Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für eine Magenbypass-Operation zur Gewichtsreduktion
Gründe:
I. Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung einer Magenbypassoperation zur Gewichtsreduzierung.
1. Die 1961 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an Übergewicht mit Folgeerkrankungen.
Deshalb stellte die Chirurgische Klinik B. für die Klägerin am 09.07.2007 bei der Beklagten den Antrag, eine laparoskopische
Magenbypassoperation zur Gewichtsreduktion bei krankhafter Adipositas zu genehmigen. Die Klägerin wiege 111 kg bei 166 cm
Körpergewicht und habe somit einen Bodymass-Index (BMI) von 40 kg/m². Es bestünden bereits Folgeerkrankungen in Gestalt einer
arterielle Hypertonie sowie eines Diabetes mellitus Typ II. Die begehrte operative Behandlung sei daher das Mittel der Wahl
zur Behandlung des krankhaften Übergewichts, eine Nachbehandlung sei sichergestellt. Ergänzend war eine die Operation befürwortende
Stellungnahme der Dipl.-Psych. W. vom 24.06.2007 beigelegt, wonach die Klägerin für den geplanten Eingriff geeignet sei. Die
Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des MDK vom 14.08.2007 ein. Dieser verneinte die Erforderlichkeit der geplanten
Operation, weil die konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien. Die Klägerin habe bisher kein sechs-
bis zwölfmonatiges durchgehendes Behandlungskonzept der Gewichtsabnahme durchlaufen. Dem folgend lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 23.08.2007/Widerspruchsbescheid vom 22.04.2008 die geplante Operation ab, weil der Eingriff nicht "ultima ratio" sei,
also alle alternativen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien.
2. Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und Kostenübernahme für eine laparoskopische Magenbypassoperation
beantragt. Zur Begründung hat die Klägerin die einschlägigen Befund- und Behandlungsberichte ihrer Ärzte, den Entlassungsbericht
einer stationären Heilmaßnahme der gesetzlichen Rentenversicherung vom 04. bis 25.06.1997, den Kurbericht einer Mütterkur
vom 15.08. bis 12.09.1994, die Teilnahmebescheinigung einer Diabetikerschulung sowie Bestätigungen ihrer sportlichen Aktivitäten
in Gestalt des Linedancing vorgelegt.
Das Sozialgericht hat ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. (03.05.2010) eingeholt, welcher die Einholung eines internistischen
Gutachtens empfohlen hat.
Auf Antrag der Klägerin hat Prof. Dr. W. ein internistisches Gutachten erstellt (21.02.2011 - mit ergänzender Stellungnahme
vom 26.04.2011). Dr. W. hat ausgeführt, die konservativen Therapiemöglichkeiten seien fraglos ausgeschöpft, so dass die chirurgische
Therapie als notwendig angesehen werden müsse. Denn die Klägerin habe nicht nur über sechs bis zwölf Monate hinweg Abnehmversuche
erfolglos durchgeführt, sondern bereits über Jahre hinweg vergeblich abzunehmen versucht. Zudem hätten weitere konservative
Maßnahmen nur sehr geringe Erfolgsaussichten. Der Rückzug auf den fehlenden strukturierten Therapieversuch gehe an der bestmöglichen
Therapieoption für die Klägerin vorbei. Demgegenüber hat der MDK in einer Stellungnahme die Voraussetzungen für die chirurgische
Therapie verneint, weil nach wie vor eine mindestens sechs- bis zwölfmonatige strukturierte ärztlich geleitete und multimodal
ausgerichtete Behandlung entsprechend den einschlägigen Leitlinien nicht durchgeführt sei.
Mit Urteil vom 18.08.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Klägerin
die Anforderungen für eine chirurgische Übergewichtsbehandlung erfülle mit Ausnahme des wesentlichen Kriteriums der erfolglos
ausgeschöpften konservativen Behandlungsmöglichkeiten.
3. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und betont, dass sie über mehrere Jahre hinweg auch stationär versucht habe,
ihr Gewicht zu reduzieren, allerdings ohne Erfolg. Die Anwendung konservativer Therapien sei deshalb aussichtslos, was gerade
auch Prof. Dr. W. gutachterlich bestätigt habe. Zudem leide die Klägerin an mehreren Folgeerkrankungen. Von den fachlichen
Einschätzungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. dürfe nicht abgewichen werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 18.08.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.08.2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008 zu verurteilen, die Kosten für den von der Klägerin beantragten adipositaschirurgischen
Eingriff zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Voraussetzungen für den geplanten chirurgischen Eingriff nach wie vor nicht für gegeben.
Der Senat hat die Beteiligten zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung angehört.
Die Klägerin hat sich dem widersetzt, das Gericht dürfe sich nicht über die sachkundliche Stellungnahme des Prof. Dr. W. hinwegsetzen.
