Kostenerstattung für Behandlung mit CellCept bei einer interstitiellen Lungenerkrankung
Grundsätze des Off-Label-Use von Arzneimitteln
Arzneimittelrechtliches Verkehrsverbot für Anwendung bei einer Non specific interstitial pneumonia bei rheumatoider Arthritis
Tatbestand
Die 1952 geborene Klägerin und Berufungsklägerin begehrt die Erstattung der Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel
CellCept bei einer interstitiellen Lungenerkrankung im Rahmen einer seropositiven chronischen Polyarthritis in Höhe von 9.681,54
EUR.
Die Klägerin beantragte am 21.11.2011 die Kostenübernahme für das Arzneimittel CellCept unter Vorlage der ärztlichen Stellungnahme
des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Sozialmedizin und Schlafapnoediagnostik, Dr. med. T. E.,
vom 14.11.2011 und des Befundberichtes des Klinikums der Universität C-Stadt - Medizinische Klinik und Poliklinik I - Schwerpunkt
Pneumologie - vom 07.11.2011.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) ein, der in seinem Gutachten
vom 08.12.2011 und im Gutachten nach Aktenlage vom 19.01.2012 zu dem Ergebnis gelangte, bei der Klägerin könne die Behandlung
mit dem Arzneimittel CellCept aus sozialmedizinischer Sicht infolge bestehender Therapieoptionen und fehlender Daten mit ausreichender
Aussagekraft zu Wirksamkeit und Nutzen des beantragten Therapieansatzes mit CellCept nicht im Rahmen einer vertragsärztlichen
Versorgung befürwortet werden.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 31.01.2012 ab. Sie verwies auf die alternativen Therapiemöglichkeiten
wie die Medikation mit Kortikoiden und Enbrel. Zusätzlich verblieben als zugelassene Behandlungsoption zum Cortison Cyclophosphamid
oder Azathioprin.
Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK, erstellt nach Aktenlage, vom 21.01.2013 ein, der
an seiner bisherigen Beurteilung gemäß Stellungnahme vom 19.01.2012 festhielt. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2013 zurück. Nach Ausführungen zu §§
27 Abs.
1 und
31 Abs.
1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB V) und zu den gemäß §
92 SGB V erlassenen Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/AM-RL)
sowie zur Rechtsprechung führte die Beklagte zur Begründung aus, dass CellCept zwar ein zugelassenes Medikament sei, es habe
jedoch keine Zulassung für den Indikationsbereich interstitielle Lungenerkrankung. Deshalb sei die Behandlung mit CellCept
bei interstitieller Lungenerkrankung keine Krankenbehandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entspreche. Eine Leistung sei daher grundsätzlich nicht möglich.
Auf Grund der befürwortenden Ausführungen der behandelnden Ärzte habe die Beklagte die Unterlagen dem MDK vorgelegt, der die
beantragte Medikation nicht befürwortet habe (vgl. Gutachten vom 08.12.2011), da CellCept für die angegebene Indikation nicht
zugelassen sei. Zwar liege eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende, wenngleich nicht seltene Erkrankung
vor. Jedoch stünden im Rahmen der vertraglichen Versorgung neben Glucokortikoiden beispielsweise Cyclophosphamid, Azathioprin
oder Methotrexat für die Klägerin zur Verfügung. Ein hinreichender Wirksamkeitsnachweis im Sinne der BSG-Rechtsprechung sei nicht erbracht, sodass dem Anliegen der Klägerin nicht entspR.n werden könne.
Am 19.01.2013 habe der Sachverständige auch die Einwendungen von Seiten des Universitätsklinikums gewürdigt. Als Alternativen
zu einer demnach nicht mehr empfehlenswerten Methotrexatbehandlung verblieben jedoch weitere Behandlungsoptionen, die neben
Cortison zur Anwendung gelangen könnten, insbesondere Cyclophosphamid oder Azathioprin. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
habe der MDK ausgeführt, dass sich aus den Einwendungen keine neuen medizinischen Gesichtspunkte ergäben, die zu einer anderen
Entscheidung führen könnten.
Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Der Prozessbevollmächtigte hat ausgeführt, dass die Klägerin an
einer schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Erkrankung leide. Im Rahmen einer rheumatischen Polyarthritis sei bei der Klägerin
auch eine interstitielle Lungenerkrankung aufgetreten. Die Behandlung der letztgenannten Erkrankung mit konventionellen und
zugelassenen Medikamenten sei zuletzt nicht mehr erfolgreich gewesen, die körperliche Belastbarkeit habe erheblich abgenommen,
weitere Behandlungsalternativen würden nicht mehr zur Verfügung stehen. Aufgrund dessen sei nach ausführlicher Untersuchung
und Beratung im Jahre 2011 bei schrittweiser Reduktion der bisherigen Medikation ein Behandlungsversuch mit dem Medikament
CellCept unternommen worden. Dieses habe sich bei der Klägerin im Gegensatz zu der früheren Medikation als außerordentlich
erfolgreich und sinnvoll erwiesen. Die Behandlung werde daher aufgrund des ausdrücklichen Ratschlages des Klinikums der Universität
C-Stadt weiter fortgeführt.
Es sei richtig, dass dieses Medikament im sog. Off-Label-Use verordnet worden sei. Es habe sich in der Praxis herausgestellt,
dass für dieses Medikament ein zulassungsüberschreitender Bedarf wie hier bei der Klägerin bestehe. Eine Verordnung im Off-Label-Use
zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung habe nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu erfolgen. Es handele sich um eine schwerwiegende (lebensbedrohliche) oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende
Erkrankung; eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Auch bestehe aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht, dass mit
dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen sei. Letzteres (Punkt Nr. 3) sei im Regelfall dann erfüllt, wenn
eine Zulassung des Medikaments für die spezielle Behandlungsindikation bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten
klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden seien. Dies sei hier offensichtlich noch nicht der Fall. Allerdings
werde Punkt Nr. 3 auch erfüllt, wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die
über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in diesem
Sinne bestehe. Zwar sei von der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung einberufenen Expertengruppe zur
Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches die Kostenübernahme des hier verordneten Medikaments
für die vorliegende Indikation noch nicht vorgenommen worden. Das liege aber nicht daran, dass das Medikament keine ausreichenden
Therapieerfolge aufweisen würde, sondern u. a. auch daran, dass viele der Expertengruppen erst seit kurzem bestünden und bisher
noch nicht alle Medikamente geprüft worden seien, die trotz fehlender Zulassung für bestimmte Krankheiten verordnungsfähig
seien. Für Medikamente, wie sie die Klägerin erhalte und für die es bisher noch keine Entscheidung gebe, würden weiterhin
die oben erwähnten Grundsätze des BSG zutreffen.
Die von der Beklagten weiterhin empfohlene Medikation mit zugelassenen Arzneimitteln sei nicht ausreichend. Sie habe sich
als nicht erfolgreich herausgestellt, die gesundheitliche Situation der Klägerin habe sich so erheblich verschlechtert, dass
das Klinikum C-Stadt dadurch veranlasst worden sei, ein anderes Behandlungsregime durchzuführen, welches einen grundlegenden
Erfolg erbracht habe.
