Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung; Verweisbarkeit beim Vorliegen häufiger Arbeitsunfähigkeiten
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente für die Zeit bis zum 31.07.2011.
Die 1951 in Polen geborene Klägerin ist 1987 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Sie erlernte den Beruf der Kellnerin,
war von 1969 bis 1973 als Kellnerin, von 1973 bis 1978 als Köchin, von 1978 bis 1987 als Druckerin, von 1989 bis 1991 als
Hilfsarbeiterin in einer Styroporfabrik, von 1991 bis 1992 als Köchin (Küchenhelferin) in einem Altenheim und zuletzt von
01.05.1992 bis 31.12.2008 als Registraturkraft bei der DRV Bayern Süd beschäftigt. Ausweislich der vorliegenden Arbeitgeberauskunft
handelte es sich dabei um eine Tätigkeit, die nach kurzer Einweisung von ungelernten Kräften verrichtet werden konnte.
Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 60 ab 24.10.2007 anerkannt.
Vom 06.08.2008 bis 10.10.2009 erhielt die Klägerin Krankengeld. Seit 01.08.2011 bezieht sie Altersrente für schwerbehinderte
Menschen von der Beklagten. Die Berechnung des monatlichen Zahlbetrags wurde im Hinblick auf das anhängige Verfahren wegen
Erwerbsminderungsrente vorläufig vorgenommen.
Vom 04.12.2008 bis 01.01.2009 befand sich die Klägerin insbesondere wegen einer somatoformen Schmerzstörung, Fibromyalgie
sowie Angst/depressive Störung gemischt in der S-Klinik. Im Bericht wird u.a. von Arbeitsplatzkonflikten, einem alkoholkranken
Ehemann, biographischer Traumatisierung und einer vorangegangenen Interferontherapie wegen Hepatitis C berichtet. Eine Schmerzreduktion
scheine nicht möglich zu sein, diesbezüglich spiele ein Rentenbegehren der Klägerin (chronifizierte Opfer- und Erwartungshaltung)
eine Rolle.
Die Klägerin beantragte am 06.04.2009 Rente wegen Erwerbsminderung. Sie halte sich seit Juni 2008 für erwerbsgemindert u.a.
wegen anhaltender somatoformer Schmerzstörung, Angst und depressive Störung gemischt, Fibromyalgie, Hepatitis C, Harninkontinenz,
offenes Foramen ovale und Vorhofseptum.
Im Verwaltungsverfahren wurde sie vom Nervenarzt Dr. G. am 22.05.2009 untersucht. Dieser attestierte ihr eine Leistungsfähigkeit
für die letzte Tätigkeit und leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mehr als sechs Stunden täglich. Die Klägerin
verfüge noch über eine ausreichende Kompensationsfähigkeit.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 30.6.2009 ab. Die Klägerin wurde noch für vollschichtig einsatzfähig
auch im bisherigen Beruf als "Reinigungskraft" angesehen.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass sie Bürokraft und nicht Reinigungskraft gewesen
sei. Nach Eingang weiterer Unterlagen der behandelnden Ärzte wurde die Klägerin vom Internisten und Sozialmediziner Dr. G.
untersucht. Dieser ging für die letzte Tätigkeit als Registraturkraft von einem aufgehobenen Leistungsvermögen und auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten von einem täglich über sechsstündigen Leistungsvermögen aus. Die Beklagte
wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2010 zurück. Ausgehend vom Beruf der Registraturkraft sei die Klägerin
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.
Dagegen hat die Klägerin am 08.02.2010 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben.
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. D. und Dr. G. beigezogen; aktenkundig wurden auch ein Bericht des
Nervenarztes Dr. S. vom 23.03.2010 und ein HNO-Befund vom 11.05.2010.
