Anspruch auf Arbeitslosengeld II; kein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung bei Diabetes mellitus und Hypertonie nach
den Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 2008
Tatbestand:
Streitig ist die Bewilligung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes des Klägers.
Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern (N.; geb. 1998 und N.; geb. 2006) in Bedarfsgemeinschaft und
bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit dem Fortzahlungsantrag vom 04.06.2006 machte der Kläger erstmals einen Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung
geltend. Nach der ärztlichen Bescheinigung des Dr. P. (Facharzt für Allgemeinmedizin) vom 04.05.2006 leide er an Diabetes
mellitus Typ II b und Hypertonie (bei Adipositas; Körpergröße 1,70 m; Gewicht 95 kg). Diese Erkrankungen erforderten eine
natriumdefinierte Reduktionskost sowie eine Diabeteskost.
In der Folgezeit berücksichtigte die Beklagte bei der Ermittlung des Bedarfes für den Kläger einen ernährungsbedingten Mehrbedarf
in Höhe von 25,56 EUR monatlich (Bewilligungszeitraum 01.08.2006 bis 31.01.2007).
Anlässlich des Fortzahlungsantrages für die Zeit ab dem 01.02.2007 (Antrag vom 30.01.2007) legte der Kläger keine neue Bescheinigung
über das Bestehen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes vor. Mit Bescheid vom 05.02.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger
(und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Familienmitgliedern) Leistungen in Höhe von 1.174,06 EUR (monatlich) für
die Zeit ab dem 01.02.2007, für Mai 2007 in Höhe von 1.151,06 EUR und für Juni 2007 bzw. Juli 2007 in Höhe von jeweils 1.148,50
EUR. Hierbei berücksichtigte die Beklagte für die Zeit ab dem 04.05.2007 keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf des Klägers
mehr.
Den Widerspruch vom 22.02.2007 begründete der Kläger damit, dass nicht nachzuvollziehen sei, aus welchen Gründen die Leistungen
ab Mai 2007 gemindert würden.
Mit Bescheid vom 02.06.2007 berücksichtigte die Beklagte die Anpassung der Regelleistungen zum 01.07.2007, wodurch sich der
Anspruch für Juli 2007 auf 1.152,50 EUR erhöhte.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2007 zurück. Ein ernährungsbedingter Mehrbedarf bestehe
nicht, denn eine natriumdefinierte Reduktionskost, d.h. kochsalzarme Ernährung sei nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge e.V. (DV) nicht teurer als eine Normalernährung. Auch bedürfe der bestehende Diabetes
mellitus Typ II b keiner kostenaufwändigeren Ernährung, denn die Ernährungstherapie für Übergewichtige ziele auf eine kontinuierliche
und anhaltende Gewichtsreduktion ab. Die hierzu erforderliche Reduzierung der Energiezufuhr führe nicht zu ernährungsbedingten
Mehrkosten. Ein Anspruch auf eine Krankenkostzulage habe daher zu keiner Zeit bestanden.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 27.06.2007 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Wegen seines ärztlich bescheinigten Diabetes und der Hypertonie benötige er eine fett-, kalorien- und zuckerreduzierte
Ernährung, die einen Mehrbedarfszuschlag von 50.- EUR erfordere.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31.01.2008 abgewiesen. Der Kläger benötige aus medizinischen Gründen keine kostenaufwändige
Ernährung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei auf die vom DV aufgestellten Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen
abzustellen. Diese Empfehlungen seien als eine Art antizipiertes Sachverständigengutachten zu verstehen und stellten eine
Art Beweisregel dar, von der jedoch abzuweichen wäre, soweit neuere Erkenntnisse vorlägen.
In Bezug auf die beim Kläger vorliegende Hypertonie sei nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen eine kochsalzreduzierte
Ernährung mit normalen Lebensmitteln angezeigt, die keinen höheren Kostenaufwand erfordere. Darüber hinaus sei das Körpergewicht
zu normalisieren und Alkoholkonsum einzuschränken. Hinsichtlich des beim Kläger bestehenden Diabetes mellitus Typ II b bei
einem Übergewichtigen sprächen sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse gegen einen medizinisch begründbaren Ernährungsmehraufwand.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 11.03.2008 die vom SG zugelassene Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen.
