ohne die genannten Vorschriften wäre der
Zugangsfaktor für jede Folgerente als eigenständiger Leistungsfall neu zu ermitteln (so auch Bredt, NZS 2007, 194).
Die Fiktion des §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI durchbricht die beschriebene "Perpetuierung" des Zugangsfaktors bei Rentenbezug auf Grund mehrerer aufeinander folgender
Rentenbewilligungen für diejenigen Fälle, in denen ein früherer Rentenbezug endet, wenn der Versicherte also beispielsweise
lediglich zwischen dem 42. und 44. Lebensjahr Rente bezieht, dann aber bis zum 65. Lebensjahr (oder darüber hinaus) wieder
erwerbstätig ist. Obwohl die vor dem 42. Lebensjahr erworbenen EP anlässlich der früheren Rentenbewilligung mittels abgesenktem
Zugangsfaktor zu persönlichen EP umgerechnet und der Rente zu Grunde gelegt worden waren, weil es sich um einen Rentenbezug
vor dem 63. Lebensjahr gehandelt hatte, ist die Altersrente des Versicherten nach §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI so zu berechnen, als sei die frühere Rente nicht "vorzeitig" gewährt und infolgedessen auch nicht abgesenkt worden; infolgedessen
bestimmt sich der Zugangsfaktor nach §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
1 bzw Nr
2 Buchst b
SGB VI und nicht nach Abs 3. Schon nach dem Wortlaut des §
77 Abs
2 Satz 3
SGB VI ("gilt") wird der Rentenabschlag nicht auf die Zeit nach dem 60. Lebensjahr verschoben; vielmehr wird der frühere Bezug einer
abgesenkten Rente als ungeschehen fingiert, um den nur vorübergehend erwerbsgeminderten Versicherten vor einem "immerwährenden
Abschlag" zu schützen.
Gestützt wird dieses Normverständnis durch die Regelung des §
77 Abs
3 Satz 3 Nr
2 SGB VI. Danach wird der Zugangsfaktor für EP, die Versicherte bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Zugangsfaktor
kleiner als 1,0 nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 60. Lebensjahres bis zum Ende des Kalendermonats der Vollendung
des 63. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,003 je Kalendermonat erhöht. Die Normierung dieses "Zuschlags"
nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 60. Lebensjahres bei einem Zugangsfaktor "kleiner als 1,0" wäre sinnlos,
hätte die gesetzgeberische Absicht tatsächlich darin bestanden, die Minderung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit auf Rentenbezugszeiten ab dem 60. Lebensjahr zu beschränken (zutreffend Mey, RVaktuell 2007, 47).
Ein weiteres systematisches Argument hat der 13. Senat im Beschluss vom 26.6.2008 (B 13 R 9/08 S) aufgezeigt. Gleichzeitig mit dem RRErwerbG hat der Gesetzgeber einen Rentenabschlag bei der Alterssicherung für Landwirte
eingeführt, der demjenigen in der allgemeinen Rentenversicherung entsprechen sollte (vgl BT-Drucks 14/4230 S 1 unter B 6,
S 24 unter 6; BT-Drucks 14/4630 S 2 vor C). Da die Renten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ohne Zugangsfaktor berechnet werden, musste die Neuregelung anders formuliert werden als im
SGB VI. Infolgedessen ordnete § 23 Abs 8 Satz 1 Nr 2 ALG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung eine Minderung des (dortigen) allgemeinen Rentenwerts um 0,3 % für jeden Kalendermonat
an, den bei einer Rente wegen Todes die Versicherten vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres verstorben
sind; § 23 Abs 8 Satz 2 Halbsatz 1 ALG begrenzte den Abschlag (grundsätzlich) auf höchstens 10,8 %. Zwischen Rentenbezugszeiten vor und nach Vollendung des 60.
Lebensjahres wurde dabei nicht unterschieden, sodass Renten wegen Todes nach dem ALG auch dann abzusenken sind, wenn der Versicherte vor dem 60. Lebensjahr verstirbt. Das muss infolgedessen auch im Rahmen von
§
77 SGB VI gelten. Diese Vorschrift ist in diesem Punkt nicht anders zu verstehen als die Parallelregelung im ALG, nachdem die angeordnete Rentenkürzung in allen übrigen Punkten in beiden Bereichen gleich ist.
Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigen die Auffassung, dass §
77 Abs
2 SGB VI die Minderung des Zugangsfaktors auch für Zeiten des Bezugs einer Hinterbliebenenrente vor der hypothetischen Vollendung
des 60. Lebensjahres des Versicherten regelt. Die vom Gesetzgeber mit §
77 SGB VI in Bezug auf Renten wegen Todes verfolgten Zwecke sind dabei mit denjenigen identisch, die für die Absenkung der Alters-
und Erwerbsminderungsrenten maßgebend sind; da es sich bei Renten wegen Todes um abgeleitete Renten handelt, für deren Höhe
dieselben EP ermittelt werden, die den Renten wegen Alters oder wegen Erwerbsminderung zu Grunde zu legen sind, folgt ihre
Behandlung dem gesetzgeberischen Gesamtkonzept, Vor- und Nachteile unterschiedlicher Rentenbezugsdauer bei den Versichertenrenten
durch einen Zugangsfaktor auszugleichen.
Die Absenkung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme von Renten wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 63. Lebensjahres
durch die Neufassung des §
77 SGB VI in Art 1 Nr 22 RRErwerbG vom 20.12.2000 ist Teil einer Gesamtstrategie, mit der in mehreren aufeinander aufbauenden Schritten auf
die demografische Entwicklung reagiert und die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert werden soll.
Sie enthielt zunächst die Anhebung des Renteneintrittsalters und die Minderung des Zugangsfaktors für vorzeitige Altersrenten
durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) und wurde mit einer nochmaligen Anhebung der regelmäßigen Altersgrenze durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom
20.4.2007 in jüngster Vergangenheit fortgeführt; (vgl auch dessen Begründung, BT-Drucks 16/3794 S 1). Damit soll eine sozial
angemessene und finanziell tragfähige Alterssicherungspolitik verwirklicht und ein wichtiger Beitrag zu mehr Wachstum und
Beschäftigung geleistet werden (vgl Nationaler Strategiebericht Sozialschutz und soziale Eingliederung der Bundesregierung
vom 9.8.2006, BR-Drucks 583/06 S 33).
In dieses Gesamtkonzept fügt sich die Absenkung des Zugangsfaktors für Erwerbsminderungs, Erziehungs- und Hinterbliebenenrenten
nur dann ohne gravierende Widersprüche ein, wenn sie auch in den Fällen angewandt wird, in denen der Leistungsfall vor dem
60. Lebensjahr des Versicherten liegt. Die Höhe des Zugangsfaktors hängt seit 1992 bei den Altersrenten vom Zeitpunkt des
Rentenbeginns ab, damit Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden (so der jetzige
§
63 Abs
5 SGB VI; vgl auch Stahl in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
77 RdNr 26). Der Vorteil einer früheren Inanspruchnahme einer Rente liegt darin, dass die Summe der gezahlten Rentenleistungen
(statistisch gesehen) höher ist als bei einem späteren Rentenbeginn, weil die Rentenlaufzeit (statistisch) insgesamt länger
ist. Ein früher Renteneintritt bedeutet trotz der durch fehlende Beitragszeiten bedingten geringeren Rente eine Mehrbelastung
der Versichertengemeinschaft, die durch einen abgesenkten Zugangsfaktor begrenzt werden soll; dieser ist so bestimmt, dass
der jeweilige Gesamtwert der lebenslangen Rente unabhängig vom Rentenbeginn im statistischen Durchschnitt gleich hoch ist
(vgl Salthammer, DRV 2003, 613 ff; Ruland in GK-
SGB VI, §
63 RdNr 53 f, Stand 9/2006). Denn die möglichst frühzeitige Inanspruchnahme einer Rente entspricht nicht dem eine Versicherung
prägenden Prinzip der Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung. Eine wesentliche Durchbrechung dieses Äquivalenz- bzw Versicherungsprinzips
lag im früheren Recht darin, dass Versicherte die Altersrente ohne Abschlag bis zu fünf Jahre vor der regulären Altersgrenze
erhalten konnten und durch den (statistisch) verlängerten Rentenbezug die insgesamt zu zahlende Rentensumme beträchtlich erhöhten.
