Vollstreckungsfähigkeit eines Gestaltungsurteils im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. In dem Hauptsacheverfahren (L 17 U 467/08) streiten die Beteiligten um die Neufeststellung einer Verletztenrente.
Der Antragsgegner erlitt am 30.03.1995 einen Arbeitsunfall, den die Antragstellerin mit Gewährung einer Dauerrente nach einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH entschädigte. Im nachfolgenden Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Würzburg berief sich der Antragsgegner auf ein privat eingeholtes neurootologisches Gutachten des Dr. S., B-Stadt, vom 12.02.2001.
Nach dem hierauf abgegebenen Vergleichsangebot der Antragstellerin vom 03.09.2001 erklärte sich diese bereit, neben den bereits
festgestellten Unfallfolgen auf dem chirurgischen Gebiet die von Dr. S. festgestellten Gleichgewichts- und Konzentrationsstörungen
sowie Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen als Folgen des Unfalls vom 30.03.1995 anzuerkennen und ab 28.09.1996 eine Verletztenrente
nach einer Gesamt-MdE von 60 vH zu gewähren. Das Vergleichsangebot nahm der Antragsgegner unter dem 04.10.2001 an. Am 14.12.2001
erging der Ausführungsbescheid der Antragstellerin. Mit Bescheid vom 22.06.2004 wurde die Verletztenrente zur Hälfte abgefunden.
Nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens des Neurologen Prof.Dr. S., A., vom 24.10.2006 setzte die Antragstellerin
mit Bescheid vom 28.11.2006 und unter Hinweis auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch die MdE ab 01.12.2006 auf 30 vH herab.
Ab diesem Zeitpunkt seien Rentenleistungen nicht mehr zu erbringen, da eine MdE von 30 vH mit dem Bescheid vom 22.06.2004
für einen Zeitraum von zehn Jahren abgefunden worden sei. Zur Begründung verwies die Antragstellerin auf das Gutachten des
Prof.Dr. S ... Noch bestehende Beschwerden könnten nicht mehr dem Unfallereignis angelastet werden. Es sei insoweit eine wesentliche
Besserung eingetreten. Aufgrund der Unfallfolgen auf dem chirurgischen Gebiet verbleibe eine MdE von 30 vH. Der Widerspruch
blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.01.2007).
Dagegen hat der Antragsgegner Klage erhoben. Das SG hat den Sachverständigen Prof.Dr. R. gehört (neurologisches Gutachten vom 09.04.2008). Im Ergebnis sei keine wesentliche
Besserung der mit Vergleich vom 04.10.2001 anerkannten Unfallfolgen eingetreten.
Das SG hat mit Urteil vom 08.10.2008 den Bescheid vom 28.11.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2008 aufgehoben.
Eine Besserung der Unfallfolgen sei nicht angetreten, da die im Wege des Vergleiches vom 04.10.2001 von der Antragsgegnerin
anerkannten Unfallfolgen zu Unrecht anerkannt worden seien. Das von Dr. S. erstellte neurootologische Gutachten vom 12.02.2001
habe nicht anerkannten wissenschaftlichen-medizinischen Kriterien entsprochen.
Die Antragstellerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des SG vom 08.10.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Ferner hat sie am 07.01.2009 beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil
gem. §
199 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auszusetzen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die erstinstanzliche Entscheidung sei unrichtig und eine nachträgliche Rückforderungsmöglichkeit
bei erfolgreichem Berufungsverfahren sei zweifelhaft.
Der Antragsgegner hat dem Antrag der Antragstellerin widersprochen. Die Berufung der Antragstellerin sei nicht Erfolg versprechend.
Zu erwartende Schwierigkeiten bei der Rückzahlung möglicher Überzahlungen habe die Antragstellerin nicht konkret dargelegt.
II. Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu
verwerfen.
Gemäß §
199 Abs
2 Satz 1
SGG kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden
hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen.
Die Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung setzt voraus, dass das Urteil gegen das das Rechtsmittel eingelegt worden ist,
überhaupt der Vollstreckung fähig ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da sich der Antragsgegner mit der Anfechtungsklage
(§
54 Abs
1 SGG) gegen den Abänderungsbescheid vom 28.11.2006 wendet, mit dem die Antragstellerin ab 01.12.2006 die MdE auf 30 vH herabgesetzt
und Rentenleistungen eingestellt hat. Urteile, die einer Anfechtungsklage stattgeben, sind negative Gestaltungsurteile. Es
wird der angefochtene Verwaltungsakt aufgehoben und damit die materielle Rechtslage selbst geschaffen, verändert oder vernichtet.
Die auf Rechtsänderung angelegte Gestaltungswirkung der Gestaltungsurteile wird mit Rechtskraft der Entscheidung vollzogen.
Insoweit ist ein rechtskräftiges Gestaltungsurteil in der Hauptsache nicht vollstreckungsfähig. Erst recht sind solche Gestaltungsurteile
nicht vollstreckungsfähig, die noch nicht rechtskräftig sind (BSG Beschluss vom 23.06.1967 - 12 RJ 408/66 = BSGE 27, 31, 33 = SozR Nr 3 zu §
199 SGG).
Dem Antrag der Antragstellerin, die Vollstreckung aus dem Urteil auszusetzen, kann demnach nicht entsprochen werden. Mithin
ist eine Folgenabwägung im Sinne des §
199 Abs
2 SGG, ob die Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils für die Antragstellerin einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde
(vgl. hierzu Beschlüsse des LSG Bayern vom 15.05.2009 - L 2 U 60/09 ER - und vom 02.03.2009 - L 17 U 463/08 ER) nicht zu treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).