Daraufhin ist die Neurologin und Psychiaterin Dr. M. mit der Begutachtung beauftragt worden. Bei der Untersuchung durch die
Sachverständige am 01.10.2010 hat die Klägerin über Schmerzen am ganzen Körper geklagt. Sie hat angegeben, dass sie noch ihre
Haushaltsarbeiten (Kochen, Bügeln, oberflächliches Putzen) verrichte, im Kirchenchor singe und soziale Kontakte habe. Der
neurologische Befund war mit Ausnahme einer Manschette am rechten Handgelenk und Klopfschmerzen an Hals- und Lendenwirbelsäule
unauffällig. Die Stimmung war depressiv dysthym, die Schwingungsfähigkeit leichtgradig eingeschränkt. Die Klägerin war emotional
auslenkbar. Es bestanden Somatisierungstendenzen. Der Laborbefund hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin die verordneten
Medikamente trotz gegenteiliger Angabe bei der Begutachtung nicht eingenommen hat. Dr. M. hat folgende Gesundheitsstörungen
seit April 2009 festgestellt:
* Somatoforme Schmerzstörung unter dem Bild einer Fibromyalgie
* Dysthymie
* Migräne
* Leichtes Carpaltunnel-Syndrom beidseits (vordiagnostiziert)
* Z.n. TIA mit Amaurosis fugax links (10/06), bekanntes offenes Foramen ovale
* Z.n. Trigeminusneuralgie rechts
Die Sachverständige ist der Ansicht gewesen, dass die Klägerin mit Rücksicht auf die bestehenden Gesundheitsstörungen auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten abwechselnd im Sitzen, Gehen und Stehen, überwiegend in geschlossenen Räumen,
gelegentlich im Freien, sechs bis unter acht Stunden täglich mit den üblichen Unterbrechungen verrichten könne. Dabei seien
qualitative Einschränkungen zu beachten. Vermieden werden müssten Verrichtungen verbunden mit besonderen Anforderungen an
die psychische und nervliche Belastbarkeit, unter besonderem Zeitdruck, Arbeiten in Nacht- und Wechselschicht, mit Heben und
Tragen schwerer Lasten sowie in Zwangshaltungen. Beschränkungen hinsichtlich der Wegefähigkeit bestünden nicht.
Danach hat die Klägerseite weitere Arztberichte (Kernspinbefund vom 29.12.2010;
Dr. S. vom 20.12.2010) vorgelegt und gegen das Gutachten u.a. eingewendet, dass die Klägerin von Dr. M. eingeschüchtert gewesen
sei. Die Klägerin habe keine Wiedergutmachungswünsche, sondern sei von der AOK zur Rentenantragstellung aufgefordert worden.
Die Gutachterin habe außerdem nicht berücksichtigt, dass die Klägerin aus Angst nicht mehr Auto fahre und eine begleitende
Angststörung vorliege. Außerdem treffe es nicht zu, dass die Klägerin jeden Tag koche und regelmäßig zur Chorprobe gehe, sondern
nur, wenn es ihre Gesundheit zulasse. Die Klägerin habe Merkstörungen. Sie sei bereits nach 2 Stunden zu Hause erschöpft.
Amitryptilin werde von der Klägerin nur abends eingenommen und manchmal vergessen. Musaril werde wegen der Nebenwirkungen
nur bei Bedarf eingenommen. Die Laborwerte seien keineswegs ein Zeichen für schlechte Compliance. Fersen- und Einbeinstand
hätten nicht durchgeführt werden können. Die Gutachterin sei hinsichtlich der Diagnosestellung widersprüchlich (Dysthymie
bzw. leichtgradige Depression). Die Aussagen der Dr. G. und die Selbsteinschätzung der Klägerin würden vor dem Hintergrund
fehlender Aggravation nicht berücksichtigt. Die Gutachterin solle nachvollziehbare Begründungen für ihre Wertung liefern.
Die Klägerin hat vom 14.03.2011 bis 08.04.2011 eine ganztägig ambulante Rehamaßnahme absolviert. Im Entlassungsbericht heißt
es, dass insgesamt ein gutes Reha-Ergebnis erzielt worden sei. Aus orthopädischer Sicht solle die letzte berufliche Tätigkeit
mit regelmäßigem Heben und Tragen nicht mehr ausgeübt werden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin noch leichte
Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten.
Dr. M. hat in ihren ergänzenden Stellungnahmen u.a. darauf hingewiesen, dass Wiedergutmachungswünsche auch im Bericht der
S-Klinik thematisiert worden seien. Die Klägerin sei in einer Opferrolle gefangen. Sie habe durchaus eine vermehrte Angstbereitschaft;
es komme jedoch auf das Ausmaß des Vermeidungsverhaltens an. Sie könne noch öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Der Tagesablauf
lasse trotz Einschränkungen nicht auf ein Nachlassen der Interessensphäre und auf keinen gravierenden sozialen Rückzug schließen.
