Rechtmäßigkeit der Erstattung überzahlter Rentenleistungen nach dem Tod des Rentenberechtigten durch Empfänger und Verfügende
Gründe:
I. Die Parteien streiten wegen einer Inanspruchnahme der Klägerin und Beschwerdeführerin (Bf) durch die Beklagte und Beschwerdegegnerin
(Bg) auf Rücküberweisung einer überzahlten Rentenleistung auf der Grundlage von §
118 Abs.
4 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch (
SGB VI).
Die Bg hatte laufende Rentenleistungen (Witwenrente und Rente aus eigener Versicherung) an S erbracht. S verstarb am 26.09.2007.
Die Rentenzahlungen für den Monat Oktober 2007 (Witwenrente 229,39 EUR, Versichertenrente 368,86 EUR) gingen am 28.09.2007
auf einem Konto der S bei der Sparkasse M. ein. Nachdem die Bg die Rentenüberzahlungen bemerkt hatte, ließ sie sich von der
Sparkasse einen großen Teil der Rentenbeträge nach §
118 Abs.
3 SGB VI zurücküberweisen. Während die Versichertenrente auf diesem Weg vollständig der Bg wieder zugeführt werden konnte, gelang
das für die Witwenrente bezüglich eines Restes von 39,61 EUR nicht; insoweit wies das Konto bei der Sparkasse keine Deckung
auf. Das vormals vorhandene Guthaben war durch diverse Auszahlungen erschöpft worden. Unter anderem hatte die Bf einige Tage
vorher eine Wohngeldzahlung für Oktober 2007 rücküberwiesen erhalten; auf diese bestand wegen des Todes der S kein Anspruch
mehr. Die Bf stützte sich dabei auf § 50 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X).
Die Bg forderte von der Bf den Betrag von 39,61 EUR auf der Grundlage von §
118 Abs.
4 SGB VI zurück (Bescheid vom 03.03.2008, Widerspruchsbescheid vom 13.08.2008). Diesbezüglich ist es zu einem Klageverfahren vor dem
Sozialgericht Augsburg gekommen. Die Bf hat dabei primär argumentiert, sie als juristische Person des öffentlichen Rechts
falle nicht unter den Kreis der nach §
118 Abs.
4 SGB VI Erstattungspflichtigen. Sie sieht sich nicht als "Empfängerin" oder "Verfügende" im Sinn dieser Vorschrift. Das Sozialgericht
hat die Klage mit Urteil vom 10.03.2010 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Zur Begründung der Klageabweisung hat
es ausgeführt, "Personen" im Sinn von §
118 Abs.
4 Satz 1
SGB VI seien nicht nur natürliche Personen, sondern unter anderem auch Gesellschaften, Firmen, Behörden, juristische Personen. Auch
die Bf als Trägerin von Wohngeldleistungen werde davon erfasst. Das Gesetz räume dem Rückzahlungsanspruch der gesetzlichen
Rentenversicherung Vorrang gegenüber anderen Erstattungsansprüchen ein, auch gegenüber dem der Bf. Unmaßgeblich sei, wann
ein Erstattungsanspruch zeitlich realisiert werde.
Die Bf hat am 09.04.2010 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, der Rechtssache komme grundsätzliche
Bedeutung zu. Im Berufungsverfahren, so die Bf sinngemäß, sei klärungsbedürftig und klärungsfähig, ob ein Rückforderungsanspruch
nach §
118 Abs.
4 Satz 2
SGB VI gegen einen Sozialleistungsträger geltend gemacht werden dürfe, der nur deshalb zum Kreis der Rückforderungsadressaten gehöre,
weil er vorher einen Erstattungsanspruch gemäß § 50 SGB X realisiert habe; dabei sei die Besonderheit zu beachten, dass der Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X wegen einer nicht zulässigen Weiterzahlung der Sozialleistung nach dem Tod des Sozialleistungsempfängers entstanden, also
mit dem Erstattungsanspruch nach §
118 Abs.
4 SGB VI wesensgleich sei. Klärungsbedürftig und klärungsfähig sei im Berufungsverfahren weiter, ob der Träger einer Wohngeldbehörde,
der in dieser Funktion Zahlungen von dem betreffenden Konto erhalten habe, überhaupt Empfänger im Sinn von §
118 Abs.
4 SGB VI sein könne. Die ab 01.01.2009 geltende Neufassung von § 30 des Wohngeldgesetzes (WoGG) lasse die Klärungsbedürftigkeit nicht entfallen. Denn auch durch diese Neuregelung werde das Konkurrenzverhältnis der Ansprüche
nach § 30 WoGG und §
118 Abs.
4 SGB VI nicht gelöst. Rechtlich mache es keinen Unterschied, ob die Erstattung von Wohngeldleistungen, die nach dem Tod des Berechtigten
weitergezahlt worden seien, auf der Grundlage von § 30 WoGG n.F. oder § 50 SGB X erfolge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Bg sowie die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen
Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzinteresse, weil die Berufung nicht schon ohne Zulassung
statthaft ist. Denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt nicht den in §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) genannten Grenzbetrag von 750 EUR; er beläuft sich 39,61 EUR.