Schließlich sei die Versorgung mit dem Medikament besonders wirtschaftlich. Die Behandlung mit dem Medikament CellCept koste
nur rund 1/10 des Betrages, der mit der früheren Medikation angefallen wäre.
Die Beklagte hat nochmals darauf hingewiesen, dass weiterhin im Rahmen der vertraglichen Versorgung die bereits genannten
Therapieoptionen mit Cyclophosphamid oder Azathioprin neben der Cortisongabe zur Verfügung stehen würden. Darüber hinaus fehle
es an einem hinreichenden wissenschaftlichen Nachweis über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels CellCept in dem
neuen Anwendungsgebiet, wie er im Sinne der BSG-Rechtsprechung gefordert werde.
Das Sozialgericht hat Befundberichte, u.a. auch des Klinikums der Universität C-Stadt, eingeholt.
Die Klägerin hat zum Beweis einer allgemein anerkannten Anwendung des Medikamentes in den USA Aufsätze und Beschreibungen
von amerikanischen Krankenhäusern oder Einrichtungen übersandt, aus denen sich ergebe, in welch breitem Umfang in den USA
das Medikament zur Behandlung einer Erkrankung, wie sie bei der Klägerin auftritt, angewandt werde. Sie hat mit Schriftsatz
vom 23.02.2015 die bis 12.01.2015 angefallenen Arzneimittelkosten mit 6.301,70 EUR angegeben und mit einer Kostenaufstellung
belegt.
Die Firma R. (R. AG) als Hersteller des Arzneimittels CellCept hat mit Schreiben vom 20.04.2015 bestätigt, dass es zum Einsatz
von CellCept zur Behandlung einer interstitiellen Lungenerkrankung im Rahmen einer seropositiven chronischen Polyarthritis
keine Phase III-Studien gebe.
Die Klägerin hat geäußert, es sei - unabhängig von der juristischen Betrachtung des Sachverhaltes - aus wirtschaftlichen und
sozialen Gründen nicht nachvollziehbar, dass eine Krankenkasse die Erstattung von Medikamenten verweigere, die eine erhebliche
Kostenersparnis bedeuten. Geschätzt habe die Beklagte 9/10 der Kosten gespart (90.000.- EUR). Es existiere ein Mittel, das
der Klägerin Lebensqualität und -verlängerung garantiere, während das gesetzlich erstattete Medikament unwirksam und kontraindiziert
sei. Vor Umstellung auf das nicht erstattete Medikament sei der Klägerin von den behandelnden Ärzten eine Lebenserwartung
von ein bis drei Jahren prognostiziert worden, nach Einnahme des neuen Medikamentes habe sich sowohl der gesundheitliche Zustand,
die Lebensqualität, aber auch die Krankheitsprognose erheblich verbessert. Dass keine Phase-III-Studie existiere, sei bekannt
gewesen. Die Klägerin habe das Problem, dass sie an einer äußerst seltenen Krankheit leide. Aus der Bestätigung der Firma
R. sei genau die sich daraus ergebende Problematik für Patienten entnehmbar. Eine Arzneimittelfirma habe nicht das geringste
Interesse, außerordentlich kostenintensive Studien durchzuführen, bei denen aufgrund der geringen Anwendungszahlen von vorne
herein ein wirtschaftlicher Erfolg nicht gegeben sei. Im vorliegenden Fall gebe es die Besonderheit, dass bundesweit lediglich
die Universität C-Stadt und die Universität in H-Stadt speziell auf die Behandlung der bei der Klägerin aufgetretenen Krankheit
spezialisiert seien, dementsprechend mangels geeigneter Fallzahlen ein allgemein akzeptierter Behandlungsstandard noch gar
nicht vorhanden sein könne.
Die Klägerin hat ferner auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) im sog. Nikolaus-Beschluss vom 06.12.2005
bzw. auf §
2 Abs.
1 a SGB V hingewiesen. Es würden beim Fehlen anderer Behandlungsoptionen bereits Indizien auf eine nicht ganz fernliegende Aussicht
auf spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall genügen. Es liege eine singuläre Krankheit
vor mit einem Vorkommen unter 5 pro 10.000, daher sei diese nicht systemisch erforscht. Hier reiche sogar eine gewisse Plausibilität,
dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiege.
Die Klägerin hat einen Arztbrief des Klinikums der Universität C-Stadt - Medizinische Klinik und Poliklinik V - vom 26.05.2015
über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.05.2015 bis 21.05.2015 übermittelt.
Auf Anregung des Sozialgerichts hat die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK vom 31.07.2015 eingeholt. Danach sei bei der
Klägerin nicht von einer seltenen Erkrankung auszugehen. Die interstitielle Lungenbeteiligung oder subklinische Alveolitis
kämen bei der rheumatoiden Arthritis bei bis zu 40 % der Patienten vor. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass die Erkrankung
nicht lebensbedrohlich sei. Eine rasche Verschlechterung könne zwar im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, allerdings
sei dies nicht der Regelfall. Bei der zu erwartenden Krankheitsprogression über Jahre könne nicht von einer regelmäßig tödlichen
oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung im Sinne einer notstandsähnlichen Situation ausgegangen werden. Eine Behandlung
der Erkrankung sei auch mit anderen vertraglich zugelassenen Alternativen möglich.
Nach Ansicht der Beklagten liegen die im sog. Nikolaus-Beschluss des BVerfG aufgestellten Voraussetzungen offensichtlich nicht
vor: Es liege keine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Eine anerkannte Behandlung stehe zur Verfügung, mit der eine begründete
Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe. Somit sei auch keine notstandsähnliche Situation gegeben.
Die Klägerin hat Einwendungen gegen das MDK-Gutachten erhoben, insbesondere zur Frage des Vorliegens eines "sehr seltenen
Erkrankung" und zu den Behandlungsalternativen. Rechnerisch trete eine Erkrankung, wie bei der Klägerin vorliegend, nach der
Literaturrecherche in 5 bis 15 Fällen von 10.000 Menschen auf, sodass man ohne weiteres hier bereits bei der Definition einer
seltenen Krankheit angelangt sei. Hinsichtlich der Behandlungsalternativen sei richtig, dass die anderen vom MDK genannten
Medikamente zwar zur Behandlung erwogen werden könnten, nach Ansicht der Behandler im Klinikum G. in C-Stadt jedoch im Fall
der Klägerin nicht geeignet seien. Im Hinblick auf den sogenannten Nikolaus-Beschluss sei eine Einzelfallbetrachtung durchzuführen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 01.12.2015 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtlich
nicht zu beanstanden; die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel CellCept bzw. auf Kostenübernahme
hierfür. Materiell-rechtlich scheitere der Anspruch daran, dass bei der Klägerin das Arzneimittel CellCept unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig ist. Zur Begründung hat das Sozialgericht auf
die Rechtsausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 23.05.2013 verwiesen. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass
CellCept für die angegebene Indikation nicht zugelassen sei und eine ausnahmsweise Anwendung des Arzneimittels zu Lasten der
Beklagten nicht in Betracht komme. Die ausnahmsweise Anwendung von CellCept scheitere, sowohl nach der Rechtsprechung des
BSG zum Off-Label-Use und zum Seltenheitsfall als auch nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Nikolaus-Beschluss bzw. nach §
2 Abs.
1 a SGB V am Vorliegen zugelassener Therapieoptionen.