Er beantragt (sinngemäß):
das Urteil des Sozialgerichtes Würzburg vom 31.01.2008 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger unter Abänderung
des Bescheides vom 05.02.2007 idG des Bescheides vom 02.06.2007 und des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2007 für die Zeit
ab dem 04.05.2007 einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von mindestens 50.- EUR (monatlich) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Bescheid der Beklagten vom 05.02.2007 idF des Bescheides vom 02.06.2007 erweist sich als rechtsmäßig. Der Kläger wird
nicht dadurch in seinen Rechten verletzt, dass ihm für die Zeit ab dem 04.05.2007 die Kosten eines krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwandes
nicht mehr erstattet werden.
Weder der beim Kläger vorliegende Diabetes mellitus Typ II b noch die Hypertonie bedürfen einer besonderen Kostform, die einen
höheren Kostenaufwand mit sich bringt, als in der Regelleistung nach § 20 SGB II für Ernährung vorgesehen.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten einen Mehrbedarf
in angemessener Höhe, § 21 Abs 5 SGB II. Bei dem Begriff der "angemessenen Höhe" des Mehrbedarfs handelt es sich um einen
unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl.
Behrend in LPK- SGB II, 2. Aufl., § 21 Rn 42; Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 21 Rn 57).
Die bisherige Praxis und Rechtsprechung zur früheren Parallelvorschrift des § 23 Abs 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) hat sich hinsichtlich der Kostformen und der diesbezüglich diagnostizierten Erkrankungen vor allem an den vom DV herausgegebenen
"Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" (Empfehlungen des Deutschen Vereins) orientiert
(Lang/Knickrehm aaO. § 21 Rn.52; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13.10.2003 - 12 LA 385/03 - FEVS 55, 359; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII,
Asylbewerberleistungsgesetz, Stand Januar 2008, § 30 SGB XII Rn. 14; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, § 23 Rn. 34). Hierauf hat auch der Gesetzgeber bei der Einführung des § 21 Abs 5 SGB II abgestellt (Vgl. BT- Drucksache 15/1516
S.57) und eine anderweitige Ermittlung eines Mehrbedarfes lediglich in den Fällen als geboten erachtet, in denen neuere wissenschaftliche
Erkenntnisse vorliegen. Dies folgte der generellen Anknüpfung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB
II an das Referenzsystem der Sozialhilfe (vgl. BT-Drucks 15/1516 S 46, 56). Bei der Erstellung der Empfehlungen des DV haben
Wissenschaftler aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet, die medizinisch notwendigen
Ernährungsformen bei verschiedenen Krankheiten festgestellt und die Kostenunterschiede zur "Normalernährung" ermittelt (Empfehlungen
des Deutschen Vereins, 2. Aufl. 1997 (Empfehlungen 97), S 6).
Auch hat das BVerfG im Jahr 2006 noch ausgeführt, dass es sich bei den Empfehlungen des Deutschen Vereines um gleichsam antizipierte
Sachverständigengutachten handeln würde, die zwar keine Normqualität besässen, im Interesse der gleichmäßigen Rechtsanwendung
jedoch wie untergesetzlichen Normen von den Gerichten anzuwenden seien und nicht ohne Darlegung der eigenen Sachkunde unbeachtet
gelassen werden könnten (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.2006 - 1 BvR 2673/05 in info also 2006, 279).
Diese Empfehlungen wurden erstmals 1974 herausgegeben und befanden sich während des streitgegenständlichen Leistungszeitraumes
auf dem Stand des Jahres 1997, wobei deren Überarbeitung zum 01.10.2008 abgeschlossen wurde.
Nach dem Inkrafttreten des SGB II wurde - im Hinblick auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse und die fehlende Aktualität
der Empfehlungen 97 - insbesondere in der Rechtsprechung auf neuere Begutachtungsleitfäden abgestellt (vgl. etwa Schleswig
Holsteinisches LSG, FEVS 57, 412 ff; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10.01.2008 - L 9 AS 605/07 ER), vor allem auf den des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten von Westfalen-Lippe und des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.