Unter dem Gesichtspunkt des Versicherungsprinzips gilt für die übrigen Rentenarten nichts anderes, soweit der Berechtigte
die Rente (oder weitere Renten) durchgehend bis zu seinem Tode in Anspruch nimmt. Nachdem das Missverhältnis zwischen Beitrag
und Leistung bei einem vorzeitigen Altersrentner zur Absenkung des Zugangsfaktors führte, war es im Grunde nur schwer verständlich,
dass ein gleichaltriger Erwerbsminderungsrentner von jeglicher Kürzung verschont bleiben sollte, zumal bei erheblich gesenkten
Altersrenten in der betroffenen Altersgruppe mit einer massiven Zunahme der Anträge auf Erwerbsminderungsrente zu rechnen
war. Deshalb forderte der Bundesrat bei den Beratungen über das RRG 1992 die Bundesregierung zu einer Änderung des Rechts der Erwerbsminderungsrenten auf, "die zu einer sachgerechten und sozial
ausgewogenen Risikoabgrenzung zwischen Renten- und Arbeitslosenversicherung führt und gleichzeitig verhindert, dass die im
RRG 1992 vorgesehene Heraufsetzung der Altersgrenzen unterlaufen wird" (BT-Drucks 11/4452 S 9 Nr 9). Sowohl der Äquivalenzgedanke
als auch der Hinweis auf die Gefahr von Ausweichreaktionen finden sich in der Gesetzesbegründung zum RRErwerbG wieder (BT-Drucks
14/4230 S 26 zu Nr 16 und zu Nr 22). Die in allen Rentenarten vergleichbare Mehrbelastung durch einen frühen Renteneintritt
würde allerdings eine völlige Angleichung des Zugangsfaktors der übrigen Rentenarten an denjenigen der Altersrente kaum rechtfertigen
können. Denn die Altersrente darf erst ab einem bestimmten Mindestalter in Anspruch genommen werden, während die anderen Renten
schon in sehr jungen Jahren beginnen können. Zudem können die Versicherten (außer in bestimmten Fällen der Arbeitslosigkeit)
regelmäßig frei wählen, ab wann sie eine Altersrente beziehen wollen. Im Lichte dieser Unterschiede passen die im RRErwerbG
getroffenen Regelungen in die Gesamtstrategie zur Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung; gleichzeitig
wurde vermieden, dass sich der Zugangsfaktor im Laufe der Rentenbezugszeit ändert, was das überkommene System der Rentenberechnung
mit einer grundsätzlich einmalig zu ermittelnden konstanten Rechengröße (vgl §
88 Abs
1 und
2 SGB VI) und nur einem dynamischen Faktor durchbrochen hätte.
Infolgedessen ging es dem Gesetzgeber des RRErwerbG nur um eine "Anpassung" und nicht um eine "Gleichstellung" von Erwerbsminderungsrenten
und Altersrenten. Dabei werden der Versicherte und seine Hinterbliebenen - wie bereits dargelegt - vor einer allzu empfindlichen
Minderung geschützt, indem der Zugangsfaktor bei jüngeren Versicherten so festgesetzt wird, als habe der Versicherte das Mindestalter
für eine Altersrente (in der hier anwendbaren Fassung 60 Jahre) bereits erreicht, und indem die Absenkung auf einen Renteneintritt
vor dem 63. Lebensjahr beschränkt wird, während der Anspruch auf Altersrente erst ab dem 65. Lebensjahr in voller Höhe besteht;
dadurch beträgt die Absenkung maximal 10,8 % im Vergleich zu 18 % bei der Altersrente (vgl BT-Drucks 14/4230 S 24, vor Nr
4). Darüber hinaus wird der Versicherte mit Hilfe zusätzlicher Zurechnungszeiten jetzt so gestellt, als ob er bis zur Vollendung
des 60. Lebensjahres weitergearbeitet hätte (vgl §§
59 Abs
1 und
2 Satz 2,
253a SGB VI); vorher wurde die Zeit ab dem 55. Lebensjahr lediglich zu einem Drittel berücksichtigt. Die weitergehende Anrechnung von
Zurechnungszeiten soll die Anpassung der Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen
Altersrenten zusätzlich begrenzen (vgl die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ruland im Rahmen der 57. Sitzung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 20.10.2000, Prot 14/57 S 8; BT-Drucks 14/4230 S 23 f, II Nr 3). Bei Inanspruchnahme
einer Rente wegen Erwerbsminderung im Alter von 56 Jahren und acht Monaten reduziert sich die Rentenminderung bei einem "Eckrentner"
dadurch auf 3,3 % - je nach Versicherungsbiografie kann sie geringer oder höher ausfallen. Jedenfalls kommt der effektive
Abschlag dem Maximalwert von 10,8 % umso näher, je mehr sich der Rentenbeginn dem 60. Lebensjahr des Versicherten nähert;
bei späterem Renteneintritt sinkt der prozentuale Rentenabschlag allmählich wieder, bis er bei 63 Jahren ganz entfällt. Die
Fokussierung der Rentenminderung auf den Renteneintritt mit 60 stellt insofern ein schlüssiges Konzept dar, als sich gerade
die Versicherten dieser Altersgruppe unter der Geltung des bisherigen Rechts zB insbesondere bei Arbeitslosigkeit vor die
Frage gestellt sehen konnten, ob sie statt der vorzeitigen Altersrente mit einem Abschlag von 18 % eine wegen Verschlossenheit
des Arbeitsmarkts mögliche Erwerbsminderungsrente ohne Abschlag anstreben sollten (ähnlich Mey, RVaktuell 2007, 48).
