Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Ausschluss bei Mutwilligkeit im Rahmen der verspäteten Umsetzung
des Urteils des BVerfG zur Höhe der Regelleistung
Gründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig, sie ist insb. nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes
vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) ausgeschlossen, da das Sozialgericht Ulm (SG) die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) nicht ausschließlich wegen des Fehlens der persönlichen oder wirtschaftlichen
Voraussetzungen abgelehnt hat.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Gewährung von PKH im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
PKH erhält auf Antrag gemäß §
73 a Abs.
1 Satz 1
SGG, §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO), wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder
nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig
erscheint. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn der Rechtsstandpunkt des klagenden
Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für das Gericht zumindest als vertretbar
erscheint und es von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
73a, Rn. 7a).
Unabhängig davon, ob für die Beurteilung der Erfolgsaussicht auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdeverfahrens
(Leitherer, aaO., § 73 a, Rn. 7d) oder auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfebewilligungsgesuchs (Landessozialgericht
[LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.04.2011 -L 5 AS 397/10 B PKH- m.w.N. veröffentlicht in juris) abzustellen ist, ob mithin der zwischenzeitliche Erlass des Bescheides vom 26.03.2011,
der den Antragsteller klaglos gestellt hat und -in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses- zur Unzulässigkeit der Klage
geführt hat, bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten Einfluss gewinnt, ist die beantragte PKH bereits deshalb zu versagen,
weil die vom Kläger betriebene Rechtsverfolgung mutwillig erscheint. Bei der Auslegung des Begriffs der Mutwilligkeit i.S.
des §
114 ZPO ist zu berücksichtigen, dass es der Zweck der PKH ist, die bedürftige Partei beim Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz und
im Rechtsstreit einer vermögenden Partei gleichzustellen. Hieraus ergibt sich, dass einer bedürftigen Partei PKH nicht bewilligt
werden kann, wenn eine vermögende Partei, die für die Kosten selbst aufkommen müsste, auf die entsprechende Rechtsverfolgung
oder -verteidigung vernünftigerweise verzichten würde (vgl. u.a. BSG, Beschluss vom 24.05.2000 - B 1 KR 4/99 BH - veröffentlicht
in juris). Hierbei ist auf das Verhalten einer vernünftig handelnden Person abzustellen, d.h. das hypothetische prozessuale
Verhalten einer vermögenden Partei in derselben Situation ist der Maßstab dafür, ob die von der bedürftigen Partei beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder -verteidigung mutwillig erscheint. Selbst wenn die hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden
könnte, ist eine Rechtsverfolgung mutwillig, bei der die aufzuwendenden Kosten in keinem vernünftigen Verhältnis zum erstrebten
Erfolg stehen. Maßgebend ist dabei das Verhältnis von Aufwand und Nutzen im Erfolgsfall (LSG Berlin, Beschluss vom 17.12.2003
- L 11 B 28/03 SB - veröffentlicht in juris).
In dem vorliegenden Fall steht für den Senat außer Zweifel, dass eine vernünftig denkende und handelnde Partei unter Berücksichtigung
der von ihr aufzuwendenden und im Falle des Unterliegens selbst zu tragenden Kosten von einer Rechtsverfolgung Abstand genommen
hätte. Mit seiner am 15.02.2011 erhobenen Klage vor dem SG macht der Antragsteller, rückwirkend zum 01.01.2011, höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf die Erhöhung des Regelsatzes zum 01.01.2011 geltend. Hierzu bringt er vor,
die vom Bundesverfassungsgericht in dessen Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09- eingeräumte Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 sei zwischenzeitlich abgelaufen, der Gesetzgeber habe es verabsäumt, rechtzeitig
eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen, weswegen die Leistungsbewilligung ab dem 01.01.2011 im Bescheid vom 13.12.2010 mit
dem
Grundgesetz nicht vereinbar sei. Ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte zwischenzeitlich mit Bescheid vom 26.03.2011 rückwirkend
ab dem 01.01.2011 den ab diesem Zeitpunkt geltenden Regelsatz i.H.v. 364,- € bewilligt und an den Kläger ausbezahlt hat, ist
dem Antragsteller zuzugeben, dass die vom BVerfG geforderte gesetzliche Neuregelung nicht bereits am 01.01.2011 geschaffen
war; das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuches,
in dessen Art. 2 auch die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II und die dortige Regelsatzhöhe geändert wurde, trat erst am
24.03.2011 in Kraft. Der Beklagte hat jedoch bereits vor Klageerhebung, in seinem Widerspruchsbescheid vom 03.02.2011 ausdrücklich
mitgeteilt, dass bis zur Verkündung des neuen Gesetzes eine höhere Leistungsgewährung nicht möglich sei. Hieraus wurde hinreichend
deutlich, dass die geltend gemachte (höhere) Regelleistung dem Grund nach nicht in Abrede gestellt ist, deren Gewährung vielmehr
nur noch eine Frage des Zeitpunkts der gesetzlichen Umsetzung war. Eine vernünftig denkende und handelnde Partei hätte vor
diesem Hintergrund und dem Umstand, dass in der öffentlichen Diskussion der "Hartz IV"-Änderung zu keinem Zeitpunkt in Frage
stand, dass die Erhöhung des Regelsatzes zum 01.01.2011 gelten wird, von einer Rechtsverfolgung Abstand genommen. Die Rechtsverfolgung
ist mithin mutwillig i.S.d. §
114 ZPO, weswegen die Bewilligung von PKH ausscheidet.
Die Beschwerde ist zurückzuweisen.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§
177 SGG).