SGB-II-Leistungen
Einstweiliger Rechtsschutz
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen
Absetzung vom Einkommen
Tatsächlich erbrachte Aufwendungen
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1959 geborene Antragsteller hat die deutsche Staatsangehörigkeit und ist selbständiger Dolmetscher und Übersetzer. Er
hat einen 1995 geborenen Sohn, welcher die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und in C-Stadt/Türkei bei
seiner Mutter wohnt.
Der Antragsteller erhält (im Anschluss an einen Leistungsbezug beim Jobcenter Darmstadt) seit 1. April 2013 Leistungen des
Antragsgegners nach dem SGB II. Sein Sohn ist seit dem 8. Oktober 2013 an der Universität Istanbul immatrikuliert. Ausweislich der Urkunde des Jugendamtes
Kreis Bergstraße vom 28. Oktober 2013 verpflichtete sich der Antragsteller für den Zeitraum Mai 2013 bis April 2017 zur Zahlung
eines monatlichen Unterhaltes in Höhe von 300,00 Euro an seinen Sohn. Der Antragsgegner berücksichtigte daraufhin monatlich
300,00 Euro als einkommensmindernden Absetzungsbetrag.
Mit Bescheid vom 27. März 2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller vorläufig Leistungen für April 2017 in Höhe
von 787,16 Euro und für Mai bis September 2017 in Höhe von monatlich 487,16 Euro. Die Bewilligung erfolge vorläufig, weil
das zu berücksichtigende Einkommen noch nicht feststehe. Dabei ging der Antragsgegner von einem monatlichen Gewinn in Höhe
von 531,05 Euro aus, der um den Grundfreibetrag von 100,00 Euro und einen weiteren Freibetrag in Höhe von 86,21 Euro bereinigt
wurde, wobei lediglich für April zusätzlich Unterhaltszahlungen von 300,00 Euro als einkommensmindernd anerkannt wurden. Zur
Begründung hierzu führte der Antragsgegner in dem Bescheid aus, dass aufgrund der Urkunde des Jugendamtes über die Verpflichtung
zur Unterhaltsleistung die Unterhaltszahlung an den Sohn des Antragstellers bis 30. April 2017 begrenzt sei. Der Bescheid
enthält zudem auf Seite 3 folgende Formulierung: "Bitte beachten Sie, dass Betriebsausgaben, die in der Aufstellung ausdrücklich nicht berücksichtigt werden, auch im Rahmen
der abschließenden Entscheidung grundsätzlich keine Berücksichtigung finden." In der Liste der Zahlungsempfänger ist unter anderem der Antragsgegner genannt, zu dessen Gunsten monatlich ein Betrag von
39,10 Euro und für September 2017 von zweimal 39,10 Euro aufgeführt wird.
Am 30. März 2017 ließ der Antragsteller eine Erklärung vor dem Notar D. notariell beurkunden, wonach er sich verpflichtete,
seinem Sohn monatlich Unterhalt in Höhe von 400,00 Euro ab Mai 2017 für die Dauer von drei Jahren zu zahlen, wobei er ich
der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarf.
Mit Schreiben vom 1. April 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. März 2017 ein und beantragte
die Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen ab Mai 2017 in Höhe von 400,00 Euro monatlich gemäß der beigefügten notariell
beurkundeten Erklärung vom 30. März 2017.