Zwar sei der Hinweis der Klägerin unter Bezugnahme auf den Befundbericht des Klinikums der Universität C-Stadt - Medizinische
Klinik und Poliklinik I - Schwerpunkt Pneumologie - und das vorgelegte Schreiben von Herrn Dr. C., dass Methotrexat im vorliegenden
Fall keine gute Behandlungsoption sei, zutreffend, nachdem hier bereits eine Methotrexatbehandlung vorausgegangen sei und
ein Zusammenhang der Entwicklung der Lungenfibrose mit dieser Therapie nicht völlig ausgeschlossen werden könne. Dennoch verblieben
weitere zugelassene Behandlungsoptionen zusätzlich zum Cortison wie etwa Cyclophosphamid oder Azathioprin. Die Kammer hat
sich insoweit den gutachterlichen Äußerungen des MDK angeschlossen. Diese zugelassenen Behandlungsoptionen Cyclophosphamid
und Azathioprin seien ausweislich der im Rahmen der gerichtlichen Ermittlungen beigezogenen bzw. von der Klägerin vorgelegten
ärztlichen Unterlagen bisher nicht zur Anwendung gelangt.
Die Klägerin hat gegen den am 07.12.2015 zugestellten Gerichtsbescheid am 29.12.2015 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht
erhoben. Bei der Klägerin liege ein klassischer Fall einer Verordnung im Off-Label-Use vor, die von der gesetzlichen Krankenversicherung
zu übernehmen sei. Es bestehe eine schwerwiegende und lebensbedrohliche bzw. die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende
Erkrankung, eine andere Therapie sei nicht verfügbar und mit dem betreffenden Präparat sei nachweisbar ein sehr guter Behandlungserfolg
zu erzielen. Der Leiter des Schwerpunktes Pneumologie des Klinikums der Universität C-Stadt, Dr. C., könne wie kein anderer
behandelnder Arzt über die Krankheitsentwicklung, den Behandlungsverlauf und die notwendige Medikamentation der Klägerin Auskunft
geben.
Der Senat hat einen Befundbericht des Dr. C. angefordert, der mit Schreiben vom 27.04.2017 umfangreiche Arztbriefe übersandt
hat. Die Klägerin sieht sich durch die Arztbriefe bestätigt. Mit Datum 12.01.2018 hat Dr. C. einen Befundbericht mit erneuten
Arztbriefen übersandt.
Für die Klägerin ist mit Schriftsatz vom 18.02.2018 mitgeteilt worden, dass diese an keiner Studie mit dem Medikament CellCept
teilnehme oder teilgenommen habe. Lediglich die Teilnahme an einer Studie mit dem Medikament Pirfenidon bei Lungenfibrose
sei vom 07.07.2016 an erfolgt. Im Rahmen dieser Studie sei es gelungen, das Medikament CellCept auf eine tägliche Dosis von
1.000 mg am Tag zu verringern. Es ist beantragt worden, die Beklagte zur Zahlung von 9.681,54 EUR nebst Zinsen zu verurteilen.
Eine Aufstellung zum Bezug des Medikaments in der Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2017 mit den Verordnungen war beigefügt.
Die Beklagte hat den Befundbericht des Dr. C. mit den Unterlagen dem MDK vorgelegt. Der MDK hat in seinem Kurzgutachten vom
29.05.2018 festgestellt, dass der Krankheitsverlauf nahezu lückenlos dargestellt sei. Es ergäben sich keine neuen wesentlichen
Gesichtspunkte. Der Krankheitsverlauf stelle sich nicht wesentlich anders dar als dies bei der Mehrzahl der Patienten zu erwarten
gewesen wäre; es sei eine langsame allmähliche Progression über viele Jahre zu beobachten. Vor diesem Hintergrund könne von
einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht ausgegangen werden. Ebenfalls könne aus dem bisherigen Krankheitsverlauf sowie unter
Berücksichtigung der vorhandenen Studienlage kein Argument für den Einsatz des Medikaments CellCept im Rahmen eines Off-Label-Use
abgeleitet werden.
Auch hiergegen hat die Klägerin Einwendungen erhoben. Tatsächlich habe sich der Zustand der Klägerin durch die Behandlung
mit dem neuen Medikament stabilisiert. Die Einholung eines medizinischen Gutachtens ist angeregt worden.
Der Senat hat von Amts wegen ein internistisch-pneumologisches Gutachten des Prof. Dr. D./Dr. W. (, Zentrum für Pneumologie)
vom 18.03.2019 eingeholt. Bei der Klägerin lägen an Gesundheitsstörungen vor:
* Non-specific interstitial pneumonia (NSIP) bei rheumatoider Arthritis, Rheumafaktor negativ;
* Zustand nach Bursitis subdeltoidea mit Impingementsymptomatik rechts;
* rezidivierende Tendinitis des Musculus biceps brachii, rechts mehr als links;
* rezidivierende Ulnocarpalgelenksarthritis beidseits bei RA;
* Pseudomelanosis coli, Zustand nach mehrfacher Polypektomie im Colon 07/13;
* Bluthochdruck;
* Ulcus ventriculi 2006;
* Hyperthyreose bei Struma nodosa, follikulärer Thyreoiditis, Zustand nach subtotaler Strumektomie 30.11.2005.
Es habe sich eine zunehmende Gasaustauschstörung gezeigt bei relativ stabilen Lungenfunktionsdaten. Ein wesentlicher Progress
der Fibrose sei nicht radiologisch gesichert. Im zeitlichen Verlauf sei jedoch die Medikation zur Stabilisierung der Lungenfunktionsparameter
intensiviert worden, teils mittels CellCept, dann Rituximab, dann mittels einer Kombination mit Quensyl und zuletzt Pirfenidon.
Die Lebensqualität sei sicher beeinträchtigt, teils aber bedingt durch die Folgen der rheumatoiden Arthritis articulär. Derzeit
liegt keine Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung vor. Die Behandlung mit CellCept könne als Primärtherapie im Rahmen der NSIP
eingesetzt werden: Es hätten jedoch andere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung gestanden, wie von Seiten des MDK diskutiert.
Phase-III-Studien zum Einsatz von CellCept bei NSIP und rheumatoider Arthritis (RA) lägen nicht vor. Allerdings handele es
sich um kein Krankheitsbild, welches in gleicher Häufigkeit vorkomme wie z.B. Diabetes, Herzinsuffizienz etc. Die derzeitigen
Forschungsergebnisse ließen nicht erwarten, dass CellCept für die betreffende Indikation einer interstitiellen Lungenerkrankung
bei RA-ILD in Kürze zugelassen werde. Allerdings zeigten Subgruppenanalysen einen Benefit bezüglich CellCept bei kleinen Studienpopulationen.
Fallserien und Kohortenstudien machten durchaus den Einsatz von CellCept als Alternative zu Cyclophosphamid belegbar.