Im "Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger
Ernährung (Krankenkostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG (jetzt: § 30 Abs 5 SGB XII)" aus dem Jahr 2002 (Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe), der von einer Arbeitsgruppe
aus Ärztinnen und Ärzten aus Gesundheitsämtern in vier Bundesländern erstellt wurde, wurde kritisiert, dass die Empfehlungen
97 in einigen Punkten nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprächen und manche Erkenntnisse nicht folgerichtig umgesetzt
seien. Dementsprechend fanden sich im Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zum Teil von den Empfehlungen
97 abweichende Bewertungen. Das galt auch für das "Rationalisierungsschema 2004" des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner
(BDME - Rationalisierungsschema 2004).
Auch das BSG hatte hierzu bereits festgestellt, dass man nicht mehr davon ausgehen könne, die Empfehlungen des Deutschen Vereins
aus dem Jahr 1997 würden in allen Punkten allgemeine und im Wesentlichen unumstrittene aktuelle Erfahrungswerte wiedergeben.
(vgl. BSG, Urteil - 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R), nachdem die Empfehlungen aus dem Jahr 1997 datierten, sich auf Gutachten aus den Jahren 1991 bis 1996 stützten und die
inzwischen eingetretenen Entwicklungen nicht durch eine Aktualisierung nachvollzogen hatten.
Mittlerweile hat aber auch der DV seine Empfehlungen 97 überarbeitet und am 01.10.2008 verabschiedet (Empfehlungen 2008).
Darin hat der DV in die geänderten diätetischen Grundlagen des "Rationalisierungsschema 2004" des Bundesverbandes Deutscher
Ernährungsmediziner (BDME - Rationalisierungsschema 2004) nachvollzogen (Empfehlungen 2008, S. 15f) und für eine Vielzahl
von Krankheiten eine Vollkost als diätetisch ausreichend angesehen, für die nach den Empfehlungen 97 noch besondere Kostformen
vorgesehen waren.
Demnach ist in der Regel für Erkrankungen wie Hypertonie (Bluthochdruck) oder Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit - Typ II
und Typ I, konventionell und intensiviert konventionell behandelt) ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen
und Vollkost ausreichend (Empfehlungen 2008, S. 10). Angesichts der Übereinstimmung der maßgeblichen wissenschaftlichen Kreise
(Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner, Diabetologen und Ärzte des staatlichen Gesundheitswesens) hat der Senat keine
Bedenken, den Empfehlungen 2008 zu folgen.
Die Empfehlungen 2008 enthalten auch die Prüfung, ob eine sogenannte "Vollkost" aus dem Eckregelsatz zu finanzieren ist, wobei
Vollkost als eine Kost anzusehen ist, die (1.) den Bedarf an essenziellen Nährstoffen deckt, (2.) in ihrem Energiegehalt den
Energiebedarf berücksichtigt, (3.) Erkenntnisse der Ernährungsmedizin zur Prävention und auch zur Therapie berücksichtigt
und (4.) in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist, soweit Punkt 1.-3. nicht tangiert werden
(Empfehlungen 2008, S. 16).
Zur Frage der Finanzierbarkeit einer Vollkost wurden u.a. die Bemessungsgrundlagen aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
(EVS 2003) analysiert, die die Datenbasis für die Festsetzung der Regelsätze 2007 bilden (Empfehlungen 2008, S. 4). Eine in
diesem Zusammenhang bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Auftrag gegebene Studie hat hierbei ergeben, dass
sich der Bedarf eines Erwachsenen an Vollkost mit einem durchschnittlichen Aufwand von 43,46 EUR wöchentlich, also 6,21 EUR
täglich, decken ließe. Nachdem das fürsorgerechtliche Ziel auf die Sicherung eines soziokulturellen Existenzminimums beschränkt
sei und nicht die Gewährleistung eines durchschnittlichen Lebensstandards zum Gegenstand habe, sei ein solcher Mittelwert
nicht der relevante Bezugspunkt. Bei einer "preisbewussten Einkaufsweise" sei eine Vollkost mit einem Aufwand von ca. vier
Euro täglich zu finanzieren, so dass eine gesunde und aus ernährungswissenschaftlicher Sicht auch allen Menschen ohne besondere
diätetische Anforderungen empfohlene Ernährung aus dem Regelsatz finanzierbar ist, wenn die Preise der eingekauften Lebensmittel
im unteren Viertel der Preisstreuung liegen (Empfehlungen 2008, S. 17, 19 mwN). Die Studie hat ausgehend von dem vom Gesetzgeber
in § 20 SGB II vorgegebenen Leistungsniveau, zu Recht mit der Verabschiedung der Empfehlungen 2008 am 01.10.2008 Anerkennung
gefunden.