Am 25. April 2017 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Darmstadt eingereicht und
sinngemäß beantragt, 1. den Antragsgegner zum Erlass eines berichtigten Bescheides zu verpflichten, 2. die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs vom 1. April 2017 festzustellen, 3. die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 27. März 2017 festzustellen sowie
4. den Antragsgegner zur Bescheidung des Widerspruchs zu verpflichten. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der ihm verbleibende
Leistungsbetrag seinen Lebensunterhalt nicht sicherstelle und er seine Selbständigkeit nicht fortführen könne. Ferner sei
nicht nachvollziehbar, warum für September 2017 zwei Zahlungen in Höhe von jeweils 39,10 Euro an den Antragsgegner als Zahlungsempfänger
aufgeführt wurden. Zudem werde um Verlängerung des Bewilligungszeitraumes auf zwölf Monate gebeten. Es sei bereits nachgewiesen
worden, dass sein Sohn noch immer studiere - weitere Unterlagen würden nicht mehr vorgelegt werden. Er sei gesetzlich gegenüber
seinem Sohn zur Unterhaltszahlung verpflichtet und mache sich strafbar, wenn er keinen Unterhalt zahle.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2017 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat
es ausgeführt, es sei bereits zweifelhaft, ob die notarielle Unterhaltsurkunde vom 30. März 2017 eine notariell beurkundete
Unterhaltsvereinbarung i. S. d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sei, weil der Sohn des Antragstellers nicht an der Erklärung beteiligt gewesen sei. Zudem sei eine gesetzliche Unterhaltspflicht
nicht glaubhaft gemacht worden. Es könne in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob deutsches oder türkisches Recht anwendbar
sei, weil bereits keine Leistungsfähigkeit des Antragstellers vorliege. Es fehle auch an einem Anordnungsgrund, weil der Antragsteller
dadurch seine Existenz sichern könne, dass er von den Zahlungen an seinen Sohn absehe. Zudem seien die SGB II - Leistungen nicht pfändbar. Auch hinsichtlich des Begehrens auf Verlängerung des Bewilligungszeitraums fehlten die Voraussetzungen
für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Hinsichtlich beider Aufrechnungen im September 2017 schließlich fehle eine gegenwärtige
Notlage.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2017 hat der Antragsgegner dem Widerspruch vom 1. April 2017 insoweit stattgegeben,
als im September 2017 eine zweite Aufrechnung vorgenommen wurde. Im Übrigen hat er den Widerspruch zurückgewiesen. Über die
hiergegen erhobene Klage (vom 28. Juni 2016, S 19 AS 601/17) hat das Sozialgericht Darmstadt noch nicht entschieden.
Am 19. Juni 2017 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 7. Juni 2017 beim Hessischen
Landessozialgericht eingelegt.
Zur Begründung führt er aus, es bestehe sehr wohl Eilbedürftigkeit. Denn auch Unterhaltsleistungen an Angehörige gehörten
zum notwendigen Lebensunterhalt. Zudem sei seine Existenz seit Mai 2017 gefährdet. Der angegriffene Bescheid sei auch - wie
alle vorherigen Bescheide des Antragsgegners - rechtswidrig, weil er eine Passage enthalte, wonach Betriebsausgaben, die in
der nachfolgenden Aufstellung ausdrücklich nicht berücksichtigt würden, auch im Rahmen der abschließenden Entscheidung grundsätzlich
keine Berücksichtigung fänden. Jeder selbständige Leistungsbezieher müsse schon aufgrund dieses Satzes dem Bescheid widersprechen,
weil andernfalls Betriebsausgaben, die im Bewilligungszeitraum weiterhin anfielen, später nicht mehr geltend gemacht werden
könnten. Die Bescheide seien daher für nichtig zu erklären, weil sie rechtswidrig ergangen seien. Eine Notwendigkeit, dass
sein Sohn bei der Beurkundung der Unterhaltsregelung anwesend sei, könne nicht bestehen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass
die Beurkundung durch das Jugendamt von dem Antragsgegner akzeptiert werde, nicht aber die Beurkundung durch einen Notar.
Es liege auch nicht in seiner Sphäre, dass das Jugendamt aufgrund der Volljährigkeit des Sohnes nicht mehr zuständig sei.