Jedoch ist die Beschwerde unbegründet. Es besteht kein Grund, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zuzulassen.
Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die
Entscheidung beruhen kann.
Keiner der genannten Zulassungsgründe liegt hier vor. Das bedarf bezüglich der Zulassungsgründe nach §
144 Abs.
2 Nr.
2 und
3 SGG keiner weiteren Erörterung. Aber auch über §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG gelingt es der Bf nicht, ein Berufungsverfahren zu initiieren.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinn von §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG hat eine Rechtssache dann, wenn eine bislang nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen wird, deren Klärung im allgemeinen Interesse
liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig
und klärungsfähig sein (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/ders.,
SGG, 9. Auflage 2008, §
144 Rn. 28). Nur im Ausnahmefall können Aspekte der Tatsachenfeststellung geeignet sein, eine grundsätzliche Bedeutung im Sinn
von §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG zu begründen. Der vorliegende Fall wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen oder Tatsachenfragen in diesem Sinn auf.
Rechtsgrundlage für das Vorgehen der Bg ist §
118 Abs.
4 SGB VI. Die für den vorliegenden Fall maßgebende Fassung von Satz 1 und 2 lautet wie folgt:
Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen,
die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug
oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als
Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder
zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet.
Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen.
Soweit die Bf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus dem ungeklärten Rang- bzw. Konkurrenzverhältnis zwischen dem
Vorgehen des Rentenversicherungsträgers nach §
118 Abs.
4 SGB VI und dem der Wohngeldstelle nach § 50 SGB X herleiten will, hat dies keinen Erfolg, weil eine Klärungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Denn der vorliegende Fall weist
die Besonderheit auf, dass die Bf das überzahlte Wohngeld auf der Grundlage von § 50 SGB X zurückerhalten hat, seit 01.01.2009 aber mit § 30 Abs. 2 WoGG eine besondere einschlägige Bestimmung existiert, die §
118 Abs.
4 SGB VI nachgebildet ist; § 30 Abs. 2 WoGG verkörpert eine Spezialregelung, welche die Anwendbarkeit von § 50 Abs. 1 und 2 SGB X ausschließt (vgl. zu §
118 Abs.
4 Satz 1
SGB VI BSG SozR 4-2600 §
118 Nr.
4 Rn. 58). Die von der Bf konkret veranlasste Rückzahlung der Wohngeldleistungen für Oktober 2007 beruht somit auf "abgestorbenem
Recht". In solchen Fällen kann nur ausnahmsweise eine Klärungsbedürftigkeit angenommen werden. Ein entsprechender Ausnahmefall
ist hier nicht gegeben. Die Lösung des vorliegenden Problems hätte keine rechtliche Aussagekraft und Klärungsfunktion für
das Rang- bzw. Konkurrenzverhältnis von §
118 Abs.
4 SGB VI und § 30 Abs. 2 WoGG. Denn § 30 Abs. 2 WoGG hat die vordem bestehende Rechtslage nicht nur kodifiziert, sie also im Hinblick auf ihren materiellen Gehalt übernommen,
sondern der Einziehung von wegen Versterben des Empfängers überzahlten Leistungen ein neues rechtliches Fundament gegeben
(vgl. BTDrs 16/6543, S. 106/107). Das Problem des Rang- bzw. Konkurrenzverhältnisses zwischen §
118 Abs.
4 SGB VI und § 30 Abs. 2 WoGG stellt sich daher vor dem Hintergrund einer gänzlich anderen rechtlichen Ausgangslage.
Auch die Frage, ob die Bf als Körperschaft des öffentlichen Rechts überhaupt dem grundsätzlich erstattungspflichtigen Personenkreis
angehören kann, ist nicht dergestalt klärungsbedürftig, dass dadurch eine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG begründet werden könnte. Zwar fehlt es an Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die sich unmittelbar und explizit damit
befasst hat. Dieser Umstand ist für sich allein indes noch nicht geeignet, die Rechtssache als grundsätzlich bedeutsam erscheinen
zu lassen. Denn klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage auch dann nicht, wenn diese zwar höchstrichterlich noch nicht entschieden
ist, die Antwort auf die Frage aber praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 7 Rn. 8). Das
trifft hier zu. Der Senat vermag keinen Hinweis zu erkennen, der auch nur ansatzweise für die Richtigkeit der von der Bf vertretenen
Rechtsauffassung sprechen könnte.