Zu den klägerischen Einwendungen hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. D. vom 27.03.2020 eingeholt. Es
bestehe bei ihm ausreichende Erfahrung mit dem Umgang von CellCept. Er hat auf die in seinem Gutachten dargestellten Studien
und Forschungsergebnisse verwiesen. Insgesamt handele es sich unzweifelhaft um ein Krankheitsbild, das die Lebensqualität
einschränke und mit einer hohen Mortalität einhergehe; der klinische Verlauf könne sich zu jedem Zeitpunkt ändern. Bei der
Klägerin habe ein relativ stabiler Verlauf erzielt werden können. Es handele sich grundsätzlich um eine lebensbedrohliche
Erkrankung; zum Zeitpunkt der Erstdiagnose habe der Verlauf in keinster Weise vorhergesagt werden können. In den aktuell angeführten
Literaturstellen von 2019 werde anhand der in den letzten Jahren vorgelegten Forschungsergebnisse, die teils bereits im Gutachten
erwähnt worden seien, zumindest eine Gleichwertigkeit von Cyclophosphamid oder Azathioprin festgestellt. Es werde in außereuropäischen
Ländern durchaus eine Gleichwertigkeit bei der Behandlung gesehen. Leider hätten die derzeitigen Forschungsergebnisse hierzulande
noch nicht Eingang in die Leitlinien gefunden. Auch zum Zeitpunkt des ersten Einsatzes von CellCept seien positive Effekte
bereits bekannt gewesen. Der Benefit und die Gleichwertigkeit hätten sich in den letzten Jahren verdichtet, so dass zum heutigen
Zeitpunkt zumindest eine Gleichwertigkeit anhand der Studienergebnisse vorliege. Diese Gleichwertigkeit sei jedoch zum Zeitpunkt
des Ersteinsatzes noch nicht in vergleichbarer Form durch internationale Studienergebnisse abgesichert gewesen. CellCept sei
derzeit aber weiterhin kein zugelassenes Medikament für die interstitielle Lungenerkrankung bei RA-ILD. Nach Datenlage sei
durch die Behandlung mit CellCept eine Stabilisierung des Krankheitsverlaufs zu erzielen gewesen. Nicht zu attestieren sei
jedoch, dass keine Alternativbehandlung aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes vorgelegen habe. Die Alternativen, die vorgelegen
hätten, seien nicht geprüft worden. Begründet werden könnte die Gabe von CellCept noch mit der relativ guten Verträglichkeit.
Sicherlich beruhten die von Seiten des MDK angeführten Therapieprinzipien auf der Grundlage größerer Studiendaten. Es könne
aber eine zwanghafte Forderung nach dem Einsatz dieser Medikamente hieraus nicht begründet werden, insbesondere aufgrund der
beschränkten Datenlage bei dem vorliegenden Krankheitsbild.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zuletzt mit Schriftsatz vom 10.04.2020 gerügt, dass das Gutachten nicht in ausreichendem
Maße von dem Gutachter selbst erstellt worden sei. Selbst wenn das Gutachten mit dem tatsächlich anfertigenden Dr. W. zumindest
in Grundzügen besprochen worden sei, stehe fest, dass der unverzichtbare Kern selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nach
den eigenen Aussagen von Prof. Dr. D. nicht wahrgenommen worden sei. Das Gutachten sei deshalb nicht verwertbar. Immerhin
bestätige aber der Gutachter die Wirksamkeit von CellCept bei der Erkrankung der Klägerin. Die Gabe von CellCept könne "noch
mit der relativ guten Verträglichkeit" begründet werden. Bestritten werde, dass Alternativen, die es zur Behandlung mit CellCept
gegeben hätte, nicht geprüft worden seien. Diesbezüglich und auch zur Notwendigkeit und Alternativlosigkeit der Gabe von CellCept
sei der behandelnde Arzt als Zeuge benannt worden.
Die Beklagte hat die Abgabe eines Vergleichsangebots mit Schriftsatz vom 26.06.2020 abgelehnt. Im Kern bestätige Prof. Dr.
D. seine Ausführungen aus dem Gutachten vom 18.03.2019. Nach dem Gutachten werde gemäß den angeführten Literaturstellen aus
dem Jahre 2019 außereuropäisch eine Gleichwertigkeit der Behandlung gesehen. Der strittige Antrag datiere jedoch bereits aus
2011. Zu diesem Zeitpunkt seien zwar erste Hinweise auf einen möglichen Benefit und eine Gleichwertigkeit bereits vorhanden
gewesen, jedoch durch entsprechende Studienergebnisse in keiner Weise abgesichert. Auch halte der Sachverständige daran fest,
dass darüber hinaus alternative Behandlungsmöglichkeiten bestanden hätten. Über alternative vertragliche Behandlungsalternativen
sei die Klägerin auch informiert gewesen. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 24.09.2018 einen Antrag vom Juli 2018 für eine
Therapie mit dem Medikament Pirfenidon zur Behandlung der ILD bewilligt, da nach gutachterlicher Stellungnahme die Behandlung
mit Esbriet (Pirfenidon) gemäß den Fachinformationen bei der hier maßgeblichen Erkrankung umfasst sei. Das Medikament hätte
darüber hinaus auch in der Vergangenheit zu Lasten der Beklagten verordnet werden können. Die Behandlung sei seitdem offenbar
ebenfalls mit guter Verträglichkeit erfolgt. Die zwingende Voraussetzung des Nichtbestehens einer vertraglichen Alternativbehandlung
habe daher nicht vorgelegen. Im vorliegenden Fall reiche es gerade nicht aus, sich ausschließlich auf die Erfahrungen des
behandelnden Arztes zu berufen. Ergänzend hat die Beklagte auf die ständige Rechtsprechung des BSG (u.a. B 1 KR 37/00 R v. 19.03.2002; B 1 KR 10/16 R v. 13.12.2016) hingewiesen.
Für die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2020 vorgetragen worden, dass sie derzeit zum einen Pirfenidon
und zum anderen weiterhin das Medikament CellCept einnehme. Vom 07.07.2016 bis Juli 2018 habe sie an einer Studie zu Pirfenidon
teilgenommen; die Kosten hierfür seien von der Klinik getragen worden. Daneben habe sie weiterhin CellCept in verringerter
Menge eingenommen, wofür sie selbst aufgekommen sei. Auf die Niederschrift der Sitzung wird im Übrigen verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 1. Dezember 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 31. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2013 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung
der Klägerin mit dem Arzneimittel CellCept (Wirkstoff Mycophenolatmofetil) in der Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2017 in Höhe
von 9.681,54 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG), jedoch unbegründet.
Da das Arzneimittel CellCept bereits beschafft wurde bzw. die Erstattung von Kosten für einen vergangenen Zeitraum begehrt
werden, ist über einen Kostenerstattungsantrag zu entscheiden, nicht über eine Kostenübernahme. Zulässige Klageart ist eine
kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §
54 Abs.
1 und 4
SGG. Dabei wird ausdrücklich nur die Erstattung der Kosten für die Zeit vom 15.12.2011 bis 14.12.2017 - in der Höhe 9.681,54
EUR - begehrt.