Der Antragsgegner habe zudem eine Aufrechnung vorgenommen, die er bis heute nicht habe erklären können. Eine Aufrechnung für
einen Zuschuss zum Kauf eines Fahrzeuges im Juli 2014 habe höchstens bis Juli 2017 vorgenommen werden dürfen. Auch eine vorherige
Anhörung habe hinsichtlich der Aufrechnung nicht stattgefunden. Ein Widerspruch gegen eine Aufrechnung habe außerdem aufschiebende
Wirkung. Schließlich sei die Höhe des Mietzinses falsch berücksichtigt worden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Juni 2017 aufzuheben, den Antragsgegner zum Erlass eines berichtigten Bescheides
zu verpflichten, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. April 2017 festzustellen, die Rechtswidrigkeit des Bescheides
vom 27. März 2017 festzustellen sowie den Antragsgegner zur Bescheidung des Widerspruchs zu verpflichten.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig. Der Vortrag des Antragstellers, wonach seine mit der Erzielung des
Einkommens verbundenen Ausgaben nicht vollständig berücksichtigt worden seien, sei erstmals im Beschwerdeverfahren erfolgt
und zudem nicht nachvollziehbar, weil der Antragsgegner von den geltend gemachten Betriebsausgaben (für sechs Monate) von
1.366,36 Euro einen Betrag von 1.336,36 Euro berücksichtigt habe. Bis zum heutigen Tage weigere der Antragsteller sich, Nachweise
über die tatsächliche Einkommens- und Vermögenssituation seines Sohnes und eine aktuelle Immatrikulationsbescheinigung für
diesen vorzulegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Antragsgegners (Band
IX. und X.) Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf einstweiligen
Rechtsschutz vollumfänglich abgelehnt. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist teilweise unzulässig, im Übrigen zwar
zulässig, aber unbegründet.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seine erstinstanzlich formulierten Anträge vollumfänglich weiter. Dies ergibt
sich aus seinem Schriftsatz vom 15. Juni 2017, worin er die Auffassung vertritt, sämtliche vier erstinstanzlich formulierten
Anträge seien begründet.
a) Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist bereits teilweise unzulässig.
(1) Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 27. März 2017 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
ist unzulässig. Denn der Antragsteller begehrt weitergehende Leistungen nach dem SGB II, sodass nicht der Feststellungsantrag, sondern nur der Antrag auf Verpflichtung zu weitergehenden Leistungen im Wege der
einstweiligen Anordnung (§
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) statthaft ist. In der Hauptsache wäre eine Feststellungklage (§
55 SGG) wegen ihrer Subsidiarität gegenüber der statthaften Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1, 4
SGG) unzulässig.
Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals auch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides beantragt, versteht
der Senat dies nicht als eine Antragserweiterung, sondern als Wiederholung und Bekräftigung des Antrages auf Feststellung
der Rechtswidrigkeit. Denn der Antragsteller verwendet die Begriffe Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit gleichbedeutend, indem
er als Begründung für die Nichtigkeit deren Rechtswidrigkeit anführt (Seite 4 des Schriftsatzes vom 19. Juli 2017). Die Frage,
ob eine Antragserweiterung (entsprechend §§
153 Abs.
1,
99 SGG) im Beschwerdeverfahren überhaupt zulässig und das LSG zur Entscheidung hierüber zuständig ist (ablehnend z. B. Thüringer
LSG, Beschluss vom 22. Februar 2012 - L 4 AS 1825/11 B -, juris, Rn. 8), kann daher offen bleiben.
(2) Unzulässig ist auch der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches vom 1. April 2017 gegen den
Bescheid vom 27. März 2017. Zwar kann auch im Wege der einstweiligen Anordnung die Feststellung erfolgen, dass ein Widerspruch
aufschiebende Wirkung hat, wenn die Behörde die aufschiebende Wirkung missachtet (sog. faktischer Vollzug). Der Bescheid vom
27. März 2017 enthält aber keine belastende Regelung, die einer aufschiebenden Wirkung zugänglich wäre. Insbesondere regelt
er keine Aufrechnung nach § 43 SGB II, die nach § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgt, sondern übernimmt nur redaktionell eine anderweitig geregelte Aufrechnung. Auch die vom Antragsteller
angegriffene Formulierung über die Berücksichtigung von Betriebsausgaben ist kein Verwaltungsakt, sondern die bloße Ankündigung,
wie voraussichtlich in einem endgültigen Bescheid Betriebskosten berücksichtigt werden.
(3) Unzulässig ist auch der Bescheidungsantrag. Unabhängig davon, ob im Wege der einstweiligen Anordnung überhaupt die Bescheidung
eines Widerspruchs zulässigerweise geltend gemacht werden kann, wurde der Widerspruch inzwischen beschieden, sodass es für
diesen Antrag zumindest an einer Antragsbefugnis fehlt.
b) Zulässig ist allein der Antrag auf Verpflichtung zum Erlass eines neuen Bescheides, allerdings nur im Wege einer Auslegung
dahingehend, dass der Antragsteller die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zu höheren Leistungen nach dem SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt.
Der so verstandene Antrag ist aber unbegründet. Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen
insoweit nicht vor.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache
hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).
Die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §§
920 Abs.
2,
294 Zivilprozessordnung ‑
ZPO ‑).