Die Erstattungspflicht nach §
118 Abs.
4 SGB VI trifft "Personen", die entweder als "Empfänger" oder als "Verfügende" zu beurteilen sind. Der gesetzliche Anknüpfungspunkt
"Personen" liefert keinen Anhalt, dieser könnte auf privatrechtliche oder gar auf natürliche Personen beschränkt sein. Da
das Sozialversicherungsrecht allgemein zum Begriff der "Personen" keine definitorischen Ansätze enthält, kann auf die verallgemeinerungsfähigen
Grundprinzipen zurückgegriffen werden, die Abschnitt 1 des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufstellt. Es bedarf
keiner weiteren Erörterung, dass sich daraus die von der Bf vertretene Beschränkung nicht ableiten lässt.
Auch im rechtlichen Kontext, in den §
118 Abs.
4 SGB VI eingebunden ist, vermag man keine Anhaltspunkte zu finden, welche die Ansicht der Bf stützen könnten. Im Gegenteil erscheint
es nach Sinn und Zweck der Regelung verfehlt, den Kreis der grundsätzlich Erstattungspflichtigen so zu beschränken, wie es
die Bf vertritt: §
118 Abs.
4 SGB VI dient der Rückführung der überzahlten Rentenleistung an den Rentenversicherungsträger (BSG SozR 4-2600 § 118 Nr. 6 Rn. 19).
Keiner der darin genannten Personen soll das Recht haben, die nach dem Tod des Versicherten rechtsgrundlos überwiesene "Rente"
zu behalten oder ihre Vermögenslage daraus zu verbessern (vgl. BSG SozR 4-2600 § 118 Nr. 7 Rn. 25; SozR 4-2500 § 118 Nr. 8
Rn. 22). Das Bundessozialgericht hat entschieden (BSG SozR 3-2600 § 118 Nr. 9, S. 62/63; vgl. auch BSG SozR 4-2600 § 118 Nr.
4 Rn. 59; SozR 4-2600 § 118 Nr. 6 Rn. 18/19), dass die spezielle Inanspruchnahme der Empfänger und der Verfügenden nach §
118 Abs.
4 Satz 1
SGB VI die aktuellen Beitragszahler vor einer Belastung durch rechtsgrundlos erbrachte Leistungen schützen soll; dadurch, so das
Bundessozialgericht, würden Personen - als nur mittelbar Begünstigte - einbezogen, die direkt weder am Sozialrechtsverhältnis
des Versicherten noch an dessen bankvertraglicher Beziehung zum kontoführenden Kreditinstitut teil hätten. Rechtsgrund für
deren Inanspruchnahme sei allein, dass ihnen das ihre privatrechtlichen Sonderbeziehungen verdrängende Sonderrecht des Staates
(vgl. auch BSG SozR 4-2600 § 118 Nr. 9 Rn. 57) die zu ihren Gunsten erfolgte Vermögensverschiebung nicht zu Lasten des Beitragszahlers
endgültig belasse.
Diese Erwägungen zeigen, dass das Bedürfnis für den besonderen Erstattungsanspruch des §
118 Abs.
4 SGB VI bei natürlichen und juristischen Personen gleichermaßen besteht.
Auch die Frage, ob bei der Anwendbarkeit des §
118 Abs.
4 SGB VI danach differenziert werden muss, ob eine Zahlung vom Konto mit privatrechtlichem oder öffentlich-rechtlichem Rechtsgrund
erfolgt ist, bedarf keiner Klärung im Berufungsverfahren. Sie ist vielmehr eindeutig zu verneinen. Das Bundessozialgericht
hat bereits entschieden, dass §
118 Abs.
4 SGB VI nicht nach dem abstrakten Rechtsgrund differenziert, auf dem der Geldzufluss beruht (BSG SozR 3-2600 § 118 Nr. 9, S. 64).
Aus der von ihm an anderer Stelle gewählten Umschreibung, die Regelung würde das Privatrechtsverhältnis überlagern, darf nicht
gefolgert werden, wenn ein Empfänger die Leistung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erhalten habe, finde §
118 Abs.
4 SGB VI keine Anwendung. Vielmehr unterwirft die Norm ohne Differenzierung nach privatrechtlichem oder öffentlich-rechtlichem Empfang
grundsätzlich alle Zahlungsbewegungen ihrem Sonderreglement; die Rückführung der überzahlten Rentenleistungen genießt auch
gegenüber anderen öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen Vorrang. Eine Privilegierung einzelner Zahlungsempfänger
oder Zahlungszwecke existiert nicht; sie darf auch nicht durch restriktive Auslegung der Vorschrift hineininterpretiert werden.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§
177 SGG).