Eine tiefgreifende depressive Verstimmung habe nicht vorgelegen. Dr. G. habe z.T. lediglich rudimentäre handschriftliche Angaben
gemacht; Angaben zur Tagesstruktur und zu funktionellen Einschränkungen seien nicht enthalten.
Die Klage ist mit Urteil des SG vom 01.03.2012 abgewiesen worden. Die Ausführungen von Frau Dr. M. seien schlüssig und nachvollziehbar; sie würden auch durch
den Rehaentlassungsbericht bestätigt. Sie habe in ihrer letzten ergänzenden Stellungnahme noch einmal explizit darauf hingewiesen,
dass es sich bei einer Dysthymie im Grunde um eine leichtgradig ausgeprägte Depression handele. Eine schwergradige depressive
Symptomatik und eine Schonhaltung seien zu keinem Zeitpunkt medizinisch belegt. Die rein subjektiven Angaben der Klägerin
im Laufe des Klageverfahrens könnten deshalb nicht übernommen werden. Es bestehe nur eine leichtgradige Ausprägung der Depression,
keine begleitende Angststörung und die Klägerin komme mit den wesentlichen Anforderungen des Alltags zu Recht. Die Klägerin
sei auch nicht in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Zudem bestünden noch Therapiemöglichkeiten. Einschlägiger Beruf sei hier
der Beruf der Registraturkraft bei der DRV Bayern Süd. Bei dieser Tätigkeit handele es sich ausweislich der im Verwaltungsverfahren
eingeholten Arbeitgeberauskunft, an deren Richtigkeit das Gericht nicht zweifele, um eine ungelernte Tätigkeit, für die eine
Anlernung nach Bedarf ausgereicht habe. Es könne deshalb dahinstehen, ob die Klägerin ihren letzten Beruf noch ausüben könne.
Sie könne nach dem vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschema (vgl. z.B. SozR 2200 Nr. 140 und SozR 3-2200 Nr.
27 je zu § 1246
RVO) auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden.
Gegen das am 07.03.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.04.2012 Berufung eingelegt.
Auf gerichtliche Nachfrage hat der Klägerbevollmächtigte den Klageantrag dahingehend beschränkt, dass Rente wegen Erwerbsminderung
nur noch bis zum Beginn des Bezugs der Altersrente für schwerbehinderte Menschen begehrt werde. Er hat das Attest des Hausarztes
Dr. D. vom 13.08.2012 vorgelegt, wonach ab 2009 eine massive Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten
sei. Anfang August 2011 habe sie einen Suizidversuch unternommen mit Krisenintervention bei Dr. G ...
Außerdem ist ein Attest des aktuell seit Juni 2011 behandelnden Nervenarztes Dr. H. vom 17.09.2012 vorgelegt worden. Er beschreibt
eine kognitive Störung und eine schwere depressiven Episode.
Nach Einholung eines Befundberichts des Dr. H. vom 08.11.2012 ist auf Antrag der Klägerin ein Gutachten nach §
109 SGG bei dem Nervenarzt Dr. Dr. E. in Auftrag gegeben worden. Zusätzlich ist eine Bestätigung über Zeiten der Arbeitsunfähigkeit
eingeholt worden. 2005 sei sie 132 Tage krankgeschrieben gewesen, in 2006 107 Tage. Ihre Schwierigkeiten hätten 2004 im Anschluss
an eine Infusionstherapie wegen Hepatitis C begonnen. 2004, 2005 und 2008 hätten psychosomatische Behandlungen mit kurzfristiger
Symptombesserung stattgefunden. 2006 sei die Gallenblase entfernt worden und danach ein leichter Schlaganfall passiert. 2008
sei sie auf Drängen ihres Vorgesetzten aus dem Arbeitsleben ausgeschieden.