(1) Es liegt bereits kein Anordnungsanspruch vor.
(a) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach §§ 19 ff. i. V. m. §§ 7 ff. SGB II.
Er erfüllt die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hinsichtlich Alter, Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthaltes, wobei auch kein Ausschlusstatbestand vorliegt. Eine
weitergehende Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 9, 11 SGB II als in der vom Antragsgegner festgestellten Höhe besteht indes nicht. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht
oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen,
sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass sein Bedarf fehlerhaft festgestellt worden ist. Sein Vortrag, wonach die
Miete nicht in zutreffender Höhe berücksichtigt worden sei, ist unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar. Der Senat kann
daher dahinstehen lassen, ob die Festsetzung der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) im Bescheid vom 27. März 2017 vom Antragsteller mit dem Widerspruch nicht angegriffen wurde und damit bestandskräftig geworden
ist.
Es ist auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner diesem Bedarf ein unzutreffend berechnetes zu berücksichtigendes
Einkommen (§ 11 SGB II) des Antragstellers gegenübergestellt hat. Nicht nachvollziehbar ist insoweit der pauschale Vortrag des Antragstellers, wonach
der Antragsgegner die Betriebsausgaben falsch berechnet habe. Denn es wurden im Wesentlichen die Angaben des Antragstellers
übernommen.
Der Antragsteller hat auch für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf einkommensmindernde Berücksichtigung
von Unterhaltszahlungen an seinen Sohn.
Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder einer notariell
beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen. Mit dieser Regelung soll dem Umstand Rechnung
getragen werden, dass die entsprechenden Mittel des Unterhaltsverpflichteten angesichts ihrer jederzeitigen Pfändbarkeit (vgl.
§
794 Abs.
1 Nr.
5 ZPO) nicht als bereite Mittel und damit nicht als Einkommen zur Verfügung stehen (vgl. BT-Drucks. 16/1410, S. 20 f. zu Art. 1 Nr. 9a). Die Regelung durchbricht den Grundsatz, dass der Hilfebedürftige nach dem SGB II sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden muss, wenn er sich dadurch außerstande
setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (in diesem Sinne BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14/7b AS 10/07 - juris, Rn. 25). Dieser Abzug der titulierten und gezahlten Unterhaltsbeiträge erfolgt unabhängig von ihrer konkreten Pfändbarkeit
(BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 20).
Absetzbar nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind unterhaltsbezogene Aufwendungen aber nur, wenn sie tatsächlich erbracht worden sind, auf einer gesetzlichen Verpflichtung
beruhen und die Unterhaltspflicht tituliert ist (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 18).
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller die geltend gemachten Aufwendungen für den streitgegenständlichen Zeitraum (Mai
bis September 2017) an seinen Sohn vollständig erbracht hat, wobei bislang lediglich Zahlungen für Juni und Juli 2017 nachgewiesen
wurden.
Ebenso kann offenbleiben, ob seine notariell beurkundete Erklärung vom 30. März 2017 eine notariell beurkundete Unterhaltsvereinbarung
i. S. d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II ist. Bei dieser Erklärung handelt es sich nicht um eine Vereinbarung, sondern um ein einseitig verpflichtendes Schuldversprechen
des Unterhaltsschuldners, was allerdings nicht zwingend ausschließt, hierin einen Unterhaltstitel i. S. d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II zu sehen, da auch Jugendamtsurkunden nach §§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 60 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) als Unterhaltstitel in diesem Sinne anerkannt sind (siehe BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 14).
Jedenfalls hat der Antragsteller bereits keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit seine
gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn begründen könnte. Titulierte Unterhaltszahlungen indes, die nicht auf
einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen, sind nicht als Absetzbeträge vom Einkommen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 15). Der Umstand, dass die Verwaltung im Rahmen des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II jedenfalls im Regelfall von der eigenständigen Ermittlung gesetzlicher Unterhaltsansprüche entlastet werden soll, schließt
eine Prüfung, ob die Aufwendungen der "Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten" dienen, nicht aus (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 20; noch offen gelassen von BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, juris, Rn. 19; abweichend noch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 23. März 2012 - L 6 AS 32/12 B ER -, juris, Rn. 3; LSG für das Land NRW, Beschluss vom 20. August 2012 - L 12 AS 918/12 B -, juris, Rn. 10). Zumindest in den Fällen, in denen eine gesetzliche Unterhaltspflicht offensichtlich nicht besteht oder
in denen der dem Grunde nach Unterhaltsverpflichtete sich einseitig zu Zahlungen verpflichtet, sind die SGB II - Träger und die Gerichte befugt, die Frage der gesetzlichen Unterhaltspflicht zu überprüfen.
