Erstattung der Kosten für ambulante Liposuktionen
Zeitliche Voraussetzung für einen fiktionsfähigen Antrag
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für ambulante Liposuktionen in Höhe von 6.560,06 Euro.
Die 1983 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten die Kostenübernahme für zwei ambulante Liposuktionen an den Armen
und Beinen/Hüften. Der Antrag auf Kostenübernahme vom 21.01.2013 mit den Honorarvereinbarungen der Privatpraxis Dr. S. und
Kostenvoranschlägen für die beiden Eingriffe gingen laut Aktenlage am 23.01.2013 bei der Beklagten ein. In dem Antrag verweist
die Klägerin darauf, dass seit 2011 diese Krankheit bei ihr diagnostiziert sei. Seit Mitte 2012 nähmen die Probleme zu. Alle
Maßnahmen hätten nur ein bisschen Erleichterung gebracht, aber keine Heilung der Krankheit. Sie wisse, dass die Behandlung
noch nicht im Leistungskatalog der Krankenkasse sei, aber von der Krankenkasse durchaus als Ermessensleistung übernommen werden
könnte. Sie könne die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht abwarten, da sie Angst habe, dass die Operation
in einiger Zeit nicht mehr möglich sei. Bei der Liposuktion handele es sich um eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistung.
Die Beklagte leitete die Unterlagen am 06.02.2013 an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung - MDK - zur sozialmedizinischen
Beurteilung weiter. Dieser teilte am 12.02.2013 mit, dass weitere Unterlagen benötigt würden. Mit Schreiben vom 25.02.2013
forderte die Beklagte von der Klägerin weitere Unterlagen an (Fotodokumentation, Therapien der letzten 12 bis 24 Monaten,
Körpergröße und -gewicht). Mit einem "Nachtrag zum Antrag" vom 21.03.2013, eingegangen bei der Beklagten am 26.03.2013, übersandte
die Klägerin weitere Unterlagen, insbesondere die angeforderte Fotodokumentation.
Hierauf stellte der MDK im Gutachten vom 26.04.2013 fest, dass keine Erkrankung im Sinne des
Fünften Buch Sozialgesetzbuch -
SGB V - vorliege. Für die begehrte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode gebe es keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses
- GBA - im ambulanten Bereich. Standardisiertes Therapieverfahren sei die lebenslange komplexe Entstauungstherapie. Eine Empfehlung
zur Kostenübernahme könne nicht erteilt werden.
Mit Schriftsatz vom 30.04.2013 beantragte die Klägerin erneut die Kostenübernahme der Liposuktion unter Verweis auf §
13 Abs.
3 a SGB V. Sie gehe davon aus, dass die Leistung als genehmigt gelte und bitte um Bescheid bis zum 07.05.2013.
Mit Bescheid vom 30.04.2013 lehnte die Beklagte eine Kostenbeteiligung ab. §
13 Abs.
3 a SGB V gelte erst für Leistungsanträge ab dem 26.02.2013. Der Antrag sei aber am 23.01.2013 eingegangen. Die Fristenregelung gelte
nicht für die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Leistungsfälle.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtige der Klägerin Widerspruch am 08.05.2013. Es sei davon auszugehen, dass der Antrag
aufgrund der Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3 a SGB V als genehmigt gelte. Die Frist beginne mit dem 26.02.2013 auch für Altanträge zu laufen, da es keine Übergangsregelung gebe.
Die Frist sei daher am 03.04.2013 abgelaufen. Damit trete die Genehmigungsfiktion ein. Die Klägerin habe auch einen materiellen
Anspruch auf die Kostenübernahme. Das Gutachten des MDK sei in sich widersprüchlich. Zweifelsfrei sei bei der Klägerin eine
Erkrankung gegeben. Eine Lymphdrainage habe bisher keinen Erfolg gebracht. Dies müsse bei der Entscheidung über die Indikation
der Liposuktion von entscheidender Bedeutung sein.