Der Sachverständige hat aufgrund Untersuchung vom 14.01.2013 folgende Diagnosen gestellt:
- Rezidivierende depressive Störung, derzeit schwer
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung im Sinne der Fibromyalgie
- Migräne
- Leichtes CTS beidseits
- Z.n. TIA mit Amaurosis fugax im Oktober 2006
- Z.n. Trigeminusneuralgie
Es habe sich seit der Begutachtung durch Dr. M. eine gravierende Verschlechterung ergeben. Das Untersuchungsgespräch habe
eher den Einweisungsmodalitäten in eine psychiatrische Klinik als einer sozialmedizinischen Leistungsevaluation entsprochen.
Die Tagesstruktur sei aufgehoben. Es lägen ein völliger Rückzug sowie Symptome einer depressiven Pseudodemenz (kognitive Minderleistungen)
mit tief gedrückter Stimmung und stark reduziertem Antrieb vor. Eine derartige Verfassung sei im Bericht des Dr. H. vom 17.09.2012
vorbeschrieben. Es stehe außer Zweifel, dass die Klägerin zum jetzigen Zeitpunkt kein verwertbares Leistungsvermögen mehr
habe. Die Klägerin könne diese Hemmungen auch nicht mehr selbst überwinden. Im Gutachten Dr. M. vom 19.10.2010 seien dagegen
noch andere Verhältnisse dargelegt. Die bei Dr. M. erhobene Befundlage lasse sich in der Intensität nicht ansatzweise mit
der heutigen vergleichen. Sie passe unter Verlaufsgesichtspunkten zu derjenigen in der S-Klinik 2009 sowie bei der Untersuchung
durch Dr. G ... Der jetzt ausgesprochen gravierende psychopathologische Status sei spätestens ab 19.09.2012 gegeben.
Die Beklagte hat dazu mitgeteilt, dass sie von einem erloschenen Leistungsvermögen seit September 2012 ausgehe. Zu diesem
Zeitpunkt seien jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt; außerdem sei nach bindender Bewilligung
einer Altersrente ein Wechsel in eine Erwerbsminderungsrente ausgeschlossen (§
34 Abs.
4 SGB VI).
Der Klägerbevollmächtigte ist weiterhin von einem Leistungsfall im Jahr 2009 ausgegangen. Dr. G. sei voreingenommen gegenüber
der Klägerin als "Kollegin" gewesen. Sein Bewertungsfehler sei fortgeschrieben worden. Bei Dr. M. habe sich die Klägerin nicht
getraut, nachzufragen. Die ihr unterstellten Wiedergutmachungswünsche lägen nicht vor; sie sei von der AOK zur Antragstellung
aufgefordert worden. Auch Dr. M. sei voreingenommen gewesen. Der Prozessbevollmächtigte hat sich auf das Attest des Dr. D.
vom 13.08.2012 bezogen; als Hausarzt kenne dieser die Klägerin seit langen Jahren am besten. Auch die frühere Nervenärztin
Dr. G. vertrete in ihrem Attest vom 29.07.2009 die Auffassung, dass die Klägerin wegen ihrer chronischen depressiven Störung
in Verbindung mit ihrer Fibromyalgie erwerbsunfähig sei. Beide sollten als sachverständige Zeugen zur Frage der Erwerbsfähigkeit
vernommen werden. Außerdem solle die Sachverständige Dr. M. geladen werden, um ihr ergänzende Fragen zu stellen und sie mit
den Aussagen der sachverständigen Zeugen zu konfrontieren. Zudem könne Arbeitsunfähigkeit zur Erwerbsunfähigkeit führen, wenn
feststehe, dass die Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Jahres zu erbringenden Arbeitsleistungen
nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber" zu stellen berechtigt
ist (vgl. BSG, 31.10.2012, B 13 R 107/12 B). Dieser Fall sei im Hinblick auf die häufigen Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin (zuletzt 25.06.2008 - 10.10.2009)
gegeben.
Auf gerichtliche Nachfrage hat Dr. D. am 19.11.2013 mitgeteilt, dass er seit 2009 keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt habe.
Er hat u.a. einen Arztbrief des Dr. H. vom 29.02.2012 vorgelegt.
Dr. G. hat mitgeteilt, dass sie die Patientenakte an den Nachfolger im Neurozentrum A-Stadt abgegeben habe. Sie hat außerdem
aus dem Gedächtnis für den Behandlungszeitraum 11.09.2006 - 05.07.2011 die Diagnosen einer mittelgradigen chronifizierten
depressiven Störung und eines Fibromyalgiesyndroms angegeben.