Der Antragsteller hat weder Unterlagen oder Erklärungen, die eine Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Sohnes
ermöglichen, noch eine aktuelle Studienbescheinigung seines Sohnes vorgelegt. Bereits deshalb können eventuelle Unterhaltsansprüche
nicht zuverlässig überprüft werden.
Jedenfalls ist aber bereits deshalb nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des
Antragstellers auszugehen, weil er nicht leistungsfähig ist, unabhängig davon, ob vorliegend deutsches (aa) oder türkisches
(bb) Recht anwendbar ist.
(aa) Eine gesetzliche Unterhaltspflicht nach §§
1601 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) ist bereits aufgrund der fehlenden Leistungsfähigkeit des Antragstellers nicht anzunehmen.
Leistungsfähigkeit ist die Voraussetzung jeder Unterhaltspflicht (vgl. §
1603 Abs.
1 BGB). Jede Unterhaltsverpflichtung findet ihre materiell-rechtliche Grenze an der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten, d. h.
dort, wo ihm nicht mehr die Mittel zur Sicherung der eigenen Existenz und damit für seinen eigenen Bedarf verbleiben (Brudermüller,
in: Palandt (Begr.),
BGB, 76. Aufl. 2017, §
1603 Rn. 2). Dem Unterhaltsverpflichteten sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner
Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt (BGH, Urteil vom 8. Juni 2005 - XII ZR 75/04 -, juris, Rn. 20). Daher endet seine finanzielle Leistungsfähigkeit jedenfalls dort, wo er nicht mehr in der Lage ist, seine
eigene Existenz zu sichern (BVerfG(K), Beschluss vom 20. August 2001 - 1 BvR 1509/97 -, juris, Rn. 8 ff.).
Dieser Selbstbehalt hat - entsprechend der in §
1603 Abs.
1 und
2 BGB getroffenen Unterscheidung nach der unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit minderjähriger und volljähriger Kinder und sonstiger
Unterhaltsberechtigter - je nach Unterhaltsrechtsverhältnis eine unterschiedliche Höhe (Brudermüller, in: Palandt (Begr.),
BGB, 76. Aufl. 2017, §
1603 Rn. 14). Der angemessene Selbstbehalt gegenüber Unterhaltsansprüchen volljähriger Kinder (§
1603 Abs.
1 BGB) darf daher nicht mit dem notwendigen Selbstbehalt gegenüber Unterhaltsansprüchen minderjähriger und diesen nach §
1603 Abs.
2 BGB gleichgestellten Kindern gleichgesetzt werden (BGH, Urteil vom 15. März 2006 - XII ZR 30/14 -, juris, Rn. 18). So beträgt etwa der Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle gegenüber volljährigen Kindern 1.300,00
Euro monatlich, ggf. zuzüglich maßvoller Zuschläge. Dieser Selbstbehalt kann zum einen herabgesetzt werden, z. B. bei Arbeitsunfähigkeit.
Es können zum anderen auch fiktive Einkünfte zur Erfüllung der Unterhaltspflicht zugerechnet werden, wenn sie für den Verpflichteten
objektiv und ihm zurechenbar zu erzielen sind (BVerfG(K), Beschluss vom 27. August 2014 - 1 BvR 192/12 -, juris, Rn. 17). Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er
diese bei gutem Willen ausüben könnte, können nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt
werden (st. Rspr. des BGH, z. B. Beschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 -, juris, Rn. 17). Der Bezug von Erwerbseinkommen neben einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung schließt es nicht aus,
dass Erwerbseinkommen für den Unterhalt zur Verfügung steht; vielmehr kann der Unterhaltspflichtige auch dann unterhaltsrechtlich
leistungsfähig sein, wenn er seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt aus Sozialleistungen bestreiten und ein den Selbstbehalt
übersteigendes Nebeneinkommen für den Unterhalt einsetzen kann (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 -, juris, Rn. 22). Die Titulierung des Unterhalts und eine erfolgte Absetzung nach § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II führen umgekehrt - zur Vermeidung von Zirkelschlüssen - nicht zu einer Erhöhung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit
(BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 -, juris, Rn. 27 f.).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller gegenüber seinem Sohn gesetzlich
unterhaltsverpflichtet ist. Denn der maßgebliche Selbstbehalt wird nicht erreicht. Der Antragsteller ist nicht gesteigert
