Ablehnung eines Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren wegen Befangenheit
Gründe:
I. Die Klägerin begehrt im Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.
Am 15.10.2008 beauftragte das SG den Orthopäden Dr. M. mit der Erstattung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin zum Ausmaß ihres verbliebenen
Leistungsvermögens. Gutachtensauftrag und Beweisanordnung erhielt die Klägerin am 15.10.2008 zur Kenntnis.
Mit Fax vom 20.10.2008 lehnte die Klägerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Im Hinblick auf die Auseinandersetzungen
im Verfahren einer anderen von ihrem Bevollmächtigten vertretenen Klägerin möge der Sachverständige von seinem Auftrag entbunden
werden. Die Mandantin ihres Bevollmächtigten habe sich am 07.09.2007 an den Vorsitzenden des ärztlichen Kreisverbandes gewandt
und sich über das Verhalten von Dr. M. beschwert. Das Schreiben werde beigefügt. Darin wird behauptet, die Untersuchung durch
Dr. M. habe in schamloser Art stattgefunden. In einem ebenfalls vorgelegten Schreiben, vermutlich an die zur Untersuchung
einbestellte Klägerin des anderen Verfahrens, erklärte Dr. M. am 20.10.2007, es gehöre zu einer körperlichen Untersuchung,
dass sich der Patient bis auf die Unterwäsche entkleide. Im Rahmen der orthopädischen körperlichen Untersuchung habe auch
die Inspektion der Leistengegend zu erfolgen. Hierzu sei es notwendig, ggf. die Unterwäsche ein kleines Stück nach unten zu
ziehen.
Der um Stellungnahme zu den Vorwürfen gebetene Sachverständige erklärte am 03.11.2008, ihm seien weder die Klägerin noch deren
Bevollmächtigter bekannt. Er werde dem Gutachtensauftrag unvoreingenommen nachkommen.
Mit Beschluss vom 18.11.2008 wies das SG das Gesuch, den Sachverständigen Dr. M. wegen Befangenheit abzulehnen, zurück. Es liege kein Verhalten vor, das eine unsachliche
innere Einstellung zur Antragstellerin oder die Gefahr befürchten ließe, dass sachfremde Umstände die Gutachtenserstattung
beeinflussen könnten und dadurch ein Prozessbeteiligter bevorzugt oder benachteiligt werden könne.
Der Beschluss wurde mit Empfangsbekenntnis vom 25.11.2008 zugestellt.
Dagegen legte die Klägerin am 05.12.2008 Beschwerde ein. Sie wiederholte, ihrem Bevollmächtigten sei aus einem anderen Verfahren
bekannt, dass sich Dr. M. in schamverletzender Weise der zur Untersuchung erschienenen Klägerin genähert habe. Gegen den Sachverständigen
seien wohl strafrechtliche Schritte eingeleitet. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Die Tatsache, dass ihr Bevollmächtigter
sowohl sie als auch die Klägerin aus dem anderen Verfahren vertrete, reiche aus, um mit der Befangenheit des Sachverständigen
rechnen zu müssen.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.11.2008 aufzuheben und ihrem Gesuch, den Sachverständigen Dr. M. wegen Besorgnis
der Befangenheit abzulehnen, stattzugeben.
Die Beklagte, die Deutsche Rentenversicherung, beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Das Sozialgericht legte die Beschwerde dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vor.
Gemäß §
118 Abs.
1 SGG i.V.m. §
406 Abs.
1 Zivilprozessordnung (
ZPO) und §
60 SGG können Sachverständige aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Wegen Besorgnis
der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit
des Sachverständigen zu rechtfertigen (§
42 Abs.
2 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist; entscheidend ist vielmehr, ob ein Beteiligter
von seinem Standpunkt aus vernünftigerweise Bedenken gegen dessen Unparteilichkeit haben kann (BSG, SozR 1500 § 60 Nr. 3).
Rein subjektive unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden aus (Thomas Putzo,
ZPO, 24. Aufl., §
42 Rdn. 9).
Andere Bedenken gegen den Sachverständigen als die Befürchtung, dieser werde nicht unvoreingenommen sein Gutachten erstatten,
können mit dem Ablehnungsgesuch nicht geltend gemacht werden. Eine Ablehnung wegen Befangenheit kann mit einem angeblichen
Mangel der Qualifikation des bestellten Gutachters nicht begründet werden. Die Ablehnung wäre nur berechtigt, wenn Umstände
auch bei nüchtern denkenden Beteiligten die Befürchtung rechtfertigen könnten, der Sachverständige habe sich einseitig festgelegt.
Auch der Bundesgerichtshof wies in seinem Beschluss vom 15.03.2005 (VI ZB 74/04) neben anderen Gründen darauf hin, dass Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit zwar ein Gutachten
entwerten können, aber für sich allein nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit rechtfertigen. Ein solcher
Vorwurf begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen
betrifft. Der mangelnden Sorgfalt bzw. mangelnden Kompetenz eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise
ausgesetzt. Eine Voreingenommenheit zuungunsten einer Partei lässt sich daraus in der Regel nicht ableiten.
Die Erklärung des Sachverständigen Dr. M., er kenne weder die Klägerin noch deren Bevollmächtigten und werde den Gutachtensauftrag
unvoreingenommen ausführen, gibt keinen Anlass zur Vermutung, er werde seine Neutralitätspflicht gegenüber den Beteiligten
nicht einhalten.
Ob der Klägerin andere prozessuale Mittel zur Verfügung stehen, den Prozess ohne ihre körperliche Untersuchung durch Dr. M.
fortführen zu können, hat der Senat im Rahmen seiner Beschwerdeentscheidung nicht zu prüfen.
Er kommt damit zum Ergebnis, dass das SG zutreffend dem Befangenheitsantrag der Klägerin nicht stattzugeben hatte. Der Beschluss des SG vom 18.11.2008 erweist sich als rechtmäßig. Die Beschwerde der Klägerin war dagegen zurückzuweisen.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).