Vom Neurozentrum sind einige frühere handschriftliche Unterlagen der Dr. G. vorgelegt worden, u.a. vom 13.10.2008, vom 24.03.2009
und vom 05.07.2011. Im Juli 2011 hat sie eine reaktive Verschlechterung durch ein negatives Gutachten festgehalten.
Die Krankenkasse der Klägerin hat auf Anforderungen des Klägerbevollmächtigten die Diagnosen, die den Zeiten der Arbeitsunfähigkeit
zugrunde lagen, benannt und ein Gutachten des MDK vom 09.04.2009 vorgelegt.
Auf einen gerichtlichen Hinweis vom 05.08.2014 und die erneute Aufforderung, ggf. konkrete Fragen gegenüber Dr. M. zu benennen,
hat der Klägerbevollmächtigte keine weitere Stellungnahme mehr abgegeben.
In der mündlichen Verhandlung am 10.10.2014 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag gestellt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 01.03.2012 und des Bescheids der Beklagten vom 30.06.2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2010 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser
Erwerbsminderung ab Antragstellung bis zum 31.07.2011 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagten hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie des gerichtlichen Verfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 30.06.2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2010 abgewiesen. Die Bescheide sind rechtmäßig. Die Voraussetzungen zur Gewährung
einer Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung bis zum 31.07.2011 liegen bei der Klägerin nicht vor.
Versicherte haben gemäß §§
43 Abs.
1, Abs.
2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweise Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert
sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Der Senat kann nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin bereits bei Rentenantragstellung im April 2009 bzw. vor Beginn
der Altersrente (01.08.2011) erwerbsgemindert war. Sie konnte vielmehr bis dahin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte
Arbeiten abwechselnd im Sitzen, Gehen und Stehen, überwiegend in geschlossenen Räumen, gelegentlich im Freien, sechs bis unter
acht Stunden täglich mit den üblichen Unterbrechungen verrichten.
Zu diesem Ergebnis kommt auch der von der Klägerin ausgewählte Sachverständige Dr. Dr. E. nach ausführlicher und gründlicher
Auswertung der Aktenlage. Den von ihm erhobenen Zustand der vollen Erwerbsminderung sieht er - anknüpfend an das Attest des
Dr. H. vom 17.09.2012, der hier über kognitive Minderleistungen nachvollziehbar berichtet und eine hochdosierte Behandlung
mit Venlafaxin 150mg eingeleitet hat - spätestens ab September 2012.
In der S-Klinik (Entlassung im Januar 2009) wurde bei der Klägerin noch die Diagnose Angst- und depressive Störung gemischt
angegeben. An erster Stelle wurde die anhaltende somatoforme Schmerzstörung genannt, wobei einem Rentenbegehren der Klägerin
eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Störung beigemessen wurde.
Der Gutachter Dr. G. hat aufgrund seiner Untersuchung am 25.05.2009 durchaus schwierige Belastungsmomente bei der Klägerin
erkannt, aber aufgrund der Alltagsleistungen der Klägerin (Betreuung der Enkeltochter, Spazierengehen, Chor) noch eine ausreichende
Kompensationsfähigkeit angenommen. Eine Voreingenommenheit des Gutachters lässt sich dem Gutachten und speziell diesen Bemerkungen
nicht entnehmen; die Alltagsfähigkeiten sind gerade bei Schmerzpatienten im Gutachten zu würdigen. Allein die für die Klägerin
negative Wertung lässt nicht an der Objektivität des Gutachters zweifeln.
Bei Dr. G. wirkte die Klägerin nur subdepressiv (unter Therapie kompensiert).
Dr. M. hat bei ihrer Untersuchung am 01.10.2010 die verschiedenen ärztlichen Befundberichte und Angaben der behandelnden Ärzte
durchaus gewürdigt. Auch die Belastungsfaktoren der Klägerin schon aus der Kindheit und die lange Schmerzanamnese hat sie
nicht verkannt. Sie ordnet ihre Diagnosen vor diesem Hintergrund ein. Gerade die Fibromyalgie beschreibt die Sachverständige
als Umsetzung psychischen Leids auf die körperliche Ebene.