Ein ganz wesentliches Element dieses Konzepts ist die Abschwächung des Rentenabschlags durch die zusätzliche Zurechnungszeit
bei einem Renteneintritt vor dem 60. Lebensjahr. Wäre der nach §
77 Abs
2 SGB VI abgesenkte Zugangsfaktor nur bei Renteneintritt bzw Rentenbezug ab dem 60. Lebensjahr anwendbar, würde der Rentenabschlag
gerade nicht abgeschwächt, sondern das RRErwerbG hätte bei früherem Renteneintritt im Vergleich zum bisherigen Recht zu einer
Rentenerhöhung geführt und entgegen den dargestellten Bemühungen des Gesetzgebers um eine Anhebung des Renteneintrittsalters
einen Anreiz geschaffen, mittels frühen Rentenantrags zu versuchen, zumindest vorübergehend den Abschlag zu vermeiden. Infolgedessen
bestätigt die Neuregelung der Zurechnungszeit die mit den Absichten des Gesetzgebers im Einklang stehende Auslegung, nach
der die Rentenminderung auch Renten erfasst, die vor dem 60. Lebensjahr des Versicherten gewährt werden. §
59 Abs
2 Satz 2, §
63 Abs
5, §§
77,
253a,
264c SGB VI bilden ein aufeinander abgestimmtes "Gesamtpaket" (vgl Klattenhoff in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
253a RdNr 2, Stand 8/2001; Stahl in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
264c RdNr 4 f, Stand 2/2002; BT-Drucks 14/4230 S 26 zu Nr 16). Dies wird besonders deutlich in der Anlage 23 zum
SGB VI, die übergangsweise je nach Zeitpunkt des Rentenbeginns festlegt, in welchem Umfang der Zugangsfaktor zu senken (§
264c SGB VI) bzw gegenläufig - in darauf abgestimmten Stufen - die Zurechnungszeit zu verlängern ist (§
253a SGB VI).
Schließlich bestätigt die Einfügung von Abs
4 in §
77 SGB VI durch Art 1 Nr
23 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 (BGBl I 554) ab dem 1.1.2008 das dargestellte Gesamtkonzept und führt es fort,
indem für langjährig Versicherte die Weitergeltung der bisherigen Altersgrenzen angeordnet wird (vgl BT-Drucks 16/3794 S 36
zu Nr 23). Folgte man der Auffassung, wonach der Rentenabschlag erst ab Vollendung des 60. Lebensjahres greifen soll, so würde
diese zu Zwecken des Vertrauensschutzes geschaffene Regelung in ihr Gegenteil verkehrt: Versicherte mit mindestens 40 Pflichtbeitragsjahren
würden durch die Herabsetzung des 62. auf das 60. Lebensjahr nicht begünstigt, sondern benachteiligt.