Im Übrigen erfülle die Klägerin die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung für die Gewährung der streitigen Operation entwickelt
habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider
Instanzen Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Maßnahme der Adipositaschirurgie, das Urteil des
Sozialgerichts München vom 18.08.2011 ist damit ebenso wenig zu beanstanden wie der streitige Bescheid der Beklagten vom 23.08.2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2008.
1. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung in Gestalt der stationären Krankenhausbehandlung gemäß §
27 Abs.1 Satz 2 Nr.5
SGB V, soweit diese gemäß §
2 Abs.1, §
12 Abs.1, §
39 Abs.1 Satz 2
SGB V wirtschaftlich notwendig sowie erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch ambulante Behandlung erreicht werden
kann.
Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie das bei der
Applikation eines Magenbandes geschieht, bedarf diese mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art
und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie
etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind BSG Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R mwN).
2. In Anwendung dieser Grundsätze auf den Fall der Klägerin ist zunächst festzustellen, dass diese an krankhaftem Übergewicht
leidet. Der Sachverständige Prof. Dr. W. hat zutreffend ein Übergewicht nach einem BMI von knapp 40 bei einem Bauchumfang
von 114 cm diagnostiziert. Dieses Übergewicht besteht - wie aus den vorgelegten medizinischen Dokumentationen ersichtlich
- trotz einiger Behandlungsversuche bereits über Jahre hinweg fort. Wie das Sozialgericht korrekt festgestellt hat, liegt
insoweit ein krankhaftes Übergewicht vor. Zudem leidet die Klägerin an Folgeerkrankungen des Übergewichts in Gestalt Diabetes
mellitus (II) sowie der arteriellen Hypertonie (beide medikamentös gut eingestellt). Dieser Krankheitszustand wird auch von
der Beklagten nicht bezweifelt. Hingegen sind Erkrankungen des Magens selbst, an welchem die geplante Operation durchgeführt
werden soll, nicht vorhanden.
Somit soll im Falle der Klägerin durch einen operativen Eingriff am gesunden Magen die krankhafte Adipositas behandelt werden.
Dies setzte voraus, dass das Behandlungsziel des Eingriffs, die Gewichtsreduktion, notwendig sowie wirtschaftlich ist und
dass das Behandlungsziel durch ambulante Maßnahmen nicht erreicht werden kann (§
2 Abs.1, §
12 Abs.1, §
39 Abs.1 Satz 2
SGB V). Hierzu ist festzustellen, dass die Klägerin zwar bereits mehrere Maßnahmen der Gewichtsreduktion unternommen hat. So hat
sie in mehrwöchigen stationären Aufenthalten eine Gewichtsreduktion versucht, dies jedoch nicht dauerhaft erreicht. Ebenso
erfolglos waren eigene Ernährungsprogramme wie Diät nach Atkins, Ananaskur, Trennkost, Diätco sowie die Behandlungen mit Reduktil.
Dies reicht jedoch nicht aus, um die chirurgische Behandlung als notwendige und wirtschaftliche Maßnahme anzuerkennen. Denn
die Klägerin hat - wie vom MDK zutreffend festgestellt und auch im Übrigen nicht streitig - bisher keine wenigstens sechs
Monate dauernde ärztlich begleitete Maßnahme der Gewichtsreduktion durchlaufen, welche durch ein Konzept der psychologischen
Begleitung und Ernährungsberatung sowie Bewegungsanregung begleitet wird (multimodales Konzept). Diese alternative ambulante
und im Vergleich mit der Magenbandoperation wegen der dort erforderlichen lebenslangen Nachbetreuung wirtschaftlichere Maßnahme
genießt Vorrang vor dem streitigen Eingriff. Insoweit ist dem MDK zu folgen, der überzeugend dargelegt hat, warum aus den
bisherigen Gewichtsreduktionsversuchen der Klägerin keineswegs folgt, dass die Durchführung eines Behandlungskonzeptes über
wenigstens ein halbes Jahr hinweg ohne Erfolg bleiben wird. Der gegenteiligen Auffassung des Prof. Dr. W. ist nicht zu folgen,
weil dieser die Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit der bisherigen Abnehmversuche unzutreffend wertet.
Die Klägerin hat somit bereits mangels Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit der stationären Behandlung keinen Anspruch auf
die begehrte Operation.
3. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen der Rechtsprechung für eine mittelbare chirurgische Behandlung an einem gesunden
Körperorgan nicht erfüllt. Diese sind im Falle des chirurgischen Eingriffes in Gestalt der Implantation eines Magenbandes
wie folgt anzusetzen (vgl. Bundessozialgericht Urteil vom 10.09.2009 - B 1 KR 2/08 R):
- BMI 40 oder 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen,
- Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten,
- tolerables Operationsrisiko,
- ausreichende Motivation,
- keine manifeste psychiatrische Erkrankung sowie
- Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung.