Sie hat zulässigerweise auch den Medikamentenspiegel in ihre Wertung miteinbezogen. Der Spiegel zeigte Werte für Terazepam
und Amitryptilin weit unterhalb des therapeutischen Bereichs. Der Spiegel für Citalopram lag im therapeutischen Bereich. Die
Schlussfolgerung der Dr. M., dass noch Therapieoptionen bestanden, wird nicht dadurch entwertet, dass die Klägerin zuletzt
bei Dr. Dr. E. angab, sie habe die Medikamente aufgrund ihrer Überlastung vergessen einzunehmen.
Dr. Dr. E. weist selbst ausdrücklich darauf hin, dass der Medikamentenspiegel nur eine untergeordnete Rolle bei der Bewertung
durch Dr. M. spielt. Allein der psychopathologische Befund bei Dr. M. trägt auch nach Ansicht des Dr. Dr. E. deren Bewertung.
Letzterer erbrachte bei Dr. M. neben Einschränkungen (u.a. dysthyme Stimmungslage, eingeschränkte Schwingungsfähigkeit) auch
noch normale Aspekte (stellenweise emotional auslenkbar, Denkablauf geordnet, keine Schonhaltung, Konzentration nur leichtgradig
gemindert, keine Hinweise für kognitive Beeinträchtigungen). Auch Dr. G. hatte erklärt, dass sich aus den detailreichen Angaben
der Klägerin kein Hinweis auf eine kognitive Beeinträchtigung ergeben habe. Auf Dr. G. machte die Klägerin mental ebenso einen
normalen Eindruck.
Die Sachverständige hat deshalb nachvollziehbar nur eine leichtgradige Ausprägung der Depression bei der Untersuchung angenommen.
Sie erläutert hierzu, dass bei einer Dysthymie auch von einer leichtgradig ausgeprägten Depression gesprochen werden kann.
Ein vom Klägerbevollmächtigten konstruierter Widerspruch wegen der Verwendung der unterschiedlichen Begriffe liegt hierin
nicht; entscheidend ist, dass die Sachverständige keine schwere Depression mit entsprechenden funktionellen Einschränkungen
- wie etwa Dr. Dr. E. bei seiner Untersuchung - gesehen hat.
Die Testergebnisse sprachen zwar dafür, dass sich die Klägerin selbst als schwer depressiv wahrgenommen hat. Der eigene subjektive
Eindruck ist jedoch bei der Begutachtung einer kritischen Würdigung zu unterziehen; er kann nicht (wie etwa bei behandelnden
Ärzten) als Ausgangspunkt (der Behandlung) zugrunde gelegt werden. Dabei führt die Sachverständige überzeugend aus, dass die
Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und objektivierbaren Befunden nicht auf Aggravation oder Simulation beruhen muss.
Sie geht durchaus von einem Leidensdruck der Klägerin aus.
Bei der Wertung bezieht sie richtigerweise auch die Auswirkungen im außerberuflichen Bereich und bei der Tagesgestaltung mit
ein. Hierzu hat sie darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihren Haushalt noch mit Hilfe bewältigen, soziale Kontakte aufrechterhalten
und Interessen (Singen) nachgehen konnte.
Zum damaligen Zeitpunkt ergaben sich somit nachvollziehbar keine Hinweise für eine rentenerhebliche Einschränkung durch die
diagnostizierten Krankheiten. Daran ändern auch die Einwendungen nichts, dass die Klägerin wechselnd belastbar war. Die Sachverständige
hat insoweit darauf abgestellt, dass jedenfalls kein wesentlicher Interessenverlust oder sozialer Rückzug vorgelegen hatte.
Die neurologische Untersuchung erbrachte kein sensomotorisches Defizit im Bereich der Extremitäten. Es fanden sich Hinweise
für ein leichtgradiges CTS beidseits. Die Klägerin war trotz ihrer Schmerzen nicht in der Beweglichkeit eingeschränkt.
Dr. M. hat die Klägerin daher nachvollziehbar damals noch für vollschichtig einsatzfähig gehalten.