Unter Beachtung der in den Empfehlungen 2008 enthaltenen antizipierten Sachverständigengutachten ist ein medizinisch bedingter
Ernährungsmehraufwand des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vom 04.05.2007 bis 31.07.2007 nicht zu belegen.
Der Kläger litt bereits zu Beginn des maßgeblichen Bewilligungszeitraumes im Februar 2007 ausweislich der ärztlichen Bescheinigung
vom Mai 2006 an Diabetes mellitus Typ IIb und Hypertonie. Bei diesem Krankheitsbild lässt sich nach allgemein gültigen wissenschaftlichen
Erkenntnissen - nunmehr auch nachvollzogen in den Empfehlungen 2008 - ein krankheitsbedingter Ernährungsmehrbedarf des Klägers
weder in Bezug auf den Diabetes mellitus Typ II noch hinsichtlich der Hypertonie belegen, denn beide Krankheitsbilder erfordern
eine sogenannte Vollkost, die sich aus der Regelleistung finanzieren lässt.
Der Senat auch keine Veranlassung die Empfehlungen 2008 für Sachverhalte, die vor dem 01.10.2008 liegen, außer Betracht zu
lassen. Sie stellen für den streitgegenständlichen Zeitraum eine tragfähige Bewertungsgrundlage dar (ebenso LSG Niedersachsen
- Bremen, Urteil vom 22.01.2009 - L 8 SO 32/07).
Auch wenn die Empfehlungen erst am 01.10.2008 durch den DV verabschiedet worden sind, fassen sie die ernährungsmedizinischen
und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre seit dem BDME - Rationalisierungsschema 2004 bzw. dem Begutachtungsleitfaden
des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe aus dem Jahr 2002 zusammen und vollziehen diese nach. Darüber hinaus quantifiziert
der DV - auf der Grundlage der EVS 2003, die der Regelleistungsbemessung zugrunde gelegt worden ist - den Kostenaufwand, der
heute durch einen kostenangemessene Vollkosternährung entsteht, so dass - bedingt durch den Umstand, dass die Erhöhung die
Regelleistung mit der Inflation seit dem Jahr 2005 nicht Schritt gehalten hat - bereits ab dem Inkrafttreten des SGB II anzunehmen
ist, der in der Regelleistung enthaltende Anteil für Ernährung reiche aus, um die Versorgung mit einer gesunden, ausgewogenen
und erkrankungsadäquaten Vollkost sicher zu stellen.
Mit der Heranziehung der Empfehlungen 2008 auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte ist auch nicht der rechtsstaatliche
Grundsatz des Rückwirkungsverbotes tangiert.
Die Grenzen, die das
Grundgesetz für rückwirkende belastende Eingriffe in bestehende subjektive Rechte zieht, ergeben sich aus dem das
Grundgesetz durchwaltenden Rechtsstaatsprinzip. Zu den wesentlichen Elementen des Rechtsstaatsprinzips gehört die Rechtssicherheit (BVerfGE
7, 89 (92 f.); 13, 261 (271)). Sie gebietet, dass der rechtsunterworfene Bürger nicht durch die rückwirkende Beseitigung erworbener
Rechte über die Verlässlichkeit der Rechtsordnung getäuscht wird (vgl. BVerfGE 24, 75 (98)). Er soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen können, sich dementsprechend einrichten und
darauf vertrauen dürfen, dass sein dem jeweils geltenden Recht entsprechendes Verhalten auch fernerhin von der Rechtsordnung
als Rechtens anerkannt bleibt (vgl. BVerfGE 13, 261 (271)). Der Bürger soll sich grundsätzlich darauf verlassen dürfen, dass der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände nicht
ungünstigere Folgen knüpft, als im Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände anhand der geltenden Rechtsordnung vorhersehbar
war (vgl. BVerfGE 15, 313 (324)).