Im vorliegenden Falle fehlt es an der Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten, die chirurgische Behandlung ist
nicht die "ultima ratio". Denn die Klägerin hat bisher - auch nach den Feststellungen des Prof. Dr. W. - kein wenigstens sechsmonatiges
Behandlungsprogramm zur Gewichtsreduktion mit ärztlicher Begleitung durchgeführt. Entgegen der Auffassung des Sachverständigen
Prof. Dr. W. ersetzen die bisherigen Abnehmversuche der Klägerin diese konservative Behandlungsmöglichkeit nicht, denn insoweit
weicht der Sachverständige ohne Begründung von den von ihm im Übrigen selbst angewandten einschlägigen Leitlinien der der
Deutschen Adipositasgesellschaft ab.
Auch folgt aus den bisherigen vergeblichen Abnehmversuchen der Klägerin keineswegs, dass eine konservative mehrmonatige Behandlung
aussichtslos ist. Denn bei den bisherigen Abnehmversuchen fehlte es an der Nachhaltigkeit. Hierzu ist festzustellen, dass
die dreiwöchige Maßnahme des Rentenversicherungsträgers im Sommer 1997 nicht zum Ziel hatte, eine Gewichtsreduktion zu erreichen,
sondern wegen einer Nierenerkrankung durchgeführt worden war - und dennoch konnte eine Gewichtsreduktion von 104 auf 100 kg
erzielt werden. Die einmonatige Mutterkur 1994 war ebenfalls nicht zur Gewichtsreduktion ausgerichtet - gleichwohl ergab sich
eine Gewichtsabnahme von 101 auf 95,7 kg. Die medikamentöse Therapie insbesondere mit Reduktil ist nach den Angaben der behandelnden
Ärztin Dr.W. nicht durchgängig und in einem auf mehrere Wochen ausgelegten Konzept durchgeführt worden. In die gleiche Richtung
weisen die ärztlichen Feststellungen des Dr. L. zur Diabetesschulung vom 04. bis 08.10.2004, wonach sich eine allmähliche
Gewichtsabnahme als Nebeneffekt ergeben hatte. Damit steht fest, dass bei der Klägerin eine Gewichtsreduktion auch ohne chirurgischen
Eingriff erreichbar ist. Zudem können selbst für nur wenige Wochen durchgeführte Maßnahmen, die nicht einmal primär dem Zwecke
der Gewichtsreduktion dienten, einen Abnehmeffekt erreichen. Umso mehr ist dieser Effekt von einem mehrmonatigen multimodalen
Effekt zu erwarten.
Schließlich können auch die Bestätigungen, dass die Klägerin Linedancing ausübt, ein Bewegungskonzept als Maßnahmeteil der
primär durchzuführenden konservativen Behandlung nicht ersetzen. Beim Linedancing handelt es sich um eine Tanzform, bei der
choreographisch in Reihen und Linien vor- oder nebeneinander getanzt wird. Die körperliche Betätigung dieser Art kann damit
als tänzerisches Hobby bezeichnet werden und ist mit einer koordinierten Bewegungstherapie als Teil der konservativen Behandlung
weder vergleichbar noch kann sie deren Aussichtslosigkeit belegen kann.
Nichts Anderes folgt aus den Feststellungen des Prof. Dr. W., auf welche sich die Klägerin beruft. Dieser hat die Indikation
zur chirurgischen Therapie als "fraglos gegeben" bezeichnet, obwohl die Klägerin das in den Leitlinien der Deutschen Adipositasgesellschaft
geforderte sechsmonatige Behandlungskonzept nicht durchlaufen hatte. Der Sachverständige hat insoweit unzutreffend die bisherigen
Therapien der Klägerin mit einer auf sechs bis zwölf Monate ausgelegten Therapie gleichgesetzt. Dieser persönlichen Einschätzung
entgegen den einschlägigen, den Stand der medizinischen Wissenschaft zur Adipositaschirurgie wiedergebenden Leitlinien, die
der Sachverständige als Grundlage seiner Beurteilung selbst zitiert und herangezogen hat, könnte nur bei Feststellung besonderer
Voraussetzungen im spezifischen Falle der Klägerin gefolgt werden. Diese hat der Sachverständigen Prof. Dr. W. aber nicht
festgestellt, sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
Damit scheitert der Anspruch der Klägerin auf die begehrte chirurgische Adipositasbehandlung auch am fehlenden Ausschöpfen
der konservativen Behandlungsmöglichkeiten.
Die Klägerin hat somit unter keinem Gesichtspunkt Anspruch darauf, die begehrte chirurgische Maßnahme als Sachleistung von
der Beklagten zu erhalten. Die Berufung bleibt in vollem Umfange ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, §
160 SGG.