Ein Fall einer Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3 a SGB V liegt hier nicht vor, da der Antrag vom 21.11.2011 datierte und die Regelung des §
13 Abs.
3 a SGB V erst durch Gesetz vom 20.02.2013 (BGBl I S. 277) eingeführt wurde.
Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch kommt hier somit nur §
13 Abs.
3 SGB V in Betracht. Nach §
13 Abs.
3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung
unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse
die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe).
§
13 Abs.
3 S.1 Fall 2
SGB V bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus,
dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder
Dienstleistung zu erbringen haben. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Kostenerstattung abgelehnt. Die Beklagte
hat den Antrag nämlich nicht zu Unrecht abgelehnt. Gemäß §
153 Abs.
2 SGG wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.
Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Im Fall der Klägerin wurde CellCept (Wirkstoff: Mycophenolat-Mofetil) bei Vorliegen einer Non specific interstitial pneumonia
(NSIP) bei rheumatoider Arthritis, Rheumafaktor negativ, eingesetzt. Die Behandlung wurde von der pneumologischen Ambulanz
des Klinikums C-Stadt in G. Ende 2011 eingeleitet. Für die Zeit davor wurde seit 2004 insbesondere Etanercept eingesetzt;
es handelte sich hierbei um ein für die rheumatoide Arthritis zugelassenes Medikament (neben der angewandten MTX-Gabe und
Steroidgabe). Gemäß der Leitlinie wird - nach Darlegung des Sachverständigen Prof. Dr. D. - CellCept im Rahmen der Behandlung
bei rheumatoider Arthritis nicht eingesetzt. Mycophenolat-Mofetil ist ein Immunsuppressivum, das aufgrund seiner zusätzlichen
Wirkung auf nicht-immunologische Zellen wie Fibroblasten, Endothelzellen und glatte Muskelzellen als potenziell nützlich eingestuft
wird (Gutachten Prof. Dr. D., S. 54, der insoweit auf verschiedene Studien verweist). Der Sachverständige weist jedoch auch
darauf hin, dass die Daten vorläufig sind; es gibt keine kontrollierten Studien zum direkten Vergleich z.B. von Cyclophosphamid
und Mycophenolat. Es gibt demnach keine klinischen Studien, die spezifische Behandlungen für RA-ILD empfehlen könnten, aber
Rituximab und Mycophenolat werden neben Cyclophosphamid als vielversprechend angesehen. Die Datenlage ist nicht mit denen
zu Cyclophosphamid vergleichbar, der Verlauf der NSIP nach Anwendung von CellCept ist jedoch regelmäßig positiv und stabilisierend
- so auch im Fall der Klägerin.
Insgesamt kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass in der Literatur durchaus Fallberichte und Subgruppenanalysen zum
Einsatz von CellCept bei Fibrosen in Kombination mit rheumatoider Arthritis existieren, so dass die Entscheidung aus der pneumologischen
Ambulanz der LMU C-Stadt verständlich und nachvollziehbar war. Aber auch die Entscheidungsgründe zur Ablehnung der Kostenübernahme
durch den MDK sind nach Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. D. durchaus berechtigt.
Vor diesem Hintergrund war die Beklagte weder gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 1 u. 2 Nr.
3,
31 Abs.
1 S. 1
SGB V in Verbindung mit dem Arzneimittelgesetz (hierzu Nr. 1) noch nach Maßgabe der Grundsätze des Off-Label-Use von Arzneimitteln (hierzu Nr.
2) noch aufgrund §
2 Abs.
1 a SGB V (hierzu Nr.
3) oder eines Seltenheitsfalls (hierzu Nr. 4) zur Gewährung des Arzneimittels CellCept bei Vorliegen einer NSIP bei rheumatoider
Arthritis, Rheumafaktor-negativ, verpflichtet.
Mangels indikationsbezogener Zulassung besteht kein Anspruch der Klägerin im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1
S. 2 Nr.
3 Fall 1 i.V.m. §
31 Abs.
1 S. 1
SGB V.
Gem. 31 Abs.1 S. 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nach §
27 Abs.
1 S. 1 und S. 2 Nr.
3 SGB V, soweit die Arzneimittel nicht nach §
34 SGB V oder durch Richtlinien nach §
92 Abs.
1 S. 2 Nr.
6 SGB V ausgeschlossen sind. Der (krankenversicherungsrechtliche) Arzneimittelbegriff in §§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3,
31 SGB V knüpft an den (verwaltungsrechtlichen) Arzneimittelbegriff des Arzneimittelgesetzes (AMG) an. Dieser ist in der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG festgelegt. Arzneimittel im Sinne des AMG sind die Fertigarzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), also Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr
gebracht werden. (Fertig-)Arzneimittel bedürfen gemäß § 21 Abs. 1 AMG grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen Zulassung; sie stellen Arzneimittel auch im Sinne des Krankenversicherungsrechts
dar. Da das Krankenversicherungsrecht hinsichtlich der Arzneimittelversorgung der Versicherten - anders als bei ärztlichen
Behandlungsmethoden (§
135 Abs.
1 SGB V) - weitgehend auf eigenständige Vorschriften zur Qualitätssicherung verzichtet (vgl. BSG, Urt. v. 01.03.2011, B 1 KR 7/10 R; Urt. v. 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R), ist - sofern die arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt und damit Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels
nach § 1 AMG im dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren nachgewiesen worden sind - von der gesetzlich geforderten Arzneimittelsicherheit
bzw. von der Qualität und Wirksamkeit (§
2 Abs.
1 S. 3
SGB V) und regelmäßig auch von der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§
12 Abs.
1 SGB V) des Arzneimittels auszugehen. Ist die arzneimittelrechtliche Zulassung hingegen nicht erteilt, ist das Arzneimittel vom
Leistungsanspruch des Versicherten grundsätzlich nicht umfasst (BSG, Urt. v. 08.11.2011, B 1 KR 19/10 R). Zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels müssen nämlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in
dem Sinne vorliegen, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von
Behandlungsfällen belegt ist. Da der Wirksamkeitsnachweis im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahrens zu erbringen ist,
ist aus einer nicht bestehenden Zulassung (auch) auf eine nicht vorhandene Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu schließen
(vgl. BSG, Urt. v. 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R; Urt. v. 18.05.2004, B 1 KR 21/02 R; Urt. v. 27.09.2005, B 1 KR 6/04 R). Außerdem wäre das nicht zugelassene Arzneimittel nur unter Verletzung des Arzneimittelrechts und damit durch rechtswidriges
Handeln zu beschaffen (vgl. BSG, Urt. v. 23.05.2000, B 1 KR 2/99 R); hierauf kann sich der Leistungsanspruch des Versicherten nicht erstrecken. Die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt
anwendungsbezogen (vgl. etwa §§ 22 Abs. 1 Nr. 6, 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG. Zum Ganzen: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.03.2015, L 5 KR 3861/12 - juris Rn. 42).