Der Senat räumt ein, dass das dargestellte gesetzgeberische Gesamtkonzept der Anhebung des Renteneintrittsalters in erster
Linie die Risiken der Erwerbslosigkeit im Alter bzw wegen Erwerbsminderung im Blick hat, die einer Einflussnahme im Rahmen
der Lebensgestaltung des Versicherten nicht völlig entzogen sind. Demgegenüber lässt sich die Bezugsdauer von Renten wegen
Todes durch die geschilderten Maßnahmen keinesfalls beeinflussen. Dennoch stützt der dargestellte Zweck auch den Rentenabschlag
bei der Hinterbliebenenrente. Es wäre nämlich unter Berücksichtigung der Unterhaltsersatzfunktion dieser Rentenart nur schwer
verständlich, wenn ihr höhere EP zu Grunde zu legen wären als einer bis zum Tode des Versicherten zu zahlenden Alters- oder
Erwerbsminderungsrente. Das räumt hinsichtlich der Altersrente auch die Klägerin ein. Eine Beschränkung des Rentenabschlags
auf den Fall des Vorbezugs einer abgesenkten Versichertenrente kommt indessen ebenfalls nicht ernstlich in Frage. Denn dann
hinge die Minderung der Hinterbliebenenrente davon ab, ob der Versicherte auf Grund kurzzeitiger Ereignisse oder erst nach
längerer Krankheit aus dem Leben gerissen wird. Der Versicherte könnte sich in bestimmten Fallgestaltungen sogar vor die Frage
gestellt sehen, ob er zugunsten einer höheren Hinterbliebenenrente auf einen Rentenantrag verzichtet. Gegen eine derartige
Gesetzesgestaltung sprächen unter dem Gesichtspunkt von Sinn und Zweck wesentlich gewichtigere Bedenken als gegen die Gesetz
gewordene Regelung.
Entgegen der Ansicht der Klägerin verstößt die Regelung des §
77 Abs
2 SGB VI nicht gegen das
GG.
Eine Verletzung des Grundrechts der Klägerin aus Art
14 Abs
1 GG (Eigentumsgarantie) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Hinterbliebenenrenten nicht dem Eigentumsschutz unterliegen
(BVerfGE 97, 271, 284 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 5).
Die Regelungen des §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 Buchst a und Satz 2
SGB VI verstoßen nicht gegen Art
3 Abs
1 GG.
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht
vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung
rechtfertigen könnten (stellvertretend BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN); Entsprechendes gilt für eine Gleichbehandlung trotz Bestehens gewichtiger Unterschiede.
Bei der Absenkung des Zugangsfaktors für Hinterbliebenenrenten knüpft das Gesetz an das Alter des Versicherten zum Todeszeitpunkt
und nicht an das Alter des Berechtigten zu Beginn der Rente an. Dadurch können Witwen oder Witwer bei gleichem Alter und bei
durchschnittlich gleichem Arbeitsentgelt des Versicherten Anspruch auf unterschiedlich hohe Witwen- oder Witwerrenten haben,
obwohl sie - statistisch gesehen - eine gleich lange Lebenserwartung haben und deshalb gleich lang Hinterbliebenenrente beziehen
können. Insofern ist der in §
63 Abs
5 SGB VI aufgestellte Grundsatz, dass der Zugangsfaktor Vorteile oder Nachteile unterschiedlicher Rentenbezugsdauer vermeiden soll,
bei der Hinterbliebenenrente nicht verwirklicht. Das hängt jedoch mit deren besonderer Funktion zusammen, die finanziellen
Nachteile abzumildern, die durch den Tod des "Ernährers" für den Unterhalt der Familie regelmäßig entstehen, sodass die von
der Klägerin gerügte Ungleichbehandlung gleichwohl verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die (ihrerseits verfassungsrechtlich unproblematische) Entscheidung des Gesetzgebers für die Einführung von Hinterbliebenenrenten
ist nach ihrem Grundkonzept eine Entscheidung für eine vom versicherungsrechtlichen Status des verstorbenen Versicherten abgeleitete
Versorgung. Da diese Versorgung auf dessen Beitragsleistung beruht, ist es keinesfalls sachwidrig, wenn sie sich in der Höhe
an den vom Verstorbenen erworbenen Anwartschaften ausrichtet und die einer Hinterbliebenenrente zu Grunde zu legenden EP dieselben
sind, auf denen eine Rente an den Versicherten beruhen würde, wenn er noch lebte. Eine eigene "Rentenformel" der Hinterbliebenenrente
mit eigenen EP und eigenem Zugangsfaktor würde dem Grundkonzept der abgeleiteten Versorgung nicht entsprechen. Unter dem Blickwinkel
der abgeleiteten Versorgung betrifft die von der Klägerin gerügte Ungleichbehandlung keine im Wesentlichen gleichen Sachverhalte,
wenn die Versicherten nicht im selben Alter verstorben sind. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass der jünger verstorbene
Versicherte - bei im Übrigen identischen versicherungsrechtlichen Merkmalen - eine geringere Gesamtbeitragsleistung erbracht
hat als der in höherem Alter Verstorbene. Mit Rücksicht auf die Abhängigkeit der Hinterbliebenenrente vom Status des Versicherten
ist für die Grundregel, dass Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden sollen, nach dem
Tode des Versicherten kein Raum mehr. Im Übrigen wäre es nahezu widersinnig, den Zugangsfaktor bei der Hinterbliebenenrente
nach dem Alter des Hinterbliebenen zu bestimmen und alle anderen Berechnungselemente - beispielsweise auch die Zurechnungszeit
- auf den Status des Versicherten zu beziehen.