Im Widerspruchsbescheid vom 11.09.2013 führte die Beklagte aus, dass die begehrte Behandlung keine Vertragsleistung sei und
eine Empfehlung des GBA zur Liposuktion bislang nicht vorliege. Daher könne keine Abrechnung zulasten der Krankenkasse erfolgen.
Es handele sich auch nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme, ebenso wenig habe die Beklagte die Behandlung zu Unrecht abgelehnt.
Die Beurteilung des MDK sei für die Krankenkasse richtungsgebend.
Mit Schriftsatz vom 27.09.2013 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum SG Bayreuth erhoben. Natürlich könne §
13 Abs.
3 a SGB V keine Wirkung vor seinem Inkrafttreten entfalten. Die Norm müsse aber Rechtswirkungen mit Inkrafttreten für bereits gestellte
Anträge haben, sonst würden Altanträge völlig liegen bleiben. Im Übrigen habe die Klägerin aufgrund der Beschwerden auch Anspruch
auf die begehrte Liposuktion.
Die Klägerin hat die Behandlungen am 17.10.2013 und 05.12.2013 durchführen lassen. Mit Schriftsatz vom 18.12.2013 wurden die
Rechnungen vom 04.11.2013 über 4.001,27 Euro und 05.12.2013 über 2.558,79 Euro vorgelegt.
Die Beklagte hat ausgeführt, eine analoge Anwendung des §
13 Abs.
3 a SGB V auf vor dem Inkrafttreten liegende Sachverhalte würde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen. Da der Leistungsantrag mit
Schreiben vom 21.01.2013 gestellt worden sei, gelte die Vorschrift nicht für das Verwaltungsverfahren, das mit diesem Antrag
in Gang gesetzt wurde.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Im Wesentlichen hat es dargelegt, dass für vor dem 26.02.2013 gestellte Anträge § 13a
SGB V nicht gelte. Auch auf §
13 Abs.
3 SGB V könne ein Erstattungsanspruch nicht begründet werden. Der Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V gehe nicht über das hinaus, was als Sachleistung zu erbringen wäre. Die vorgenommene ambulante Liposuktion stelle eine sogenannte
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar. Als solcher bedürfe es einer positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
(GBA). Eine solche liege nicht vor.
Gegen den dem Bevollmächtigten der Klägerin am 15.04.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser mit beim Bayer. Landessozialgericht
am 06.05.2016 eingegangenem Schreiben Berufung eingelegt. §
13 Abs.
3a SGB V sei anzuwenden, da höchstrichterlich noch nicht verbindlich geklärt sei, ob die Vorschrift nur auf Anträge anzuwenden sei,
die nach Einführung des §
13 Abs.
3a SGB V gestellt worden seien. Darüber hinaus habe die Klägerin ja noch einen Nachtrag zum Antrag gestellt, der erst die Frist ausgelöst
habe. Im Übrigen bestehe auch ein Kostenerstattungsanspruch gemäß §
13 Abs.
3 SGB V, da die Liposuktion unaufschiebbar gewesen sei, da die Klägerin erhebliche Beschwerden gehabt habe. Im Übrigen sei es auf
einen Mangel des gesetzlichen Leistungssystems zurückzuführen, dass die Beurteilung durch den GBA noch nicht abgeschlossen
sei. Angesichts der Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen hätte das Bewertungsverfahren viel früher eingeleitet werden
müssen.
Die Beklagte hat sich im Wesentlichen auf die Gründe des Gerichtsbescheids des SG Bayreuth bezogen. Mit Beschluss vom 28.11.2017
hat der Senat die Berufung auf die Berichterstatterin übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf
die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.04.2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die durchgeführten ambulanten
Liposuktionen vom 17.10.2013 und 05.12.2013 in Höhe von 6.560,06 EUR zu erstatten.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2016 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung auf der Grundlage von §
13 Abs.
3a SGB V oder §
13 Abs.
3 SGB V für die durchgeführten ambulanten Liposuktionen in Höhe von 6.560,06 EUR.
Der Senat verweist insoweit auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG Bayreuth gemäß §