CellCept mit dem Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil war und ist arzneimittelrechtlich (in Kombination mit anderen Arzneimitteln)
ausschließlich zur Prophylaxe von akuten Transplantat-Abstoßungsreaktionen bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder
Lebertransplantation zugelassen, nicht jedoch für die Anwendung bei einer Non specific interstitial pneumonia bei rheumatoider
Arthritis. Es besteht damit ein arzneimittelrechtliches Verkehrsverbot gemäß dem AMG; ein Leistungsanspruch aus §
31 Abs.
1 S. 1
SGB V besteht damit nicht.
2. Off-Label-Use im arzneimittelrechtlichen Bereich
Es besteht aber auch kein Anspruch der Klägerin aufgrund des nach Richterrecht entwickelten Grundsatzes des Off-Label-Use.
Unter "Off-Label-Use" versteht man "die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der von den nationalen und europäischen
Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen)" (Anlage VI: Off-Label-Use der Arzneimittel-Richtlinie).
§
35 c SGB V regelt die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Arzneimittel-Richtlinien (§
92 Abs.
1 S. 1, S. 2 Nr.
6 SGB V) durch den Abschnitt K (Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten) um
den § 30 bzw. den Abschnitt L (Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen
Studien gem. §
35 c SGB V) um die §§
31-
39 ergänzt. Gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Arzneimittel-Richtlinien setzt die Verordnung zugelassener Arzneimittel in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten
voraus, dass die Expertengruppen nach §
35 b Abs.
3 S. 1
SGB V - mit Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmers - eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis
über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben
haben, die der G-BA in die Arzneimittel-Richtlinien übernommen hat (siehe demgemäß die Positivliste in Anlage VI Teil A der
Arzneimittel-Richtlinien i.d.F. vom 18.12.2008/22.01.2009, Bundesanzeiger Nr. 49 a (Beilage) vom 31.03.2009, zuletzt geändert
am 20.03.2020, BAnz AT vom 12.05.2020 B 1 - "Arzneimittel, die unter Beachtung der dazu gegebenen Hinweise in nicht zugelassenen
Anwendungsgebieten (Off-Label-Use) verordnungsfähig sind"). Arzneimittel zur Anwendung in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten,
die nach Bewertung der Expertengruppen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen oder die medizinisch
nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, werden ebenfalls indikationsbezogen aufgeführt (siehe demgemäß die Negativliste
in Anlage VI Teil B der Arzneimittel-Richtlinien - "Wirkstoffe, die in zulassungsüberschreitenden Anwendungen (Off-Label-Use)
nicht verordnungsfähig sind") (§ 30 Abs. 5 der Arzneimittel-Richtlinien).
CellCept mit dem Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil findet sich nicht in der Positivliste in Anlage VI Teil A der Arzneimittel-Richtlinie
(siehe nur Beschluss des G-BA vom 20.07.2017 zu Mycophenolat Mofetil bei Myasthenia gravis) und ist nicht gemäß Anlage VI
Teil B ausgeschlossen.
§
35 c Abs.
2 SGB V greift nicht, da die verauslagten Kosten für CellCept nicht im Rahmen einer klinischen Studie beansprucht werden. Die klinische
Studie vom 07.07.2016 bis Juli 2018, an der die Klägerin nach eigenen Angaben teilgenommen hat, betraf dabei die Verabreichung
von Pirfenidon; CellCept stand nicht im Fokus dieser Studie. Die Einnahme von Pirfenidon führte lediglich zu einer reduzierten
Einnahme von CellCept. Insoweit ist im Übrigen auch auf den Antrag der Klägerin vom Juli 2018 und den positiven Bescheid der
Beklagten vom 24.09.2018 zu verweisen, mit dem die Beklagte die Therapie mit dem Medikament Pirfenidon zur Behandlung der
ILD bewilligt hat.
Die Verordnung eines Arzneimittels in einem anderen, von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt nach den Grundsätzen
des Off-Label-Use (BVerfG, Beschl. v. 30.06.2008, 1 BvR 1665/07; BSG, Urt. v. 03.07.2012, B 1 KR 25/11 R; BSG, Urt. v. 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R - juris mit weiteren Nachweisen) in Betracht, wenn1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder
die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,2. keine andere Therapie verfügbar ist und3. aufgrund
der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ)
erzielt werden kann.
Vorliegend fehlt es bereits an der zweiten Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende
Behandlung nicht zur Verfügung steht. Der Sachverständige Prof. Dr. D. hat ausgeführt, dass Standardmedikamente wie Azathioprin
oder Cyclophosphamid im Vorfeld nicht getestet wurden und somit ein Effekt der durchaus gängigen Medikamente zur Behandlung
der NSIP nicht beurteilt werden kann. Er hat ausdrücklich die Darlegungen des MDK bestätigt, dass andere Therapiemöglichkeiten
zur Verfügung standen. Der MDK hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 19.01.2012 dargelegt, dass die damals aktuell
laufende Medikation mit Kortikoiden und Enbrel eine zugelassene Therapieoption darstellten. Auch wenn die Behandlung mit dem
Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil durch Dr. C. gut nachvollzogen werden kann, standen als zugelassene Behandlungsoptionen zusätzlich
zum Cortison etwa Cyclophosphamid oder Azathioprin zu Verfügung. Nochmals bekräftigt in seiner ergänzenden Stellungnahme hat
der Sachverständige dargelegt, dass von einer Gleichwertigkeit von Cyclophosphamid oder Azathioprin auszugehen ist.
Der Sachverständige ist in der ergänzenden Stellungnahme vom Dezember 2019 bei seiner Darlegung geblieben, dass eine Alternativbehandlung
auch bei der Schwere des Krankheitsbildes vorlag. Diese Alternativen wurden nicht geprüft. Der Gutachter hat daher ausdrücklich
nicht die Alternativlosigkeit des Einsatzes von CellCept attestiert. Die von Seiten des MDK angeführten Therapieprinzipien
beruhten auf der Grundlage größerer Studiendaten. Dabei ist nicht von Bedeutung, dass es der Sachverständige im Ergebnis bedauert,
dass die Krankenkasse bzw. die Beklagte häufig den Einsatz des Medikaments CellCept bei Beantragung von Off-Label-Use ablehnen.
Dabei bezieht er sich aber auf die aktuelle Datenlage, die offensichtlich nicht mit der von 2011 und den Folgejahren vergleichbar
ist - hierauf ist jedoch nach der dargestellten Rechtsprechung des BSG abzustellen.
Als Alternativbehandlung wäre offensichtlich auch zumindest seit 2012 (Beschluss des G-BA vom 15.03.2012) die Behandlung mit
Pirfenidon (Handelsname: Esbriet) in Frage gekommen, wie dies von der Beklagten mit Bescheid vom 24.09.2018 später auf Antrag
bewilligt wurde. Die Therapie hat die Klägerin gut vertragen und hat zumindest zu einer Reduzierung der Einnahmemenge von
CellCept geführt.
Der Senat sieht insoweit die gutachterlichen Darlegungen des Prof. Dr. D. als überzeugend und eindeutig an. Sie bestätigen
weitgehend auch die Einschätzungen des MDK in den verschiedenen Stellungnahmen.
Im Übrigen ist auch die dritte Voraussetzung für einen Off-Label-Use nicht gegeben, da eine ausreichende Datenlage im Zeitpunkt
der Verwaltungsentscheidung und auch aktuell nicht vorliegt. Es gibt für den hier maßgeblichen Einsatzbereich von CellCept
keine großen randomisierten, kontrollierten Studien und keine hohen Fallzahlen in den einzelnen Studien.