Diesen Überlegungen kann der fehlende personale Bezug der Beiträge des Versicherten zu den darauf beruhenden Hinterbliebenenrenten
nicht entgegengehalten werden. Es ist zwar richtig, dass das BVerfG einen Eigentumsschutz für Hinterbliebenenrenten unter
Hinweis auf die fehlende Beitragsbezogenheit verneint hat (BVerfGE 97, 271, 285 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 6). Es hat daraus aber nicht etwa den Schluss gezogen, die Hinterbliebenenrenten müssten nach
anderen Merkmalen berechnet werden als nach den vom Versicherten erworbenen EP. Vielmehr hat es die Ausgestaltung der Hinterbliebenenrente
als abgeleitete Versorgung ausdrücklich als verfassungskonform bestätigt und noch nicht einmal ansatzweise zu erkennen gegeben,
dass dagegen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen könnten (BVerfGE 97, 271, 297 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 16), obwohl im Zusammenhang mit der Minderung der Hinterbliebenenrente insbesondere durch
eigenes Einkommen auch die anderen für diese Rentenart geltenden Berechnungsgrundsätze zur Überprüfung gestellt waren. Im
selben Zusammenhang hat das BVerfG nicht bemängelt, dass sowohl die Ehedauer als auch der Beitrag des überlebenden Ehegatten
zum Familienunterhalt bei der Hinterbliebenenversorgung unberücksichtigt bleiben (BVerfGE 97, 271, 288 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 8 f). Es ist deshalb entgegen der Meinung der Klägerin verfassungsrechtlich nicht geboten,
den Zugangsfaktor danach zu bestimmen, in welchem Umfang der überlebende Ehegatte im Rahmen der arbeitsteiligen Lebensplanung
des Ehepaars zur finanziellen Absicherung im Alter beigetragen hat.
Soweit die Witwenrente der Klägerin anders berechnet wird als Hinterbliebenenrenten, die vor dem 1.1.2001 begonnen haben (vgl
§§ 253a, 264c
SGB VI iVm Anlage 23 in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung), ist auch diese Unterscheidung durch hinreichende sachliche Gründe
gerechtfertigt. Insofern gilt nichts anderes als für die Versichertenrenten, von denen die Hinterbliebenenrenten abgeleitet
werden. Die Absicht des Gesetzgebers, Erwerbsminderungsrenten abzusenken, um den Unterschied zu den bereits abgesenkten vorzeitig
in Anspruch genommenen Altersrenten nicht allzu groß werden zu lassen (vgl Senatsbeschlüsse vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 32/07 R, B 5a R 88/07 R), rechtfertigt auch die Absenkung der Hinterbliebenenrenten. Denn es wäre kaum nachzuvollziehen, wenn eine
Hinterbliebenenrente nach einer vorzeitigen Altersrente des Versicherten mit einem um bis zu 18% abgesenkten Zugangsfaktor
zu berechnen wäre, während sie nach einer um bis zu 10,8% geminderten Erwerbsminderungsrente in voller Höhe zu leisten wäre.
Auch aus anderen Gründen war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert, die angegriffene Regelung zu erlassen.
Der Schutzbereich des Art
2 Abs
1 GG ist nicht berührt. Das käme im Zusammenhang mit dem geminderten Witwenrentenanspruch der Klägerin nur in Betracht, wenn sie
selbst vorher durch die Anordnung von Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflichten in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit
nicht unerheblich eingeengt worden wäre (BVerfGE 97, 271, 286 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 7 mwN). Da lediglich der Versicherte der Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung
unterworfen war, trifft diese Voraussetzung auf die Klägerin von vornherein nicht zu. Selbst wenn man unterstellt, die Klägerin
sei in ihrer Betätigungsfreiheit (mit-)betroffen gewesen, weil das Familieneinkommen durch die Versicherungsbeiträge des pflichtversicherten
Ehemannes gemindert worden sei, oder wenn man aus anderen Gründen die Grundrechtsbetroffenheit der Klägerin bejaht, ergibt
sich daraus kein Grundrechtsverstoß, weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Vertrauensschutzprinzip gewahrt sind.