Vorliegend handelt es sich bei den Empfehlungen 2008 des DV jedoch nicht um Rechtsnormen, die in eine erworbene Rechtsposition
des Klägers eingreifen, denn auch das BVerfG hat den (Vorgänger-)Empfehlungen des DV einen wie auch immer gearteten Rechtsnormcharakter
abgesprochen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.2006 aaO.).
Die Empfehlungen des DV stellen lediglich eine Sammlung von Erfahrungssätzen dar, welche medizinischen und tatsächlichen Bewertungsmaßstäbe
zu beachten sind, um einen erkrankungsbedingten Ernährungsmehraufwand quantifizieren zu können. Dies ist jedoch eine Frage
der tatsächlichen Gegebenheiten und des Standes der medizinischen Wissenschaft. Vorliegend hat der DV die seit dem Jahr 2002
aufgekommene Kritik an seinen vorhergehenden Empfehlungen 97 aufgegriffen und diese Kritik nachvollzogen. Insofern ist hieraus
der Schluss zu ziehen, dass der DV sich zumindest seit dem BDME - Rationalisierungsschema 2004, auf das sich der DV auch im
Wesentlichen stützt, die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Eigen gemacht hat.
Die nunmehr erfolgte Zusammenfassung der bereits seit dem Jahr 2004 bzw. 2002 vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse
in den neuen Empfehlungen 2008 des DV rechtfertigt es daher, diese Empfehlungen als Schlusspunkt einer langen wissenschaftlichen
Diskussion anzusehen, die den als allgemein anerkannten, ernährungsmedizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisstand
- zumindest - seit dem Inkrafttreten des SGB II am 01.01.2005 darstellt.
Darüber hinaus sieht der Senat keine Veranlassung, die individuellen Verhältnisse des Klägers näher zu beleuchten. Das BSG
sieht zwar in Fällen, in denen Erkrankungen vorliegen, zu denen keine allgemeingültigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen,
oder in Fällen eines kumulativen Bedarfes aufgrund verschiedener Erkrankungen, die einer differenzierten, auf den Gesamtleidenszustand
abgestimmten Kostform bedürfen, die Notwendigkeit - gegebenenfalls - im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung einen konkreten
ernährungsbedingten Mehrbedarf zu klären. Hierbei ist als Betrag des krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwandes der Betrag
anzusehen, mit dem der medizinisch begründete, tatsächliche Kostenaufwand für eine Ernährung ausgeglichen werden kann, die
von der Regelleistung nicht gedeckt ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 64/06 R unter Hinweis auf Lang/Knickrehm aaO. § 21 Rn 56, 57). Dieser konkrete Mehrbedarf sei im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung
durch Einholung medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten zu klären.
Vorliegend sind die beim Kläger bestehenden Erkrankungen (Diabetes mellitus Typ II b; Hypertonie) jedoch mit einer Vollkost
im oben genannten Sinne diätetisch zu versorgen, so dass nicht denkbar erscheint, dass durch das Zusammenwirken dieser Erkrankungen
ein Mehrbedarf entstehen kann. Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht vorgetragen, dass er einer besonderen Kostform bedarf,
die eine Einzelfallbetrachtung erforderlich gemacht hätte.
Zuletzt ist nicht ersichtlich, dass der Leistungsanspruch des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum (04.05.2007 bis 31.07.2007)
aus anderen Gründen zu niedrig festgesetzt worden wäre. Dies hat der Kläger auch nicht geltend gemacht, so dass die Berufung
im Ergebnis zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG und folgt aus dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Absatz
2 Nr.1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Die hier maßgebliche Rechtsfragen hat das BSG bereits entschieden.
In Bezug auf einen krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwand liegen inzwischen allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse
vor, und die Frage des Ernährungsmehraufwandes ist keine Rechtsfrage, sondern eine medizinische Tatsachenfrage, die, auch
wenn sie verallgemeinerungsfähig ist, einem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung verleihen kann (vgl. Beschluss des
Senates vom 07.01.2008 - L 11 AS 338/07 NZB mwN). Eine Einzelfallbetrachtung (vgl. BSG Urteil vom 27.02.2008 aaO.) war - mangels hinreichender Anhaltspunkte - nicht
geboten.