Für die Erfüllung der unter 3. genannten Voraussetzung müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das
Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der
Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber
Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten
Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht
sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten
Sinne besteht (BSG, Urt. v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R - juris Rn. 15; BSG, Urt. v. 03.07.2012, B 1 KR 25/11 R; Urt. v. 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R; Urt. v. 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R und B 1 KR 14/06 R; Urt. v. 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R). In beiden Fällen (innerhalb und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens) ist das Schutzniveau aber
gleich; Maßstab sind jeweils die qualitativen Anforderungen an Phase-III-Studien (insoweit klarstellend: BSG, Urt. v. 08.11.2011, B 1 KR 19/10 R). Leitlinien und Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften genügen für sich allein grundsätzlich nicht (BSG, a. a. O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 47).
Abzustellen ist auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSGE 95, 132; BSG, Urt. v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R - juris Rn. 15 m.w.N.). Wie auch durch das Gutachten des Prof. Dr. D. und von der Firma R. bestätigt, liegen Phase-III-Studien
zum Einsatz von CellCept bei NSIP und rheumatoider Arthritis nicht vor. Es bestehen in der Literatur lediglich Fallberichte
und Subgruppenanalysen zum Einsatz von CellCept bei Fibrosen in Kombination mit rheumatoider Arthritis. Die derzeitigen Forschungsergebnisse
lassen nach dem Gutachten auch nicht erwarten, dass CellCept für die betreffende Indikation einer interstitiellen Lungenerkrankung
bei RA-ILD in Kürze zugelassen wird.
Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht bei grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts bzw. aus §
2 Abs.
1 a SGB V (in Kraft seit 01.01.2012; hierzu BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005, BVerfGE 115, 25), mit dem der Gesetzgeber im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt hat.
Nach dem Beschluss des BVerfG geben die Grundrechte aus Art.
2 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.
2 Abs.
2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung
* in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung,
* wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und
* die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf
Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG, a.a.O.).
§
2 Abs.
1 a SGB V erweiterte dies, wie dargelegt, auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen.
Diese Grundsätze sind auf die Arzneimittelversorgung übertragen worden. Sie können ggf. einen Anspruch auf Versorgung mit
Arzneimitteln begründen, die arzneimittelrechtlich noch gar nicht oder nicht für den in Rede stehenden Anwendungsbereich zugelassen
sind. Ergänzend hat das BSG - im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln - aber dargelegt, dass an das Krankheits-Kriterium (im Sinne der vorstehend
unter 1. genannten Voraussetzung) strengere Anforderungen zu stellen sind als an das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung
für die Eröffnung des Off-Label-Use (vgl. BSG, Urt. v. 08.11.2011, a.a.O.; auch BSG, Urt. v. 13.10.2010, B 6 KA 48/09 R). Hinsichtlich des Erfolgsaussichten-Kriteriums (im Sinne der vorstehend unter 3. genannten Voraussetzung)
a) darf kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen,b) muss der voraussichtliche Nutzen unter Berücksichtigung des
gebotenen - in Abhängigkeit von Krankheitsschwere und Krankheitsstadium abgestuften - Wahrscheinlichkeitsmaßstabs bei der
vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und
Abwägung von Chancen und Risiken überwiegen undc) ist die Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend
durchzuführen und ausreichend zu dokumentieren (BSG, Urt. v. 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R).d) Schließlich ist die Einwilligung des Versicherten nach der erforderlichen Aufklärung notwendig (BSG, a. a. O.)
Das LSG Baden-Württemberg (a.a.O., juris Rn. 52 ff) kam hierbei zu einem Anspruch auf Kostenerstattung für eine CellCept-Behandlung
bei einem okulären Pemphigoid, einer Autoimmunerkrankung aus dem Formenkreis der blasenbildenden Dermatosen.
Bei der Klägerin liegt eine NSIP und rheumatoide Arthritis vor. Erstsymptome der rheumatoiden Arthritis traten 1990 auf, eine
Erstdiagnose erfolgte 1999. Seit 2011 zeigte sich eine zunehmende Gasaustauschstörung, jedoch bei relativ stabilen Lungenfunktionsdaten.
Es erfolgte die Einleitung einer Sauerstofflangzeitbehandlung. Ein wesentlicher Progress der Fibrose ist radiologisch nicht
gesichert. Die Medikation wurde zur Stabilisierung der Lungenfunktionsparameter intensiviert, teils durch CellCept, dann mit
Rituximab, dann durch eine Kombination mit Quensyl und zuletzt mit Pirfenidon. Der Sachverständige Prof. Dr. D. ist wie der
MDK zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar die Lebensqualität beeinträchtigt war, aber bei der Klägerin keine Lebensbedrohlichkeit
anzunehmen war. Allerdings hat der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme bestätigt, dass es sich um ein Krankheitsbild
handelt, das mit einer hohen Mortalität einhergeht und bei dem sich der klinische Verlauf zu jedem Zeitpunkt ändern kann.
Auch wenn der Krankheitsverlauf bei der Klägerin stabil war, handelt es sich grundsätzlich um eine lebensbedrohliche Erkrankung.
Gerade zum Zeitpunkt der Erstdiagnose konnte der Verlauf nicht vorhergesagt werden.
Allerdings gilt diese Aussage nur allgemein. Im konkreten Fall der Klägerin lag 2011 und seitdem keine notstandsähnliche Situation
vor (BSGE 115, 95 - juris Rn. 27, 29). Dies würde voraussetzen, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich
der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit
verwirklichen wird. Im konkreten Fall der Klägerin war der Krankheitsverlauf 2011 offensichtlich stabil und nicht lebensbedrohlich.
Da dies im streitigen Zeitraum nicht der Fall war, ist nicht von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden
Erkrankung oder einer wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung auszugehen.
Im Übrigen gilt auch hier, dass eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stand,
wie unter 2. ausgeführt. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
4. Seltenheitsfall
Auch ein sog. Seltenheitsfall liegt nicht vor. Zwar ist bei der Erkrankung der Klägerin von einer mit niedriger Häufigkeit
auszugehen im Vergleich zu "Volkskrankheiten" wie Fettstoffwechselstörungen, Diabetes oder Bluthochdruck. Es gibt daher bislang
keine großen randomisierten, kontrollierten Studien; in den vorliegenden einzelnen Studien sind die Fallzahlen wie dargelegt
gering.