Die Notwendigkeit des Eingriffs ergibt sich aus den Erwägungen, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, Erwerbsminderungsrenten
in ähnlicher (abgemilderter) Form zu kürzen wie vorzeitig in Anspruch genommene Altersrenten (s hierzu Urteile vom 14.8.2008
-ua B 5 R 32/07 R, zur Veröffentlichung bestimmt), sowie aus dem bereits dargestellten Abhängigkeitsverhältnis von Hinterbliebenen- zu Versichertenrenten.
Die hier für den Eingriff - Absenkung des Zugangsfaktors - maßgebliche Regelung des §
77 Abs
2 Satz 1 Nr
4 Buchst a
SGB VI idF des RRErwerbG greift nicht im Sinne einer (echten) Rückwirkung zu Ungunsten der Klägerin in eine Rechtsposition ein,
die diese bereits vor Inkrafttreten am 1.1.2001 (vgl Art 24 Abs 1 RRErwerbG) inne hatte. Im Übrigen ist zu berücksichtigen,
dass der Bundesrat bereits im April 1989 die Bundesregierung aufgefordert hatte, der Gefahr zu begegnen, dass die im RRG 1992 vorgesehene Heraufsetzung der Altersgrenzen unterlaufen wird. Die Änderung der Rechtslage war für die Berechtigten daher
nicht völlig überraschend. Durch die Übergangsregelung der §§ 253a, 264c
SGB VI wird erreicht, dass sich die Absenkung des Zugangsfaktors für sich genommen etwa im Fall der Klägerin und bezogen auf den
1.1.2002 nur mit rund 11 Euro im Monat auf die Rente auswirkt, während es andernfalls über 100 Euro gewesen wären; bei Berücksichtigung
der (jeweils) verlängerten Zurechnungszeit sinken die Kürzungsbeträge auf 1,25 Euro bzw - ohne Übergangsregelung - auf knapp
28 Euro monatlich. Damit ist auch unter diesem Gesichtspunkt ein ausreichender Vertrauensschutz gewährleistet; die Übergangszeit
vom 1.1.2001 bis zum 31.12.2003 ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Rentenkürzung trifft die Klägerin dank Übergangsregelung
mit unter 0,2% nicht unverhältnismäßig. Das gilt aber auch unabhängig vom Übergangsrecht. Mit einer maximalen Kürzung um 10,8%
bei einem Versicherungsfall im Alter von 60 Jahren ist einerseits die Annäherung an die 18%-ige Minderung der vorzeitigen
Altersrente genügend deutlich, um ein zu weites Auseinanderklaffen der verschiedenen Rentenarten zu vermeiden. Andererseits
wird berücksichtigt, dass der Berechtigte es bei Erwerbsminderungs- oder Hinterbliebenenrenten nicht in der Hand hat, wann
der Versicherungsfall eintritt, während die vorzeitige Altersrente in der Regel eine Option darstellt, zu deren Inanspruchnahme
sich der Versicherte allerdings - etwa durch Arbeitslosigkeit - stark gedrängt fühlen kann.
Die Revision der Klägerin ist somit zurückzuweisen. Damit weicht der Senat zwar vom Urteil des 4. Senats vom 16.5.2006 ab
(BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3); dennoch ist er an der Entscheidung nicht gehindert. Der 4. Senat kann mit der hier entscheidungserheblichen
Rechtsfrage nicht mehr befasst werden, denn er ist nach einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit Wirkung zum 1.1.2008
für Streitigkeiten aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr zuständig. An seine Stelle sind der 13. und
der erkennende Senat getreten. Der 13. Senat hat auf die Anfrage des erkennenden Senats am 26.6.2008 beschlossen (B 13 R 9/08 S), an der Rechtsprechung des 4. Senats im Urteil vom 16.5.2006 nicht festzuhalten (vgl §
41 Abs
3 Satz 1 und
2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.