153 Abs.
2 SGG.
Ergänzend zum Berufungsvorbringen der Klägerin, dass §
13 Abs.
3a SGB V auch auf Anträge anzuwenden sei, die vor dem Inkrafttreten eingegangen wären, ist Folgendes festzustellen: Das BSG hat in verschiedenen Entscheidungen, darunter vom 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R, vom 26.09.2017, B 1 KR 6/17 R, vom 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, jeweils folgende Formulierung verwandt: "Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht (vgl. hierzu z.B. BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr. 13, Rn. 15; BSGE SozR 4-2500 § 275 Nr. 4 Rn. 13 ff mwN) greift die Regelung lediglich für Anträge
auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.02.2013 stellen (vgl. BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, Rn. 9)." Nach Ansicht des Senats ist damit klar und eindeutig vom BSG ausgedrückt worden, dass nur Anträge, die nach dem 26.02.2013 bei den Krankenkassen gestellt worden (zugegangen sind), auch
vom Anwendungsbereich des §
13 Abs.
3a SGB V erfasst werden. Dabei ist im vorliegenden Fall auf den Antrag der Klägerin vom 21.01.2013 (Eingang bei der Beklagten am 23.01.2013)
abzustellen und nicht auf den "Nachtrag zum Antrag" vom 21.03.2013. Dieser "Nachtrag" enthielt lediglich die angeforderten
Dokumentationen und weitere Unterlagen. Voraussetzung für einen fiktionsfähigen Antrag im Sinne des §
13 Abs.
3a SGB V ist, dass der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf der Grundlage des Antrags begehrte Genehmigung ihrerseits im
Sinne von § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinreichend bestimmt ist (vgl. BSG vom 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R, BSG vom 26.09.2017, B 1 KR 6/17 R). Im vorliegenden Fall genügte der Antrag auf Kostenübernahme vom 21.01.2013 schon diesen Anforderungen. Dem Antrag war eindeutig
zu entnehmen, dass die Kostenübernahme für zwei ambulante Liposuktionen an den Armen und Beinen/Hüften begehrt werde.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, es bestehe ein Anspruch gemäß §
13 Abs.
3 SGB V, da die Beklagte eine unaufschiebbare Leistung nicht habe rechtzeitig erbringen können, liegt schon keine Unaufschiebbarkeit
in diesem Sinne vor. Eine Leistung im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 ist dann unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt
ihrer tatsächlichen Ausführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs
mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (BSG vom 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R Rn. 15). Alternative 1 kann in diesem Sinne schon nicht erfüllt sein, denn die Klägerin hat ja die Entscheidung der Krankenkasse
abgewartet.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, das Bewertungsverfahren zur Liposuktion sei zu spät eingeleitet worden, macht die Klägerin
damit wohl ein Systemversagen geltend. Dazu ist Folgendes zu sagen: Mit Beschluss vom 20.07.2017 hat der GBA das Bewertungsverfahren
zur Liposuktion bei Lipödem sowohl für die vertragsärztliche Versorgung als auch für die Krankenhausbehandlung bis 30.09.2022
ausgesetzt. Im Vorfeld kam der GBA nach Auswertung der bislang vorliegenden Studien zum Ergebnis, dass die Evidenzlage zum
Nutzen der Liposuktion nicht hinreichend ist. Nach dem Aussetzungsbeschluss im Rahmen der Nutzenbewertung der Liposuktion
beim Lipödem hat der GBA am 18.01.2018 nach §
137e Abs.
1 SGB V die Richtlinie für eine Erprobungsstudie beschlossen und damit die Grundlage für eine randomisierte kontrollierte Studie
festgelegt.
Nach dem Gesichtspunkt des Systemversagens ist eine Leistungsübernahme bzw. Erstattung möglich, wenn die fehlende Anerkennung
einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den GBA darauf zurückzuführen ist, dass das erforderliche Verfahren
beim GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde
und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (BSG vom 26.09.2006, B 1 KR 3/06 R).
Allerdings ist nicht ersichtlich, dass der GBA pflichtwidrig das Verfahren zu spät eingeleitet hätte, da die Methode durchaus
nicht unstrittig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.