unterhaltspflichtig nach §
1609 Abs.
1 Nr.
1,
1603 Abs.
2 Satz 2
BGB, da der Sohn das 21. Lebensjahr vollendet hat (§
1609 Abs.
1 Nr.
4 BGB). Er erzielt im Durchschnitt einen monatlichen Gewinn von 531,05 Euro und damit weniger als die Hälfte seines Selbstbehaltes.
Selbst mit den Leistungen nach dem SGB II (487,16 Euro) wird der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt deutlich unterschritten. Anhaltspunkte dafür, dass ihm wegen Verstoßes
gegen seine Erwerbsobliegenheiten unterhaltsrechtlich fiktive Einkünfte zuzurechnen wären, sind weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich.
Dieses Ergebnis ist auch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Zwar hat der Gesetzgeber in Anbetracht des Grundrechts
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art.
1 Abs.
1 GG i. V. m. Art.
20 Abs.
1 GG) sicherzustellen, dass nur solche Mittel als Einkommen bedarfsdeckend berücksichtigt werden, die dem Leistungsberechtigten
zur Lebensunterhaltssicherung tatsächlich zu Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 23). Andererseits schützt die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art.
2 Abs.
1 GG gerade vor der Auferlegung von Unterhaltsleistungen, die dazu führen, dass der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage
ist, seine eigene Existenz zu sichern (BVerfG(K), Beschluss vom 20. August 2001 - 1 BvR 1509/97 -, juris, Rn. 8 ff.). Dementsprechend substituieren die Existenzsicherungssysteme nach dem SGB II und SGB XII grundsätzlich keine Unterhaltsverpflichtungen durch Leistungen an Verpflichtete, sondern fehlende Unterhaltszahlungen durch
Leistungen an den Unterhaltsberechtigten (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R -, juris, Rn. 25).
(bb) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht für den Fall, dass statt deutschem das türkische Unterhaltsrecht anwendbar
sein sollte, weil der Sohn des Antragstellers seinen gewöhnlichen Aufenthalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Türkei
hat (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Januar 2014 - 17 WF 229/13 -, juris, Rn. 9 ff.; zum Beitritt der Türkei zum Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 zum 1. Februar 2017 siehe Boehm, JAmt
2017, 8). Denn auch danach ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten von maßgeblicher Bedeutung für den Unterhaltsanspruch.
Die Höhe des nach § 327 Abs. 1 türkisches Zivilgesetzbuch (tZGB) von den Eltern geschuldeten Unterhaltes richtet sich gemäß § 330 Abs. 1 tZGB nach dem Bedarf des Kindes, den elterlichen Lebensbedingungen und eben auch der Leistungsfähigkeit der Eltern
(siehe dazu Elden, NZFam 2014, 825; Savas, FPR 2013, 101, 102). Es ist aber auch insoweit nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Antragsteller leistungsfähig im
Sinne des türkischen Unterhaltsrechts wäre.
(b) Der Antragsteller hat auch angesichts seines schwankenden Einkommens aus selbständiger Tätigkeit und der daraus folgenden
Notwendigkeit der vorläufigen Bewilligung von Leistungen keinen Anspruch auf Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwölf
Monate, § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II.
(2) Auf die Frage, ob hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Unterhaltsleistungen ein Anordnungsgrund besteht, kommt es
nicht mehr an.
Selbst wenn die Einbehaltung von monatlich 39,10 Euro (als Umsetzung einer Aufrechnung) zu Unrecht erfolgt sein sollte, würde
diesbezüglich jedenfalls kein Anordnungsgrund vorliegen. Denn aufgrund des Erwerbseinkommens des Antragstellers werden monatlich
186,21 Euro unberücksichtigt gelassen, die er einstweilen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einsetzen kann.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
3. Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.