Die Rechtsprechung nimmt Ausnahmen vom Qualitätsgebot an bei Seltenheitsfällen, die sich einer systematischen Erforschung
entziehen (vgl. etwa BSGE 93, 236; BSGE 100, 104; BSGE 111, 168; BSGE 115, 95; BSG v. 11.05.2017, B 3 KR 17/16 R - juris Rn. 53, 55; BSG v. 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R - juris Rn. 17) mit Auswirkungen sowohl für den Leistungsanspruch der Versicherten als auch für die Rechte und Pflichten
der Leistungserbringer als auch der Krankenkassen. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 100, 104 - juris Rn. 30) müsste es sich um eine Erkrankung handeln, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen
wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann und bei der deshalb eine
erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (vgl. dazu auch: BSGE 93, 236 - Visudyne). Das festgestellte Krankheitsbild darf aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein (BSGE
109, 218; BSGE 111, 168; BSG, Urt. v. 20.03.2018, a.a.O. - juris Rn. 17). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht
entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Diese
Voraussetzungen eines Seltenheitsfalls liegen bei einer NSIP bei rheumatoider Arthritis Rheumafaktor negativ nicht vor. Es
gab und gibt zunehmend Studien hierzu, wenn auch mit geringer Fallzahl. Es gibt randomisierte kontrollierte Studien bei der
Sklerodermie mit Lungenfibrose und der Wirkung von dem Immunsuppressivum Cyclophosphamid, bei denen sich bei der Sklerodermie
mit Lungenfibrose eine Verbesserung gezeigt hatte. In einer Studie mit 125 Fällen mit Fibrosen bei unterschiedlichen Erkrankungen
aus dem rheumatologischen Formenkreis einschließlich RA-ILD wurde der Wirkstoff Mycophenolat-Mofetil eingesetzt und getestet;
es zeigte sich eine Verbesserung der Vitalkapazität und eine Einsparung der Steroiddosis. Es gibt ferner einige Studien mit
gemischten Kohorten unter Einbezug von Patienten mit RA-ILD (z.B. Saketkoo und Espinoza, 2008; 2009). Krankheitsursache, Symptome
und Wirkstoff werden somit durchaus wissenschaftlich erforscht.
5. Neue Behandlungsmethode
Ein Anspruch besteht schließlich auch nicht aufgrund Vorliegens einer neuen Behandlungsmethode gemäß §
135 Abs.
1 SGB V. Vielmehr geht es vorliegend um den zulassungsfremden Einsatz eines Arzneimittels. Die Zulässigkeit einer Behandlungsmethode
nach dem
SGB V kann keinen Anspruch auf ein Fertigarzneimittel begründen, sondern nur zusätzliche Hürden für den Einsatz beseitigen (BSG, Urt. v. 20.03.2018, a.a.O. - juris Rn. 18).
Somit ist nach insoweit eindeutiger Gutachtenslage ein Anspruch auf eine Behandlung mit dem Arzneimittel CellCept im Falle
der Klägerin nicht gegeben gewesen, so dass die Beklagte eine Kostenerstattung zu Recht abgelehnt hat. Allein eine gute Verträglichkeit
des Medikaments führt nicht zum Leistungsanspruch.
Das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. D. ist dabei auch verwertbar. Es ist äußerst umfassend, fachlich
fundiert mit Überblick über die vorliegende Datenlage und insgesamt für den Senat überzeugend. Ein Antrag auf Ablehnung des
Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wurde nicht gestellt. Klägerische Einwendungen zur fachlichen Kompetenz
des Sachverständigen greifen nicht. Insoweit belegt der berufliche Werdegang, den dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme
vom Dezember 2019 darlegt, gerade eine besondere fachliche Kompetenz auch in speziellen Bereichen der Lungen- und Bronchialheilkunde.
Zur Zeit der Begutachtung war der Gutachter Medizinischer Direktor im Klinikum D-Stadt, Zentrum für Pneumologie. Das erstellte
Gutachten ist fachlich äußerst fundiert, befasst sich eingehend mit der Fachliteratur und vorliegenden Studien und ist für
den Senat vor diesem Hintergrund überzeugend. Gerade auch hinsichtlich der Diagnosen und den Therapieoptionen deckt es sich
im Ergebnis mit den Gutachten des MDK, ohne diese unkritisch zu übernehmen. Vielmehr differenziert der Sachverständige z.B.
hinsichtlich einer Behandlung mit Cyclophosphamid.
Das Gutachten entspricht auch dem Gutachtensauftrag, auch wenn an der Abfassung der Arzt Dr. W. mit beteiligt war. Der Sachverständige
hat mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er aufgrund eigener Prüfung und Urteilsbildung mit dem Gutachten einverstanden
ist (BSG, SozR 1500 § 128 Nr. 24). Er hat damit die volle Verantwortung für das Gutachten übernommen. Dabei war die Klägerin dem Sachverständigen bereits
durch eine ambulante Untersuchung und von einem stationären Aufenthalt im Jahre 2009 bekannt. Es war, wie in der ergänzenden
Stellungnahme dargelegt, im Vorfeld eine Besprechung mit Dr. W. zum Akteninhalt und zum weiteren Procedere erfolgt. Bei den
Untersuchungen durch Dr. W. handelte es sich vor allem um Standarduntersuchungen zur Beurteilung der Schwere der Lungenfibrose;
sie gehörten damit nicht zum unverzichtbaren Kern der gutachterlichen Tätigkeit, die vom beauftragten Sachverständigen selbst
vorzunehmen ist (hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl, §
118 Rn. 11 h). Dr. W. ist ebenfalls Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und kann ebenfalls langjährige Erfahrungen, auch
als Gutachter, aufweisen. Die Mitwirkung von Hilfskräften an dem Gutachten ist zulässig; sie muss jedoch, wenn es sich nicht
um untergeordnete Hilfstätigkeiten handelt, namhaft und benannt werden (§
407a Abs.
3 S. 2
ZPO; vgl. hierzu: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., §
118 Rn. 11 g). Dies ist vorliegend durch das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme geschehen.
Bei der Begutachtung im Jahre 2019 hinsichtlich der Voraussetzungen der Behandlung mit CellCept von 2011 bis 2017 war der
Akteninhalt von besonderer Bedeutung. Begleitend erfolgte eine ambulante Untersuchung zur Beurteilung der aktuellen Schwere
der Lungenfibrose. Der Sachverständige hat sich gemäß seinen glaubhaften Angaben umfassend selbst mit dem Akteninhalt befasst;
er hat die volle Verantwortung für das Gutachten übernommen. Es bestehen damit keine Bedenken, das Gutachten zur Bewertung
heranzuziehen. Aufgrund des damit geklärten medizinischen Sachverhalts war auch kein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.
Auch der behandelnde Arzt Dr. C. wurde im Rahmen der Amtsermittlungen ausreichend gehört. Der Senat hat einen Befundbericht
des Dr. C. vom Januar 2018 eingeholt. Darüber hinaus sind dessen persönliche Erfahrungen und Motive zum Einsatz des Medikaments
für den vorliegenden Rechtsstreit ohne maßgeblich Bedeutung. Eine positive Einschätzung sowie eine Verordnung mit bestem ärztlichen
Wissen und Gewissen kann unterstellt werden. Die grundsätzliche Geeignetheit und Nachvollziehbarkeit für den Einsatz von CellCept
durch das wird im Übrigen auch vom Sachverständigen Prof. Dr. D. mehrmals bestätigt. Hinsichtlich der hier maßgeblichen Gesichtspunkte
der grundsätzlichen Therapiealternativen und vor allem der Datenlage zu CellCept kann Dr. C. als Zeuge keine weiterführenden
Angaben machen. Demgemäß wurde auch ein Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.