Die behandelnden Ärzte beschreiben demgegenüber keine aussagekräftigen Befunde. Die allgemeinen Angaben und Bewertungen der
behandelnden Ärzte, eine Erwerbstätigkeit sei unzumutbar, widerlegen die Gutachten nicht. Soweit Dr. S. in seinem Attest vom
13.08.2012 darauf hinweist, dass sich die Erkrankungen der Klägerin ab 2009 massiv verschlechtert hätten, lässt sich daraus
noch keine Leistungsminderung in rentenerheblichem Umfang ableiten. Dies folgt auch nicht aus dem Verweis auf den Bericht
des Klinikums der LMU vom 21.10.2009; darin wird die Diagnose der Fibromyalgie erläutert. Allein die Diagnose einer Erkrankung
auf der Grundlage subjektiver Schmerzschilderungen belegt jedoch noch keine teilweise oder volle Erwerbsminderung. Das Ausmaß
der Schmerzen und die subjektiven Einschränkungen müssen vielmehr einer Konsistenzprüfung unterzogen werden, wie sie Dr. M.
in ihrem Gutachten vorgenommen hat. Soweit sich Dr. D. auf einen Suizidversuch Anfang August 2011 bezogen hat, erhält die
Klägerin ab diesem Zeitpunkt bereits Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Davon abgesehen hat Dr. G. eine Verschlechterung
im Juli 2011 insbesondere als Reaktion auf negative Gutachten festgehalten. Sie gibt als Diagnose eine mittelgradige Depression
an. Aus den Berichten des Dr. H., der die Klägerin ab Juni 2011 behandelte, ergibt sich insoweit eine Verschlechterung; im
Arztbrief vom 29.02.2012 hält er fest, dass die Vergesslichkeit der Klägerin zunehme. Er sieht die Symptome im Rahmen einer
zunehmend schweren Episode. Am 17.09.2012 beschreibt er eine schwere depressive Episode und kognitive Störungen mit schwerer
Beeinträchtigung. Daran knüpft Dr. Dr. E. nachvollziehbar an; der Eintritt einer teilweisen oder vollen Erwerbsminderung bereits
im maßgeblichen Zeitraum vor August 2011 ist damit aber nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.
Auch die Argumentation der Klägerseite zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten hilft nicht weiter. Zwar behandelt das BSG (vgl. Entscheidung vom 31.10.2012, B 13 R 107/12 B mwN) die feststehende Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten wie einen Fall der Summierung bzw.
schweren spezifischen Leistungseinschränkung. Der Senat ist aber nicht überzeugt, dass ein solcher Fall vorliegt. Die bisherigen
bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten mussten sich noch auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Registraturkraft beziehen;
diese Tätigkeit war schon wegen des dort (laut Klägerin) erforderlichen Hebens und Tragens und wegen der am konkreten Arbeitsplatz
vorhandenen Konflikte nicht mehr leidensgerecht. Die Gutachter haben aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachvollziehbar
noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen - unter Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen - angegeben. Damit steht
nicht fest, dass die Einstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den sich die Rechtsprechung des BSG bezieht, praktisch ausgeschlossen war. Da die Klägerin zuletzt eine ungelernte Tätigkeit nach kurzer Einweisung ausgeübt
hat, ist sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Aus diesem Grund kommt auch ein Anspruch nach §
240 SGB VI nicht in Betracht.
Aus den rein internistischen Erkrankungen (u.a. TIA 2006, persistierendes foramen ovale, Magenreflux, Blutfette, V.a. Migräne,
Hepatitis C nach erfolgreicher Interferon-Behandlung) ergeben sich unter Mitberücksichtigung orthopädischer Befunde nach dem
überzeugenden Gutachten des Dr. G. nur qualitative Einschränkungen. Der zwischenzeitlich aufgetretene Schwindel (Lagerungsschwindel)
ist nach eigenen Angaben der Klägerin durch spezielle Übungen beseitigt worden. Ein Kernspin zeigte einen unauffälligen Befund.
Zu einer weiteren Beweiserhebung sieht der Senat keinen Anlass. Konkrete Fragen an die Sachverständige Dr. M. hat der Prozessbevollmächtigte
nicht mehr gestellt.
Die Berufung mit dem Antrag, Erwerbsminderung bis zum 31.07.2011 zu gewähren, war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung nach §
193 SGG berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.